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Flottenmanagement: Herr Djordjevic, die Robert Bosch GmbH ist vielen insbesondere als Hersteller von Industrietechnik, Gebrauchsgütern sowie von Energieund Gebäudetechnik bekannt. Daneben ist Bosch aber auch der weltweit größte Automobilzulieferer. Können Sie kurz erklären, was sich hinter RideCare verbirgt und wie es sich innerhalb der Konzernstruktur einordnen lässt?

Alexander Djordjevic: Im Grunde genommen haben wir als Innovationsprojekt begonnen, uns den Bereich Shared Autonomous Vehicles genauer anzusehen. Dort lag unser Fokus aber nicht auf der Sensorik und der Software, die benötigt werden, damit Fahrzeuge autonom fahren können, wofür es große Abteilungen bei Bosch gibt, sondern wir wollten den Zustand des Innenraums und das Wohlbefinden der Nutzer analysieren, um daraus Mehrwert für die Anbieter und deren Kunden zu erzeugen. In einem kleinen Team haben wir uns daher zunächst damit beschäftigt, welche Mobilitätstrends aus Nutzersicht aktuell zu beobachten sind und welche Herausforderungen damit für den Bereich Shared Autonomous einhergehen. Dadurch, dass der Markt für autonome Fahrzeuge überhaupt noch sehr klein ist und auch noch einige Jahre vor dem Durchbruch steht, haben wir überlegt, wie sich diese Erkenntnisse in andere Bereiche übertragen lassen und dort erste Erfahrungen gesammelt werden können. Daraus sind Vehicle Care, also die Erfassung und Analyse des Fahrzeugzustands, und Occupant Care, der Blick auf das Wohlbefinden des Nutzers, entstanden, die in RideCare vereint werden.

Innerhalb des Bosch Konzerns sind wir im Geschäftsbereich Cross-Domain Computing Solutions verortet. Der Fokus wird in diesem Bereich immer stärker auf das Servicegeschäft gelegt. Das ist es auch, was uns antreibt: Wie können wir die Anbieter und Nutzer in der Mobilitätswende – weg vom eigenen Fahrzeug, hin zum Mobilitätsangebot – begleiten und hier Mehrwert schaffen? Nicht zuletzt verschafft uns die internationale Ausrichtung des Bosch Konzerns, aber auch unseres Projektes, einen breiten Blickwinkel auf den Mobilitätsbereich. So sitzt unser Team in den USA, Deutschland, Portugal, Bulgarien und auch Schweden, was bereits eine Besonderheit ist und natürlich Vorteile bietet. Wenn wir beispielsweise über den Markteintritt sprechen, ist es ein enormer Benefit, eigene Teammitglieder direkt vor Ort zu haben.

Flottenmanagement: Welche Vorteile bietet RideCare Mobilitätsanbietern und Flottenbetreibern sowie deren Verantwortlichen? Welche Nutzungsszenarien lassen sich hieraus ableiten?

Alexander Djordjevic: Wir verfolgen bei RideCare einen nutzerzentrierten Ansatz. Das heißt, wir analysieren, wie sich die Nutzererfahrungen bei geteilten Fahrzeugen verbessern lassen – sei es im Carsharing, in der Fahrzeugmiete oder bei Poolfahrzeugen. Bei unseren ersten Piloten trat besonders hervor, dass Geruch im Fahrzeuginnenraum ein Thema für das Wohlbefinden des Nutzers ist. Sprich ein Fahrzeug, in dem vorher geraucht oder beispielsweise ein Döner gegessen wurde, kann zu einer schlechteren User Experience (UX) führen. Auch kleinere Schäden am Fahrzeug können zu ähnlichen Ergebnissen führen. Dem sogenannten Mobility Service Provider (MSP), der faktisch nicht alle Fahrzeuge dahin gehend kontrollieren kann und nicht immer eine Rückmeldung von den Nutzern zu derartigen Events bekommt, fehlt es wiederum an Transparenz, wie es um den derzeitigen Fahrzeugzustand seiner Flotte bestellt ist. Und dies ist wiederum von Bedeutung, wenn es darum geht, Maßnahmen zu ergreifen, also eine Fahrzeugreinigung oder eben die Reparatur von Schäden. Hier setzen wir mit RideCare an: Durch unsere Echtzeitinformationen über den Fahrzeugzustand kann der MSP jederzeit geeignete Maßnahmen ergreifen, um die User Experience in seiner Flotte zu verbessern. Auf der anderen Seite bekommen die Fahrzeugnutzer im besten Fall kein kaputtes und verrauchtes Fahrzeug übergeben.

Andrea Brückner: Ergänzend dazu bedienen wir mit RideCare zwei weitere Felder: die Erkennung von unangemessenem Fahrverhalten, das sogenannte Harsh Driving, und basierend aus der Erkennung von Schäden und Harsh Driving eine Übersicht über den Karosseriezustand und den Verschleiß eines jeden Fahrzeugs. Diese Transparenz, die wir mit der RideCare-Lösung bieten können, ist neu und bietet dem Flottenbetreiber die Möglichkeit, seinen Fuhrpark noch besser zu managen. Gleichwohl ist der Einsatzbereich unserer Lösung nicht nur auf geteilte Fahrzeugflotten beschränkt. Auch kommerzielle Fuhrparks profitieren von diesen Detailinformationen: Sei es beispielsweise beim Transport von Gefahrgut oder einfach weil dafür Sorge getragen werden muss, dass der Mitarbeiterarbeitsplatz rauchfrei bleibt.

Flottenmanagement: Komfort und Sicherheit haben nicht erst seit der COVID-19-Pandemie eine enorme Bedeutung für Mobilitätsanbieter sowie deren Kunden. Könnten Sie die Funktionsweise von RideCare Insight einmal kurz skizzieren und wie sich dadurch sowohl das Nutzererlebnis steigern als auch die Flottensteuerung effizienter gestalten lässt?

Alexander Djordjevic: In unserer kleinen Box, die neben dem Rückspiegel auf der Beifahrerseite installiert wird, befindet sich die Sensorik, um die angesprochenen Detailinformationen zu sammeln. Dabei handelt es sich um ein Modul, welches mittels künstlicher Intelligenz diese Informationen vorfiltert, sowie ein LTE-Modul für die Kommunikation mit unserer Cloud. So werden beispielsweise über intelligente Algorithmen Rauchmuster erkannt und Details zu Rauchereignissen erfasst. Diese werden dann an unsere Cloud übermittelt, wo die Daten noch einmal nachverarbeitet werden, bevor sie über eine Programmierschnittstelle (Englisch: Application Programming Interface – kurz: API) als Event an den Kunden übermittelt werden. Das funktioniert eigentlich bei allen Anwendungsfällen gleich. Was der Flottenbetreiber am Ende mit den Informationen zu den Events macht, ist ihm allein überlassen. So lassen einige Kunden das Fahrzeug bereits nach dem ersten Rauchevent reinigen, andere möglicherweise erst nach fünf Rauchereignissen.

Andrea Brückner: Wichtig in diesem Zusammenhang zu erwähnen ist, dass diese kleine Box zunächst einmal einen grundsätzlichen Service ermöglicht. Das heißt, dass wir ausgehend von den Kundenbedürfnissen das Serviceangebot erweitern, um schlussendlich Mehrwert zu erzeugen. Beispielsweise im Bereich Schäden war es bisher für Fuhrparkbetreiber oft unmöglich, Schäden auf einen bestimmten Vorfall zurückzuführen: Auf der einen Seite wurden kleine Schäden wie Dellen und Kratzer einfach nicht erfasst und auf der anderen Seite wurden auch Vorschäden nicht genau dokumentiert. Teil unserer Lösung ist daher auch ein sogenanntes Vehicle Baselining, bei dem mithilfe einer mobilen Anwendung Vorschäden am Tag der Installation von RideCare aufgenommen werden und über künstliche Intelligenz der Grundzustand des Fahrzeugs analysiert wird. Auf dieser Grundlage können dann neue Schäden zuverlässig erkannt und bestimmten Ereignissen zugeordnet werden. Gleichzeitig bitten wir den Kunden um Bilder vom Schaden, um die berechneten Schadendaten mit dem tatsächlichen Schaden abgleichen und dadurch unsere Lösung weiter verbessern zu können. Für denjenigen, der die Bilder vom Schaden machen soll, ist die Handhabung ganz einfach, denn er wird in der mobilen Anwendung genau angeleitet, welche Bilder aus welcher Perspektive benötigt werden. Durch den Abgleich mit der zuvor genannten Vehicle Baseline und mittels künstlicher Intelligenz können neue Schäden ganz einfach ausgemacht werden. Und nicht zuletzt erhält der Flottenbetreiber neben den Schadendetails über unsere Plattform beziehungsweise die Schnittstellen in sein System auch Informationen darüber, was die Reparatur kosten würde.

Flottenmanagement: RideCare will Verantwortliche von der One-Box-Lösung mit Echtzeitinformationen über den Fahrzeugzustand überzeugen. Welche Bedeutung kommt den Themen künstliche Intelligenz sowie vernetzte Mobilität in diesem Zusammenhang zu?

Alexander Djordjevic: Die große Neuheit unserer Lösung ist die künstliche Intelligenz, ohne die es die Lösung auch nicht geben würde. Sie ist quasi der Enabler, da sie die unterschiedlichen Muster erkennt, auswertet und daraus Ableitungen trifft. Dabei nutzen wir die künstliche Intelligenz nicht nur in der Cloud, um die gesendeten Daten nachzubearbeiten und daraus die Ereignisinformationen zu erzeugen, die für den Kunden letztendlich sichtbar sind, sondern bereits in der Box selbst, um die Daten vorzufiltern. Der Austausch von Daten erfolgt dabei nicht einseitig, sondern das Device wird „over the air“ in einem bestimmten Zyklus aktualisiert. Dadurch ist es wiederum in der Lage, auch vorher unbekannte Ereignisse zu erfassen, die uns möglicherweise als Rückmeldung von Kunden zugetragen wurden.

Flottenmanagement: Könnten Sie in einem kurzen typischen Szenario den Ein- und Ausbau von RideCare beschreiben? Welche Voraussetzung müssen fahrzeugseitig erfüllt sein?

Andrea Brückner: Für uns war es von Anfang an besonders wichtig, dass, wenn wir schon eine Nachrüstlösung anbieten, diese Lösung unkompliziert und schnell einwie auch auszubauen ist. Es hat sich gezeigt, dass der Einbau der RideCare-Box selbst für jemanden, der dies noch nie gemacht hat, in rund 15 Minuten sehr gut bewerkstelligt werden kann. Im Grunde sind nur vier Schritte nötig:
1. Zunächst muss die Box vorkonfiguriert werden. Das heißt, unser Gerät wird auf ein spezifisches Fahrzeug eingerichtet, um hier insbesondere bei der Erkennung von Schäden zuverlässige Informationen zu erhalten.
2. Über eine mobile Anwendung wird die vorher beschriebene Vehicle Baseline, also der Grundzustand des Fahrzeugs, erfasst.
3. Das Gerät wird an die Stromversorgung des Fahrzeugs angeschlossen.
4. Zuletzt wird die Box an die Windschutzscheibe geklebt, natürlich ohne das Sichtfeld des Fahrers zu beeinträchtigen.

Der Ausbau geht noch schneller, da das Gerät lediglich von der Stromversorgung getrennt werden und von der Scheibe gelöst werden muss. Danach einmal kurz die Scheibe reinigen und der Ausbau ist in weniger als zehn Minuten erledigt.

Dadurch, dass die Geräte auf ein bestimmtes Fahrzeug erst innerhalb des Einbaus konfiguriert werden, ist der Einbau der RideCare-Lösung in jedes Fahrzeug möglich. Die einzige Voraussetzung ist eine Dauerstromversorgung, um auch bei einem geparkten Fahrzeug Schäden detektieren zu können.

Flottenmanagement: Als Tier-1-Lieferant ist Bosch im direkten Austausch mit den Fahrzeugherstellern. Ist es denkbar, dass RideCare in Zukunft nicht nur als Nachrüstlösung, sondern als festes Ausstattungsdetail vorzufinden ist?

Alexander Djordjevic: Wir sehen uns als Startup in einem Konzernumfeld. Daher war es für uns wichtig, dass wir schnell etwas auf die Straße bekommen, um hier lernen zu können und unser Produkt weiterzuentwickeln. Die Vision ist, dass unsere Lösung integraler Bestandteil des Fahrzeugs wird. Denn es macht keinen Sinn, wenn bestimmte Daten bereits im Fahrzeug vorrätig sind, noch eine separate Box zu installieren. Jedoch wissen wir, dass Flotten nur selten homogen zusammengestellt sind. Das heißt, wir haben im Fuhrpark in den meisten Fällen unterschiedliche Fahrzeugtypen, Marken und Modelle.

Andrea Brückner: Neben der angesprochenen Vision arbeiten wir mit Partnern auch daran, den Mehrwert für den Kunden weiter zu erhöhen. So wollen wir beispielsweise die Komplettkette von der Erkennung eines Schadens über die Einholung von Kostenvoranschlägen bis zur Reparatur des Schadens abbilden. Das hätte für den Flottenverantwortlichen den Vorteil, dass er sich um die Reparatur der Schäden nicht mehr kümmern muss, sondern lediglich den Kostenvoranschlag kontrollieren und genehmigen muss.