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Mein Lieblingsbeispiel ist der Benzinund Dieselpreis: Hier wurde zur Entlastung der Bürger die vorübergehende Senkung der Steuern für die Zeit vom 1. Juni bis 31. August 2022 beschlossen. Diesel sollte sich hierdurch um 16,7 Cent inklusive Mehrwertsteuer pro Liter und Benzin um 35,2 Cent inklusive Mehrwertsteuer pro Liter verbilligen. Tatsächlich sanken die Preise zunächst auch am 1. Juni. Bei genauerer Betrachtung fiel aber auf, dass die leidlichen „Komma neun“ hinter dem Preis unverändert blieben ... ein erstes Indiz dafür, dass da irgendetwas mit der 1:1-Weitergabe an den Verbraucher nicht funktioniert hat.

Zweites Problem: Die von mir immer wieder angeprangerte Unart des Spritpreis-Jo-Jos, also das tägliche Auf und Ab mit Schwankungen von bis zu 20 Cent pro Tag – Schwankungen, welche übrigens den Begriff „Preistransparenz“ paradox erscheinen lassen. Verargumentiert werden diese Schwankungen mit dem starken Wettbewerb. Hm, bei meinem jüngsten Urlaub auf den Kanaren konnte ich innerhalb von zwei Wochen keine (!) Preisschwankungen erkennen, obwohl es auch hier zahlreiche Tankstellen mit übrigens unterschiedlichen Abgabepreisen gibt. In Frankreich – ich erwähnte es in früheren Beiträgen – verhält es sich ähnlich. Preisschwankungen ja, aber nicht innerhalb eines Tages. Scheinbar gibt es in diesen Beispielländern keinen harten oder ruinösen Wettbewerb, dafür angeblich bei uns umso mehr. Paradox?

Zurück nach Deutschland: Innerhalb von wenigen Tagen nach den Steuersenkungen war plötzlich das alte Preisniveau wieder da. Auch paradox, oder? Aber weiter im Text. So kam aus der Politik eine klare Aufgabenstellung in Richtung Kartellbehörden und die damit verbundene Bitte, man möge sich das Verhalten der Mineralölkonzerne genauestens ansehen. Die Aussage erinnerte mich ein wenig an unsere Fernsehprogramme im Sommer: ständige Wiederholungen. Genau dies wird auch bei den Ergebnissen der Kartellbehörden zu erwarten sein. Untersuchungen haben kein wettbewerbswidriges Verhalten und auch keine Preisabsprachen gezeigt. Letzteres ist – Sie ahnen es – paradox. Wie kann es sein, dass unterschiedliche Gesellschaften mit unterschiedlichen Kostenstrukturen den gleichen Abgabepreis haben, wenn hier keine Absprache erfolgt?

Noch ein Punkt zum Thema Spritpreise und mangelnde Weitergabe von Entlastungen. Bei der vorübergehenden Mehrwertsteuersenkung vor gut zwei Jahren von 19 auf 16 Prozent war das Ergebnis fast identisch: keine volle Weitergabe an den Verbraucher. Gemerkt habe ich das bei einer Autogasbetankung. Senkung des Literpreises? Null! Als aber dann die Mehrwertsteuer wieder erhöht wurde, kam gleich ein überproportionaler Aufschlag. Natürlich mit den ständig gleichen Begründungen: höhere Bezugspreise, gestiegene Transportkosten, bla, bla, bla – und natürlich die Erhöhung der Mehrwertsteuer auf den alten Satz. Also auch hier eine dem Verbraucher vorenthaltene Weitergabe der Steuersenkung. Die Wiedererhöhung der Steuer wird dann aber als Begründung für die Preiserhöhung herangezogen. Auch das ist doch irgendwie ... na ja, Sie wissen schon ...

Ich denke übrigens, dass uns dieser Effekt ebenfalls bevorsteht, wenn die Steuervorteile auch hier wieder zurückgenommen werden.

Strom: Die EEG-Umlage ist seit dem 1. Juli 2022 gestrichen. Wer sich über sein vorschnell eher gekrächztes „Juchhu“ wundert, hat wohl schon die weiteren Informationen der Stromanbieter gelesen. Die Strompreise werden weiter steigen.

Also ist auch der Effekt schon wieder einkassiert. Was übrigens Stromund Mineralölkonzerne eint, ist wieder paradox. Beide klagen über Wettbewerb, hohe Bezugskosten, Lohnsteigerungen, Inflation, hohe Nachfrage und begründen damit das hohe Preisniveau. Ein Blick in die Bilanzen dieser Unternehmen zeigt jedoch klar und deutlich (und damit paradoxerweise) die zunehmenden Gewinne. Eigentlich wäre da doch Luft für Preissenkungen vorhanden, oder?

Keine Frage: Unternehmen müssen Gewinne erwirtschaften! Diese Gewinne müssen auch angemessen sein, aber genau hier sind wir schon beim Dilemma: Was ist angemessen? Wo sind die Grenzen? Zugegeben, ich muss teilweise schon über Zielsetzungen schmunzeln, wenn es um die Steigerung von Renditen, Gewinnen, Absatzzahlen geht. Alles kurzfristig gedacht, alles auf Basis aktueller Entwicklungen und immer zum Wohle des Shareholders. Allerdings auch ohne unbekannte Entwicklungen miteinzubeziehen. Selbst heute findet man Unternehmen, die ein „Was wäre wenn“-Risiko nicht einplanen. Bei allen Planspielen und dem übrigens daraus resultierenden Druck auf die Belegschaft wird vergessen, dass viele Dinge eben nicht beeinflussbar und damit absolut unbekannt sind. Wer konnte vor einem Jahr damit rechnen, dass sich ein Nachbarstaat nun im Krieg befindet und Energie hierdurch massiv verteuert wird? Bei den Planspielen der Energieund Mineralölkonzerne ärgert mich, dass die Auswirkungen auf die Gesamtwirtschaft langfristig negativ sein werden. Die durch die Profitgier entstehenden Mehrkosten belasten Unternehmen nicht unwesentlich. Zu hohe Strompreise werden in energieintensiven Branchen Abwanderungsgedanken aufkommen lassen und Schließungen (und damit den Verlust von Arbeitsplätzen) mit sich bringen. Andere Unternehmen werden ihre Gewinnziele zurückschrauben müssen, weil der Wettbewerb die direkte Weitergabe von gestiegenen Kosten kaum zulassen wird. Entsprechend muss an anderer Stelle gespart werden: Und nun raten Sie mal wo!

Und der Endverbraucher? Der hat ohnehin die Gesäßkarte gezogen, weil er das allerletzte Glied in der Kette ist. Auf ihn prasseln alle Preiserhöhungsgründe gesammelt ein und zeigen sich in Inflationsraten, die noch im letzten Jahr undenkbar waren. Er kann eigentlich nur noch seinen Konsum drastisch herunterfahren und muss hoffen, dass ein Zusammensein bei Kerzenschein und warmen Decken im Winter ausschließlich romantische Hintergründe hat.

Meine Frage also zum Schluss dieses Beitrags: Ist der Staat sich rechnerisch über die langfristigen Folgen wirklich im Unklaren? Dann führt mich das zu einer weiteren Definition: Paradox ist, wenn ein Mathematiker mit einer Unbekannten nichts anzufangen weiß!

 

AUTOR

Peter Insam ist seit rund 30 Jahren im Einkauf für Betriebsmittel und Investitionsgüter unterwegs, von denen er seit mehr als 25 Jahren die Geschicke verschiedener nationaler und internationaler Fuhrparks gelenkt hat. Heute ist er als Head of Corporate Procurement und zwischenzeitlich auch als Prokurist unter anderem für die knapp 700 Firmenfahrzeuge der Hays AG verantwortlich. Zuvor war er rund zehn Jahre für den Einkauf von Betriebsmitteln und Investitionsgütern für den Medizintechnik-Hersteller Maquet GmbH in Rastatt tätig. Hierzu gehörte auch die Leitung des Fuhrparks mit 350 Fahrzeugen am Standort Rastatt. Darüber hinaus sammelte er zahlreiche Erfahrungen im Rahmen von Auslandsaufenthalten in Frankreich und Australien.