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Auf dem Weg zum autonomen Fahren wachsen Digitalisierung und Mobilität stetig und rasant weiter zusammen. Hierbei stellt das sogenannte teleoperierte Fahren als Technologieform eine wichtige Schnittstelle zwischen Vernetzung, Robotik und dem menschlichen Fahrer dar. Es handelt sich um eine Vorstufe zum echten autonomen Fahren, wobei es genau genommen um das ferngesteuerte Lenken eines Fahrzeugs durch einen dislozierten Fahrer als Operator geht, der aus der Ferne die komplette Fahraufgabe übernimmt beziehungsweise übernehmen kann. Noch auf der 6. Tagung Fahrassistenz der Technischen Universität München im Jahr 2013 waren als Anwendungsgebiete für die Teleoperation der Weltraum, die Tiefsee, die unbemannte Luftfahrt, unbemannte Bodenfahrzeuge sowie die Robotik genannt worden. Inzwischen wurde das teleoperierte Fahren in den vergangenen Monaten bereits in verschiedenen Einsatzszenarien bei der Güter- und Personenbeförderung erprobt und eingesetzt.

Was versteht man unter teleoperiertem Fahren?
Das teleoperierte Fahren ist ein Oberbegriff für mehrere Varianten der dislozierten Fahrzeugsteuerung aus der Ferne. Weder in rechtlicher Hinsicht noch im technisch-wissenschaftlichen Bereich gibt es dafür eine einheitliche Definition. Insoweit beschreibt der technische Standard SAE J3016:20214 aber verschiedene relevante Varianten der Fernsteuerung von Fahrzeugen („Remote Control“) im Zusammenhang mit dem automatisierten Fahren. Unterschieden wird zwischen dem „Remote Driving“, bei dem das Fahrzeug vollständig durch einen dislozierten Fahrer gesteuert wird, der „Remote Assistance“, bei welcher das Fahrzeug in bestimmten Szenarien durch einen dislozierten Fahrer gesteuert beziehungsweise unterstützt wird, und dem „Remote Monitoring“, bei dem das Fahrzeug durch den dislozierten Fahrer mit limitierten Eingriffsmöglichkeiten lediglich überwacht wird, ohne dass dieser vollständige Steuerungsmöglichkeiten hat.

Einordnung: Die fünf Stufen zum Autonomen Fahren
Auf welcher der fünf Stufen des autonomen Fahrens ist das teleoperierte Fahren also einzuordnen? Um es vorwegzunehmen: Es ist weit fortgeschritten, nämlich auf Level 4, dem vollautomatisierten Fahren. Auf diesem Level führen die technischen Systeme im Fahrzeug alle Fahraufgaben selbsttätig durch, das heißt, der Pkw kann auch längere Strecken ohne Eingriff zurücklegen. Dabei bewältigt das Fahrzeug die Fahraufgaben auf bestimmten Strecken wie auf der Autobahn oder im Parkhaus völlig selbstständig, während der Fahrer die Steuerung vollständig abgeben kann; das Fahrzeug darf dann auch – wie beim teleoperierten Fahren – ganz ohne Fahrzeuginsassen unterwegs sein. Das System erkennt bei Fehlern seine Grenzen so zeitig, dass es ohne Verstoß gegen Verkehrsregeln – also regelkonform – einen sicheren Zustand erreichen und zum Beispiel anhalten kann. Zum Ende einer vollautomatisierten Fahrt kann ein Fahrzeuginsasse wieder das Steuer selbst übernehmen. Ist der „Fahrer“ dazu allerdings nicht (mehr) in der Lage oder will dies nicht, muss das Fahrzeug in der Lage sein, autonom einen sicheren Zustand zu erreichen und dabei beispielsweise einen Halteplatz anzusteuern. Die im Fahrzeug befindlichen Passagiere würden für Verkehrsverstöße oder Schäden während einer vollautomatisierten Fahrt dann nicht mehr haften.

Anwendungsfälle des teleoperierten Fahrens: Use Cases
Für das teleoperierte Fahren gibt es im Wesentlichen zwei Einsatzszenarien, in denen es zur Anwendung kommen kann.

Erstens kann die Fernsteuerung als Funktionsergänzung und Fall-back-Ebene im Rahmen des vollautomatisierten Fahrens genutzt werden. Die Teleoperation ist dann praktisch eine Besonderheit (Feature) bei der Funktion von automatisierten Fahrzeugen. Zweitens kann das teleoperierte Fahren auch als unabhängige eigenständige Funktion genutzt werden, um ein Fahrzeug durch einen dislozierten menschlichen Fahrzeugführer – den sogenannten Teleoperator – unmittelbar zu steuern. Hierbei wird die jeweilige Fahrsituation visuell und akustisch mittels technischer Einrichtungen und schneller Funkverbindung erfasst, wobei die eigentliche dynamische Fahraufgabe durch den dislozierten Teleoperator unmittelbar wahrgenommen wird. Der dislozierte Arbeitsplatz eines Teleoperators muss daher praktisch mit einer Steuerung wie Lenkrad, Pedalen und weiteren fahrzeugüblichen Steuerungseinrichtungen ausgestattet sein oder zumindest über ähnliche Steuerungsmöglichkeiten verfügen. Ferner bedarf es einer audiovisuellen Übertragung über Monitore in Echtzeit, die es dem Teleoperator ermöglicht, ohne Zeitverzögerung zu agieren und zu reagieren. Diese Art der Fahrzeug-Fernsteuerung („Remote Driving“) erfolgt in Echtzeit, wobei es erforderlich ist, dass die Bedienung durch den Teleoperator eine Echtzeit-Performance für den gesamten Fahrbetrieb darstellt. Der Teleoperator muss also lenken, schalten, beschleunigen und bremsen können. Damit stellt das teleoperierte Fahren streng genommen ein vernetztes, menschliches Fahren und kein automatisiertes Fahren dar. Dabei kann der Teleoperator bei seinen Fahraufgaben seinerseits durch Fahrerassistenzsysteme oder Fahrzeugautomatisierung unterstützt werden. Voraussetzung für den Datenaustausch in Echtzeit ist ein im Wesentlichen lückenloses, reibungslos und störungsfrei funktionierendes 5G-Telekommunikationsnetz.

Denkbar sind daher folgende praxisrelevante Anwendungsfälle (Use Cases):
- Fahrerlose Bereitstellung und Wegparken: Fahrzeugeigentümer oder Leasingnehmer könnten teleoperiertes Fahren in Form von teleoperierten On-Demand-Diensten nutzen wie Tele-Parking, Tele-Valet-Parking oder Tele-Chauffeur.
- Beim Automated Valet-Parking: stellen Autofahrer ihren Leihwagen oder das eigene Auto vor dem Hotel, Flughafen oder Bahnhof ab. Ein Operator bringt das Auto dann ferngesteuert zum Parkplatz und später wieder zurück. Bei der Ankunft wird der Wagen mithilfe der fahrerlosen Parkfunktion vorgefahren.

Eine denkbare Variante wäre hierbei auch die Fahrzeugzustellung bei Carsharing und Mietfahrzeugsystemen: Fahrzeuge bei Carsharing oder Fahrzeugmieten könnten über eine App zum gewünschten Standort bestellt werden. Das Abholen des Fahrzeugs bei einer Vermietungsstation oder einer Carpool-Station des Carsharing-Anbieters würde damit entfallen. Der Kunde kann das gebuchte Fahrzeug dann vor Ort übernehmen und nutzen. Dementsprechend würde für die Fahrzeugrückgabe das Fahrzeug am Ende der Fahrt mit Ausbuchen aus der App wieder an einen Teleoperator übergeben und von diesem zum nächsten Parkplatz oder nächsten Kunden gesteuert. Dieses neue Geschäftsmodell würde es technologisch ermöglichen, Kunden die Suche nach einem in der Nähe verfügbaren Fahrzeug oder nach Fahrtende die Suche nach einem passenden Parkplatz für die Rückgabe abzunehmen. Ein derartiges Geschäftsmodell könnte es in ländlichen Gebieten oder in städtischen Randgebieten dazu beitragen, Carsharing-Angebote oder Mietfahrzeug-Angebote zu verbessern. Gleichzeitig könnte dies auch dazu beitragen, die benötigten Parkflächen zu reduzieren.

Ferngesteuerte PersonenbeförderungsPods an Flughäfen, Häfen und Bahnhöfen 
Intralogistik: Dislozierte Fahrer lenken Lkw oder Transporter ferngesteuert über fest definierte Routen zum Ziel, zum Beispiel nach dem Entladen eines Schiffs zur Lagerhalle oder am Ende der Produktion zum Parkplatz. Im Logistik- und Speditionsbereich kann das teleoperierte Fahren helfen, Abläufe zu optimieren und Kosten für Lieferfahrten mit Transportern und Lkws zu reduzieren oder einzusparen; vor allen Dingen für die letzte Meile zum Kunden. Eine entsprechende Anwendung ist denkbar in Betriebs-und Logistik-Hubs oder abseits des öffentlichen Straßenverkehrs auf dem Betriebsgelände in abgegrenzten Zonen wie Produktionsstätten oder auf fest vorgegebenen Routen von Flughäfen und Häfen.

Eine weitere Anwendungsmöglichkeit ist die Unterstützung der schrittweisen Einführung des autonomen Fahrens und seiner Funktionen durch das teleoperierte Fahren. Ein erster Schritt hierfür wäre beispielsweise das autonome Fahren auf dem Werksgelände oder dem Gelände von Logistikunternehmen, beispielsweise zur unterstützenden Vorbereitung weiterer Fahrzeugmanöver wie das Be- und Entladen.

Rechtsrahmen des teleoperierten Fahrens
Die schöne neue Welt des teleoperierten Fahrens lässt sich allerdings nicht so ohne Weiteres im öffentlichen Straßenverkehr nutzen. Sowohl das Wiener Übereinkommen über den Straßenverkehr als auch die StVO und das StVG stellen Anforderungen an einen Fahrer als Fahrzeugführer, der die Kontrolle über das Fahrzeug hat. Der Fahrer im Fahrzeug ist also gesetzlich vorausgesetzt und erforderlich

Zurzeit gibt es daher kein Gesetz und keine Verordnung, die es gestatten würde, teleoperiertes Fahren in Deutschland im öffentlichen Straßenverkehrsraum anzuwenden. Nach der aktuellen Rechtslage gibt es weder für den Bereich der Fahrzeugzulassung noch für den Bereich der Fahrzeugnutzung im öffentlichen Straßenverkehr gesetzliche Vorgaben oder Regelungen, die es erlauben würden, in bestimmten Anwendungsfällen durch einen dislozierten Teleoperator die Fernsteuerung eines Fahrzeugs unmittelbar selbst zu übernehmen. Darüber hinaus kann ein dislozierter Fahrer auch bestimmte Verhaltenspflichten aus der StVO nicht erfüllen, wie beispielsweise die Absicherung des Unfallorts.

Auch ist das teleoperierte Fahren aus fahrzeuggenehmigungsrechtlicher Sicht Neuland: Zurzeit gibt es keinen umfassenden Rahmen fahrzeugtechnischer Regelungen für teleoperiertes Fahren, weder auf nationaler noch auf EUund/oder UN-/ECE-Ebene. Auch die ECE-Regelungen sind hier alles andere als weiterführend: So erlaubt die ECE-Regel 13 elektrische Bremsanlagen, während die ECE-Regel 79 autonome/ferngesteuerte Lenkungsanlagen untersagt. Denkbar erscheint eine Zulassung teleoperierter Fahrzeuge über das Instrument der nationalen Einzelgenehmigung mit Ausnahmegenehmigung (§§ 21, 70 StVZO). Alternativ kommt eine nationale Kleinserientypgenehmigung in Betracht. Die Formen der EU-Typgenehmigung (einschließlich EU-Serien- und Kleinserien-Typgenehmigung sowie Einzelfahrzeugund System-Typgenehmigung) sind dagegen vorerst kein gangbarer Weg zu einer (Serien-)Zulassung für teleoperierte Fahrzeuge, weil EU-Typgenehmigungen regelmäßig nur auf Grundlage bestehender EUund/oder UN-/ECE-Typgenehmigungsgesetze erteilt werden. Da es solche Regularien für das teleoperierte Fahren noch nicht gibt, ist es derzeit nicht wahrscheinlich, dass entsprechende Genehmigungen erteilt werden.

Vorschläge aus der Wirtschaft
Und jetzt? Ist guter Rat teuer? Keineswegs. Der Berliner Bitkom e. V. hat bereits im März 2023 in seinem Kurzpapier „Teleoperiertes Fahren in Deutschland“ vorgeschlagen, dass die notwendige Rechtssicherheit für die Nutzung des teleoperierten Fahrens deutschlandweit durch eine „Telefahr-Verordnung” des Bundes auf Grundlage des § 1j Abs. 2 StVG erzielt werden solle. Zuständig hierfür wäre das Bundesministerium für Digitales und Verkehr, das danach ermächtigt ist, durch Rechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrates Ausnahmen von den auf Grundlage des Absatzes 1 erlassenen Rechtsverordnungen zur Erprobung neuartiger Fahrzeugsteuerungseinrichtungen zu regeln. Die Verordnung sollte alsdann auch die spezifischen sicherheitsrelevanten Fragen sowie die Rahmenbedingungen für einen Regelbetrieb ausgestalten, und zwar analog zum Vorgehen beim autonomen Fahren. Zu diesem Zwecke sollten auch Hersteller oder Betreiber von teleoperierten Fahrzeugen entsprechende Sicherheitsnachweise vorlegen, aus denen sich die angemessene Betriebssicherheit dieser Fahrzeuge ergibt. Der Gesetzgeber hatte jedenfalls ausdrücklich das „teleoperierte Fahren“ für den Erprobungsbetrieb als Beispiel sogenannter „neuartiger Fahrzeugsteuerungseinrichtungen“ im Blick (BT-Drs. 19/28178, 9). Eine weitere Alternative wäre es, § 6 StVG entsprechend zu ergänzen mit der Möglichkeit, eine spezifische Verordnungsermächtigung für das teleoperierte Fahren im Test- und Regelbetrieb zu schaffen.

Dabei müssen allerdings – so Bitkom e. V. – auch eine Vielzahl anderer verkehrsfremder Aspekte Berücksichtigung finden, wie die angemessene Qualität und Sicherheit des verwendeten Kommunikationsnetzes mit Regelung für die systemseitigen Herbeiführung eines risikominimalen Zustands für den Fall des Kommunikationsausfalls. Daneben sind ebenso wichtig Regelungen zur Cybersicherheit gegen Hackerangriffe. In persönlicher Hinsicht betreffend die Qualifikation und Arbeit der dislozierten Teleoperator sind quasi fahrpersonalrechtliche Regelungen vonnöten, die die unmittelbaren Anforderungen an Gestaltung und Funktionalität des Arbeitsplatzes für einen dislozierten Fahrer näher festlegen einschließlich der Regelungen zur Sicherheit der Betriebszentrale. Daneben sind weitere fahrpersonalrechtliche Aspekte zu regeln wie Eignungsüberprüfungen und Nachweise der Verkehrstauglichkeit, Schulungen für das teleoperierende Fahrpersonal, Regelungen zu Ruhezeiten des Telefahr-Personals, um Aufmerksamkeitsdefizite auszuschließen. Ferner sind datenschutzrechtlich relevante Aspekte zu klären wie die Datenerhebung und -speicherung für den Fall technischer Störungen oder bei Unfällen. Es ist daher nun am Gesetzund Verordnungsgeber, die nächsten vorbereitenden rechtlichen Schritte für das teleoperierte Fahren zu gehen.

Rechtsanwalt Lutz D. Fischer, St. Augustin 
Kontakt: kanzlei@fischer.legal
Internet: www.fischer.legal

 

AUTOR

RECHTSANWALT LUTZ D. FISCHER ist Mitglied der ARGE Verkehrsrecht im Deutschen Anwaltverein. Ein besonderer Kompetenzbereich liegt im Bereich des Dienstwagen- und Verkehrsrechts. Als Autor hat er zahlreiche Publikationen zum Dienstwagenrecht veröffentlicht, unter anderem in der Fachzeitschrift „Flottenmanagement“ sowie im Ratgeber „Dienstwagen- und Mobilitätsmanagement 2018–2020“ (Kapitel Datenschutz). Als Referent hält er bundesweit offene Seminare und Inhouse-Veranstaltungen zur Dienstwagenüberlassung mit thematischen Bezügen zu Arbeitsrecht, Entgeltabrechnung, Schadenregulierung und -management, Datenschutz sowie Elektromobilität.

 

RECHTSPRECHUNG

STRAFRECHT/BUSSGELD/ ORDNUNGSWIDRIGKEIT

Regelsatzerhöhung bei fehlender Unrechtseinsicht nach Handyverstoß
Das Abtun eines Handyverstoßes als „Kleinigkeit“, eine ausgesprochene Drohung gegenüber Polizeibeamten sowie das Schlagen mit der flachen Hand auf die Motorhaube des Streifenwagens rechtfertigen bei der Bußgeldbemessung die Verdoppelung des Regelsatzes.

Der Bußgeldkatalog sieht bei der vom Betroffenen begangenen (typischerweise) vorsätzlichen Ordnungswidrigkeit einen Regelsatz von 100 Euro vor (Nr. 246.1 Anh. BKatV). Dieser Regelsatz war aufgrund der fehlenden Unrechtseinsicht sowie des aggressiven und respektlosen Nachtatverhaltens des Betroffenen angemessen zu erhöhen. Die fehlende Unrechtseinsicht des Betroffenen zeigte sich dadurch, dass der Betroffene seinen Handyverstoß vor Ort als „Kleinigkeit“ abtat und die beiden Polizeibeamten fragte, ob diese nichts Besseres zu tun hätten. Das Nachtatverhalten des Betroffenen gegenüber den beiden ihn kontrollierenden Polizeibeamten vor Ort, insbesondere das Schlagen mit der flachen Hand auf die Motorhaube des Streifenwagens, ist als selten respektlos zu beurteilen. Im Ergebnis ist davon auszugehen, dass sich der Betroffene nach seiner Persönlichkeit durch eine niedrigere Geldbuße nicht hinreichend beeindrucken lässt. Im vorliegenden Fall wurde der Betroffene wegen vorschriftswidriger Benutzung eines elektronischen Gerätes, das der Kommunikation, Information oder Organisation dient oder zu dienen bestimmt ist, als Führer eines Kraftfahrzeugs zu der Geldbuße von 200 Euro verurteilt. AG Ellwangen, Urteil vom 14.04.2023, Az. 7 OWi 36 Js 5096/23

„Handyverbot“ am Steuer gilt auch für mobile Diagnosegeräte einer Werkstatt
Ein Kfz-Mechaniker hatte im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit als Führer eines Kundenfahrzeugs während der Fahrt ein Diagnosegerät am Fahrzeug angeschlossen. Dabei hielt er das via Bluetooth verbundene mobile Auslesegerät mit Touch-Bildschirm in der Hand, um so während der Fahrt einen Fehler an dem Fahrzeug zu ermitteln. Zur Verteidigung brachte der Betroffene vor, die Fehlerdiagnose im laufenden Betrieb habe der Datengewinnung gedient mit dem Ziel, die Sicherheit des Fahrzeugs wiederherzustellen – ohne Erfolg. Das OLG sah die zulässige Rechtsbeschwerde als unbegründet an: Auch ein mit einem mobilen Diagnosegerät verbundenes Auslesegerät kann unter das in § 23 Abs. 1a StVO enthaltene Verbot der Benutzung eines „elektronischen Geräts, das der Kommunikation, Information oder Organisation dient oder zu dienen bestimmt ist“ fallen, wenn dieses Gerät beim Führen eines Fahrzeugs aufgenommen oder gehalten wird. Das Diagnoseund das mobile Auslesegerät waren per Bluetooth miteinander verbunden, das Auslesegerät verfügte über einen Bildschirm, ähnlich einem Smartphone, und ist damit ein elektronisches Gerät im Sinne der BGH-Rechtsprechung: Hierunter fallen elektronische Geräte zur Information, die der Unterrichtung über jegliche einer Mitteilung zugängliche Umstände dienen. Das Auslesegerät in Kombination mit dem Diagnosegerät diente der Fehlerermittlung am Fahrzeug und hatte somit die Information des Auslesenden zum Ziel. SchleswigHolsteinisches OLG, Beschluss vom 28.03.2023, Az. II ORbs 15/23

Kein Handyverstoß bei bloßem Umlagern des Smartphones
Der Führer eines Kraftfahrzeugs verstößt auch dann nicht gegen § 23 Abs. 1a StVO, wenn er während der Fahrt ein Smartphone, mit dem er gerade ein Gespräch über eine Bluetooth-Freisprecheinrichtung des Fahrzeugs führt, ausschließlich zu dem Zweck aufnimmt, um es – etwa zum Schutz vor Beschädigungen – umzulagern. Allein durch das Aufnehmen oder Halten eines elektronischen Gerätes, das der Kommunikation, Information oder Organisation dient, während der Fahrt begeht der Führer eines Kraftfahrzeugs keinen Verstoß gegen § 23 Abs. 1a StVO. Fehlt es am Element der Benutzung, so unterfällt auch das Aufnehmen oder Halten nicht dem Verbot. Deshalb kann nicht allein das Aufnehmen oder Halten des Geräts ein Benutzen im Sinne der Vorschrift ausmachen. Hinzukommen muss vielmehr irgendein Zusammenhang des Aufnehmens oder Haltens mit einer der Bedienfunktionen des Gerätes, also mit seiner Bestimmung zur Kommunikation, Information oder Organisation. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 18.04.2023, Az. 1 ORbs 33 Ss 151/23

Alkolbedingte relative Fahruntüchtigkeit auch ohne Blutprobe feststellbar
Auch wenn es dem Tatrichter mangels (verwertbarer) Blutprobe, verlässlicher Erkenntnisse über das Trinkgeschehen oder „beweissicherer“ Atemalkoholtests nicht möglich ist, eine annähernd bestimmte Alkoholkonzentration festzustellen, scheidet die Annahme von alkoholbedingter Fahrunsicherheit nicht aus; eine alkoholbedingte relative Fahruntüchtigkeit kann auch ohne die Feststellung oder die Berechnung einer Blutalkoholkonzentration nachgewiesen werden. Erforderlich ist dazu die Feststellung einer – wenn auch nur geringen – Ausfallerscheinung, die durch die Aufnahme alkoholischer Getränke zumindest mitverursacht sein muss. Des Nachweises einer bestimmten Mindest-Atemalkoholkonzentration oder einer Mindest-Blutalkoholkonzentration bedarf es hingegen nicht; die Verurteilung des Angeklagten nach § 316 StGB setzt nicht den sicheren Nachweis einer Blutalkoholkonzentration von mindestens 0,3 ‰ voraus. BayObLG, Urteil vom 13.02.2023, Az. 203 StRR 455/22

Betrunken auf dem Autozug: „Sylt Shuttle“ ist öffentlicher Verkehrsraum
Der Autozug „Sylt Shuttle“ ist öffentlicher Verkehrsraum i. S. v. § 316 StGB (Trunkenheit im Verkehr). Nach ständiger Rechtsprechung ist ein Verkehrsraum dann öffentlich, wenn er entweder ausdrücklich oder mit stillschweigender Duldung des Verfügungsberechtigten für jedermann oder aber zumindest für eine allgemein bestimmte größere Personengruppe zur Benutzung zugelassen ist und auch so benutzt wird. Ist ein Betriebsgelände der Allgemeinheit, das heißt einem nicht durch persönliche Beziehungen miteinander verbundenen Personenkreis, zugänglich, sind die darauf befindlichen Verkehrsflächen öffentlicher Verkehrsraum im Sinne des Straßenverkehrsrechts des StGB. Der Autozug „Sylt Shuttle“ verkehrt zwischen Niebüll und Westerland auf Sylt. Es ist jedermann möglich, ein Ticket zur Überfahrt mit seinem Pkw oder Wohnmobil zu erwerben, der allgemeine Verkehr ist somit auf dem Autozug durch den Verfügungsberechtigten (den Betreiber des Sylt-Shuttles) geduldet. Es handelt sich bei den Erwerbern eines Fahrttickets gerade nicht um eine eng begrenzte Anzahl von Berechtigten, die etwa durch persönliche Beziehung – wie oben beispielhaft aufgeführt – miteinander verbunden sind, da es an jedem Tag vom Zufall abhängt, wie viele und welche Personen ein Ticket für die Überfahrt erwerben. Dass sich jeweils Schranken an den jeweiligen Terminals – jeweils am Ende der Abfahrtsspur beziehungsweise am Anfang der jeweiligen Auffahrtsspuren – des Autozuges befinden, ändert daran nichts. Der Beschuldigte befand sich beim Befahren der Abfahrtsspur vom Autozug im öffentlichen Straßenverkehr. Er hätte bereits bei Fahrtantritt erkennen können und müssen, dass er aufgrund des Alkoholkonsums mit seinen Beifahrern während der Überfahrt nicht in der Lage sein wird, das Fahrzeug sicher zu führen und hätte mithin in diesem Zustand gar nicht erst losfahren dürfen. LG Flensburg, Beschluss vom 03.03.2023, Az. II Qs 9/23