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Anspruch auf Ladeinfrastruktur
Wer für sein Unternehmen die Einführung von Elektromobilität plant, muss neben der Fahrzeugauswahl berücksichtigen, wie die Elektrofahrzeuge aufgeladen werden können. Hier bestehen im Prinzip drei Möglichkeiten: die Installation von betrieblicher Ladeinfrastruktur, also von Ladesäulen auf dem Betriebsgelände des Unternehmens, die Nutzung von öffentlichen Ladepunkten sowie die Installation und Nutzung von Wallboxen beim Mitarbeiter zu Hause. Zur Förderung der Schaffung privater Ladeinfrastruktur am Wohnsitz des Mitarbeiters wurde bereits im Jahr 2020 ein gesetzlicher Rechtsanspruch auf Ladestationen neu eingeführt. Durch das Gesetz zur Förderung der Elektromobilität und zur Modernisierung des Wohnungseigentumsgesetzes u. a. (WEMoG) vom 16. Oktober 2020 wurde ein Rechtsanspruch für Mieter in § 554 Abs. 1 BGB sowie für Wohnungseigentümer in § 20 Abs. 2 WEG neu eingeführt.

Die Thematik der Ladeinfrastruktur ist inzwischen auch bei den Gerichten angekommen. So wird durchaus um den Anspruch auf Einbau einer Ladestation für Elektrofahrzeuge gestritten.

Das LG München I (Urteil vom 25.05.2022, Az. 14 S 16374/21) hatte sich mit dem Anspruch des Garagenmieters auf Erlaubnis zum Einbau einer Ladestation für E-Autos zu befassen. Es entschied, dass sich aus § 554 Abs. 1 Satz 1 BGB grundsätzlich ein Anspruch des Mieters einer Einzelgarage auf Erlaubnis des Vermieters zum Einbau einer „Wallbox“ nebst Anschluss an eine bereits vorhandene Starkstromleitung zum Laden eines Elektrofahrzeugs ergibt. So seien allgemeine moralische Vorbehalte des Vermieters gegenüber der E-Mobilität in Bezug auf eine Gefährdung der Mietsache, die abstrakte Furcht vor einer angenommenen erhöhten Brandgefahr bei Elektrofahrzeugen und pauschale Bedenken in Bezug auf eine gegebenenfalls nicht ausreichende Stromversorgung des vermieteten Anwesens im Rahmen der Interessenabwägung nach § 554 Abs. 1 Satz 2 BGB nicht ausschlaggebend. Eine konkrete Gefahrerhöhung durch den Einbau der Wallbox war erstinstanzlich nicht vorgetragen. Soweit der Vermieter in diesem Kontext generell auf eine hohe Brandgefahr bei E-Fahrzeugen verwies, sei dies schon deshalb nicht von Bedeutung, weil der Mieter die mitvermietete Garage zweifelsfrei nutzen dürfe, um sein Elektroauto dort einzustellen. Denn dies stelle selbstverständlich einen vertragsgemäßen Gebrauch der Mietsache dar.

Die Kehrseite: Kosten für Ladeinfrastruktur „zu gleichen Teilen“ für alle Nutzer? 
Ist der Anspruch auf eine Wallbox des Mieters oder Wohnungseigentümers im obigen Sinne geklärt, wird gerne auch über die Kosten für die Herstellung der Energieversorgung der einzelnen Stellplätze mit Ladestationen (Wallboxen) gestritten. So hatte sich das Amtsgericht Lübeck (Urteil vom 11.02.2022, Az. 35 C 39/21 WEG) mit der Verteilung der entsprechenden Kosten einer Wohnungseigentümergemeinschaft (WEG) auseinanderzusetzen. Das Gericht erklärte einen Beschluss der Eigentümerversammlung zur Elektromobilität insoweit für ungültig, als beschlossen wurde, die Kostenverteilung für die Energieversorgung der beabsichtigten Ladestationen „auf alle Nutzer angemessen zu verteilen“. Ein Beschluss nach § 21 Abs. 5 Satz 1 WEG mit einer vom Gesetz abweichenden Kostenregelung muss deutlich erkennen lassen, inwieweit von den gesetzlichen Folgen des § 21 Abs. 1 WEG abgewichen werden soll. Es sei aber nicht zu beanstanden, wenn bei einer privilegierten baulichen Veränderung nur die Regelung hinsichtlich des „Wie“ angegriffen werde. Das „Ob“ der Maßnahme könne problemlos für sich bestehen bleiben. Die Kosten auf alle Nutzer angemessen zu verteilen – im Sinne einer Verteilung zu gleichen Teilen auf alle Nutzer – widerspreche aber ordnungsmäßiger Verwaltung.

Die Kosten einer privilegierten baulichen Veränderung in Form der Installation eines Lastmanagements und Wallboxen seien grundsätzlich von den Wohnungseigentümern zu tragen, die dieses verlangen. Bei mehreren Eigentümern, die diese Gestattung erhalten haben, seien diese Kosten unter ihnen entsprechend § 16 Abs. 2 Satz 1 WEG umzulegen beziehungsweise von ihnen nach diesem Schlüssel zu tragen. Eine Verteilung der Kosten „zu gleichen Teilen“ widerspreche dieser gesetzlichen Regelung. Wenn von dem gesetzlichen Maßstab nach § 21 Abs. 5 Satz 1 WEG abgewichen werden solle, müsse diese abweichende Verteilung der Kosten im Regelfall ausdrücklich beschlossen werden. Aus Gründen der Rechtssicherheit, insbesondere auch im Hinblick auf Rechtsnachfolger müsse ein Beschluss nach § 21 Abs. 5 Satz 1 WEG mit einer vom Gesetz abweichenden Kostenregelung deutlich erkennen lassen, inwieweit von den gesetzlichen Folgen des § 21 Abs. 1 WEG abgewichen werden soll.

Wahlrecht bei der Umsetzung der Ladestation im Mietverhältnis
Bei der Wohnraummiete hat das Landgericht München I (Urteil vom 23.06.2022, Az. 31 S 12015/21) dem Mieter ein Wahlrecht beim Einbau einer Elektroladestation zugebilligt. Der vorwiegend dem Interesse des Mieters dienenden Regelung des § 554 Abs. 1 BGB sei zu entnehmen, dass der Mieter grundsätzlich selbst diese Veränderungen – jedenfalls mittels eines geeigneten Fachunternehmens – durchführen dürfe, was beinhalte, dass er befugt sei, dieses auch auszuwählen und auch die konkrete Ausgestaltung des Anschlusses zu bestimmen.

Dieser Anspruch bestehe nach dem Wortlaut der Regelung des § 554 Abs. 1 BGB nur dann nicht, „wenn die bauliche Veränderung dem Vermieter auch unter Würdigung der Interessen des Mieters nicht zugemutet werden kann“. Der Einbau des konkreten Elektroanschlusses seitens des Mieters muss somit dem Vermieter – als Ausnahme von der Regel – unzumutbar sein. Nur sofern das der Fall ist, hat das Interesse des Mieters zurückzustehen, welches sonst Vorrang hat. Letztlich hat bereits der Gesetzgeber eine Interessenabwägung getroffen: „Jedem Gesetz liegt eine Interessenabwägung zugrunde, die in bestimmter Weise auf das soziale Leben einwirken soll.“

In der Sache stellte das Gericht fest, dass die derzeitige Kapazität für jedenfalls fünf bis zehn Ladestationen ausreiche. Da derzeit nur drei Ladestationen vorhanden seien, sei die vom Mieter begehrte Station aus technischer Sicht machbar. Die Einrichtung dieser einen weiteren Station für den Mieter könne für den Vermieter auch nicht als unzumutbar angesehen werden. Dass möglicherweise noch andere Mieter künftig einen solchen Anschluss für sich beanspruchen und die hierfür notwendige technische Ausstattung dann gegebenenfalls nur seitens der Stadtwerke installiert werden kann, ändere nichts daran, dass jedenfalls derzeit die begehrte Station für den Mieter ohne Weiteres eingerichtet werden könne. Der gegenwärtige Anspruch des Mieters könne insoweit nicht aufgrund einer unbestimmten künftigen Entwicklung, deren Eintritt überhaupt noch nicht sicher ist, eingeschränkt werden.

Auch wenn es dem Vermieter grundsätzlich nicht verwehrt sei, eine Gleichbehandlung mehrerer Mietparteien anzustreben, stelle sich diese Frage derzeit nicht, sondern allenfalls dann, wenn später auch noch andere Mieter einen Elektroanschluss wünschen. Es sei auch nicht als willkürlich anzusehen, wenn der Vermieter nach dem Prioritätsprinzip vorgehe und nachfolgenden Mietern ein Elektroanschluss möglicherweise nur gewährt werden kann, wenn dieser durch die Stadtwerke eingerichtet wird. Damit wird auch nicht die angesprochene Gesetzesintention, nämlich möglichst vielen Parteien die Nutzung von Elektrofahrzeugen zu ermöglichen, verhindert.

Ladestation ohne Genehmigung entfernen?
Umgekehrt kann es auch Probleme geben, wenn ein Sondernutzungsberechtigter an seinem Tiefgaragenstellplatz ohne vorherige Genehmigung der Eigentümerversammlung an einer Tiefgaragenwand eine Ladestation für sein Elektro-Kraftfahrzeug anbringt. Mit dieser Konstellation hatte sich – vor der Reform der Ansprüche auf Ladestationen – das Amtsgericht Schöneberg (Urteil vom 9.4.2015, Az. 771 C 87/14) im Rahmen einer Beschlussanfechtung zu befassen. Vorliegend ging es um den Beschluss der WEG über die Beseitigung einer ohne Genehmigung an einer Tiefgaragenwand durch den Sondernutzungsberechtigten eines Stellplatzes angebrachten Ladestation. Das Gericht führte hierzu aus, dass ein Nachteil darin bestehen könne, dass jeder andere Wohnungseigentümer das gleiche Recht auf Zustimmung zu einer vergleichbaren baulichen Veränderung (Ladestation, Wallbox) in Anspruch nehmen könnte und es dann aller Voraussicht nach zu Unzuträglichkeiten käme, weshalb Streitigkeiten und gerichtliche Auseinandersetzungen mit Nachahmern nicht auszuschließen seien. Auch sei die unerlaubte Installation der Ladestation wegen des Ausschlusses der übrigen Miteigentümer nachteilig, wenn der allgemeine Elektroanschluss der Tiefgarage mit dem Anschluss weiterer Ladestationen überlastet sei.

Die unerlaubte Installation einer Wallbox im Alleingang wäre auch nach neuem Recht unzulässig. Freilich könnte man sich über eine „Heilung“ unterhalten, wenn ein entsprechender Beschluss der WEG nachgeholt wird, weil nach neuem Recht grundsätzlich ein Anspruch auf eine Ladestation gegeben ist. Nach neuer Rechtslage müsste auch der Sondereigentümer die zusätzlichen Kosten für die bauliche Veränderung tragen, auch im Hinblick auf den Umstand, dass es nicht zu einer Überlastung des allgemeinen Elektroanschlusses der Tiefgarage kommt. Dies kann nur sichergestellt werden durch Installation eines entsprechenden Starkstromanschlusses für die Wallbox, gegebenenfalls in Verbindung mit einem intelligenten Lastmanagement. Ein Anspruch kann jedoch auch nach neuem Recht zu versagen sein, wenn ein entsprechender Umbau nur mit unverhältnismäßigem Aufwand verbunden ist.

Parken nur während des Ladevorgangs
Ungemach droht auch dann, wenn mit einem Elektrofahrzeug oder einem Verbrenner-Pkw verbotswidrig auf einem privaten oder betrieblichen Parkplatz mit Ladesäule für ein Elektrofahrzeug geparkt wird. Das Amtsgericht Charlottenburg (Urteil vom 16.12.2016, Az. 227 C 76/16) hatte sich mit den Abschleppkosten für ein Elektrofahrzeug zu befassen, das an einer Ladestation auf einer Privatstraße abgestellt worden war. Da das Abstellen auf dem Privatparkplatz beziehungsweise der Privatstraße für „fremde“ Elektrofahrzeuge nicht gestattet war, stellte das Abstellen des Fahrzeugs im Bereich einer Privatstraße grundsätzlich eine Beeinträchtigung i. S. d. § 858 Abs. 1 BGB dar. Dies liegt grundsätzlich auf der Linie der BGH-Rechtsprechung (BGH, Urteil vom 5.6.2009, Az. V ZR 144/08). So sei das Abstellen eines Elektrofahrzeugs an einer Ladestation auf einer Privatstraße rechtswidrig, wenn Elektrofahrzeuge entsprechend der Beschilderung zwar während des Ladevorgangs an der Ladestation halten dürfen, das Fahrzeug jedoch im vorliegenden Fall nicht aufgeladen, sondern lediglich abgestellt werde.

Das Gericht ist im Zusammenhang mit der Kennzeichnung der Privatstraße davon ausgegangen, dass der berechtigte Inhaber des Parkplatzes eine vorweggenommene, aber inhaltlich beschränkte Einwilligung in eine Inanspruchnahme des Besitzes dahin gehend zum Ausdruck gebracht hat, dass Elektrofahrzeuge während des Ladevorganges auf dem Gelände innerhalb der gekennzeichneten Flächen geduldet werden. Diese partielle Einwilligung in die Besitzbeeinträchtigung lässt sich aber nicht dahin gehend verstehen, dass jegliche Elektrofahrzeuge oder Elektrofahrzeuge, für die momentan keine freie Ladedosen verfügbar sind, auf unbegrenzte Zeit auf den speziell für den Ladevorgang gekennzeichneten Flächen stehen dürfen. Im Rahmen der Auslegung der Parkberechtigung kam das Gericht deshalb zu dem Ergebnis, dass ein Fahrzeug nur dann nicht rechtswidrig und gegen den Willen des berechtigten Parkplatzinhabers abgestellt werde, wenn durch Verbindung mit der Ladestation entweder der Akkustand geladen oder gehalten wird. Dafür spricht der eindeutige Wortlaut der Beschilderung, welcher den Ladevorgang beinhaltet. Wenn es auf dem Schild heißt: „während des Ladevorgangs“, so bedeutete dies grundsätzlich, dass ein Elektrofahrzeug tatsächlich Strom beziehen muss oder durch den Anschluss an der Ladesäule den gegenwärtigen Akkustand jedenfalls halte. Es sei daher erkennbar nicht das Ziel der Parkregelung, kostenlosen Parkraum für Elektrofahrzeuge an sich anzubieten, sondern nur für den Zweck des Ladevorgangs. Es darf also nicht jedes Elektroauto, für das keine freie oder passende Ladebuchse vorhanden ist, den Parkraum dauerhaft nutzen, weil dadurch aufladebedürftige Fahrzeuge an der Inanspruchnahme der Ladesäule gehindert werden. Dies leuchtet insbesondere deshalb ein, da Elektrofahrzeuge für den Ladevorgang besonders viel Zeit benötigen und damit ein besonderes Bedürfnis besteht, Plätze für diese zeitintensive Ladetätigkeit zur Verfügung zu stellen. Die Parkregelung setzte also ausdrücklich voraus, dass eine angebotene Lademöglichkeit auch tatsächlich in Anspruch genommen und nicht nur mit niedrigem Ladezustand angefahren werde, um gegebenenfalls mehrere Stunden später mit dem Ladevorgang zu beginnen.

In ähnlicher Weise gilt dies für das Abschleppen eines nicht elektrisch betriebenen Fahrzeugs von einem (öffentlichen) Sonderparkplatz für Elektrofahrzeuge. Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen (Urteil vom 23.01.2020, Az. 17 K 4015/18) hat hierzu entschieden, dass das Abstellen eines nicht elektrisch betriebenen Fahrzeugs auf einem Sonderparkplatz für Elektrofahrzeuge und die damit einhergehende Funktionsbeeinträchtigung dieser Verkehrsfläche eine Abschleppmaßnahme regelmäßig auch ohne konkrete Behinderung eines im Sinne des § 2 EMoG bevorrechtigten Fahrzeugs rechtfertige. Bereits durch das unberechtigte Parken und die damit bereits eingetretene Störung der öffentlichen Sicherheit in Gestalt einer Verletzung der Rechtsordnung wurde nach Ansicht des Gerichts die mit der Ausweisung des Sonderparkplatzes verbundene Funktion, das – bloße – Parken von allein berechtigten Elektrofahrzeugen zu ermöglichen, beeinträchtigt. Die damit einhergehende Funktionsbeeinträchtigung dieser Verkehrsfläche rechtfertige die Abschleppmaßnahme. Der parkvorberechtigte Personenkreis solle darauf vertrauen können, dass der gekennzeichnete Parkraum diesem jederzeit zur Verfügung steht. Ein Abschleppvorgang sei deshalb auch ohne konkrete Beeinträchtigung des bevorrechtigten Personenkreises grundsätzlich nicht unangemessen. Das finde seine Rechtfertigung darin, dass in aller Regel zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Erlass einer Abschleppanordnung weder absehbar ist, wann das nächste parkberechtigte (Elektro-)Fahrzeug dort eintreffen wird, noch eingeschätzt werden kann, wann der Verantwortliche das dort unberechtigt abgestellte Fahrzeug selbst wegfahren wird. Ebenfalls sei die Abschleppmaßnahme nicht deshalb unverhältnismäßig, weil das Vorhandensein eines Sonderparkplatzes für Elektrofahrzeuge den diesbezüglichen Fahrern keine Gewähr dafür biete, diesen Platz auch immer nutzen beziehungsweise einen freien vorfinden zu können. Daher gebiete auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in der Regel nicht die Einhaltung einer bestimmten Wartezeit für die Abschleppmaßnahme.

Intransparente Kostenregelung beim Laden: unklare Angaben zu Preisinformationen
Auch bei der Nutzung von Ladepunkten für elektrisch betriebene Kraftfahrzeuge kann es Probleme geben, wenn die Preisinformationen für den Bezug des Ladestroms intransparent sind. So hatte sich das Landgericht Karlsruhe (Urteil vom 23.07.2021, Az. 10 O 369/20) mit den allgemeinen Geschäftsbedingungen eines Betreibers von Ladepunkten für elektrisch betriebene Kraftfahrzeuge zu befassen. In der Sache ging es um den Vertragsschluss im elektronischen Geschäftsverkehr beim Aufladen von Elektrofahrzeugen an Ladesäulen und eine damit gegebenenfalls verbundene unangemessene Benachteiligung durch unklare Angaben zur Abrufbarkeit von Preisinformationen.

Zunächst stufte das Gericht die Benutzung der Stromladesäule als Vertrag im elektronischen Geschäftsverkehr im Sinne von § 312i BGB ein. Denn bei jeder Benutzung der Stromladesäule werde im Rahmen eines Dauerschuldverhältnisses ein separater Nutzungsvertrag mit dem Anbieter abgeschlossen, wobei für die Einleitung des automatisch ablaufenden Ladevorgangs eine Anmeldung unter Verwendung einer Smartphone-App oder einer als Identifikation dienenden Ladekarte erforderlich sei.

Das Gericht entschied ferner, dass eine AGB-Klausel, wonach der Kunde für die Feststellung des aktuellen Preises auf drei verschiedene, alternativ angeführte Stellen verwiesen wird, nämlich auf die App, auf die Anzeige der Ladestation oder eine Information auf der Internetseite des Anbieters, wegen Abweichung von wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung i. S. v. § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam sei. Der § 312j Abs. 2 BGB schreibe vor, dass der Verbraucher bei Vertragsschluss im elektronischen Geschäftsverkehr unmittelbar vor Abgabe seiner Bestellung klar und verständlich in hervorgehobener Weise über wesentliche Vertragsumstände zu informieren sei, insbesondere auch über den Preis der in Anspruch genommenen Leistung. Indem die Klausel den Kunden des Anbieters im Unklaren darüber lasse, wo er den aktuellen Preis für den Nutzungsvorgang finden kann, verletze er das Transparenzgebot, sodass die Klausel ist auch wegen Intransparenz im Sinne von § 307 Abs. 1 S. 2 BGB unwirksam sei.

Versagung der Erlaubnis für Stellplatz mit Ladestation aus Denkmalschutzgründen 
Der Anlegung eines Stellplatzes für ein Kraftfahrzeug mit Ladestation im Vorgarten kann aus Denkmalschutzgründen untersagt werden. Das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster (Beschluss vom 22.09.2022, Az. 10 A 2879/21) hat hierzu entschieden, dass in einer Satzung der Denkmalschutz geregelt werden kann, weshalb in denkmalgeschützte Vorgärten keine Abstellplätze für Kraftfahrzeuge gehören, deren Nutzung zweifellos als solche optisch wahrnehmbar wäre.

Auch wenn der Ausbau einer Ladeinfrastruktur zur Förderung der Elektromobilität der Wille des Bundesund des Landesgesetzgebers sein mag, um neben der heimischen Automobilindustrie auch den Klimaschutz zu fördern, sei nicht erkennbar, dass es dazu im vorliegenden Fall der Hintanstellung der mit der Erhaltung der Vorgärten und Einfriedungen in ihrer ursprünglichen Form verbundenen denkmalrechtlichen Belange bedürfte. Der Senat vermochte nicht zu erkennen, dass es dazu im konkreten Fall der Hintanstellung der mit der Erhaltung der Vorgärten und Einfriedungen in ihrer ursprünglichen Form verbundenen denkmalrechtlichen Belange bedürfte. In Ansehung des erheblichen Gewichtes, das den Vorgärten und Einfriedungen für das denkmalgeschützte Erscheinungsbild zukommt, sei es dem Kläger durchaus zuzumuten, dass er sich für das Aufladen der Batterie eines Elektroautomobils, das er sich anschaffen will, einer öffentlich zugänglichen Ladestation bedient, statt, letztlich aus Gründen der Bequemlichkeit, mit der Anlegung eines Stellplatzes, auf dem er die Batterie eines Elektroautomobils über sein hauseigenes Stromnetz aufladen könnte, ein Vorbild für eine nicht überschaubare Zahl gleichartiger Vorhaben innerhalb der Siedlung zu schaffen, die deren Erscheinungsbild nach den vorstehenden Erwägungen erheblich beeinträchtigen würden.

Ladesäule ist keine Tankstelle
Eine Ladesäule ist auch keine Tankstelle im Rechtssinne. Das Verwaltungsgericht Berlin (Beschluss vom 3.6.2021, Az. 4 L 162/21) hat hierzu entschieden, dass ein Supermarkt, der auf seinem Parkplatz seiner Kundschaft kostenlos eine Lademöglichkeit für Elektrofahrzeuge zur Verfügung stellt, hiermit keine Tankstelle betreibt im Sinne von § 5 Nr. 2 des Berliner Gesetzes über Ladenöffnungszeiten (BerlLadÖffG), die eine Ausnahme vom grundsätzlichen Verbot der Öffnung von Verkaufsstellen an Sonnund Feiertagen für Reisebedarf zulasse.

Nach § 5 Nr. 2 BerlLadÖffG dürfen Tankstellen für das Anbieten von Ersatzteilen für Kraftfahrzeuge, soweit dies für die Erhaltung oder Wiederherstellung der Fahrbereitschaft notwendig ist, sowie für das Anbieten von Betriebsstoffen und von Reisebedarf auch an Sonnund Feiertagen und am 24. Dezember geöffnet sein. Diese Voraussetzungen lagen hier aber nicht vor, da der Supermarktbetreiber keine Tankstelle betreibt.

Vorliegend bedurfte es keiner Entscheidung, ob eine Ladestation für E-Fahrzeuge dem Begriff der Tankstelle im Sinne der genannten Norm unterfällt. Denn abgesehen von rechtlichen Bedenken gegen die Einordnung einer Ladestation für Elektrofahrzeuge als Tankstellenbetrieb hat der Supermarktbetreiber das gewerbsmäßige Anbieten von Elektrizität für Elektrofahrzeuge nicht glaubhaft gemacht. Vielmehr stelle sich das Angebot, welches sich ausschließlich „kostenfrei“ an Kunden richtet, in der Gesamtschau als untergeordnete Nebenleistung zum eigentlichen Betrieb des Supermarkts dar, dessen Zielsetzung in erster Linie in der Kundenbindung besteht. Den Betrieb einer Tankstelle hat der Supermarktbetreiber offensichtlich gewerberechtlich nicht angemeldet, und – soweit ersichtlich – wird für diese Dienstleistung an den Außenflächen des Geschäfts nicht geworben. Das Angebot werde bei objektiver Betrachtung vielmehr erst in dem Moment deutlich, in dem ein Kunde sich bereits auf dem Parkplatz befindet. Der Zugang zu diesem Parkplatz ist zudem mit einer Schranke versehen, wodurch eine Begrenzung des (ohnehin limitierten) Angebots auf die eigenen Kunden des Geschäfts und die geradezu zwingende Verknüpfung des Aufladens mit einem Kaufvorgang nochmals deutlich wird. Das Geschäftskonzept des Supermarktbetreibers kehrt damit das Leitbild, wonach ein Tankvorgang an einer (herkömmlichen) Tankstelle einen Kaufvorgang (bezogen auf ein begrenztes Warensortiment) nach sich zieht, geradezu um. Vor diesem Hintergrund bedarf es keiner Entscheidung zur Frage, ob das aktuell an Sonntagen verkaufte Sortiment des Supermarkts überdies den in § 2 Abs. 3 BerlLadÖffG definierten Umfang zulässigen Reisebedarfs überschreitet, der sich auf Straßenkarten, Stadtpläne, Zeitungen, Zeitschriften, Reiselektüre, Schreibmaterialien, Andenken, Tabakwaren, Blumen, Reisetoilettenartikel, Bedarf für Reiseapotheken, Verbrauchsmaterial für Film- und Fotozwecke, Tonträger, Spielzeug geringen Wertes, Lebens- und Genussmittel in kleinen Mengen sowie ausländische Geldsorten beschränkt.

E-Ladesäulen am öffentlichen Straßenrand sind von Straßenanliegern zu dulden
Ladesäulen für Elektrofahrzeuge sind am öffentlichen Straßenrand von den Anliegern zu dulden. Hierzu hat das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg (Beschluss vom 11.10.2022, Az. OVG 1 S 28/22) entschieden, dass die mit dem bestimmungsgemäßen Gebrauch einer (am öffentlichen Straßenrand errichteten) E-Ladesäule typischerweise entstehenden Beeinträchtigungen grundsätzlich von den Straßenanliegern als zumutbare sozialadäquate, aus dem straßenrechtlichen Gemeingebrauch fließende Belastungen zu dulden seien. Die zeitliche Beschränkung von 8 bis 18 Uhr beziehe sich nur auf die angeordnete Parkbevorrechtigung für Elektrofahrzeuge. Daher sei auch außerhalb dieses Zeitraums, namentlich nachts, die Nutzung der Ladesäule möglich, solange kein anderes Nicht-Elektrofahrzeug dort parkt. Die bei bestimmungsgemäßem Gebrauch der Ladesäule typischerweise entstehenden Beeinträchtigungen durch Anund Abfahrten, Türen- und Kofferraumschlagen beziehungsweise Ein- und Aussteigen sowie Stimmen von Fahrgästen und Ähnliches seien von den Straßenanliegern als zumutbare sozialadäquate, aus dem Gemeingebrauch fließende Belastungen, auch in der Nachtzeit, hinzunehmen. Dass die Rechtsordnung diese Belastungen als grundsätzlich zumutbar werte, ergebe sich auch aus der Straßenverkehrsordnung, die das Parken an öffentlichen Straßen überall, auch in reinen Wohngebieten, als Gemeingebrauch erlaubt. Dies gelte explizit auch für elektrisch betriebene Fahrzeuge, wie der Umkehrschluss aus § 13 Abs. 5 Satz 3 StVO i. V. m. § 12 Abs. 3a StVO ergibt, der nur für die dort genannten Fälle das Parken in reinen Wohngebieten ausschließt.

Rechtsanwalt Lutz D. Fischer, St. Augustin 
E-Mail: kanzlei@fischer.legal 
Website: www.fischer.legal

 

AUTOR

RECHTSANWALT LUTZ D. FISCHER ist Mitglied der ARGE Verkehrsrecht im Deutschen Anwaltverein. Ein besonderer Kompetenzbereich liegt im Bereich des Dienstwagen- und Verkehrsrechts. Als Autor hat er zahlreiche Publikationen zum Dienstwagenrecht veröffentlicht, unter anderem in der Fachzeitschrift „Flottenmanagement“ sowie im Ratgeber „Dienstwagenund Mobilitätsmanagement 2018–2020“ (Kapitel Datenschutz). Als Referent hält er bundesweit offene Seminare und Inhouse-Veranstaltungen zur Dienstwagenüberlassung mit thematischen Bezügen zu Arbeitsrecht, Entgeltabrechnung, Schadenregulierung und -management, Datenschutz sowie Elektromobilität.

 

RECHTSPRECHUNG

VERKEHRSZIVILRECHT

Übersteuerns des Fahrzeughecks bei Gefahrenbremsung kein Mangel
Beim Autokauf stellt das subjektiv „unangenehme“ Empfinden des Käufers von dem Verhalten des Fahrzeugs bei einer sogenannten Gefahrenbremsung keinen Sachmangel der Kaufsache dar, wenn die darin verbauten Assistenzsysteme technisch ordnungsgemäß arbeiten und das Fahrzeug tatsächlich kurs- und bremsstabil halten.

Nach den Ausführungen des Sachverständigen habe das Fahrzeug beim Bremsvorgang keine Veränderungen auf der Fahrbahn vollzogen. Eine einseitig unterschiedliche Bremswirkung habe sich objektiv nicht feststellen lassen. Ob das vom Fahrzeugkäufer beschriebene Übersteuern (Drehen um die Hochachse) von einem Fahrzeuglenker als vermeintliches Ziehen nach rechts empfunden werden könne, vermochte der Sachverständige nicht zu beurteilen. Er gab lediglich an, dass dies eine rein subjektive Wahrnehmung sei, die von Fahrer zu Fahrer variiere. Das vom Fahrzeugkäufer geschilderte Phänomen habe sich bei der Begutachtung des Fahrzeugs jedoch nicht objektivieren lassen. Diesen überzeugenden und widerspruchsfreien Ausführungen schließt sich der Senat an. OLG Zweibrücken, Urteil vom 30.11.2022, Az. 4 U 187/21

Anspruch auf Desinfektionskosten nur bei Vereinbarung mit Werkstatt
Ohne ausdrückliche Vereinbarung hat eine Reparaturwerkstatt keinen Anspruch auf Erstattung von Desinfektionskosten. Desinfektionskosten sind Teil des betrieblichen Arbeitsschutzes, die dem Arbeitgeber zum Schutz der Mitarbeiter obliegen. Diese Allgemeinkosten des Reparaturbetriebs kann der Geschädigte – auch unter dem Gesichtspunkt des Werkstattrisikos – nicht gegenüber dem Unfallgegner und seiner Haftpflichtversicherung geltend machen. AG Hameln, Urteil vom 19.10.2022, Az. 32 C 25/22

Nachweis einer fachgerechten Reparatur bei Bagatell-Vorschaden (Kratzer)
Bestreitet der Schädiger Umfang oder Höhe eines Schadens mit der Begründung, das Unfallfahrzeug hätte einen Vorschaden, verbleibt die Darlegungs- und Beweislast grundsätzlich beim Geschädigten. Dieser muss bei Vorschäden darlegen, dass er diese sachund fachgerecht repariert hat. Sein Ersatzanspruch erstreckt sich lediglich auf den Ersatz derjenigen Kosten, die zur Wiederherstellung des vorbestehenden Zustandes erforderlich sind. Bei der Darlegung und Beweisführung einer fachgerechten Reparatur des Vorschadens kommt dem Geschädigten aber das erleichterte Beweismaß des § 287 ZPO zugute. Der Geschädigte kommt seiner Darlegungs- und Beweislast einer fachgerechten Reparatur eines äußerlichen Bagatell-Vorschadens (Kratzer, kleine Dellen) bereits dann nach, wenn er mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nachweist, dass ein Vorschaden nicht mehr erkennbar war. Handelt es sich um einen sogenannten Bagatellschaden, der allein das äußerliche Erscheinungsbild des Fahrzeugs beeinflusst, und ist unstreitig, dass keine dahinterliegenden Fahrzeugteile betroffen sind, kann das Gericht im Rahmen einer Beweisaufnahme selbst feststellen, ob der Schaden sachund fachgerecht beseitigt wurde. Dies ist dann der Fall, wenn der Schaden nicht mehr sichtbar ist. Diese Erkennbarkeit kann das Gericht anhand des Akteninhalts selbst feststellen. OLG Celle, Urteil vom 01.03.2023, Az. 14 U 149/22

Vorteilsausgleichung: Behebung des Unfallschadens mit einem weiteren Schaden
Die Erstattungsfähigkeit von Aufwendungen, die nicht nur der Behebung des Unfallschadens, sondern auch eines weiteren Schadens dienen, richtet sich nach den Grundsätzen der Vorteilsausgleichung. Eine Vorteilsanrechnung kommt nicht in Betracht, wenn der Geschädigte die Behebung eines weiteren, nicht durch den Unfall verursachten Schadens unterlässt. Setzt der Geschädigte zeitgleich durch den Unfall verursachte und nicht durch den Unfall verursachte Schäden instand, ist es angemessen, hinsichtlich der allen Reparaturmaßnahmen dienenden Aufwendungen eine Vorteilsanrechnung vorzunehmen, die sich danach bemisst, wie sich die übrigen Reparaturkosten auf die reparierten Schäden verteilen. OLG Stuttgart, Urteil vom 16.02.2023, Az. 2 U 226/21

Erstattungsfähigkeit der Kosten für ein „falsches“ Schadensgutachten
Der Geschädigte kann die Kosten für die Erstellung eines Schadensgutachtens auch dann ersetzt verlangen, wenn sich das eingeholte Privatgutachten als falsch erweist. Eine Ausnahme kommt dann in Betracht, wenn der Geschädigte schuldhaft falsche Angaben gegenüber dem Sachverständigen gemacht hat und sich das Gutachten deshalb als unbrauchbar erweist. Wenn sich der Geschädigte bei der Auftragserteilung eines Autohauses bedient, ist es ihm nicht zuzurechnen, wenn das Autohaus die ordnungsgemäße Angabe eines Vorschadens nicht an den Sachverständigen weitergibt oder der Sachverständige diese Information nicht zur Kenntnis nimmt oder unbeachtet lässt. OLG Stuttgart, Urteil vom 16.02.2023, Az. 2 U 226/21

Nutzungsausfall von Oldtimer-Fahrzeugen
In Bezug auf den Nutzungsausfall von OldtimerFahrzeugen weisen diese Fahrzeuge als Liebhaberstücke das grundsätzliche Gepräge von nicht für die eigenwirtschaftliche Lebensführung zwingend notwendigen Gegenständen auf. Soweit dies im Einzelfall anders sein mag, obliegt es dem Geschädigten, dies darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen. Allein subjektive Annehmlichkeiten rechtfertigen keinen Nutzungsausfallersatz, der sich als wirtschaftliche Einbuße an objektiven Maßstäben zu orientieren hat. Andernfalls bestünde die Gefahr, unter Verletzung des § 253 BGB, die Ersatzpflicht auf Nichtvermögensschäden auszudehnen. OLG Celle, Urteil vom 01.03.2023, Az. 14 U 149/22

Anrechnung Neufahrzeug-Rabatt bei fiktiver Abrechnung eines Verkehrsunfallschadens
Bei der fiktiven Abrechnung eines Verkehrsunfallschadens muss sich der Geschädigte einen bei der ersatzweisen Anschaffung eines Neufahrzeugs erzielbaren Rabatt regelmäßig nicht anrechnen lassen. Etwas anderes gilt dann, wenn die Anschaffung eines Neufahrzeugs unter Berücksichtigung des Sonderrabatts günstiger wäre als die Anschaffung eines entsprechenden Gebrauchtwagens. Bezieht sich der Rabatt auf den Erwerb eines Gebrauchtwagens, ist er anzurechnen, wenn er dem Geschädigten ohne Weiteres zugänglich ist, etwa weil er im Rahmen des Geschäftsbetriebs typischerweise in Anspruch genommen wird. OLG Stuttgart, Urteil vom 19.01.2023, Az. 2 U 303/21

Hupen verhindert nicht das Rückwärtsfahren eines anderen aus Garageneinfahrt
Wer in einem verkehrsberuhigten Bereich frühzeitig erkennt, dass ein Fahrzeug mit Personen besetzt ist und sich anschickt, rückwärts aus einer Garageneinfahrt in die Fahrbahn einzufahren, und deshalb hupt, darf nicht darauf vertrauen, dass dies den anderen Fahrzeugführer davon abhalten wird, das Rückwärtsfahrmanöver zu beginnen. Er darf seine Fahrt daher nur unter besonderer Vorsicht und jederzeitiger Bremsbereitschaft fortsetzen. LG Saarbrücken, Urteil vom 20.01.2023, Az. 13 S 60/22

Haftungsquote bei nächtlicher Kollision mit wartepflichtigem Einbieger
Kollidiert der Fahrer eines auf der bevorrechtigten Straße fahrenden Motorrades, dessen Fahrzeug aufgrund eines bei Dunkelheit durchgeführten Wheelies für den Fahrer eines wartepflichten Pkw schlecht zu erkennen ist, mit dem einbiegenden wartepflichtigen Pkw, kann eine hälftige Quote zur Regulierung der bei dem Unfall entstandenen Schäden angemessen sein. OLG Hamm, Urteil vom 09.11.2022, Az. 11 U 38/22

Nachweis des Integritätsinteresses bei fiktiver Abrechnung von Unfallschäden
Eine fiktive Abrechnung auf Netto-Reparaturkostenbasis setzt voraus, dass der Geschädigte das Kfz sechs Monate weiterbenutzt, und es zu diesem Zweck – falls erforderlich – verkehrssicher (teil-)reparieren lässt, wobei die Sechs-Monats-Frist nicht starr anzuwenden ist. Weist der Geschädigte sein Interesse an einer fachgerechten Reparatur nicht nach, ist der Schadensersatzanspruch aus dem Verkehrsunfallereignis im Ergebnis auf den Wiederbeschaffungsaufwand begrenzt.

Liegen die voraussichtlichen Reparaturkosten in dem Bereich zwischen Wiederbeschaffungswert und Wiederbeschaffungsaufwand, liegt somit ein Fall vor, in dem eine fiktive Abrechnung auf Netto-Reparaturkostenbasis voraussetzt, dass der Geschädigte das – verkehrssichere – Fahrzeug mindestens sechs Monate (repariert oder unrepariert) weiterbenutzt. Diese Voraussetzungen hat der insoweit darlegungs- und beweisbelastete Geschädigte jedoch nicht nachgewiesen.

Veräußert der Geschädigte das Fahrzeug vor Ablauf von sechs Monaten, muss er sein Integritätsinteresse durch andere Umstände dokumentieren. Dies ist dem Geschädigten nicht gelungen. Der Geschädigte hat nach dem Unfall das beschädigte Fahrzeug angemeldet gelassen, es aber zunächst weder repariert noch genutzt. Unstreitig hat der Geschädigte – selbst KfzMechaniker – das Fahrzeug erst vier Monate nach dem Unfall selbst repariert. Jedoch hat er weder einen Reparaturnachweis noch Nachweise über den Erwerb von Ersatzteilen vorgelegt. Damit sind sowohl der Zeitpunkt der Reparatur als auch der genaue Umfang der Instandsetzungsarbeiten offengeblieben. Der Geschädigte hat sich zwar darauf berufen, er habe sein Fahrzeug wegen pandemiebedingter Einnahmeausfälle bereits vor Ablauf von sechs Monaten nach dem Unfall veräußern müssen; eine derartige Zwangslage lässt sich jedoch nicht nachvollziehbar feststellen. Saarl. OLG Saarbrücken, Urteil vom 15.09.2022, Az. 4 U 110/21

Verhalten beim Passieren eines im Einsatz befindlichen Müllfahrzeugs
Beim Vorbeifahren an Müllfahrzeugen im Einsatz muss nicht stets oder in der Regel Schrittgeschwindigkeit oder ein Sicherheitsabstand von zwei Metern eingehalten werden; maßgeblich sind vielmehr die jeweiligen Umstände des Einzelfalls, u. a. die örtlichen Gegebenheiten und etwaige Wahrnehmungen des Fahrzeugführers. Die Reduzierung der Geschwindigkeit auf 13 km/h kann ausreichend sein. Die Privilegierung des § 35 Abs. 6 StVO begründet keine Befreiung vom allgemeinen Rücksichtnahmegebot des § 1 StVO. Ein Müllwerker, der auf der Fahrbahn einen großen, schweren Müllrollcontainer hinter dem Müllfahrzeug hervorschiebt, ohne auf den Verkehr zu achten, verstößt gegen § 1 Abs. 2 StVO. OLG Celle, Urteil vom 15.02.2023; Az. 14 U 111/22

Verwertung von Webcam-Aufzeichnungen zur Aufklärung des Unfallhergangs
Im Verkehrsunfallprozess sind die Aufzeichnungen einer Webcam, die ein unbeteiligter Dritter zur Verfügung stellt, als Beweismittel zur Aufklärung des Unfallhergangs nicht grundsätzlich unverwertbar; dies gilt insbesondere dann, wenn ein Unfallbeteiligter zwar der Verwertung widerspricht, sich dabei aber nicht auf höher zu gewichtende Persönlichkeitsrechte beruft.

Nach der BGH-Rechtsprechung (zu einem Fall vor Inkrafttreten der DSGVO) verstößt die permanente und anlasslose Aufzeichnung des Verkehrsgeschehens durch einen Unfallbeteiligten mittels einer sogenannten „Dash-Cam“ gegen das Bundesdatenschutzgesetz (vgl. auch Art. 6 Abs. 1f DSGVO), sodass ein Beweiserhebungsverbot vorliegt. Dieses führt indes im Ergebnis nicht zu einem Beweisverwertungsverbot.

Soll die Aufzeichnung zur Aufklärung eines Unfallhergangs dienen, überwiegt das Interesse des Beweispflichtigen an einer funktionstüchtigen Zivilrechtspflege und an einer materiell richtigen Entscheidung das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Unfallgegners in seiner Ausprägung als Recht auf informationelle Selbstbestimmung, in das durch die Videoaufzeichnung eingegriffen wurde.

Nach diesen Grundsätzen richtet sich auch im vorliegenden Fall die Frage der Verwertbarkeit der von der streitgegenständlichen Webcam gespeicherten Aufzeichnung des Unfallgeschehens im Wege der richterlichen Inaugenscheinnahme. Dem Rückgriff auf fremde Videoaufzeichnungen, welche auch nicht vom Beweisführer veranlasst worden sind, können unter keinem Gesichtspunkt ein Beweisverwertungsverbot entgegenstehen. Bezweifelt wurde hier nur die Aussagekraft der Aufzeichnungen mit Blick auf die Entfernungen zwischen zwei Einmündungen in einem engen Kreisverkehr und die vom Sachverständigen daraus gezogenen Schlussfolgerungen. Diese Einwände sind im Rahmen der Würdigung des Beweismittels zu berücksichtigen, begründen indes keine Umstände, die zu einer generellen Unverwertbarkeit im obigen Sinne führen könnten. Saarl. OLG Saarbrücken, Urteil vom 13.10.2022, Az. 4 U 111/21

STRAFRECHT/BUSSGELD/ORDNUNGSWIDRIGKEITEN

Bußgeld auch bei Nutzung einer vom Beifahrer aktivierten „Blitzer-App“
Ein durch § 23c Abs. 1 Satz 3 StVO verbotenes Verwenden der zur Anzeige oder Störung von Verkehrsüberwachungsmaßnahmen bestimmten Funktion eines technischen Geräts, das auch zu anderen Nutzungszwecken verwendet werden kann, liegt auch dann vor, wenn ein anderer Fahrzeuginsasse mit Billigung des Fahrzeugführers auf seinem Mobiltelefon eine App geöffnet hat, mit der vor Verkehrsüberwachungsmaßnahmen gewarnt wird. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 07.02.2023, Az. 2 ORbs 35 Ss 9/23

Sofortige Pflicht zur Bildung einer Rettungsgasse – keine Überlegungsfrist
Die Pflicht zur Bildung einer Rettungsgasse greift sofort ein, wenn die in § 11 Abs. 2 StVO beschriebene Verkehrssituation eingetreten ist. Würde man einem Fahrzeugführer in einer Situation, in der der vor ihm befindliche Verkehr zum Erliegen gekommen ist, eine Überlegungsfrist zubilligen, während derer er zunächst noch die Rettungsgasse blockieren dürfte, hätte dies zur Konsequenz, dass er nach Erkennen der Verkehrssituation und Ablauf einer Überlegungsfrist erst noch möglicherweise zeitaufwendig rangieren müsste, um die Rettungsgasse freizugeben. OLG Oldenburg Beschluss vom 20.09.2022, Az. 2 Ss (OWi) 137/22