
Blicken wir auf die Wirtschaft. Dort gilt das gleiche Prinzip. Immer mehr: Umsatz, Marktanteile, Gewinn. Kaum ein Unternehmen, das mit dem Erreichten absolut zufrieden ist oder den Erfolg genießt. Nein, es muss immer mehr sein. Am besten Weltmarktführer. Ein Wolfsburger Automobilkonzern hatte mal die Devise ausgesprochen, größter Automobilhersteller der Welt zu werden, und wollte den bis dahin führenden japanischen Hersteller ablösen. Dieser wuchs beständig und überzeugte mit qualitativ sehr guten und vor allem extrem zuverlässigen Produkten, was den Pannenstatistiken stets entnommen werden konnte. Die Wolfsburger indes begaben sich in Übernahmeschlachten und wuchsen rapide durch immer mehr Zukäufe.
Leider nicht ohne Konsequenzen: Was folgte, waren immer mehr Qualitätsprobleme, eine rückläufige Zuverlässigkeit und eine damit einhergehende Verärgerung der Kunden. Gut, man hatte das Ziel erreicht, aber zu welchem Preis? Wie war das mit dem weltweit anerkannten Qualitätslabel „made in Germany“? Stattdessen: Immer mehr. Produkte und Technik wurden innerhalb der eigenen Markenvielfalt vereinheitlicht, um letztlich die Gewinne durch Kostensenkungen zu maximieren. Es wurde dabei fast überall gespart und gestrafft. Die Fertigung von Produktionsbestandteilen wurde ins günstigere Ausland verlagert und dabei wurde ganz nebenbei der Begriff „made in Germany“ immer mehr ad absurdum geführt. Die sukzessive Vereinheitlichung, die daraus unweigerlich resultierte, hatte zunehmende Langeweile und vor allem eine drastische Einschränkung bei der Auswahl zur Folge. Designs unterschieden sich nur unwesentlich und die Modelle hauptsächlich vom auf der Motorhaube aufgeklebten Hersteller-Logo. Bei der verbauten Technik wurde es noch langweiliger. Emotionen, von denen der Kunde beim Automobilkauf geleitet wird, werden so nicht mehr geweckt. Gähn. Mehr Umsatz, mehr Gewinn, immer höhere Margen.
Mir fällt dabei ein Zitat aus einer Zeitschrift ein, die ich kürzlich las. Wie sagte die amerikanische Philosophin und Designerin Beverly Feldman doch gleich? „Zu viel ist nie genug.“ Dabei kennen wir die Grundlagen für dauerhafte Existenz, ignorieren sie aber immer wieder. Ein Beispiel: Angebot und Nachfrage regeln den Preis oder etwas weitergedacht: Viele Anbieter erhöhen den Wettbewerb. Eigentlich doch genau das, was man sich in unserem Wirtschaftssystem wünscht. Leider erleben wir praktisch in allen Branchen schon seit vielen Jahren Übernahmen in immer größeren Dimensionen (wo sind die Kartellbehörden???). Viele kleine Anbieter verschwinden und gehen in immer größeren Firmengeflechten auf. Die Folge: Immer weniger Anbieter, immer weniger Auswahlmöglichkeiten für den Kunden, immer weniger Wettbewerb. Gigantomanie.
Einem Bericht der Automobilwoche (Ausgabe Mai 2023) zufolge hat sich die Zahl der Unternehmen in den vergangenen zwei Jahrzehnten umgerechnet von etwa 10.000 auf 6.700 im Jahr 2022 reduziert und bis 2030 rechnet man mit einem weiteren Rückgang auf etwa 3.800 Unternehmen. Was nüchtern mit „Konsolidierung im deutschen Autohandel“ bezeichnet wird, hat nichts anderes als die fortschreitende Einschränkung des Wettbewerbs zur Folge. Damit nicht genug: Wenige Händlerschaften sind für die Hersteller leichter kontrollierbar. Die Folge: Die Hersteller streichen die Vergütungen für die Händler immer weiter zusammen und deren Verträge werden sukzessive durch Agenturverträge ersetzt. Hierzu kann man dem Beitrag aus der Automobilwoche am Beispiel Stellantis entnehmen, dass die Grundmarge auf sechs Prozent halbiert wird. Für die Vermittlung (man beachte: nicht für den Verkauf) von Premiummodellen gibt es eine fixe Provision von vier Prozent und eine flexible Vergütung von einem (!) Prozent.
Nach dieser ersten Zahlenschlacht – keine Sorge, liebe Leserinnen und Leser, weitere Zahlen folgen im Verlauf dieses Beitrags – blicken wir erst einmal wehmütig zurück, und zwar aus der Perspektive der Kunden und Fuhrparkverantwortlichen. Wer vor 20, 30 Jahren auf der Suche nach einem Automobil war, übrigens völlig egal, ob als Privatoder Großkunde, der hatte bereits lokal die Auswahl. Gehe ich zum eher kleinen Familienbetrieb von nebenan oder kaufe ich meinen Golf beim großen Händler mit größerem Showroom und damit mehr Möglichkeiten, das Produkt der Begierde in verschiedenen Varianten live zu sehen? Ein weiterer Unterschied war stets der persönliche Kontakt bei kleineren Händlern und deren Engagement gegenüber größeren Kunden. Hier zählte man schon mit zehn Fahrzeugen zur größeren Nummer. Entsprechend zuvorkommend, freundlich und serviceorientiert wurde man behandelt. Dies gepaart mit der Flexibilität, mit denen gerade die kleinen Familienbetriebe auf sich aufmerksam machten, sorgte für ein hohes Maß an Zufriedenheit bei Fuhrparkleitern sowie Fahrzeuglenkern.
Irgendwann begannen die Automobilhersteller dann mit der sukzessiven Konzentration der Geschäfte, indem Händlern Auflagen gemacht wurden, von deren Erfüllung abhing, ob man weiterhin Großkunden betreuen und beliefern durfte oder nicht. Damit einhergehend waren zum Teil absurde Investitionen erforderlich, die gerade von den kleinen Familienbetrieben nicht mehr gestemmt werden konnten. Die Folge: Schon dort mussten Flottenbetreiber zu größeren Betrieben wechseln, was gerade mit kleinen Flotten eine stärkere Anonymität mit sich brachte. Ein negativer Nebeneffekt: Die Servicequalität wurde schlechter, ganz zu schweigen von der Werkstattarbeit. Letzteres führte zu mehr Reklamationen, was wiederum zusätzliche Werkstattaufenthalte wegen Nachbesserungen mit sich brachte (ich spreche da aus eigener Erfahrung). Der Kampf um Konditionen wurde schärfer und nur durch die allgemeine Marktsituation noch einigermaßen erträglich.
Laut Kraftfahrtbundesamt (KBA) wurden 2022 etwa 2,65 Millionen Neuwagen in Deutschland zugelassen. Hiervon entfielen über alle Fahrzeugkategorien 64,1 Prozent auf gewerbliche Zulassungen. Bereits das zeigt, dass sich immer weniger Privatkunden noch einen Neuwagen leisten können. Damit aber nicht genug. Jeder vierte Neuwagen wurde über einen der Top100-Händler in Deutschland ausgeliefert (gemäß IfA-Ranking 2022). Und noch eine Zahl aus dem Ranking: Die ersten elf Autohandelsgruppen aus dieser Liste sind Umsatz-Milliardäre – allen voran die Emil Frey Gruppe (2,8 Milliarden Euro), die AVAG Holding mit knapp über 2,4 Milliarden Euro sowie die Feser Graf-Gruppe und Gottfried Schulz ebenfalls mit jeweils knapp über 2 Milliarden Euro Umsatz. Das ist Marktmacht.
Frei nach der amerikanischen Philosophin und Designerin Beverly Feldman „Zu viel ist nie genug“ – das jedenfalls könnte man meinen, wenn man die Anstrengungen der Automobilhersteller sieht, um ihre Gewinne immer weiter zu steigern. Ob verstärkte Konzentration auf Premium oder die Abschaffung von Händlerverträgen, die mit einer drastischen Verschlechterung der Flexibilität und einer ebensolchen Margenverschlechterung einhergeht. Betrachtet man nun noch die Immobilien- und Personalkosten, auf denen die Händler – pardon, Agenturen – sitzenbleiben, stellt sich die Frage, wie dies alles bezahlt werden soll. Kein Wunder also, dass wir als Großkunden mit immer geringeren Nachlässen und damit immer höheren Raten konfrontiert werden. So konnte ich von meinen gut bekannten Fuhrparkleidensgenossinnen und -genossen erfahren, dass die Tendenz wieder zu längeren Leasingverträgen geht, weil steigende Zinsen, zum Teil absurd sinkende Restwerte, aber vor allem noch viel absurder gestiegene Fahrzeugpreise die Raten derart nach oben treiben, dass nur hierdurch der Kostendruck etwas gemildert wird. Anders ausgedrückt: Was der Privatkunde immer häufiger exerziert, nämlich die immer längere Nutzung des Automobils, wird sich bei den gewerblich genutzten Fahrzeugen fortsetzen. Hinzu kommen neue Mobilitätslösungen (siehe auch meinen Beitrag in Heft 3/2023), die eine teilweise oder gänzliche Abkehr vom klassischen Dienstwagen mit sich bringen werden. Und daran haben nicht zuletzt auch die Automobilhersteller eine erhebliche Mitschuld. Wenn man inzwischen für einen einigermaßen gut ausgestatteten Verbrenner-Golf zwischen 400 und 500 Euronen monatlich als geldwerten Vorteil versteuern muss, dann ist die Suche nach alternativen Lösungen mehr als verständlich, zumal man als Dienstwagennutzer/-in aus Verbrauchersicht mit zum Teil heftigsten Preissteigerungen von allen Seiten regelrecht zugeschüttet wird. Diese Mehrkosten können nicht allein vom Arbeitgeber durch drastische und zum Teil unrealistische Lohn-/Gehaltserhöhungen abgefedert werden.
Es dürfte klar sein, dass die Absatzzahlen auf lange Sicht zurückgehen werden. Da stellt sich dann schon die Frage, ob die dann vielleicht erreichten Margen ausreichen, um die Rückgänge zu kompensieren. Und noch etwas: Irgendwann haben wir einmal gelernt, dass alles natürlichen Grenzen unterliegt. Nichts ist unendlich, auch und gerade das Wachstum nicht. Wer heute immer weiter an der Preisschraube dreht, darf sich morgen über sinkende Absätze nicht wundern. Und dann? Der Mensch, das intelligenteste Lebewesen auf Erden? Wenn Intelligenz als Größenwahn, Kriegslust und Zerstörung der eigenen Lebensgrundlage durch Raubbau definiert wird, dann haben wir die volle Punktzahl.
AUTOR
Peter Insam ist seit rund 30 Jahren im Einkauf für Betriebsmittel und Investitionsgüter unterwegs, von denen er seit mehr als 25 Jahren die Geschicke verschiedener nationaler und internationaler Fuhrparks in Unternehmen aus verschiedenen Branchen gelenkt hat Darüber hinaus sammelte er zahlreiche Erfahrungen im Rahmen von Auslandsaufenthalten in Frankreich und Australien. Seit Ende 2014 ist Peter Insam zudem Mitglied des Redaktionsbeirates von Flottenmanagement und gibt regelmäßig in der Rubrik „Meine Meinung“ tiefe Einblicke in die Arbeit eines Fuhrparkverantwortlichen und das Leben eines Autoenthusiasten.