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Umsatzsteuer bei Dienstwagen: Fahrzeugüberlassung an Arbeitnehmer zu privaten Zwecken als tauschähnlicher Umsatz
In einer ersten Entscheidung hat sich der Bundesfinanzhof (kurz: BFH; Urteil vom 30.06.2022, Az. V R 25/21) zur Umsatzsteuerbarkeit der Dienstwagenüberlassung mit Privatnutzung geäußert. Der für einen steuerbaren Umsatz erforderliche unmittelbare Zusammenhang zwischen der Fahrzeugüberlassung an einen Arbeitnehmer des Steuerpflichtigen zu privaten Zwecken und der (teilweisen) Arbeitsleistung liege jedenfalls dann vor, wenn die Fahrzeugüberlassung individuell arbeitsvertraglich vereinbart sei und tatsächlich in Anspruch genommen werde. Ein Entgelt kann sich auch aus einer Sachleistung ergeben.

Ob und unter welchen Umständen eine (teilweise) Arbeitsleistung als Entgelt im Sinne des Art. 2 Abs. 1 Buchstabe c der Richtlinie 2006/112/ EG (MwStSystRL) für die vereinbarte Fahrzeugüberlassung an den Arbeitnehmer eines Steuerpflichtigen zu privaten Zwecken anzusehen ist, bestimmt sich danach, ob ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen den Dienstleistungen besteht und ob der Wert der Dienstleistung in Geld ausgedrückt werden kann. Auch dann, wenn nur die Arbeitsleistung als Entgelt für die Fahrzeugüberlassung infrage kommt, kann ein tauschähnlicher Umsatz zu bejahen sein. Aus der Unerheblichkeit der einkommensteuerrechtlichen Beurteilung geldwerter Vorteile ergibt sich nichts für die Frage, ob aufgrund eines umsatzsteuerrechtlich zu würdigenden unmittelbaren Zusammenhangs eine Sachleistung des Empfängers als Entgelt für eine an diesen erbrachte Leistung anzusehen ist. Hier hat der BFH die Steuerbarkeit der Fahrzeugüberlassung bejaht.

Kein Werbungskostenabzug für Familienheimfahrten bei Zuzahlung zur Nutzungsüberlassung eines Dienstwagens
In einer weiteren Entscheidung hat sich der 6. Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) im August 2022 mit den Auswirkungen von Zuzahlungen des Mitarbeiters zur Nutzungsüberlassung eines Dienstwagens mit Privatnutzung auf den Werbungskostenabzug für Familienheimfahrten befasst. Mit Urteil vom 04. August 2022, Az. VI R 35/20, entschied der BGH, dass ein Werbungskostenabzug für Familienheimfahrten im Rahmen einer doppelten Haushaltsführung nach dem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes ausscheidet, wenn der Arbeitnehmer dafür ein ihm von seinem Arbeitgeber auch zur außerdienstlichen Nutzung überlassenes Kfz nutzt und er hierfür ein Nutzungsentgelt leisten muss oder individuelle Kfz-Kosten zu tragen hat.

In der Sache ging es um die Frage, ob Zuzahlungen des Arbeitnehmers für die Nutzungsüberlassung eines auch privat nutzbaren Dienstwagens zumindest insofern als Werbungskosten berücksichtigungsfähig sind, wenn sie im Rahmen einer doppelten Haushaltsführung auf Familienheimfahrten entfallen.

Versteuerung von Familienheimfahrten bei doppelter Haushaltsführung
Der geldwerte Vorteil für die Möglichkeit der Privatnutzung des Dienstwagens wird meist nach der – auch gesetzlich vorrangigen – Ein-Prozent-Methode im Wege der Pauschalversteuerung ermittelt (§ 8 Abs. 2 Satz 2 i. V. m. § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG). Eine doppelte Haushaltsführung liegt nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 2 EStG für Arbeitnehmer vor, die beruflich außerhalb des Ortes, an dem sie einen eigenen Hausstand unterhalten, beschäftigt sind und am Beschäftigungsort wohnen. Im Rahmen der Pauschalversteuerung wird bei einer wöchentlichen Familienheimfahrt des Arbeitnehmers mit dem Dienstwagen auf die steuerliche Erfassung eines geldwerten Vorteils verzichtet. Im Gegenzug kann der Arbeitnehmer für diese Fahrten dann aber keinen Werbungskostenabzug vornehmen. Erfolgen Heimfahrten mehr als nur einmal in der Woche, ist der geldwerte Vorteil aber zu versteuern. Insoweit erfolgt dann im Rahmen der Pauschalversteuerung ein Zuschlag von 0,002 Prozent des Bruttolistenneupreises für jeden Entfernungskilometer; zugleich ist in diesen Fällen dann aber wieder ein Werbungskostenabzug für den Arbeitnehmer möglich.

Zuzahlungen des Dienstwagennutzers auf die private Nutzung des arbeitgeberseitig gestellten Fahrzeugs werden dabei gleichwohl steuerlich berücksichtigt. Auch im Rahmen der Pauschalversteuerung ist der geldwerte Vorteil für die Fahrzeugüberlassung für Privatfahrten und (dem privaten Lebensbereich zuzuordnende) Wegefahrten um die vom Fahrzeugnutzer geleisteten Zuzahlungen schon auf der Einnahmeseite zu mindern. Denn der lohnsteuerbare geldwerte Vorteil des Arbeitnehmers aus der Privatnutzung des Dienstwagens besteht lediglich in der Differenz zwischen dem Wert der Nutzungsüberlassung und den vom Fahrzeugnutzer selbst getragenen Aufwendungen.

Der vom BFH entschiedene Fall
In dem vom BFH entschiedenen Fall ging es darum, dass ein angestellter Mitarbeiter an seinem Beschäftigungsort einen zweiten Haushalt unterhielt. Der Arbeitgeber hatte ihm einen Dienstwagen auch für private Fahrten zur Verfügung gestellt. Das Arbeitgeberfahrzeug durfte vom Mitarbeiter außerdienstlich für private Fahrten, für Wegefahrten zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte sowie für Familienheimfahrten genutzt werden. Im Rahmen der Pauschalversteuerung hatte der Arbeitnehmer den geldwerten Vorteil mit pauschal 0,5 Prozent (halbierte Bemessungsgrundlage) der unverbindlichen Kaufpreisempfehlung sowie kilometerabhängige Zuzahlungen zu tragen. Für die Nutzung des Dienstwagens wurde dem Mitarbeiter vom Arbeitgeber eine Tankkarte zur Verfügung gestellt. Für den Einsatz der dienstlichen Tankkarte für private Fahrten musste der Mitarbeiter rund 0,10 Euro pro gefahrenen Kilometer zuzahlen. Der Arbeitgeber brachte die Zuzahlung zu den Tankkosten für Privatfahrten auf Grundlage einer hochgerechneten Gesamtfahrleistung von monatlich 3.750 Kilometern mit 375 Euro vom im Rahmen nach der Pauschalversteuerung ermittelten geldwerten Vorteil in Abzug. Im weiteren gab es zu einem späteren Zeitpunkt eine Kilometerabrechnung der tatsächlich im Vorjahr privat gefahrenen Kilometer und eine entsprechende Nachzahlung für die private Nutzung der Tankkarte. Auch dieser Betrag wurde bei der Berechnung des zu versteuernden geldwerten Vorteils mindernd in Abzug gebracht. Dabei wurden aus abrechnungstechnischen Gründen Überhänge bei den Zuzahlungen in den einzelnen Monaten nicht auf Folgemonate übertragen.

Im Rahmen der Einkommensteuererklärung machte der Dienstwagennutzer dann aufgrund der doppelten Haushaltsführung Aufwendungen für Familienheimfahrten in Höhe der geleisteten Zuzahlungen als Werbungskosten geltend. Das zuständige Finanzamt erkannte diese Aufwendungen jedoch nicht an und wies den Einspruch gegen den Steuerbescheid zurück. Das Finanzgericht Hannover (Urteil vom 08.07.2020, Az. 9 K 78/19) gab der Klage gegen den Steuerbescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung nur teilweise statt. Zur Begründung führte es aus, dass der Arbeitslohn um die Zuzahlungsüberhänge zu mindern sei, die bislang nicht vorteilsmindernd berücksichtigt worden waren; im Übrigen wies es die Klage ab. Hiergegen legte der Dienstwagennutzer Revision zum Bundesfinanzhof ein, die im Ergebnis jedoch als unbegründet zurückgewiesen wurde.

Die Entscheidung des BFH
Der BFH führte aus, dass das Finanzgericht den geltend gemachten Werbungskostenabzug für die Familienheimfahrten des Dienstwagennutzers zu Recht verneint habe.

Werbungskosten im Sinne von § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 1 EStG sind notwendige Mehraufwendungen, die einem Arbeitnehmer wegen einer beruflich veranlassten doppelten Haushaltsführung entstehen. In diesem Zusammenhang können Aufwendungen für die Wege vom Ort der ersten Tätigkeitsstätte zum Ort des eigenen Hausstandes und zurück (Familienheimfahrt) jeweils nur für eine Familienheimfahrt wöchentlich abgezogen werden. Zur Abgeltung ist eine Entfernungspauschale von 0,30 Euro für jeden vollen Kilometer der Entfernung zwischen dem Ort des eigenen Hausstandes und dem Ort der ersten Tätigkeitsstätte anzusetzen. Jedoch werden Aufwendungen für Familienheimfahrten mit einem Dienstwagen – also einem dem Steuerpflichtigen im Rahmen einer Einkunftsart überlassenen Kfz – gemäß § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 8 EStG nicht berücksichtigt. Der Gesetzgeber verzichtet gemäß § 8 Abs. 2 Satz 5 Halbsatz 2 EStG auf den Ansatz eines geldwerten Vorteils in Gestalt eines Zuschlags für eine wöchentliche Familienheimfahrt in Höhe von 0,002 Prozent des Listenpreises zur Ein-Prozent-Regelung. Dies korrespondiert mit dem in § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 8 EStG normierten Ausschluss des Werbungskostenabzugs im Fall der Dienstwagenüberlassung. Der Verzicht auf den Ansatz eines geldwerten Vorteils und der Ausschluss des Werbungskostenabzugs gelten insoweit nicht nur im Fall einer unentgeltlichen Dienstwagenüberlassung, sondern auch bei einer – durch Zuzahlungen des Fahrzeugnutzers – teilweisen entgeltlichen Dienstwagenüberlassung.

In den Entscheidungsgründen wies der BFH deshalb konsequent darauf hin, dass § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 8 EStG den Ausschluss des Werbungskostenabzugs pauschal für jedwede Überlassung eines Kfz im Rahmen einer Einkunftsart anordnet. Ob der Arbeitnehmer für die Nutzung des ihm von seinem Arbeitgeber (auch) für die (wöchentlichen) Familienheimfahrten im Rahmen einer Einkunftsart überlassenen Kfz ein Entgelt entrichten muss, ist insoweit ohne Bedeutung. Die Vorschrift begrenzt allgemein den Werbungskostenabzug, soweit der Steuerpflichtige für seine Familienheimfahrten ein vom Arbeitgeber überlassenes Kraftfahrzeug nutzt und bei ihm dafür gemäß § 8 Abs. 2 Satz 5 Halbsatz 2 EStG kein geldwerter Vorteil und somit auch keine Einnahmen anzusetzen sind. Dies gelte auch dann, wenn die Eigenleistungen des Arbeitnehmers – wie hier – den Nutzungsvorteil übersteigen. Insoweit liege aber kein „negativer“ Arbeitslohn vor.

Folgen der Entscheidung für die Überlassungspraxis im Fuhrpark
Unter dem Strich entsteht dem Dienstwagennutzer kein Nachteil dadurch, dass ein weitergehender Werbungskostenabzug für die Fahrten im Rahmen der doppelten Haushaltsführung ausscheidet. Denn grundsätzlich werden im Rahmen der Pauschalversteuerung nach der Ein-Prozent-Methode die vom Dienstwagennutzer selbst gezahlten pauschalen Nutzungsentgelte sowie die individuellen Zuzahlungen zu den Tankkosten auf der Einnahmeseite vorteilsmindernd berücksichtigt. Der geldwerte Vorteil in Form der Privatnutzung des Dienstwagens wurde im Streitfall bereits auf null Euro gemindert. Praktisch bedeutet dies, dass die geleisteten Zuzahlungen sich de facto eben auch auf die durchgeführten Familienheimfahrten auswirkten, weil die dienstlich gestellte Tankkarte auch bei den Familienheimfahrten eingesetzt werden konnte. Dementsprechend ist es nur konsequent, dass die Zuzahlungen zu den Tankkosten nicht erneut – schon gar nicht doppelt – als Werbungskosten im Zusammenhang mit den Familienheimfahrten von den Einkünften aus nicht selbstständiger Arbeit abgezogen werden konnten.

Rechtsanwalt Lutz D. Fischer, St. Augustin 
Kontakt: kanzlei@fischer.legal 
Internet: www.fischer.legal

 

AUTOR

RECHTSANWALT LUTZ D. FISCHER ist Mitglied der ARGE Verkehrsrecht im Deutschen Anwaltverein. Ein besonderer Kompetenzbereich liegt im Bereich des Dienstwagenund Verkehrsrechts. Als Autor hat er zahlreiche Publikationen zum Dienstwagenrecht veröffentlicht, unter anderem in der Fachzeitschrift „Flottenmanagement“ sowie im Ratgeber „Dienstwagen- und Mobilitätsmanagement 2018–2020“ (Kapitel Datenschutz). Als Referent hält er bundesweit offene Seminare und Inhouse-Veranstaltungen zur Dienstwagenüberlassung mit thematischen Bezügen zu Arbeitsrecht, Entgeltabrechnung, Schadenregulierung und -management, Datenschutz sowie Elektromobilität.

 

RECHTSPRECHUNG

VERWALTUNGSRECHT: ELEKTROMOBILITÄT

E-Ladesäulen am öffentlichen Straßenrand sind von Straßenanliegern zu dulden
Die mit dem bestimmungsgemäßen Gebrauch einer (am öffentlichen Straßenrand errichteten) E-Ladesäule typischerweise entstehenden Beeinträchtigungen sind grundsätzlich von den Straßenanliegern als zumutbare sozialadäquate, aus dem straßenrechtlichen Gemeingebrauch fließende Belastungen zu dulden.

Die zeitliche Beschränkung von 8 bis 18 Uhr bezieht sich nur auf die angeordnete Parkbevorrechtigung für Elektrofahrzeuge. Daher ist auch außerhalb dieses Zeitraums, namentlich nachts, die Nutzung der Ladesäule möglich, solange kein anderes NichtElektrofahrzeug dort parkt. Die bei bestimmungsgemäßem Gebrauch der Ladesäule typischerweise entstehenden Beeinträchtigungen durch An- und Abfahrten, Zuschlagen von Türen und Kofferraum beziehungsweise Ein- und Aussteigen sowie Stimmen von Fahrgästen und Ähnliches sind von den Straßenanliegern als zumutbare sozialadäquate, aus dem Gemeingebrauch fließende Belastungen, gegebenenfalls auch in der Nachtzeit, hinzunehmen. Dass die Rechtsordnung diese Belastungen als grundsätzlich zumutbar wertet, ergibt sich auch aus der Straßenverkehrsordnung, die das Parken an öffentlichen Straßen überall, das heißt auch in reinen Wohngebieten, als Gemeingebrauch erlaubt. Dies gilt explizit auch für elektrisch betriebene Fahrzeuge, wie der Umkehrschluss aus § 13 Abs. 5 Satz 3 StVO i. V. m. § 12 Abs. 3a StVO ergibt, der nur für die dort genannten Fälle das Parken in reinen Wohngebieten ausschließt. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 11.10.2022, Az. OVG 1 S 28/22

ARBEITSRECHT

Fristlose Kündigung wegen ausgestrecktem Mittelfinger
Die fotografisch festgehaltene Geste eines Flugzeugkapitäns, der am Ende des letzten regulären Flugeinsatzes an der von seinem Arbeitgeber geschlossenen Station nach Landung und Räumung des Flugzeugs mit seiner Crew gemeinsam den ausgestreckten Mittelfinger in Richtung Kamera hält, kann einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung begründen, wenn diese Geste nachweislich gegen den Arbeitgeber gerichtet und damit beleidigend gemeint ist. Ist die Geste hingegen unwiderlegt als ein symbolisches Ausstrecken des Mittelfingers in Richtung „Corona“ als dem Grund für die Schließung der Flugzeugbasis und damit den Verlust der Arbeitsplätze gemeint, begründet das damit lediglich noch vorliegende unangemessene Verhalten keine außerordentliche Kündigung. Das gilt erst recht dann, wenn sich in der Firmenzentrale bekanntermaßen ein großes Wandbild mit einer beide Mittelfinger ausstreckenden Seniorin als Kunstobjekt befindet und mithin der Arbeitgeber selbst gegenüber derlei Gesten ein entspanntes Verhältnis pflegt. Die Verletzung der Maskenpflicht bei einer solchen, spontanen und kurzzeitigen sowie nicht generell gegen COVID-Hygienevorschriften gerichteten Aktion rechtfertigt ohne vorangegangene einschlägige Abmahnung keinerlei Kündigung. LArbG Düsseldorf, Urteil vom 05.04.2022, Az. 3 Sa 364/21

VERWALTUNGSRECHT/ FAHRTENBUCHAUFLAGE

Fahrtenbuchanordnung: Falschangaben des Halters zum Fahrer
Macht der Fahrzeughalter nach einem mit seinem Fahrzeug begangenen Verkehrsverstoß unrichtige Angaben zum Fahrer, dann wirkt er nicht hinreichend an der Feststellung des Fahrers mit.

Die Ermittlungen der Bußgeldstelle sowie der Polizei haben nach Aktenlage ergeben, dass der vom Halter benannte Fahrer nicht existiert. Bei dem vom Halter benannten Fahrer handelt es sich nach den Ermittlungen der Behörden um eine Tarnpersonalie; auch bei der vom Halter angegebenen Anschrift handelt es sich um eine Tarnanschrift. Es liegt auf der Hand und bedarf keiner eingehenden Erörterung, dass ein Fahrzeughalter seinen Mitwirkungspflichten bei der Fahrerermittlung nach einem begangenen Verkehrsverstoß nicht genügt, wenn er falsche Angaben tätigt oder gar eine Person als Fahrer angibt, die nicht existent ist. Aus diesem Grund bestand kein Anlass der Behörde, weitere Ermittlungsmaßnahmen zur Fahrerfeststellung zu veranlassen. VG Lüneburg, Urteil vom 17.10.2022, Az. 1 A 139/21

Fahrtenbuchauflage: Mitwirkung des Halters bei Fahrerermittlung
Die Feststellung des Fahrzeugführers ist auch dann „nicht möglich“ im Sinne des § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO, wenn die Ermittlungen zwar auf einen bestimmten Täter hindeuten, die Bußgeldbehörde jedoch bei objektiver Würdigung der Umstände des Einzelfalls keine ausreichende Überzeugung von der Täterschaft des Verdächtigen gewinnen konnte. Mit Blick auf die vom Fahrzeughalter zu fordernde Mitwirkung bei der Ermittlung des verantwortlichen Fahrers kommt dem Einwand, die schlechte Qualität des Messfotos mache es ihm unmöglich, die Person des Fahrers zu identifizieren, regelmäßig keine rechtliche Relevanz zu. OVG des Saarlandes, Beschluss vom 24.08.2022, Az. 1 B 67/22

Fahrtenbuchauflage: Feststellung des Halters
Wer im Sinne des Straßenverkehrsrechts Halter eines Fahrzeugs und richtiger Adressat einer Fahrtenbuchauflage ist, beurteilt sich nach einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise. Bei Fehlen gegenteiliger Anhaltspunkte kann die Bußgeldbehörde grundsätzlich davon ausgehen, dass die im Fahrzeugregister als Zulassungsinhaber eingetragene Person auch tatsächlich der Halter ist, und sich zum Zwecke einer Anhörung des Halters im Rahmen eines verkehrsrechtlichen Ordnungswidrigkeitenverfahrens auf die Anhörung dieser Person beschränken. OVG Münster, Beschluss vom 08.08.2022, Az. 8 B 691/22

Fahrtenbuchauflage – Verkehrsordnungswidrigkeit beim Überholen
Die Behörde, die die Auferlegung eines Fahrtenbuchs prüft, muss – ebenso wie das Verwaltungsgericht – selbstständig prüfen, ob ein Verkehrsverstoß im Sinne von § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO in tatsächlicher Hinsicht feststeht. Dabei genügt aber – anders als im Strafprozess –, dass sich die Überzeugung mit hinreichender Sicherheit ergibt. Bestreitet der Halter eines Fahrzeugs, der ein Fahrtenbuch führen soll, den begangenen Verkehrsverstoß als solchen, so muss er nach Einstellung des Ordnungswidrigkeitenverfahrens im Verwaltungsoder verwaltungsgerichtlichen Verfahren substantiierte Angaben machen, die seine Schilderung plausibel erscheinen lassen.

Nach § 5 Abs. 2 StVO darf nur überholen, wer übersehen kann, dass während des ganzen Überholvorgangs jede Behinderung des Gegenverkehrs ausgeschlossen ist. Überblicken kann der Fahrer des überholenden Fahrzeugs die gesamte Überholstrecke nur dann, wenn er den Abschnitt der Gegenfahrbahn einsehen kann, der zumindest so lang ist wie die für den Überholvorgang benötigte Strecke einschließlich der Strecke, die für das Wiedereingliedern mit ausreichendem Abstand benötigt wird, zuzüglich des Weges, den ein entgegenkommendes, mit zulässiger Höchstgeschwindigkeit fahrendes Fahrzeug während des Überholens zurücklegt. OVG Münster, Beschluss vom 03.06.2022, Az. 8 B 433/22

STRAFRECHT/BUSSGELD/ ORDNUNGSWIDRIGKEITEN

Keine Überlegungsfrist vor Bildung einer Rettungsgasse
Die Rettungsgasse ist zu bilden „sobald Fahrzeuge ... mit Schrittgeschwindigkeit fahren oder sich die Fahrzeuge im Stillstand befinden“. Der Wortlaut des § 11 Abs. 2 StVO ist eindeutig. Laut duden.de bedeutet das Wort „sobald“ „in dem Augenblick, da ...“ beziehungsweise „gleich wenn“. Damit wird hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht, dass eine Überlegungsfrist nicht besteht, die Pflicht zur Bildung einer Rettungsgasse vielmehr sofort eingreift, nachdem die in § 11 Abs. 2 StVO beschriebene Verkehrssituation eingetreten ist. Dies gilt hier umso mehr, als der betroffene Autofahrer wegen des Stop-and-go–Verkehrs damit rechnen musste, dass die Phasen des Stillstandes auch länger andauern könnten. Würde man einem Fahrzeugführer in einer Situation, in der der vor ihm befindliche Verkehr zum Erliegen gekommen ist, eine Überlegungsfrist zubilligen, während derer er zunächst noch die Rettungsgasse blockieren dürfte, hätte dies zur Konsequenz, dass er nach Erkennen der Verkehrssituation und Ablauf einer Überlegungsfrist erst noch möglicherweise zeitaufwendig rangieren müsste, um die Rettungsgasse freizugeben. Eine solches Rangiermanöver – dort mit Behinderung des Einsatzfahrzeugs – war im Übrigen bereits Gegenstand der Entscheidung des Senats 2 Ss (OWi) 34/22. OLG Oldenburg (Oldenburg), Beschluss vom 20.09.2022, Az. 2 Ss (OWi) 137/22

OWi-Verfahren: Zugang zur Case-List eines Geschwindigkeitsmessgeräts
Aus dem Recht auf ein faires Verfahren folgt im Grundsatz der Anspruch des Betroffenen, Kenntnis auch von solchen Inhalten zu erlangen, die zum Zweck der Ermittlung entstanden und weiterhin vorhanden sind, aber nicht zur Bußgeldakte genommen wurden. Bei Anwendung eines standardisierten Messverfahrens in Ordnungswidrigkeitenverfahren erfordert der Anspruch auf Informationszugang einen sachlichen und zeitlichen Zusammenhang mit dem jeweiligen Ordnungswidrigkeitenvorwurf sowie eine erkennbare Relevanz für die Verteidigung. Dies setzt in formeller Hinsicht voraus, dass die begehrten Informationen hinreichend konkret benannt werden. Für die Beurteilung der Verteidigungsrelevanz einer begehrten Information ist im Ausgangspunkt der Vortrag des Betroffenen maßgeblich, der einer Evidenzkontrolle standzuhalten hat (hier zu Statistikdatei und CaseList eines Geschwindigkeitsmessgeräts).

Unter Beachtung dieser Maßgaben scheidet eine Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren in Bezug auf die vom Beschwerdeführer angeforderte CaseList beziehungsweise Statistikdatei aus. Für die Beurteilung der Verteidigungsrelevanz einer Information kommt es zwar maßgeblich, aber nicht allein auf die Einschätzung des Betroffenen an. Ausgeschlossen sind vielmehr solche Dokumente und Unterlagen, die noch nicht einmal eine theoretische Aufklärungschance zu begründen vermögen. Dies zugrunde gelegt ist bei der vom Beschwerdeführer begehrten Statistikdatei beziehungsweise Case-List die Eignung zur Aufdeckung von Funktionsbeeinträchtigungen des Messgeräts schlechthin ausgeschlossen. VerfGH Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 27.10.2022, Az. VGH B 57/21

Keine anlasslosen Kontrollen der Verkehrssicherheit zwischen Inspektionsterminen
Von dem Fahrer beziehungsweise Halter eines Lkws kann, wenn das Fahrzeug den von dem Hersteller empfohlenen regelmäßigen Inspektionen unterzogen war, nicht verlangt werden, zwischen den einzelnen Inspektionsterminen ohne besonderen Anlass Untersuchungen darüber anzustellen, ob nicht ein verborgener Mangel vorhanden ist, der bei einer Weiterbenutzung des Fahrzeugs dessen Verkehrssicherheit beeinträchtigen könnte. In der Regel muss aber an jedem Tag, an dem ein Lastkraftfahrzeug mit Anhänger eingesetzt wird, der äußere Zustand des Fahrzeugs einer Sichtkontrolle unterzogen werden. Zur Bestimmung der den Halter insoweit treffenden Sorgfalts- und Überwachungspflichten bedarf es regelmäßig Feststellungen zur Organisation des Betriebs.

Von einem Mangel an einem Fahrzeug kann nicht ohne Weiteres auf eine Pflichtverletzung aufseiten des Halters geschlossen werden. Auch ergibt sich eine Verantwortlichkeit des Fahrzeughalters nicht bereits aus der Einschlägigkeit der § 9 OWiG beziehungsweise § 31 StVZO. Vielmehr bedarf es der Feststellung konkreter Umstände, die in der Person des Betroffenen die Missachtung einer Sorgfaltspflicht belegen. Will oder kann der Fahrzeughalter den verkehrssicheren Zustand eines Fahrzeugs nicht persönlich überwachen, so hat er durch organisatorische Maßnahmen – namentlich durch die Auswahl geeigneten Personals und die Anordnung entsprechender Weisungen – sicherzustellen, dass der verkehrssichere Zustand des Fahrzeugs trotzdem gewährleistet bleibt. Dabei kann es nach den Umständen auch geboten sein, die Einhaltung der hierzu erteilten Weisungen zu überprüfen. Eine generelle Verpflichtung, die Einhaltung von Weisungen hinsichtlich der Kontrolle eines Fahrzeugs zumindest mittels Stichproben zu überprüfen, besteht jedoch nicht. Ob und wie häufig eine Überprüfung des eingesetzten Personals stattzufinden hat, hängt vielmehr von den Umständen des Einzelfalls, namentlich dem Inhalt der Weisung, der Zuverlässigkeit des Weisungsempfängers sowie dem betroffenen Fahrzeug ab. OLG Zweibrücken, Beschluss vom 09.06.2022, Az. 1 OWi 2 SsBs 41/22

Innerörtliche Geschwindigkeitsüberschreitung auf Autobahn im Berliner Stadtgebiet 
Geschwindigkeitsüberschreitungen auf der Bundesautobahn im Berliner Stadtgebiet sind nach gefestigter Rechtsprechung des Senats als innerörtliche Verstöße zu behandeln. Die nach der Tatbegehung innerhalb und außerhalb geschlossener Ortschaften differenzierende Regelung des Bußgeldkatalogs ist auf die höhere abstrakte Gefährlichkeit von Geschwindigkeitsüberschreitungen im Bereich geschlossener Ortschaften zurückzuführen, ohne dass es dabei auf die verkehrsrechtliche Klassifizierung ankommt. Eine höhere abstrakte Gefährlichkeit ergibt sich bei der Berliner Stadtautobahn beispielsweise aus der Vielzahl von Einund Ausfahrten, der häufig kurvigen Streckenführung sowie daraus, dass auf der Stadtautobahn jederzeit mit Verkehrsstauungen gerechnet werden muss.

Bei der Geschwindigkeitsermittlung durch Nachfahren mit ungeeichtem Tacho kann ein zu geringer Abstand durch eine die Mindestanforderungen weit übertreffende Länge der Messstrecke und durch einen großzügigen Toleranzabzug kompensiert werden. KG Berlin, Beschluss vom 26.01.2022, Az. 3 Ws (B) 1/22

Erkennbarkeit und Vermeidbarkeit einer Überladung
Für den Fahrlässigkeitsvorwurf bei einer Überladung kommt es nicht darauf an, ob der Fahrzeugführer die Überladung erkennen konnte, sondern darauf, ob er sie hätte vermeiden können. Wird das zulässige Gesamtgewicht durch die Ladung nahezu erreicht, besteht keine Gewähr dafür, dass auch die zulässigen Achslasten, bei einem Sattelzug insbesondere die für die Antriebsachse zulässige Achslast, eingehalten werden. Ohne Überprüfung mit einer Achslastwaage oder einem bordeigenen Wiegesystem muss der Fahrzeugführer die Ladung so weit verringern, bis er sich hinsichtlich der Einhaltung der zulässigen Achslasten auf der sicheren Seite befindet. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 27.06.2022, Az. IV-2 RBs 85/22

Absolute Fahruntüchtigkeit bei 1,10 Promille gilt auch für E-Scooter-Fahrer
Auch bei einem Fahrzeugführer eines Elektrokleinstfahrzeugs (hier so genannte Elektroscooter) ist davon auszugehen, dass er ab einer Blutalkoholkonzentration von 1,10 Promille (absolut) fahruntauglich im Sinne von §§ 315c Abs. 1 Nr. 1 lit. a), 316 Abs. 1 StGB ist.

Das vom Angeklagten geführte Fahrzeug (E-Scooter) ist ein nicht selbstbalancierendes Elektrokleinstfahrzeug nach § 1 Abs. 1 eKFV. Ein solches Fahrzeug ist bereits nach dem Wortlaut von § 1 Abs. 1 eKFV ein Kraftfahrzeug. Dies belegt zugleich, dass der Angeklagte ein Fahrzeug im Sinne von § 316 Abs. 1 StGB geführt hat.

Es entspricht ständiger Rechtsprechung, dass ein Kraftfahrzeugführer ab einer Blutalkoholkonzentration (BAK) von 1,10 Promille unwiderleglich (absolut) fahruntauglich ist, weswegen es in so gelagerten Fällen lediglich Feststellungen zur Tatzeit, zum Zeitpunkt der Entnahme einer Blutprobe sowie zur (daraus ermittelten) Blutalkoholkonzentration bedarf, um zutreffend von einer Fahruntauglichkeit des Angeklagten auszugehen. Der Senat sieht keine Veranlassung, diesen Grenzwert für alkoholisierte Fahrer von Elektrokleinstfahrzeugen, namentlich von E-Scootern, anzuheben. Der Wert von 1,10 Promille gilt weiterhin für alle Kraftfahrzeuge, mithin auch für E-Scooter. KG Berlin, Urteil vom 10.05.2022, Az. 3 Ss 27/21

VERKEHRSZIVILRECHT

Erstattung von Desinfektionskosten in Haftpflichtfällen
Entsprechend dem Rechtsgedanken des § 249 Abs. 2 Satz 2 BGB sind Desinfektionskosten in Haftpflichtfällen nur erstattungsfähig, wenn sie vereinbart und tatsächlich angefallen sind.

Zwar empfiehlt die Interessengemeinschaft für Fahrzeugtechnik und Lackierung e. V. in einer Mitteilung vom 16. März 2020 eine Desinfektion. Jedoch wird eine routinemäßige Flächendesinfektion nicht empfohlen in den Hinweisen des Robert Koch-Instituts (RKI) vom 3. Juli 2020 zu Reinigung und Desinfektion von Oberflächen außerhalb von Gesundheitseinrichtungen im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie.

Den inhaltlichen Widerspruch dieser beiden Empfehlungen erklärt sich das Gericht mit dem Zeitablauf. Im Juli 2020 war die erste Welle vorüber und viele Einschränkungen wurden wieder aufgehoben. Während der Schutz vor Aerosolübertragung verstärkt wurde, etwa durch die Pflicht zum Tragen von Masken unterschiedlicher Qualitätsstufen, liefen andere Schutzmaßnahmen wie die Oberflächendesinfektion aus. Hintergrund war die allgemeine Erkenntnis, dass das Virus überwiegend durch Aerosole und nicht durch Oberflächenkontamination übertragen wird, wie sich auch aus den Hinweisen des RKI ergibt. Damit folgt das RKI der wissenschaftlichen Entwicklung.

Unter Zugrundelegung der Hinweise des RKI vom 03. Juli 2020 hätte deshalb ein wirtschaftlich handelnder Mensch im Juni 2021 nicht notwendig eine Flächendesinfektion vor einer Reparatur vereinbart. Vielmehr hätte dieser Kunde das eigene Krankheitsrisiko und die Mehrkosten nüchtern gegeneinander abgewogen. Das Gericht kann es nicht ausschließen, dass Kunden zur Verringerung ihres eigenen Ansteckungsrisikos im Mai 2021 bereit gewesen wären, hierfür 26,77 Euro aufzuwenden.

Umgekehrt war die Flächendesinfektion aus Arbeitsschutzgründen nicht zwingend vorgegeben. Entscheidet sich die Werkstatt, zum Schutz ihrer Arbeitnehmer die Desinfektion durchzuführen, sind das allgemeine Betriebskosten, die sie in ihre Kalkulation aufnehmen muss. Will sie diese vom Kunden erwirtschaften, ist eine entsprechende vertragliche Absprache erforderlich. Eine solche hat aber nach den Angaben der Geschädigten gerade nicht stattgefunden. Das Gericht gelangt daher zum Ergebnis, dass die Desinfektionskosten nur dann vom Schädiger zu tragen sind, wenn der Geschädigte dies ausdrücklich mit der Werkstatt vereinbart hat. Fehlt es daran, sind die Desinfektionskosten als allgemeine Betriebskosten der Werkstatt nicht erstattungsfähig. AG Bad Urach, Urteil vom 13.04.2022, Az. 1 C 7/22

Ungarische Straßenmaut kann vor deutschen Zivilgerichten eingeklagt werden
Die nicht vorab entrichtete ungarische Straßenmaut kann gegen einen inländischen Halter des Fahrzeugs vor den deutschen Zivilgerichten geltend gemacht werden. Die Bestimmungen des ungarischen Rechts verstoßen weder hinsichtlich der in § 15 Abs. 2 des ungarischen Straßenverkehrsgesetzes angeordneten alleinigen Schuldnerschaft des Fahrzeughalters noch hinsichtlich der in § 7A Abs. 10 und Anlage 1 der Mautverordnung bestimmten Grundersatzmaut sowie der erhöhten Zusatzgebühr gegen den deutschen ordre public. Fremdwährungsschulden sind als solche, also in fremder Währung, einzuklagen; eine auf die falsche Währung gerichtete Zahlungsklage ist abzuweisen. BGH, Urteil vom 28.09.2022, Az. XII ZR 7/22

Blockade einer Straßenbahnschiene durch Unfallfahrzeug
Die Blockade einer Schiene durch ein verunfalltes Kraftfahrzeug, die dazu führt, dass das Gleis deshalb an der blockierten Stelle nicht (mehr) befahren werden kann, stellt in Bezug auf die blockierte Schiene eine Sachbeschädigung beziehungsweise Eigentumsverletzung dar. Die Verletzung des Eigentums an einer Sache beziehungsweise die Beschädigung einer Sache kann nicht nur durch eine Beeinträchtigung der Sachsubstanz, sondern auch durch eine sonstige die Eigentümerbefugnisse treffende tatsächliche Einwirkung auf die Sache selbst erfolgen, die deren Benutzung objektiv verhindert. Voraussetzung ist stets, dass die Beeinträchtigung der bestimmungsgemäßen Verwendung der Sache ihren Grund in einer unmittelbaren Einwirkung auf die Sache selbst hat. Werden die Eigentümerbefugnisse durch eine tatsächliche Einwirkung auf die Sache derart beeinträchtigt, dass deren Verwendungsfähigkeit vorübergehend praktisch aufgehoben ist, bedarf es für die Annahme einer Eigentumsverletzung beziehungsweise einer Sachbeschädigung grundsätzlich nicht zusätzlich der Überschreitung einer zeitlich definierten Erheblichkeitsschwelle. Die erforderliche Intensität der Nutzungsbeeinträchtigung folgt hier grundsätzlich bereits aus dem Entzug des bestimmungsgemäßen Gebrauchs (hier: Blockade einer Schiene durch ein verunfalltes Kraftfahrzeug, die dazu führt, dass das Gleis deshalb an der blockierten Stelle nicht befahren werden kann).

Jedenfalls grundsätzlich fehlt es bei der Blockade einer Schiene durch ein verunfalltes Kraftfahrzeug nicht am Zurechnungszusammenhang im Rahmen des haftungsbegründenden Tatbestands. Allein der Umstand, dass sich derartige Fälle häufiger ereignen, ändert nichts daran, dass sich im Wegfall der Nutzbarkeit der Schiene im konkreten Einzelfall das vom jeweiligen Schädiger gesetzte besondere Risiko und nicht ein allgemeines Risiko verwirklicht, das dem Geschädigten zuzurechnen ist und das er auch sonst hinzunehmen hat. BGH, Urteil vom 27.09.2022, Az. VI ZR 336/21

Abschleppen eines unbefugt auf einem Privatgrundstück abgestellten Fahrzeugs 
Standgebühren für die Verwahrung des abgeschleppten Fahrzeugs auf dem Gelände des Abschleppunternehmens, das daran ein Zurückbehaltungsrecht geltend macht, gehören nicht zu einem adäquat durch die Besitzstörung verursachten Schaden des Grundstückbesitzers. Die Kosten für eine sichere Verwahrung des abgeschleppten Fahrzeugs können jedoch nach den Grundsätzen der Geschäftsführung ohne Auftrag zu erstatten sein, solange kein entgegenstehender Wille des Fahrzeugeigentümers erkennbar ist. OLG Dresden, Urteil vom 15.09.2022, Az. 8 U 328/22

Vertrauen auf grünen Pfeil bei Linksabbieger-Ampel
Derjenige, dem ein grüner Pfeil das Linksabbiegen gestattet, darf darauf vertrauen, dass Gegenverkehr durch Rotlicht gesperrt ist und Fahrzeuge aus der Gegenrichtung das für sie geltende Haltegebot beachten. Dieser Vertrauensgrundsatz wird nicht dadurch beseitigt, dass nach Passieren der Ampel für den Linksabbieger die Anlage ausfällt. Ein Idealfahrer hätte aus dem mit dem Ampelausfall einhergehenden Ausfall des Ampellichts der Fußgängerampel, der für die Linksabbieger erkennbar war, geschlossen, dass es eine Fehlfunktion der Ampelschaltung gibt. Ein unabwendbares Ereignis liegt deshalb nicht vor. Schleswig-Holsteinisches OLG, Urteil vom 20.09.2022, Az. 7 U 201/21

Keine Verkehrssicherungspflicht für unbefestigten Trennstreifen neben Fahrbahn
Ein erkennbar unbefestigter Trennstreifen zwischen einer Fahrbahn und einem Seitenweg dient regelmäßig nicht dem Verkehr und muss nicht frei von Hindernissen wie zum Beispiel einem Baumstumpf sein, sodass er von Fahrzeugen gefahrlos zum Parken genutzt werden kann.

Der Umfang der Verkehrssicherungspflicht bestimmt sich danach, für welche Art von Verkehr eine Verkehrsfläche nach ihrem Befund unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse und der allgemeinen Verkehrsauffassung gewidmet ist und was ein vernünftiger Benutzer an Sicherheit erwarten darf. Dabei haben die Verkehrsteilnehmer beziehungsweise die Straßen- und Wegebenutzer die gegebenen Verhältnisse grundsätzlich so hinzunehmen und sich ihnen anzupassen, wie sie sich ihnen erkennbar darbieten, und mit typischen Gefahrenquellen, wie etwa Unebenheiten, zu rechnen. Ein Tätigwerden des Verkehrssicherungspflichtigen ist erst dann geboten, wenn sich für ein sachkundiges Urteil die nahe liegende Möglichkeit einer Rechtsgutsverletzung anderer ergibt. Dies ist der Fall, wenn Gefahren bestehen, die auch für einen sorgfältigen Benutzer bei Beachtung der zu erwartenden Eigensorgfalt nicht oder nicht rechtzeitig erkennbar sind und auf die er sich nicht rechtzeitig einzurichten vermag. OLG Hamm, Beschluss vom 11.08.2022, Az. 11 U 184/21

Nutzungsausfallentschädigung während Reparaturzeit bei Alternativfahrzeug
Einem Unfallgeschädigten steht während der Reparaturzeit eines beschädigten Porsche keine Nutzungsausfallentschädigung zu, wenn ihm ein Ford als Zweitfahrzeug zur Verfügung steht; auf eine Einschränkung des Fahrvergnügens kann er sich nicht berufen. Durch die objektive Nutzbarkeit des Ford für die Fahrten, zu denen der Geschädigte ansonsten den beschädigten Porsche eingesetzt hätte, wird der durch den Unfall eingetretene Verlust der Verfügbarkeit des Porsche als Mittel für den Transport zur Arbeit und für Privatfahrten objektiv ausgeglichen, mithin der hierin liegende materielle Vermögensschaden ausgeglichen. Die Beeinträchtigung des Fahrvergnügens ist demgegenüber eine in einer subjektiven Wertschätzung gründende immaterielle Beeinträchtigung, deren Bemessung nach objektiven Maßstäben nicht möglich und die daher vom Schädiger nicht zu ersetzen ist. OLG Frankfurt a. M., Urteil vom 21.07.2022, Az. 11 U 7/21

Unbrauchbarkeit von Privatgutachten bei Verschweigen von Vorschäden?
Das Verschweigen von Vorschäden gegenüber dem eigenen Privatgutachter führt dann nicht zur Unbrauchbarkeit des Privatgutachtens und schließt damit einen Ersatzanspruch des Geschädigten nicht aus, wenn die von ihm verschwiegenen Vorschäden die Bestimmung des Wiederbeschaffungswertes nicht beeinflusst haben. Das Gutachten des Privatsachverständigen war deswegen zur Begründung des geltend gemachten Sachschadens unbrauchbar, da der Privatgutachter von einem (überhöhten) Wiederbeschaffungswert von 7.000 Euro ausgegangen ist und somit die Reparaturkosten von 5.731,50 Euro brutto den Wiederbeschaffungswert nicht überschritten haben. Tatsächlich lag bereits der Wiederbeschaffungswert nach dem Ergebnis des vom Gericht eingeholten Gutachtens unterhalb des Reparaturaufwands, sodass der Geschädigte auf diesen beschränkt gewesen ist. Die mit der Klage geltend gemachten Reparaturkosten konnte der Geschädigte nicht verlangen.

Diese Fehlerhaftigkeit des Gutachtens ist dem Geschädigten jedoch nicht anzulasten. Wie der Wiederbeschaffungswert von 7.000 Euro ermittelt worden ist, ist im Schadengutachten nicht dargelegt. Nach dem Ergebnis der erstinstanzlichen Beweisaufnahme haben die verschwiegenen Vorschäden an der Front und der vorderen rechten Ecke den Wiederbeschaffungswert nicht beeinflusst. Es ist davon auszugehen, dass diese Vorschäden aufgrund des hohen Alters und der Laufleistung des Fahrzeugs keine relevante Auswirkung auf den Wiederbeschaffungswert gehabt haben. Darüber hinaus war der Streifschaden am linken Seitenteil, den der Sachverständige dem streitgegenständlichen Verkehrsunfall nicht zuordnen konnte, ebenfalls nicht erheblich, da er durch bloße Lackierarbeiten beseitigt werden konnte und der Sachverständige insofern einen Abschlag von den Lackierkosten von 50 Prozent, vorgenommen hat. OLG Hamm, Beschluss vom 11.04.2022, 7 U 33/21