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Die Automobilindustrie befindet sich in einem deutlichen Strukturwandel. Auslöser dafür sind die stärkere Regulierung von Schadstoff- und CO2-Emissionen sowie technologische Veränderungen durch Digitalisierung, Automatisierung und neue Antriebstechnologien. Mit der nunmehr vorliegenden Neufassung der Förderrichtlinie zum Umweltbonus werden flankierende wirtschaftspolitische Rahmenbedingungen geschaffen, um diesen veränderten Rahmenbedingungen der Automobilität und dem Klimawandel zu begegnen. Nach Auffassung der Bundesregierung entscheidet die Elektromobilität zusammen mit der Digitalisierung über die Zukunft der Automobilindustrie. So werde es nur mit weiteren unterstützenden Maßnahmen gelingen, die Entwicklung der Elektromobilität in der aktuellen Phase des Markthochlaufs noch deutlicher zu forcieren, um die Zielmarke von 15 Millionen vollelektrischen Pkw bis zum Jahr 2030 zu erreichen. Gegenstand der Neufassung der Förderrichtlinie ist der im Rahmen des Maßnahmenpakets Elektromobilität vom 18. Mai 2016 vereinbarte Umweltbonus für den Kauf und das Leasing von reinen Elektrofahrzeugen, Brennstoffzellenfahrzeugen sowie von außen aufladbaren Hybridelektrofahrzeugen als Brückentechnologie. Eine zusätzliche Innovationsprämie verdoppelt den staatlichen Anteil am Umweltbonus.

Förderziel und Zuwendungszweck der Richtlinie
Durch die Förderung wird eine breitere Marktdurchdringung von elektrisch betriebenen Fahrzeugen angestrebt, welche die Emission von Treibhausgasen und Schadstoffen reduzieren soll. Damit soll ein Beitrag zur Erreichung der Klimaziele im Verkehrssektor sowie zur Luftreinhaltung geleistet werden. Der Umweltbonus soll insoweit die Nachfrage nach umweltschonenden Fahrzeugen stärken und die schnelle Verbreitung elektrisch betriebener Fahrzeuge im Markt unterstützen. Das Geld dafür kommt vom Bund. Dieser gewährt nach Maßgabe dieser Förderrichtlinie und der Allgemeinen Verwaltungsvorschriften zu §§ 23, 44 Bundeshaushaltsordnung (BHO) einen Zuschuss beim Kauf und Leasing von Elektrofahrzeugen.

Kurz zusammengefasst: 
Ab dem 01. Januar 2023 
- Wegfall der Förderung für Plug-in-Hybride 
- Absenkung der Fördersätze für batterieelektrische Fahrzeuge und Brennstoffzellenfahrzeuge; Innovationsprämie sowie die Leasingstaffelung bleiben bestehen 
- Erhöhung der Mindesthaltedauer bei Fahrzeugkauf und Leasing auf zwölf Monate 
- Junge Gebrauchte: Anzahl der Vorhalter wird geändert; die bisherige Beschränkung, junge Gebrauchtfahrzeuge nur bei Anmeldung auf den Zweithalter zu fördern, fällt mit der neuen Richtlinie weg 
Ab dem 01. September 2023: 
- Kreis der Antragsberechtigten: ausschließlich Privatpersonen sind berechtigt, einen BAFA-Antrag zu stellen. 
Ab dem 01. Janaur 2024 
- Absenkung des maximalen Basislistenpreises auf maximal 45.000 Euro

Was ist künftig förderfähig?
Förderfähig sind:

• der Kauf und das Leasing eines erstmals im Inland zugelassenen, elektrisch betriebenen Neufahrzeugs gem. § 2 Nr. Elektromobilitätsgesetz (EmoG). Es muss sich insoweit um ein Neufahrzeug im Sinne der Förderrichtlinie handeln (Nrn. 4.1 oder 4.2, jeweils in Verbindung mit Nr. 4.3 der Förderrichtlinie).

• der Kauf und das Leasing eines jungen elektrisch betriebenen Gebrauchtfahrzeugs im Sinne der Förderrichtlinie. Hierbei handelt es sich um ein Elektrofahrzeug mit mehr als einer Zulassung, wobei das Datum der ersten Zulassung des Fahrzeugs nicht länger als ein Jahr zurückliegen darf. Es gelten außerdem die gleichen Anforderungen an das Elektrofahrzeug nach § 2 Nr. 1 EmoG, wobei gleichzeitig die Voraussetzungen der Nrn. 4.1 oder 4.2, jeweils in Verbindung mit Nr. 4.3, der Förderrichtlinie vorliegen müssen.

• der Kauf und das Leasing von Plug-in-Hybriden – also von außen aufladbaren Hybridelektrofahrzeugen – ist nach der Neufassung der Förderrichtlinie ab dem 1.1.2023 nicht mehr förderfähig. Eine Ausnahme gab es nur bei Beantragung bis einschließlich 31.12.2022 förderfähig, wenn das Hybridelektrofahrzeug wie bisher maximal 50 Gramm CO2-Emissionen je gefahrenen Kilometer oder eine elektrische Mindestreichweite unter ausschließlicher Nutzung der elektrischen Antriebsmaschine von 60 Kilometer aufwies. Förderfähig waren alle Fahrzeuge, die in Deutschland zugelassen wurden, unabhängig davon, in welchem Mitgliedstaat der Europäischen Union sie gekauft wurden, wenn gleichzeitig die Voraussetzungen der Nrn. 4.1 oder 4.2, jeweils in Verbindung mit Nr. 4.3, der Förderrichtlinie vorliegen.

Während Plug-in-Hybride also künftig von der Förderung des Umweltbonus ausgenommen sind, haben sich durch das Jahressteuergesetz 2022 insoweit keinerlei Veränderungen in Bezug auf die Besteuerung des geldwerten Vorteils von Plug-in-Hybriden ergeben.

Wer bekommt zukünftig die Förderung?
Veränderungen gab es jedoch bei den Zuwendungsempfängern, also den Antragstellern nach Bewilligung, auf die als Käufer oder Leasingnehmer ein Fahrzeug gemäß Nr. 4.1 der Förderrichtlinie zugelassen wird. Dazu wurden Einschränkungen bei der Antragsberechtigung vorgenommen. Bis einschließlich zum 31. August 2023 sind neben Privatpersonen auch Unternehmen, Stiftungen, Körperschaften und Vereine antragsberechtigt. Ab dem 01. September 2023 sind dies nur noch Privatpersonen. Nach wie vor kann man sich bei der Antragstellung unterstützen lassen, indem man einen Dritten zur Antragstellung bevollmächtigt.

Nicht antragsberechtigt sind:
• der Bund, die Bundesländer sowie deren Einrichtungen und Kommunen,

• alle öffentlichen Einrichtungen des Staates, die als öffentlich-rechtliche Auftraggeber unter § 99 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen fallen,

• Automobilhersteller, die sich an der Finanzierung des Umweltbonus beteiligen,

• Antragsteller mit Schulden. Ausgenommen von der Antragsberechtigung sind nunmehr Personen, über deren Vermögen ein Insolvenzverfahren beantragt oder eröffnet worden ist. Dasselbe gilt für Antragsteller und – bei juristischen Personen als Antragsteller – deren Inhaber, die eine Vermögensauskunft nach § 802c ZPO oder wegen Steuerschulden nach § 284 Abgabenordnung (AO) abgegeben haben oder zu deren Abgabe verpflichtet sind.

Ein Rechtsanspruch des Antragstellers auf Gewährung der Zuwendung besteht nach Ziffer 6.3 der Richtlinie nicht mehr. Vielmehr entscheidet die Bewilligungsbehörde – dies ist nach Ziffer 7.3 das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) in Eschborn – nach pflichtgemäßem Ermessen. Insoweit steht die Gewährung des Umweltbonus als Zuwendung unter dem Vorbehalt der Verfügbarkeit der veranschlagten Haushaltsmittel. Sofern also die nach dem Wirtschaftsplan zur Verfügung stehenden Mittel ausgeschöpft sind, können keine weiteren Fördergelder bewilligt werden. Die Bewilligungsbehörde ist in diesem Fall berechtigt, einen Antragsstopp auszusprechen.

Kombination von Fördermitteln
Zur Kombination von Fördermitteln gibt die Neufassung der Förderrichtlinie ebenfalls Vorgaben: So darf der Kauf oder das Leasing eines nach der Förderrichtlinie geförderten Fahrzeugs nicht zugleich mit öffentlichen Mitteln eines anderen Fördermittelgebers gefördert werden. Ausnahmen gibt es dabei nur, wenn der jeweilige Fördermittelgeber mit dem Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) eine entsprechende Verwaltungsvereinbarung geschlossen hat. Unschädlich ist insofern eine vorherige Antragstellung bei einer öffentlichen Stelle, die eine solche Verwaltungsvereinbarung mit dem BMWK geschlossen hat; das dortige Fördervorhaben darf aber noch nicht abgeschlossen sein, damit die Einhaltung der Regelungen der Verwaltungsvereinbarung durch den Zuwendungsgeber sichergestellt werden können. Dabei wird der Bundesanteil am Umweltbonus für ein und dasselbe Fahrzeug nur einmal gezahlt.

Besondere Zuwendungsvoraussetzungen
In Ziffer 4 der Richtlinienneufassung finden sich zahlreiche Definitionen und Detailvorgaben.

Ziffer 4.1 definiert den Begriff des Elektrofahrzeugs im Sinne der Förderrichtlinie
Ein E-Fahrzeug im Sinne der Förderrichtlinie ist ein elektrisch betriebenes Fahrzeug gemäß § 2 Nr. 1 EmoG der Klasse M1 und N1 im Sinne des Art. 4 der Verordnung (EU) 2018/858 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30.05.2018 über die Genehmigung und die Marktüberwachung von Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeuganhängern sowie von Systemen, Bauteilen und selbstständigen technischen Einheiten für diese Fahrzeuge, zur Änderung der Verordnungen (EG) Nr. 715/2007 und (EG) Nr. 595/2009 und zur Aufhebung der Richtlinie 2007/46/EG und ein elektrisch betriebenes Fahrzeug der Klasse N2 im Sinne des Art. 4 der Verordnung (EU) 2018/858, soweit es im Inland mit der Fahrerlaubnis der Klasse B geführt werden darf.

Ziffer 4.2 definiert „andere“ Fahrzeuge im Sinne der Förderrichtlinie
Fahrzeuge gleich welchen Antriebs, die keine lokalen CO2-Emissionen aufweisen, werden hier reinen Batterieelektrofahrzeugen im Sinne der Förderrichtlinie gleichgestellt. Fahrzeuge gleich welchen Antriebs, deren maximale CO2-Emissionen je gefahrenen Kilometer den in § 3 Abs. 2 Nr. 1 EmoG in der jeweils geltenden Fassung genannten Wert nicht übersteigen, sind „von außen aufladbaren Hybridelektrofahrzeugen“ im Sinne der Förderrichtlinie gleichgestellt.

Ziffer 4.3 definiert die Anforderungen an die Fahrzeuge
Hier kommt die BAFA-Liste der förderfähigen Elektrofahrzeuge ins Spiel. Das zu begünstigende Fahrzeugmodell muss sich nämlich auf der vom Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) auf www.bafa.de veröffentlichten Liste der für eine Förderung vorgesehenen Modelle elektrisch betriebener Fahrzeuge befinden, mit der sich die Automobilhersteller zu einer Beteiligung an der Finanzierung des Umweltbonus verpflichten. Für die BAFA-Liste gilt der sogenannte BAFA-Listenpreis, das heißt der Nettolistenpreis des Basismodells in Deutschland, bezogen auf das gekaufte Fahrzeug des Automobilherstellers zum 31.12.2015. Um den maximal förderfähigen Bruttogesamtfahrzeugpreis für Gebrauchtfahrzeuge zu bestimmen, werden wegen des typischen Wertverlusts auf dem Wiederverkaufsmarkt 80 Prozent des Bruttolistenpreises des Neufahrzeugs (inklusive Sonderausstattung) angesetzt und der Bruttoherstelleranteil davon abgezogen. Dies gilt entsprechend für Leasingfahrzeuge. Weitere Vorgaben gibt es zur Definition von Neufahrzeug und jungem Gebrauchtfahrzeug im Sinne der Richtlinie. Neufahrzeuge müssen erstmalig („zum ersten Mal“) zugelassen sein. Bei jungen gebrauchten Fahrzeugen darf die Erstzulassung nicht länger als ein Jahr zurückliegen. Außerdem darf zum Zeitpunkt der Zulassung des Gebrauchtfahrzeugs auf den Antragsteller eine Laufleistung von 15.000 Kilometern nachweislich nicht überschritten werden. Geregelt sind auch die Anforderungen an den Erwerb: Dieser muss bei einem Fahrzeughändler und mit Ausstellung einer Rechnung über den Kauf nach § 14 Umsatzsteuergesetz (UStG) erfolgen. Ein Kauf junger gebrauchter Fahrzeuge von privat scheidet damit praktisch aus. Doppelt kassieren geht dabei auch nicht: Die Förderung wird auf ein Mal beschränkt. Das bedeutet, das Fahrzeug darf nachweislich noch nicht durch den Umweltbonus oder eine vergleichbare staatliche Förderung in einem anderen EU-Mitgliedstaat gefördert worden sein.

Neu geregelt wird zudem die Mindesthaltedauer, je nachdem, ob der Antrag bis 31.12.2022 oder ab dem 01.01.2023 gestellt worden ist:
Mindesthaltedauer des Fahrzeugs bei Antragstellung bis einschließlich 31.12.2022

Mindesthaltedauer des Fahrzeugs bei Antragstellung ab 01. Januar 2023

Verkürzung der Mindesthaltedauer und Rückabwicklungen in Kaufkonstellationen
Eine Verkürzung der Mindesthaltedauer hat unterschiedliche Folgen, je nachdem, ob es sich um ein Leasingfahrzeug oder um ein Kauffahrzeug handelt. In jedem Falle muss die Verkürzung der Mindesthaltedauer der Bewilligungsbehörde unverzüglich – also ohne schuldhaftes Zögern – angezeigt werden. Aber es gibt Ausnahmen. So muss eine Verkürzung der Mindesthaltedauer bei Leasingfahrzeugen der Bewilligungsbehörde nur dann angezeigt werden, wenn daraus ein anderer (niedrigerer) Fördersatz folgt. In diesem Fall ist die Bewilligungsbehörde berechtigt, den Förderbetrag entsprechend der tatsächlichen – kürzeren – Leasingdauer neu festzusetzen.

Wird ein Kauf- oder Leasingvertrag rückabgewickelt, wird das Fahrzeug nach schuldrechtlichen Regelungen gewandelt (gemeint ist hier der Rücktritt vom Kaufvertrag über das Fahrzeug nach §§ 323, §§ 346ff. BGB in Verbindung mit §§ 437 Nr. 2, 440 BGB) sowie „vergleichbare Tatbestände“ sind der Bewilligungsbehörde ebenfalls unverzüglich anzuzeigen. Die Bewilligungsbehörde ist in diesen Fällen verpflichtet, bereits bewilligte Förderungen vollständig zurückzufordern, mit der Folge, dass der Zuwendungsempfänger insoweit verpflichtet ist, eine bereits bewilligte und ausgezahlte Förderung vollständig zurückzuzahlen.

Änderungen bei förderfähigen Fahrzeugpreisen

Bei Antragstellung ab dem 01.01.2023 bis einschließlich 31.12.2023 beträgt der Bundesanteil am Umweltbonus inklusive Innovationsprämie als nicht rückzahlbarer Zuschuss und der Herstelleranteil:

Rein batteriebetriebene Fahrzeuge (BEV) und Brennstoffzellenfahrzeuge (FCEV)
Bei Beantragung bis einschließlich zum 31. Dezember 2023 wird der Bundesanteil am Umweltbonus nur für elektrisch betriebene Fahrzeuge gewährt, bei denen der Nettolistenpreis des Basismodells in Deutschland maximal 65.000 Euro beträgt. Bei Beantragung ab dem 01. Januar 2024 wird der Bundesanteil am Umweltbonus nur für elektrisch betriebene Fahrzeuge gewährt, bei denen der Nettolistenpreis des Basismodells in Deutschland maximal 45.000 Euro beträgt. Für diejenigen Fahrzeugmodelle, die bereits zum 31. Dezember 2015 auf dem Markt verfügbar waren, gilt als Vergleichsmaßstab der zu diesem Zeitpunkt gültige Nettolistenpreis des Basismodells in Deutschland. Für nach dem 31. Dezember 2015 auf den Markt gekommene Fahrzeugmodelle gilt als Vergleichsmaßstab der zum Zeitpunkt der Markteinführung geltende BAFA-Listenpreis, das heißt der Nettolistenpreis des Basismodells in Deutschland.

Art und Umfang der Förderung, Höhe der Zuwendungen
Die Finanzierung des Umweltbonus erfolgt zur Hälfte durch den Fahrzeughersteller (Herstelleranteil am Umweltbonus) und zur Hälfte durch einen Bundeszuschuss (Bundesanteil am Umweltbonus) als Festbetragsfinanzierung. Hiervon ausgenommen sind Fahrzeuge, deren Zulassung auf den Antragsteller nach dem 03. Juni 2020 und bis einschließlich zum 31. Dezember 2024 erfolgt ist. Diese Fahrzeuge erhalten eine Innovationsprämie, bei welcher der Bundesanteil am Umweltbonus verdoppelt wird und der Herstelleranteil unverändert bleibt. Bei mehreren Anträgen für ein und dasselbe Fahrzeug ist allein der Erstantrag maßgebend.

Bei Antragstellung ab dem 01.01.2023 bis einschließlich 31.12.2023 beträgt der Bundesanteil am Umweltbonus inklusive Innovationsprämie als nicht rückzahlbarer Zuschuss und der Herstelleranteil:

Rein batteriebetriebene Fahrzeuge (BEV) und Brennstoffzellenfahrzeuge (FCEV)

Der Herstelleranteil bleibt jeweils unverändert. Zudem wird der Bundesanteil am Umweltbonus nur gezahlt, wenn der Netto-Kaufpreis (exklusive Mehrwertsteuer) des Basismodells für den Endkunden nachweislich um mindestens den Herstelleranteil am Umweltbonus gemindert wird. Dies wird letztlich nur durch den Abzug des Herstelleranteils in der Rechnung über den Fahrzeugkauf nachgewiesen; diese Rechnung ist damit sowohl für Kauf- wie Leasingkonstellationen von Bedeutung.

Wie geht das? – Verfahrensvorschriften
Das Verfahren zur Antragstellung ist in Ziffer 7 der Förderrichtlinie geregelt. Eine Antragstellung ist nur für Fahrzeuge möglich, deren Zulassung bereits erfolgt ist. Die Antragstellung muss spätestens ein Jahr nach der Zulassung auf den Antragsteller und ausschließlich über das vom BAFA auf der Internetseite www.bafa.de zur Verfügung gestellte elektronische Antragsformular erfolgen. Anträge, die andere Formulare verwenden oder die unvollständig sind, können nicht bearbeitet werden. Bei der Bearbeitungsreihenfolge gilt das „Windhundprinzip“: Die Zuwendungsbescheide für den Bundesanteil am Umweltbonus werden in der Reihenfolge des vollständigen Eingangs der Antragsunterlagen erteilt.

Mit der Antragstellung sind gemäß Ziffer 7.1 folgende Unterlagen vorzulegen:
• im Fall des Kaufs: eine Kopie der Rechnung (inklusive Mehrwertsteuer),
• im Fall des Leasings: eine Kopie des Leasingvertrags inklusive verbindlicher Bestellung sowie eine Kalkulation der Leasingrate/interne Kalkulation,
• im Fall der Förderung von jungen gebrauchten Fahrzeugen zusätzlich eine durch einen Sachverständigen einer amtlich anerkannten Prüforganisation oder einen amtlich anerkannten Sachverständigen oder einen öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen für Kraftfahrzeugbewertungen bestätigte Erklärung des Antragstellers über die Laufleistung des Fahrzeugs zum Zeitpunkt der Zulassung auf ihn sowie einen Nachweis über den Listenpreis des Neufahrzeugs in Form eines Gutachtens der Schwacke GmbH, der Deutschen Automobil Treuhand (DAT), der noxa solutions GmbH & Co. KG oder einer Neufahrzeugrechnung.

• Die Unterlagen sind in deutscher Sprache beziehungsweise in Übersetzung in deutscher Sprache vorzulegen. Übersetzungen sind von einem staatlich geprüften Dolmetscher oder Übersetzer oder einem öffentlich bestellten oder beeidigten Dolmetscher oder Übersetzer erstellen zu lassen. 
• Die Rechnung und der Leasingvertrag müssen (exklusive Mehrwertsteuer) mindestens folgende Inhalte ausweisen: 
- den eindeutigen Bezug auf das förderfähige (Basis-)Fahrzeugmodell auf der Liste des BAFA, 
- den deutlich und nachvollziehbar ausgewiesenen Eigenbetrag des Automobilherstellers am Umweltbonus, der mindestens dem in Nr. 5 der Richtlinie festgelegten Betrag entspricht, sodass die Antragstellerin/ der Antragsteller den Eigenanteil selbstständig prüfen kann, 
- bei Antragstellung den Netto-Kaufpreis für das Basis-Fahrzeugmodell für den Kunden, 
- bei Antragstellung Sonderausstattungen im Vergleich zum Basis-Fahrzeugmodell auf der BAFA-Liste (werden gesondert ausgewiesen). Bei Leasinggeschäften ist die Vorlage des Kalkulationsblatts der Leasingrate/internen Kalkulation verpflichtend.

Die Auszahlung des Bundesanteils am Umweltbonus (Ziffer 7.2) erfolgt nach Vorlage aller notwendigen Unterlagen gemäß Ziffer Nr. 7.1 und deren Prüfung durch die Bewilligungsbehörde auf ein Konto des Antragstellers.

Die Förderrichtlinie beinhaltet auch datenschutzrelevante Bestimmungen
So willigt der Antragsteller nach Ziffer 6.2 der Förderrichtlinie ein, dass die Bewilligungsbehörde zur Prüfung der Antragsvoraussetzungen Daten aus dem Zentralen Fahrzeugregister des Kraftfahrt-Bundesamts abrufen kann. Ferner willigt er ein, dass alle im Zusammenhang mit der Förderung bekannt gewordenen Unterlagen, Daten und Nachweise vom BAFA und dem BMWK auf Datenträgern gespeichert werden können und außerdem auf Grundlage von § 44 Bundeshaushaltsordnung (BHO) und den zugehörigen Verwaltungsvorschriften Nr. 9.1 und 9.2 in der zentralen Zuwendungsdatenbank des Bundes erfasst werden. Eine Weiterverarbeitung dieser Daten ist zum Zweck der Erfolgskontrolle gemäß den Verwaltungsvorschriften zu § 7 BHO möglich. Außerdem ist eine Weiterverarbeitung durch Dritte, die vom BMWK oder dem BAFA beauftragt und zur Vertraulichkeit verpflichtet werden, für Zwecke der Statistik, des Monitorings, wissenschaftlicher Fragestellungen, der Verknüpfung mit amtlichen Daten, der Evaluation und Erfolgskontrolle des Umweltbonus und der Innovationsprämie zulässig. Ferner muss der Antragsteller einwilligen, dass die anonymisierten beziehungsweise aggregierten Auswertungsergebnisse veröffentlicht werden können und die Unterlagen oder Auswertungen auch im Rahmen von Auskunftsrechten des Deutschen Bundestags an diesen weitergegeben werden können. Schließlich bestehen Aufbewahrungspflichten. Der Antragsteller ist verpflichtet, alle zuwendungserheblichen Unterlagen mindestens fünf Jahre lang vorzuhalten und im Fall einer Überprüfung vorzulegen. Kommt der Antragsteller dieser Verpflichtung nicht nach, entfällt rückwirkend die Bewilligungsvoraussetzung mit der unangenehmen Folge, dass Zuschüsse zuzüglich Zinsen zurückgefordert werden können. Fehlerhafte Angaben in den Antragsunterlagen können unangenehme Folgen haben. Daher sind nach Ziffer 6.4 der Förderrichtlinie die subventionserheblichen Tatsachen im Sinne von § 2 Subventionsgesetz in Verbindung mit § 264 Strafgesetzbuch (StGB) im Förderantrag bezeichnet. Um nicht wegen Subventionsbetrugs belangt zu werden, müssen im Antrag also gerade die subventionserheblichen Tatsachen korrekt bezeichnet werden, also diejenigen Tatsachen, die nach dem Subventionszweck, der Förderrichtlinie und den sonstigen Vergabevoraussetzungen für die Bewilligung, Gewährung, Rückforderung, Weitergewährung oder das Belassen einer Subvention oder eines Subventionsvorteils erheblich sind.

Rechtsanwalt Lutz D. Fischer, St. Augustin 
Kontakt: kanzlei@fischer.legal
Internet: www.fischer.legal

 

AUTOR

RECHTSANWALT LUTZ D. FISCHER ist Mitglied der ARGE Verkehrsrecht im Deutschen Anwaltverein. Ein besonderer Kompetenzbereich liegt im Bereich des Dienstwagen- und Verkehrsrechts. Als Autor hat er zahlreiche Publikationen zum Dienstwagenrecht veröffentlicht, unter anderem in der Fachzeitschrift „Flottenmanagement“ sowie im Ratgeber „Dienstwagen- und Mobilitätsmanagement 2018–2020“ (Kapitel Datenschutz). Als Referent hält er bundesweit offene Seminare und Inhouse-Veranstaltungen zur Dienstwagenüberlassung mit thematischen Bezügen zu Arbeitsrecht, Entgeltabrechnung, Schadenregulierung und -management, Datenschutz sowie Elektromobilität.

 

RECHTSPRECHUNG

ELEKTROMOBILITÄT

Anspruch des Garagenmieters auf Erlaubnis zum Einbau einer Ladestation für E-Autos
Aus § 554 Abs. 1 Satz 1 BGB ergibt sich grundsätzlich ein Anspruch des Mieters einer Einzelgarage auf Erlaubnis des Vermieters zum Einbau einer „Wallbox“ nebst Anschluss an eine bereits vorhandene Starkstromleitung zum Laden eines Elektrofahrzeugs. Allgemeine moralische Vorbehalte des Vermieters gegenüber der E-Mobilität in Bezug auf eine Gefährdung der Mietsache, die abstrakte Furcht vor einer angenommenen erhöhten Brandgefahr bei Elektrofahrzeugen und pauschale Bedenken in Bezug auf eine gegebenenfalls nicht ausreichende Stromversorgung des vermieteten Anwesens sind im Rahmen der Interessenabwägung nach § 554 Abs. 1 Satz 2 BGB nicht ausschlaggebend. Eine konkrete Gefahrerhöhung durch den Einbau der Wallbox wurde erstinstanzlich nicht vorgetragen. Soweit der Vermieter in diesem Kontext generell auf eine hohe Brandgefahr bei E-Fahrzeugen verweist, ist dies schon deshalb nicht von Bedeutung, weil der Mieter die mitvermietete Garage zweifelsfrei nutzen darf, um sein Elektroauto dort einzustellen. Selbstverständlich stellt dies einen vertragsgemäßen Gebrauch der Mietsache dar. LG München I, Urteil vom 25.05.2022, Az. 14 S 16374/21

VERKEHRSZIVILRECHT

BGH-Urteil zur Vorfahrtsregel „rechts vor links“ auf öffentlichen Parkplätzen
Die Vorfahrtsregel des § 8 Abs. 1 Satz 1 StVO („rechts vor links“) findet auf öffentlichen Parkplätzen ohne ausdrückliche Vorfahrtsregelung weder unmittelbar noch im Rahmen der Pflichtenkonkretisierung nach § 1 Abs. 2 StVO Anwendung, soweit den dort vorhandenen Fahrspuren kein eindeutiger Straßencharakter zukommt.

Gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 StVO hat an Kreuzungen und Einmündungen die Vorfahrt, wer von rechts kommt. Dabei muss es sich bei den aufeinanderstoßenden Fahrbahnen um Straßen handeln. Die gesetzliche Vorfahrtsregelung soll den zügigen Verkehr auf bevorrechtigten Straßen gewährleisten und damit durch klare und sichere Verkehrsregeln auch der Sicherheit des Straßenverkehrs dienen. Ein Parkplatz ist dagegen – als Ganzes betrachtet – keine Straße, sondern eine Verkehrsfläche, die – vorbehaltlich spezifischer Regelungen durch den Eigentümer oder Betreiber – grundsätzlich in jeder Richtung befahren werden darf. Parkflächenmarkierungen, die den Platz in Parkplätze und Fahrspuren aufteilen, ändern für sich genommen daran nichts, sodass durch solche Markierungen entstehenden Fahrbahnen – wie allein durch die tatsächliche Anordnung der geparkten Fahrzeuge gebildeten Gassen – kein Straßencharakter zukommt. Die auf Parkplätzen vorhandenen Fahrspuren dienen zudem typischerweise der Erschließung der Parkmöglichkeiten durch Eröffnung von Rangierräumen und der Ermöglichung von Beund Entladevorgängen, wobei die Fahrbahnen regelmäßig sowohl von Kraftfahrern als auch Fußgängern genutzt werden. Eine Bejahung des Straßencharakters und damit eine – dann unmittelbare – Anwendung des § 8 Abs. 1 Satz 1 StVO kommt daher auf Parkplätzen nur ausnahmsweise dann in Betracht, wenn sich durch die bauliche Gestaltung der Fahrspuren und die sonstigen örtlichen Gegebenheiten für den Verkehrsteilnehmer unmissverständlich ergibt, dass die Fahrbahnen nicht der Aufteilung und unmittelbaren Erschließung der Parkflächen, sondern in erster Linie der Zuund Abfahrt und damit dem fließenden Verkehr dienen. Fehlt es an einem solchen eindeutigen Straßencharakter, kommt auf öffentlichen Parkplätzen auch keine entsprechende oder mittelbare Anwendung der Vorfahrtsregel „rechts vor links“ im Rahmen der Pflichtenkonkretisierung nach § 1 Abs. 2 StVO in Betracht. Auf einem Parkplatz wird das allgemeine Tempo durch den Park- und Verladebetrieb bestimmt, der einer zügigen Fahrweise entgegensteht. Die auf einem Parkplatz aufgrund der erforderlichen Rücksichtnahme auf ein- und ausparkende Kraftfahrer und die Fahrbahnen nutzende Fußgänger gebotene geringe Geschwindigkeit der Fahrzeuge erfordert keine strengen, automatisch anwendbaren Vorfahrtsregeln. Der Sicherheit ist es in der typischen, durch Ablenkungen von der Beachtung des Verkehrsflusses geprägten Situation auf einem Parkplatz dienlicher, wenn die sich begegnenden Fahrzeuglenker aufeinander Rücksicht nehmen und über die Vorfahrt verständigen müssen. BGH, Urteil vom 22.11.2022, Az. VI ZR 344/21

Freistellungsanspruch auch für Desinfektionskosten des Sachverständigen?
Verlangt der Geschädigte eines Verkehrsunfalls vom Schädiger die Freistellung von der Honorarforderung des von ihm mit der Erstellung eines Schadensgutachtens beauftragten Sachverständigen, richtet sich sein Anspruch grundsätzlich und bis zur Grenze des Auswahlund Überwachungsverschuldens danach, ob und in welcher Höhe er mit der Verbindlichkeit, die er gegenüber dem Sachverständigen eingegangen ist, beschwert ist. Jedenfalls in diesem Fall des Freistellungsantrags ist auch für die schadensrechtliche Betrachtung des Verhältnisses zwischen Geschädigtem und Schädiger die werkvertragliche Beziehung zwischen Geschädigtem und Sachverständigem maßgeblich.

Nach diesen Grundsätzen kommt es im Streitfall nicht darauf an, ob die dem Geschädigten vom Sachverständigen für die Erstellung des Schadensgutachtens pauschal in Rechnung gestellten Desinfektionsmaßnahmen jeweils objektiv erforderlich im Sinne des § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB waren. Da ein Auswahl- und Überwachungsverschulden des Geschädigten nach den Umständen des Streitfalls weder ersichtlich noch dargetan ist, ist vielmehr maßgeblich, ob und in welcher Höhe der Geschädigte dem Sachverständigen nach werkvertraglichen Grundsätzen eine Vergütung für die Desinfektionsmaßnahmen schuldet.

Mangels ausdrücklicher Vergütungsvereinbarung gilt eine Vergütung als stillschweigend vereinbart, da die Erstellung des Schadensgutachtens nur gegen Zahlung einer Vergütung zu erwarten war; nach § 632 Abs. 2 BGB ist daher die übliche Vergütung als vereinbart anzusehen. Es begegnet keinen grundsätzlichen Bedenken, dass der Sachverständige die Corona-Desinfektionspauschale gesondert berechnet hat. Ebenso wie die Wahl seines individuellen Hygienekonzepts selbst steht auch die betriebswirtschaftliche Entscheidung, ob die hierfür anfallenden Kosten gesondert ausgewiesen oder als interne Kosten der Arbeitssicherung in die Kalkulation des Grundhonorars „eingepreist“ werden, grundsätzlich dem Sachverständigen als Unternehmer zu. Angesichts der nur vorübergehenden Natur jedenfalls der verschiedenen Phasen der Corona-Pandemie mag es sogar ein Ausdruck des Bemühens um Kostentransparenz sein, die Pauschale für die Dauer ihres Anfallens gesondert auszuweisen.

Die Sache wurde zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen. BGH, Urteil vom 13.12.2022, Az. VI ZR 324/21

Erstattungsfähigkeit von Reinigungskosten im Zusammenhang mit Lackierarbeiten
Die Reinigung eines Unfallwagens ist nicht nur dann unfallbedingt erforderlich, wenn das Fahrzeug durch den Unfall über Gebühr verschmutzt worden ist, etwa weil es von der Straße abgekommen ist, sondern auch dann, wenn die fachgerechte Reparatur eine besonders gründliche Reinigung voraussetzt und/oder wenn die Reparatur ihrerseits zu neuerlichen Verschmutzungen des Fahrzeugs führt. Davon ist im Fall von Lackierungsarbeiten auszugehen, denn eine gründliche Reinigung ist erforderlich, um die Haftung des Lacks zu gewährleisten und Einschlüsse von Schmutzpartikeln im oder unter dem Lack zu verhindern. Dies gilt auch im Hinblick auf die Reinigung des Innenraums, wenn er durch die Schleifvorgänge zur Vorbereitung der Lackierungsarbeiten verschmutzt worden ist. Der Schädiger trägt das Werkstattrisiko. Dies bedeutet, dass der Geschädigte die Reparaturrechnung nicht im Hinblick auf jede Einzelposition durchleuchten muss. Vielmehr ist es ausreichend, wenn er sich auf eine an seinen Erkenntnismöglichkeiten als verständiger, wirtschaftlich denkender Mensch orientierte Plausibilitätskontrolle beschränkt. Nur wenn ihm in diesem Rahmen auffallen muss, dass bestimmte Positionen zur Schadensbeseitigung nicht erforderlich oder zweckmäßig gewesen sein können, darf er diese nicht blindlings bezahlen und an den Schädiger durchreichen. AG Bergisch Gladbach, Urteil vom 10.03.2022, Az. 66 C 11/22

Haftung bei „doppelter Gefährlichkeit“ des einfahrenden Fahrzeugs
Kommt es in unmittelbarem und zeitlichem Zusammenhang zu einem Verstoß des Einfahrenden gegen § 10 StVO (Einfahren und Anfahren) und gegen § 9 Abs. 1, Abs. 5 StVO (Abbiegen, Wenden und Rückwärtsfahren), ohne dass die besondere Gefährlichkeit des Einfahrvorgangs aufgehoben ist, und wird der auf der Straße herannahende Fahrer zu einem Ausweichen herausgefordert, liegt darin kein Überholen bei unklarer Verkehrslage im Sinne von § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO, und die Betriebsgefahr des Herannahenden tritt hinter der doppelten Gefährlichkeit des Fahrvorgangs des Einfahrenden vollständig zurück. Der beklagte Autofahrer hat sowohl beim Einfahren aus der Grundstückseinfahrt auf die Fahrbahn als auch beim anschließenden Abbiegen in die nur circa 33 m entfernte weitere Grundstückseinfahrt die ihn treffenden hohen Sorgfaltsanforderungen nicht beachtet. Er war infolge der (hier doppelten) Gefährlichkeit seiner Fahrmanöver verpflichtet, jegliche Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer auszuschließen. Dieser Pflicht ist er nicht nachgekommen. OLG Hamm, Beschluss vom 27.06.2022, Az. 7 U 19/22

Mitverschulden eines Radfahrers wegen Verstoß gegen Abstandsgebot
Den geschädigten Radfahrer trifft ein Mitverschulden gemäß § 9 StVG in Verbindung mit § 254 BGB, da er in unfallursächlicher Weise gegen § 4 Abs. 1 Satz 1 StVO verstoßen hat. Hiernach muss der Abstand von einem vorausfahrenden Fahrzeug in der Regel so groß sein, dass auch dann hinter ihm gehalten werden kann, wenn es plötzlich gebremst wird. Auch ein Radfahrer muss grundsätzlich ausreichend Abstand halten, und zwar nicht nur zu vorausfahrenden Kraftfahrzeugen, sondern auch auf einen vorausfahrenden anderen Radfahrer. Wird bei organisierten (Sport-)Veranstaltungen im geschlossenen Verband (Pulk) gefahren, kann dies anders zu beurteilen sein. Bei der Teilnahme am „normalen“ Straßenverkehr ist die Einhaltung eines Sicherheitsabstandes zum eigenen Schutz und zum Schutz des vorausfahrenden Radfahrers unverzichtbar. Nach den eigenen Angaben des Geschädigten betrug der Abstand zu dem vorausfahrenden Radfahrer unmittelbar vor der Kollision etwa einen halben Meter bei einer gefahrenen Geschwindigkeit von circa 30 km/h. Bei Einhaltung eines ausreichenden Abstands wäre es zu keinem Auffahren untereinander gekommen und ein Sturz des Geschädigten vermieden worden.

Das Verbot, an unübersichtlicher Stelle zu überholen (§ 5 Abs. 2 Satz 1 StVO), dient nicht nur dem Schutz des Gegenverkehrs, sondern auch des zu überholenden Verkehrsteilnehmers, der ebenfalls durch ein gegen § 5 Abs. 2 Satz 1 StVO verstoßendes Überholen gefährdet werden kann. Saarländisches OLG Saarbrücken, Urteil vom 15.12.2022, Az. 4 U 136/21

„Wer auffährt, hat Schuld“: Entkräftung des Anscheinsbeweises bei Spurwechsel
Der gegen den Auffahrenden grundsätzlich sprechende Anscheinsbeweis ist entkräftet, wenn der Vorausfahrende im unmittelbaren örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit dem Unfall vorher den Fahrstreifen gewechselt hat. Der zeitliche Zusammenhang zwischen dem Spurwechsel und dem Auffahren ist selbst dann noch nicht unterbrochen, wenn sich vorausfahrende Fahrstreifenwechsler zum Zeitpunkt der Kollision etwa fünf Sekunden auf dem Fahrstreifen des Auffahrenden befunden hat. Der Anscheinsbeweis zulasten eines von hinten auf ein in die Vorfahrtstraße einbiegenden Fahrzeugs setzt voraus, dass beide Fahrzeuge so lange in einer Spur hintereinander hergefahren sind, dass sie sich auf die vorangegangenen Fahrbewegungen hätten einstellen können. Wenn sich der Unfallhergang nach Beweisaufnahme als unaufklärbar darstellt, wirkt zulasten beider Unfallbeteiligten nur die Betriebsgefahr ihrer Fahrzeuge, was zu einer Quote von 50 Prozent zu 50 Prozent führt. OLG Schleswig, Beschluss vom 07.10.2022, Az. 7 U 51/22

Linksabbieger darf auf grünen Pfeil vertrauen
Derjenige, dem ein grüner Pfeil das Linksabbiegen gestattet, darf darauf vertrauen, dass Gegenverkehr durch Rotlicht gesperrt ist und Fahrzeuge aus der Gegenrichtung das für sie geltende Haltegebot beachten. Dieser Vertrauensgrundsatz wird nicht dadurch beseitigt, dass nach Passieren der Ampel für den Linksabbieger die Anlage ausfällt. Ein Idealfahrer hätte aus dem mit dem Ampelausfall einhergehenden Ausfall des Ampellichts der Fußgängerampel, der für die Linksabbieger erkennbar war, geschlossen, dass es eine Fehlfunktion der Ampelschaltung gibt. Ein unabwendbares Ereignis liegt deshalb nicht vor. OLG Schleswig, Urteil vom 20.09.2022, Az. 7 U 201/21

Straßenbauarbeiter kein Fußgänger, sondern Verkehrsteilnehmer
Ein Straßenbauarbeiter, der auf der für den fließenden Verkehr freigegebenen Fahrbahn Markierungsarbeiten ausführt, ist als Verkehrsteilnehmer im Sinne von § 1 StVO anzusehen. Ein Straßenbauarbeiter, der Markierungsarbeiten verrichtet, ist kein Fußgänger im Sinne von § 25 StVO. OLG Celle, Urteil vom 16.11.2022, Az. 14 U 87/22

FLUGGASTRECHTE

FluggastrechteVO: Vortrag zu möglicher Ersatzbeförderung notwendig
Zu den zumutbaren Maßnahmen im Sinne von Art. 5 Abs. 3 FluggastrechteVO gehört es, dem Fluggast eine mögliche anderweitige direkte oder indirekte Beförderung mit einem Flug anzubieten, den das betroffene oder ein anderes Luftfahrtunternehmen durchführt und der mit weniger Verspätung als der nächste Flug des betreffenden Luftfahrtunternehmens ankommt, es sei denn, die Durchführung einer solchen anderweitigen Beförderung stellt für das betreffende Unternehmen angesichts seiner Kapazitäten zum maßgeblichen Zeitpunkt ein nicht tragbares Opfer dar. Vortrag des in Anspruch genommenen Luftfahrtunternehmens zu solchen anderweitigen Beförderungsmöglichkeiten ist nicht deshalb entbehrlich, weil die für die Verspätung ursächlich gewordenen Störungen auf einem Ersatzflug eingetreten sind.

Ein Luftfahrtunternehmen muss alles ihm Mögliche und Zumutbare tun, um zu vermeiden, dass es durch außergewöhnliche Umstände genötigt ist, einen Flug zu annullieren, oder dass der Flug nur mit einer großen Verspätung durchgeführt werden kann, deren Folgen für den Fluggast einer Annullierung gleichkommen. Welche Maßnahmen einem Luftfahrtunternehmen in diesem Zusammenhang zumutbar sind, bestimmt sich nach den Umständen des Einzelfalls. Es kommt zum einen darauf an, welche Vorkehrungen ein Luftfahrtunternehmen nach guter fachlicher Praxis treffen muss, damit nicht bereits bei gewöhnlichem Ablauf des Luftverkehrs geringfügige Beeinträchtigungen das Luftfahrtunternehmen außerstande setzen, seinen vertraglichen Verpflichtungen nachzukommen und den Flugplan im Wesentlichen einzuhalten. Zum anderen muss das Luftfahrtunternehmen, wenn eine mehr als geringfügige Beeinträchtigung tatsächlich eintritt oder erkennbar einzutreten droht, alle ihm in dieser Situation zu Gebote stehenden Maßnahmen ergreifen, um nach Möglichkeit zu verhindern, dass hieraus eine Annullierung oder große Verspätung resultiert. BGH, Urteil vom 10.11.2022, Az. X ZR 97/21

STRAFRECHT/BUSSGELD/ORDNUNGSWIDRIGKEITEN

Kein Beweisverwertungsverbot bei Geschwindigkeitsmessung mit PoliScan M1 HP
Dass bei einem standardisierten Messverfahren (hier: PoliScan M1 HP) Messdaten nicht gespeichert werden, führt nicht zu einem Beweisverwertungsverbot. Die Verwertbarkeit des Messergebnisses hängt nicht von der Rekonstruierbarkeit des Messvorgangs anhand gespeicherter Messdaten ab. So besteht die Möglichkeit einer nachträglichen Überprüfung anhand gespeicherter Messdaten etwa auch nicht bei der als standardisiertes Messverfahren anerkannten Geschwindigkeitsmessung mit dem nicht dokumentierenden Lasermessgerät Riegl FG 21-P („Laserpistole“). Auch kennen andere Messmethoden wie etwa die Verwendung von digitalen Waagen, Entfernungsmessern, Thermometern und Geräten zur Bestimmung der Atemalkoholkonzentration in der Regel keine Speicherung von Messdaten, ohne dass Gerichte oder der Gesetzgeber deshalb zur Annahme eines rechtsstaatlichen Defizits gelangt wären.

Angesichts dessen hat das Amtsgericht auch den Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens zu der – ohnehin allgemeinkundigen – Tatsache, dass das verwendete Messgerät die Rohmessdaten nicht speichert, rechtsfehlerfrei abgelehnt. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 31.10.2022, Az. 2 RBs 155/22

Flucht vor Polizei kein verbotenes Rennen?
In sogenannten Polizeiflucht-Fällen verwirklicht der verfolgte Kraftfahrzeugführer zwar möglicherweise den Tatbestand des verbotenen Kraftfahrzeugrennens in der Alternative des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB (Einzelrennen), eine Teilnahme an einem verbotenen Kraftfahrzeugrennen im Sinne des § 315d Abs. 1 Nr. 2 StGB liegt jedoch mangels Wettbewerbscharakters und konkludenter Rennabsprache nicht vor. OLG Oldenburg (Oldenburg), Urteil vom 14.11.2022, Az. 1 Ss 199/22

Flucht vor Polizei unter Verstoß gegen Höchstgeschwindigkeit kein illegales Rennen
Allein der Umstand, dass der Angeklagte unter Missachtung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit und von Vorfahrtsregelungen vor der Polizei flüchtete, genügt nicht zur Annahme der nach § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB erforderlichen Absicht, auf einer nicht unerheblichen Wegstrecke die unter den konkret situativen Gegebenheiten maximal mögliche Geschwindigkeit zu erreichen. OLG Zweibrücken, Beschluss vom 14.10.2022, Az. 1 OLG 2 Ss 27/22

Fahren ohne Fahrerlaubnis bei Erteilung einer französischen Fahrprüfungsbescheinigung?
§ 29 FeV unterscheidet zwischen der Berechtigung zum Führen eines Kraftfahrzeugs nach ausländischem Recht (Abs. 1) und dem Nachweis darüber durch einen Führerschein (Abs. 2) mit der Folge, dass ein – im Übrigen die Voraussetzungen des § 29 Abs. 1 FeV erfüllender – Fahrzeugführer nur dann die erforderliche Fahrerlaubnis im Sinne des § 21 Abs. 1 StVG nicht hat, wenn er (auch) nicht im Ausland über eine Fahrberechtigung für das von ihm gelenkte Kraftfahrzeug verfügt oder einer der Ausnahmetatbestände (Abs. 3) gegeben ist; fehlt der Führerschein als Nachweis über die Fahrberechtigung, ist (lediglich) der Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit nach § 75 Nr. 4 FeV erfüllt. § 29 FeV gilt gleichermaßen für alle ausländischen Fahrberechtigungen.

Nach französischem Recht wird die Fahrberechtigung – wie nach § 22 Abs. 4 Satz 6 FeV eine deutsche Fahrerlaubnis – durch Erteilung der Bescheinigung über das erfolgreiche Bestehen der praktischen Fahrprüfung (certificat d’examen du permis de conduire, CEPC) nicht nur vorläufig, sondern endgültig und vorbehaltlos erworben; die so erworbene Fahrberechtigung entfällt nicht mit dem Ablauf der auf vier Monate befristeten Gültigkeitsdauer des bis zur Ausstellung des EU-Führerscheins als Führerschein(ersatz) dienenden CEPC. Unter diesen Umständen besteht deshalb kein Raum für die Annahme des Ausnahmetatbestands des § 29 Abs. 3 Nr. 1 Alt. 2 FeV.

Der Ausnahmetatbestand des § 29 Abs. 3 Nr. 1 Alt. 2 FeV („vorläufig ausgestellter Führerschein“) von einer ausländischen Fahrberechtigung nach § 29 Abs. 1 FeV Gebrauch machen zu dürfen, ist dahin auszulegen, dass die Gültigkeit einer solchen ausländischen Fahrberechtigung im Inland nicht schon bei „Vorläufigkeit“ des Führerscheins als Legitimationspapier, sondern (erst) bei „Vorläufigkeit“ der damit zu bescheinigenden Fahrberechtigung entfällt. AG Kehl, Urteil vom 14.12.2022, Az. 2 Cs 504 Js 14645/21

Keine Rücksichtslosigkeit bei längerem Auslandsaufenthalt mit Linksverkehr?
Wer sich sieben Wochen in einem Land mit Linksverkehr aufhielt, handelt regelmäßig lediglich aus Unachtsamkeit und nicht rücksichtslos, wenn er bei seiner ersten Fahrt in Deutschland gegen das Rechtsfahrgebot verstößt.

Gemäß § 315c Abs. 1 Nr. 2e StGB macht sich strafbar, wer grob verkehrswidrig und rücksichtslos an unübersichtlichen Stellen nicht die rechte Seite der Fahrbahn einhält. Nach diesen Maßstäben handelte der Angeklagte nicht rücksichtslos. Zwar setzte er sich über das in § 2 Abs. 2 StVO normierte Rechtsfahrgebot, hinweg, als er sich vor und während der Fahrt keine Gedanken über die in Deutschland geltenden Verkehrsregeln machte. Dabei handelte er lediglich aus Unachtsamkeit, nachdem er sich sieben Wochen in einem Land aufgehalten hatte, in dem Linksverkehr vorherrschte. Der Angeklagte erweist sich dadurch nicht als gleichgültiger Fahrer. Er handelte insoweit zwar fahrlässig, weil er sich vor Fahrtantritt und während der Fahrt die geltenden Verkehrsregeln hätte vor Augen führen müssen. Ein darüberhinausgehender Vorwurf ist von den Feststellungen aber nicht gedeckt. OLG Zweibrücken, Beschluss vom 28.11.2022, Az. 1 OLG 2 Ss 34/22

VERWALTUNGSRECHT/FAHRTENBUCHAUFLAGE

Fahrtenbuchauflage: Bestreiten des Erhalts von Anhörungsbögen
Sendet ein Fahrzeughalter im Ordnungswidrigkeitsverfahren einen ihm übersandten Anhörungs- oder Zeugenfragebogen unausgefüllt, kommentarlos oder überhaupt nicht zurück und macht auch sonst keine weiteren Angaben zum Personenkreis der Fahrzeugbenutzer, ist die zuständige Behörde regelmäßig nicht gehalten, weitere aufwendige und zeitraubende Ermittlungsmaßnahmen einzuleiten und durchzuführen. Bestreitet der Fahrzeughalter, einen Anhörungs- oder Zeugenfragebogen erhalten zu haben, trägt grundsätzlich die Behörde die Beweislast für den Zugang des Schriftstücks. Das Gericht kann allerdings bei freier Würdigung der Einzelfallumstände nach § 108 Abs. 1 VwGO zu der Überzeugung gelangen, dass ein nachweislich abgesandtes Schriftstück den Adressaten erreicht hat. OVG des Landes Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 27.09.2022, Az. 3 M 69/22

VERWALTUNGSRECHT/FAHRERLAUBNIS U.A.

Erteilung einer deutschen Fahrerlaubnis auf Grundlage einer ausländischen Fahrerlaubnis 
Hatte der Inhaber einer befristeten ausländischen Fahrerlaubnis im Zeitpunkt ihrer Verlängerung durch die ausländische Behörde seinen ordentlichen Wohnsitz im Inland, ist er nach § 29 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FeV nicht berechtigt, im Umfang seiner ausländischen Berechtigung im Inland Kraftfahrzeuge zu führen. Auf der Grundlage einer solchen Fahrerlaubnis kann er auch nicht die Erteilung einer deutschen Fahrerlaubnis unter den erleichterten Bedingungen des § 31 FeV verlangen. BVerwG, Urteil vom 22.09.2022, Az. 3 C 10/21

Fahrerlaubnisentziehung wegen Arzneimittelmissbrauchs (Medizinal-Cannabis)
Bei der Einnahme von Medizinal-Cannabis beurteilt sich die Fahreignung nach den Nummern 9.4 und 9.6 der Anlage 4 der FeV. Bei einer missbräuchlichen Einnahme (regelmäßig übermäßiger Gebrauch) von psychoaktiv wirkenden Arzneimitteln ist nach Nummer 9.4 der Anlage 4 der FeV die Fahreignung grundsätzlich ausgeschlossen. Ein „übermäßiger Gebrauch“ liegt nicht nur bei einer zu hohen Dosierung des Medikaments vor, sondern auch bei einer verordnungswidrigen Einnahme. Es genügt, wenn der übermäßige Gebrauch häufiger als nur sporadisch, also nicht nur ein- oder mehrmalig vorkommt.

Eine Entziehung der Fahrerlaubnis wegen Arzneimittelmissbrauchs nach Nr. 9.4 der Anlage 4 der FeV setzt voraus, dass die Fahrerlaubnisbehörde einen regelmäßig übermäßigen Gebrauch des psychoaktiv wirkenden Arzneimittels beweiskräftig belegen kann. Änderungen des Erkenntnisstands bzw. der Sachlage im Lauf des Widerspruchsverfahrens sind dabei zu beachten. Wird eine Fahrungeeignetheit festgestellt, so ist grundsätzlich von deren Fortbestand auszugehen, solange nicht vom Betroffenen der materielle Nachweis der Wiedererlangung der Fahreignung erbracht worden ist. Bei hinreichend belastbaren Anhaltspunkten für eine mögliche Wiedergewinnung der Fahreignung und der Bereitschaft des Betroffenen, sich einer erforderlichen Begutachtung zu unterziehen, kann die Fahrerlaubnisbehörde rechtlich verpflichtet sein, bereits in dem die Fahrerlaubnisentziehung betreffenden Widerspruchsverfahren erforderliche Aufklärungsmaßnahmen einzuleiten. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 25.10.2022, Az. 13 S 1641/22

Fahrerlaubnisentziehung − keine Tatbestands-wirkung des Fahrerlaubnisregisters
Eine Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG wegen Erreichens von acht oder mehr Punkten setzt tatbestandlich voraus, dass die Begehung entsprechender Verkehrsverstöße rechtskräftig geahndet wurde. Die Fahrerlaubnisbehörde trägt hierfür – ggf. unter Einbeziehung von Mitwirkungspflichten des Betroffenen – die materielle Beweislast. Den Eintragungen im Fahreignungsregister kommt keine Tatbestandswirkung in dem Sinne zu, dass Behörden und Gerichte an diese Eintragungen gebunden wären. Bei Zweifeln an der Richtigkeit der übermittelten Eintragungen dürfen sich die Fahrerlaubnisbehörden nicht allein auf die übermittelten Informationen verlassen, sondern müssen weitere Ermittlungen anstellen. Ob die von einem Betroffenen erhobenen Rügen Zweifel an der Richtigkeit der nach § 4 Abs. 8 StVG vom Kraftfahrt-Bundesamt übermittelten Eintragungen aufwerfen, beurteilt sich nach den konkreten Umständen des Einzelfalls. Dabei kann von einem Betroffenen grundsätzlich erwartet werden, dass er zu den behaupteten Fehlern so früh und so weitgehend wie möglich vorträgt. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 08.12.2022, Az. 13 S 2057/22

ZIVILRECHT

Dieselskandal: Schadenersatz auch bei Dienstwagen des Fahrzeugherstellers?
Beim Erwerb eines Fahrzeuges, das vor dem Verkauf ausschließlich als Dienstwagen des beklagten Fahrzeugherstellers genutzt und nicht zwischenzeitlich von einem Dritten erworben worden war, sind zur Beurteilung der Frage, ob die für § 852 Satz 1 BGB erforderliche Vermögensmehrung beim Beklagten eingetreten ist, die Grundsätze über den Neuwagenkauf heranzuziehen. Hat der Händler das Fahrzeug unabhängig von einer Bestellung des Geschädigten vor dem Weiterverkauf auf eigene Kosten und eigenes (Absatz-)Risiko erworben, fehlt es an dem für §§ 826, 852 Satz 1 BGB (sittenwidrige Schädigung) erforderlichen Zurechnungszusammenhang. OLG Karlsruhe, Urteil vom 08.11.2022, Az. 17 U 290/21

Fahrerlaubnisentziehung aufgrund Diabetes-Erkrankung
Bei medikamentöser Therapie eines Diabetes mellitus mit hohem Hypoglykämierisiko (z.B. Insulin) ist die Fahreignung nach den strengeren Anforderungen an das Führen von Kraftfahrzeugen der Gruppe 2 zu bejahen bei guter Stoffwechselführung ohne schwere Unterzuckerung über drei Monate und ungestörter Hypoglykämiewahrnehmung. Schwere Unterzuckerung (Hypoglykämie) bedeutet dabei nach den Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung die Notwendigkeit von Hilfe durch eine andere Person.

Vorliegend bietet das Gutachten keine tragfähige Grundlage, um die Fahreignung zu verneinen. Zur zuverlässigen Wahrnehmung von Hypoglykämien äußert die Gutachterin allein Zweifel, die auf keinem tragfähigen Fundament ruhen. Ein Eignungsausschluss aufgrund von Hyperglykämien lässt sich dem Gutachten ebenfalls nicht schlüssig entnehmen. Damit entfällt – abgesehen davon, dass diese Annahme in dem Gutachten nicht plausibel begründet ist und sich aus der Akte das Bild eines bedachten und verantwortungsvollen Umgangs mit der Krankheit ergibt – auch von vornherein die Grundlage für die Annahme unzureichender Compliance und Adhärenz. Dass die Komorbiditäten des Diabetes mellitus Typ 2 oder der Bluthochdruck die Fahreignung ausschließen, nimmt die Gutachterin nicht an. BayVGH, Beschluss vom 14.09.2022, Az. 11 CS 22.876

Betriebsuntersagung wegen Überkleben des EuroFelds am Fahrzeugkennzeichen
Ist das blaue Eurofeld eines Kennzeichenschildes an einem zulassungspflichtigen Kraftfahrzeug mit einer schwarzen Folie überklebt, verstößt es gegen § 10 Abs. 2 Satz 1 und 3, Abs. 12 Satz 1 FZV. Unerheblich ist, ob im Einzelfall der Sternenkranz sichtbar oder das Unterscheidungszeichen und die Erkennungsnummer ablesbar bleiben. Der Betrieb eines solchen nicht vorschriftmäßigen Fahrzeugs kann auf öffentlichen Straßen nach § 5 Abs. 1 FZV sofort vollziehbar untersagt werden. VG Düsseldorf, Beschluss vom 30.09.2022, Az. 6 L 1698/22

VERWALTUNGSRECHT: STRASSEN- UND WEGERECHT

Entfernung öffentlicher Kfz-Stellplätze vor Gewerbebetrieb
Ein Anlieger kann regelmäßig nicht beanspruchen, dass Parkmöglichkeiten auf öffentlichen Straßen und Plätzen unmittelbar an seinem Grundstück eingerichtet werden oder erhalten bleiben. Der gesteigerte Schutz des Anliegergebrauchs erstreckt sich nur auf einen notwendigen Zugang zum Grundstück durch eine Verbindung mit dem öffentlichen Straßennetz und nicht auf die Aufrechterhaltung einer bestehenden günstigen Zufahrtsmöglichkeit oder der Bequemlichkeit oder Leichtigkeit des Zuund Abgangs. Ein Anlieger kann regelmäßig nicht beanspruchen, dass Parkmöglichkeiten auf öffentlichen Straßen und Plätzen unmittelbar an seinem Grundstück eingerichtet werden oder erhalten bleiben. Wird jedoch die Erreichbarkeit seines Grundstücks im Kern wesentlich erschwert oder unmöglich gemacht und ist der Anlieger dadurch gravierend betroffen, kann ihm das Rechtsinstitut des Anliegergebrauchs ein Abwehrrecht vermitteln. OVG des Saarlandes, Beschluss vom 21.09.2022, Az. 1 B 200/22

VERSICHERUNGSRECHT

Kfz-Kaskoversicherung: Neupreisentschädigung bei Totalschaden 
Verspricht der Kaskoversicherer, im Schadensfall den Neupreis zu zahlen, wenn innerhalb von 3 Jahren nach Erstzulassung des Fahrzeugs ein Totalschaden (oder der Verlust des Fahrzeugs) eintritt, und ist der Begriff des Totalschadens in den Bedingungen wirksam definiert, so hat es damit sein Bewenden. Über die Frage, ob ein bedingungsgemäßer Totalschaden vorliegt, entscheidet allein die Auslegung der vereinbarten Versicherungsbedingungen. Insoweit gelten die allgemeinen Maßstäbe des Versicherungsvertragsrechts. Ein Anspruch auf Neupreisentschädigung besteht dann nicht, wenn die erforderlichen Reparaturkosten den Wiederbeschaffungswert nicht übersteigen. OLG Hamm, Beschluss vom 24.06.2021, Az. I-20 U 96/21