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Um bei der Vielfalt der Angebote an neuen Entwicklungen nicht gänzlich auf der Strecke zu bleiben, ist man gezwungen, zu sieben und dabei darauf zu achten, das für den jeweiligen Zweck geeignete Mittel ausgewählt zu haben. Das zieht sich praktisch bis in alle Lebensbereiche hinein. Ob man dabei Computer- und Softwareentwicklungen im Auge hat, medizinische Fragestellungen oder einfach Fortschritte in der Automobiltechnik, überall tun sich Fässer ohne Boden auf, in denen man denselben förmlich unter den Füßen verliert.

Es beschleicht einen zudem das Gefühl, dass man mit diesem Problempaket nicht allein dasteht. Schlimmer noch, sogar diejenigen, die jedenfalls einigermaßen den Überblick behalten sollten (allen voran natürlich die entscheidenden Politiker) scheinen selbst den „Fahrstuhl zur Erkenntnis“ fluchtartig verlassen zu haben. Die Sache mit dem Fahrstuhl ist dabei gar nicht so weit hergeholt, basiert doch die Grundidee von Albert Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie auf einem simplen Fahrstuhl-Gedankenexperiment. Es besagt ganz einfach, dass ein Mensch in einem fensterlosen Fahrstuhl nicht unterscheiden kann, ob der Fahrstuhl auf der Erde steht (und man aufgrund der Gravitation am Boden „klebt“) oder ob man in der Schwerelosigkeit beschleunigt wird. Daraus folgerte er die Äquivalenz von schwerer und träger Masse und schließlich die Krümmung der Raumzeit. Passt doch irgendwie zusammen, hatte man doch schon immer das Gefühl, dass da aufgrund von Trägheit aufgrund der Schwere der Entscheidung am Ende irgendwelche krummen Sachen dabei herauskommen ...

Eine gängige Methode ist allerdings fast überall die der Filterung, von was auch immer, das an uns zu gelangen versucht. Ursprünglich diente ein Filter dazu, feste Stoffe und Flüssigkeiten zu trennen. Der Filterkaffee lässt grüßen! Bei den Römern war „filtrum“ einfach ein „Durchseihgerät“, das bei den Germanen („filta“) in den ersten Seihgeräten schlicht aus Filz bestand. Allerdings ist „Filz“ mittlerweile mehr durch den gegenteiligen Effekt präsent, nämlich das Vermischen von Interessen im politischen Sektor. Aber auch die Polizei filzt Verdächtige, und der Künstler Joseph Beuys verhalf dem Filz immerhin zu einem kulturellen Wert. In seiner eigenen Darstellung fand er die Liebe zu Filz, als ihn die Tataren im zweiten Weltkrieg nach einem Flugzeugabsturz auf der Krim mit Fett einrieben, in Filz einwickelten und ihn mit Honig speisten. Dadurch soll ihm in der Tat das Leben gerettet worden sein. Bei späteren Recherchen konnte man allerdings keinerlei Hinweise auf die Stichhaltigkeit seiner Geschichte finden. Sie ist daher eher selbst als eine Art Verfilzung der Realität anzusehen.

So richtig gefiltert wird bei uns eigentlich erst in Bezug auf Luftschadstoffe, ob aus Schornsteinen, Auspuffrohren, oder ja, Corona-Viren. Die wahrscheinlich größte Maskenveranstaltung weltweit hat den Menschen auf groteske Weise die Gefahr des Unsichtbaren unmittelbar vor Augen geführt. Sogar bei den Smog-Krisen in London (1952) und im Ruhrgebiet (1962) war die stickige Bedrohung mehr als sichtbar. Aber eben das nicht Wahrnehmbare, nicht Greifbare erzeugt bei den Menschen mit die größten Ängste. Was aber das Filtern angeht, so ist die Rechnung am Ende ganz einfach: Je mehr Dreck erzeugt wird, desto mehr muss gefiltert werden. Beispiel: Mikroplastik (Teilchen mit Durchmesser kleiner als fünf Millimeter) als schwimmender Abfall in unseren Ozeanen, der mühevoll wieder herausgesiebt werden muss. In der Physik hat man den abstrakten Begriff der „Entropie“ eingeführt, deren steigender Wert den Grad beispielsweise von Vermischungen angibt.

Jenseits der materiellen Welt sind wir heutzutage mehr damit beschäftigt, uns im digitalen Bereich der Informationsüberflutung zu erwehren. Da werden eifrig Spam-Filter gesetzt, um nicht ungeschützt den tsunamiartigen Angriffen von weitgehend unseriösem Werbenonsens ausgesetzt zu sein. Wichtiger aber noch ist der Schutz der gesamten Computersysteme vor feindlichen Attacken mit handfestem Hintergrund. Wie gerade bei Continental gesehen, reichen kleinste Löcher in der Abwehr gegenüber Cyberkriminellen, um Datendiebstahl oder schlicht die Unzugänglichkeit eigener Daten durch Verschlüsselung zu ermöglichen. Übrigens ist meine Universität Duisburg-Essen vor Kurzem ebenfalls von einem massiven Hackerangriff betroffen gewesen. Danach geht erst mal gar nichts mehr. Mühsam wird zusammengekratzt, was datentechnisch noch irgendwie reproduzierbar ist. Selbst sicher geglaubte Back-ups sind schnell mal betroffen. Da heute Telefonie weitgehend auch über das Internet abgewickelt wird, ist dann selbst da Stille. Über Schuldige spricht man bei so was recht ungern, obwohl die Schäden in die Millionen gehen.

Aus der „Geschichte“ der Fotografie weiß man ja noch, dass man mit optischen Filtern eine ganze Reihe von Effekten bewirken kann. Diese beziehen sich aber eigentlich nur auf die spektrale Zusammensetzung des aufgenommenen Lichts. Mit Objektiven wie dem Fischauge oder einem Zoom kann man natürlich eine Menge anderer Effekte erzielen. Mittlerweile ist das alles auch digital verfügbar und mit wenig finanziellem Aufwand mit Apps und Software realisierbar. Beispielsweise liefert der häufig benutzte „Tilt-Shift“-Effekt Pseudo-Miniaturbilder, die aussehen, als ob eine reale Umgebung mit Lego nachgebaut worden wäre.

Ein besonders sensibler Bereich des Einsatzes von Filtern ist der bei der eigenen Körperwahrnehmung. In der Welt der wo auch immer verbreiteten Selbstdarstellungen gibt (fast) keine(r) freiwillig das wahre Aussehen preis, sondern eher die mit Filtern bearbeitete Turbo-Version. Bei Instagram wird man also auf eine Menschheit mit einer Beschaffenheit treffen, die es so gar nicht gibt und auch nie geben wird. So werden die Tinder-Dates oft zu optischen Offenbarungen, die eher einem Waterloo denn einem Whitewash, einem kompletten Sieg, gleichen. Da verläuft dann auch die offenherzigste Charmeoffensive mit dem Kopf im Sande.

In der Wissenschaft gibt es aber noch einen Filter ganz anderer Größenordnung. Bei dem „großen Filter“ geht es um nicht mehr und nicht weniger als die Zukunft der gesamten Menschheit. In dieser Zwischenwelt, die zwar von wissenschaftlichen Fakten, aber eben auch von einer Menge Spekulation gespeist wird, bleibt ein immenser Spielraum für Fantasien. Das für sich genommen wäre eigentlich nicht so beunruhigend, würden die Folgerungen daraus für uns selbst nicht fatale Konsequenzen nach sich ziehen.

Dabei fing das alles eigentlich ganz harmlos an. Im Jahre 1950 stellte der berühmte italienische Physiker Enrico Fermi seinen Kollegen auf dem Weg zum Mittagessen in Las Alamos (New Mexico), der seinerzeitigen Schmiede von Atom- und Wasserstoffbomben, die eher unbedeutende Frage: „Where is everybody?“ (Wo sind alle?). Doch diese schlichte Frage schaffte es in den Olymp der ungelösten wissenschaftlichen Probleme. In dem heute als Fermi-Paradoxon bekannten Gedankengang geht es um die Frage, warum wir bis heute auch nicht im Entferntesten Kontakt zu irgendeiner extraterrestrischen (intelligenten) Lebensform bekommen haben. Fermi ging davon AUTOR aus, dass es aufgrund des Alters (13,6 Milliarden Jahre) und der riesigen Anzahl an Sternen (100 bis über 400 Milliarden) unserer Milchstraße genügend technisch hochentwickelte Zivilisationen geben müsste, die sich über Millionen Jahre erhalten haben können und zudem über die Fähig- und Möglichkeiten interstellarer Reisen verfügen. Dies nämlich wäre für eine Kontaktaufnahme schon nötig, denn der Durchmesser unserer Galaxie wird auf knapp 200.000 Lichtjahre geschätzt. Und realistische (?) Fluggeschwindigkeiten liegen deutlich unter der des Lichts.

Bleibt die Frage wortwörtlich im Raume: Ja wo sind sie denn? Um der Diskussion etwas mehr berechenbaren Hintergrund zu geben, präsentierte der Astrophysiker Frank Drake 1961 bei einer Konferenz in Green Bank (USA) eine einfache Formel („Drake-Gleichung“ oder „Green-Bank-Formel“), bestehend aus sieben Faktoren, zur Berechnung der Anzahl unserer gebildeten galaktischen Nachbarn. Die sieben Faktoren haben fast alle einen wesentlichen Fehler: Sie sind schlicht nicht bekannt. Im Wesentlichen handelt es sich um Spezifikationen von Planeten, die intelligentes Leben hervorgebracht haben könnten. Übrigens wurde die Drake-Gleichung 2012 von der „Wer-wird-Millionär?“-Redaktion als so schwierig eingestuft, dass man sie zu einer Eine-Million-Frage gemacht hat, bei der der Kandidat am Ende aber passen musste.

Der letzte der sieben Faktoren hat es besonders in sich: die Lebensdauer einer intelligenten Kultur. Und genau da scheiden sich die Geister. Wir gehören ja eigentlich auch noch nicht in die Gruppe der ernsthaft interstellaren Kommunikatoren. Außer ein paar Signalen, beispielsweise der Arecibo-Botschaft vom Arecibo-Observatorium in Puerto Rico aus dem Jahre 1974 mit spezieller Anordnung binär codierter Informationen (simple Quadrate, nach Ideen von Drake) oder goldbeschichteten Infoplatten an Sonden haben wir da nicht viel Erfolg versprechendes unternommen. Zurückgekommen ist bisher sowieso nichts, obwohl die Grenzen unseres Sonnensystems schon länger überwunden wurden. Eine ganze Gemeinde der Suchenden mit dem Namen SETI (Search for Extraterrestrial Intelligence) widmet sich seit vielen Jahren erfolglos der Suche nach Botschaften aus dem All. Also warten wir einfach weiter ...

Und da gibt es viele verschiedene Spielarten der Erklärung des Scheiterns. Zahlreiche Diskussionen ranken sich um diese oder ähnliche Formeln, die bei strenger Auslegung zu dem Schluss kommen, dass es außer uns eben keine anderen gibt: Unsere Erde ist irgendwie einzigartig. Ist man nicht so streng, dann könnte man folgern, die anderen wollen eigentlich gar nicht kommunizieren und sind auf ihrem Heimplaneten komplett zufrieden. Oder sie haben sich die Erde mal angeschaut, um für ihre Zivilisation neuen Lebensraum zu erschließen (wie in dem lesenswerten Buch von Walter Tevis: Der Mann, der vom Himmel fiel), sie dann aber für nicht besiedelungswürdig befunden.

Eine neue Forschungsarbeit der NASA präsentiert aber noch eine ganz andere Sichtweise, die wahrlich zu denken gibt. Denn der eigentliche Grund für die fehlende Kommunikation liegt nicht darin, dass es keine anderen Zivilisationen gibt oder gegeben hat, sondern dass diese sich vor einer möglichen Kontaktaufnahme anscheinend selbst zerstört haben. Dabei spielt eine Art Programmierfehler bei der Intelligenz, wie wir sie kennen, eine entscheidende Rolle, um am Ende selbstzerstörerisch zu handeln. Die Intelligenz ermöglicht zwar komplexes Handeln, allerdings erfasst sie nicht die Folgen in Form der Zerstörung der eigenen Lebensgrundlagen. Diese Schwelle zu überwinden, ist der „große Filter“, der insbesondere vor uns liegt. So in 250 Jahren (oder früher) könnte es so weit sein. Angriffspunkte gibt es ja genug: (atomare) Kriege, Pandemien, Klimawandel, Asteroideneinschläge oder auch künstliche Intelligenz, die sich selbstständig macht.

Die Botschaft ist, dass jetzt schon geeignete Gegenmaßnahmen ergriffen werden sollten, um das Risiko des großen Filters zu mindern. So wirft uns die Suche nach anderem Leben auf uns selbst zurück. Und die Frage steht im Raume (!), ob eine Besiedlung des Mars uns irgendetwas bringen könnte, denn Milliarden Menschen werden da nicht hinübersiedeln. Andererseits, wenn der Thwaites-Gletscher in der Antarktis auseinanderbricht, wird sich unser gesamter Lebensraum drastisch ändern, und das vielleicht schon bald.

Das Wort des Jahres „Zeitenwende“ ist zwar eine schöne Wahl, aber eben auch nur ein Wort, das aus vielen Vorschlägen herausgefiltert wurde. Daher sollte man vielleicht auch bei den Filtern filtern und damit beliebige Ergebnisse heraussieben. Beim Spam-Filter kann man schön sehen, was alles schief gehen kann. Wollen wir nur hoffen, dass der große Filter nicht ähnliche Schwächen hat.

 

AUTOR

PROFESSOR DR. MICHAEL SCHRECKENBERG, geboren 1956 in Düsseldorf, studierte Theoretische Physik an der Universität zu Köln, an der er 1985 in Statistischer Physik promovierte. 1994 wechselte er zur Universität Duisburg-Essen, wo er 1997 die erste deutsche Professur für Physik von Transport und Verkehr erhielt. Seit mehr als 20 Jahren arbeitet er an der Modellierung, Simulation und Optimierung von Transportsystemen in großen Netzwerken, besonders im Straßenverkehr, und dem Einfluss von menschlichem Verhalten darauf. 

Seine aktuellen Aktivitäten umfassen Onlineverkehrsprognosen für das Autobahnnetzwerk von Nordrhein-Westfalen, die Reaktion von Autofahrern auf Verkehrsinformationen und die Analyse von Menschenmengen bei Evakuierungen.