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Flottenmanagement: Herr Maiwald, nennen Sie uns doch bitte ein paar Fakten zum Unternehmen carexpert und zu seiner Aufstellung in Deutschland. Welche Dienstleistungen kann der Kunde derzeit erwarten?

Carsten Maiwald: Die Gründungsidee der Vorstände der R+V Versicherung und Victoria (heute Ergo) für die carexpert im Jahr 1994 bestand darin, die Sachverständigengutachten flächendeckend kosteneffizient für die Versicherer zu organisieren. Um nicht Gefahr zu laufen, dass diese als Gefälligkeitsgutachten erscheinen, setzte die carexpert von Anfang an auf Qualitätssicherung, um die Neutralität in den Vordergrund zu stellen. Das erfolgt über eine Zertifizierung des Berufsbildes durch die ZAK-Zert GmbH, bei der wir Gründungsmitglied waren und mit der wir alle Führungskräfte zertifizieren lassen. Unsere Kunden sind Service-Versicherer, bei denen wiederum ihre Kunden im Fokus stehen. Sie ersetzen dem Versicherten das, was ihm laut Versicherungsvertrag und Rechtsprechung zusteht. Das heißt wiederum für uns, dass auch unsere Produkte genau dies erfüllen, also nach richtiger Art und Güte Reparaturen zu veranlassen. Unsere Neutralität müssen wir heute nicht mehr diskutieren, wir geraten auch nicht in Interessenskonflikte, weil wir unsere Kunden ausschließlich im B2B-Geschäft generieren. Unsere 250 fest angestellten Sachverständigen wie auch unsere kooperierenden freien Sachverständigenbüros erhalten eine fixe Vergütung. In den letzten 26 Jahren konnten wir damit sehr gesund wachsen. Heute arbeiten rund 380 Mitarbeiter für carexpert, ein weiterer Anteilseigner, die Nürnberger, ist 2011 hinzugekommen. Im Jahr begutachten wir rund 160.000 Fahrzeuge und prüfen rund 400.000 Belege. Unser Fokus liegt seit den letzten fünf Jahren darauf, sich von einer traditionellen Sachverständigenorganisation hin zu einem datengetriebenen Anbieter von Software und künstlicher Intelligenz zu entwickeln. Self-Service-Apps, Videobesichtigung, Bilderkennung und ein automatisiertes Schadenmanagement mit künstlicher Intelligenz ergänzen unsere Produktpalette. Hierbei verzahnen wir erfolgreich unsere konventionellen Produkte und Diensteistungen mit der digitalen Welt und realisieren ein integriertes Full-Service-Modell für unsere Kunden. Wir sehen unsere Wachstumschancen weiter im B2B-Geschäft sowie im deutschen Markt, dessen rechtliche Rahmenbedingungen wir gut kennen, begleiten aber unsere inländischen Kunden auch ins Ausland. Die Ausweitung unserer Produktpalette und Dienstleistungen unter anderem auf das Flottengeschäft ist naheliegend. 

Flottenmanagement: Herr Bogateck, Sie sind seit Sommer 2020 Vertriebsleiter bei carexpert. Welche Erfahrungen bringen Sie mit und wie konnten Sie diese in das Kfz-Sachverständigenunternehmen bisher einbringen? Welche Ziele haben Sie sich mittelfristig gesetzt und wie wollen Sie damit carexpert im Flottengeschäft für die Zukunft rüsten?

Michael Bogateck: In meiner beruflichen Laufbahn konnte ich zeitlich zu etwa gleichen Teilen Erfahrungen sowohl im Leasingund Flottengeschäft als auch im Reifenmanagement sammeln, unter anderem durch Berührungspunkte mit Versicherungen im Bereich Glasreparatur. Die Digitalisierungsstrategie, die carexpert unter anderem mit der Innovationswerkstatt, einer ausgegliederten Abteilung, angeht, hat mich überzeugt, mein Wissen mit hineinzubringen. Gerade Produkte für Flottenverantwortliche lassen sich gut und zügig digitalisieren, insbesondere im Nutzfahrzeugbereich können wir darüber einen hohen Mehrwert im Schadensprozess schaffen.

Aber nicht nur dort, wir haben alles im Blick, was Räder hat, Standard-Pkw natürlich, aber auch Spezialgebiete wie Lkw, Bergwerk-Fahrzeuge, landwirtschaftliche Maschinen. Die häufigsten Unfälle wie Parkrempler wollen wir sukzessive digitalisiert abwickeln und dort, wo es komplizierter wird, mit menschlicher Expertise arbeiten. Ein großes Geschäftsfeld ist die Fahrzeugrückgabe, die wir für unsere Kunden bewerten. Ein weiterer Kernbereich betrifft den Schadenmeldeprozess, den wir sensibel für den Nutzer und effizient für den Versicherer gestalten wollen, vor allem, weil es in der Flotte mit viel Arbeit verbunden ist. Hier sehen wir einen großen Mehrwert für alle Seiten. 

Flottenmanagement: Das Schadenmanagement ist ein Konstrukt aus hochsensiblen Prozessen, nicht nur auf der emotionalen, auch auf der Zeitund Kostenschiene. Welche Prozesse erwartet der Kunde heute? Wie können Sie die Kette transparent und sicher gestalten? 

Carsten Maiwald: Seit Jahren beeinflusst die Digitalisierung das Schadenmanagement nachhaltig. Skalierte Produkte verkaufen sich nur mit sinnvollen Prozessen und diese laufen innerhalb von Ökosystemen ab, die häufig nur in Kooperationen zustande kommen. Hier liegt heute unsere Herausforderung, Prozesse in Modulen orchestriert anzubieten. Ein Beispiel aus dem Standardversicherungsgeschäft ist, dass wir unser Sachverständigen-Know-how vorne in den Schadenmeldeprozess hineinbringen. Heute ist der erste Schritt, beim Versicherer anzurufen, damit der Schaden dort strukturiert aufgenommen wird. Morgen wird dies mehr und mehr online ablaufen, dafür haben wir Prozesse entwickelt. Schon jetzt haben wir eine Anwendung mit KI-Komponenten im Angebot, die eine Prognose der Schadenhöhe beinhaltet. Darin eingeschlossen sind die Netzwerke des Versicherers, beispielsweise Werkstätten. In unserer Anwendung werden die Schadenhöhe wie auch der Wiederbeschaffungsoder Restwert diagnostiziert und der Prozess wird nach dem Regelwerk des jeweiligen Versicherers weitergeführt. Das reicht bis in unser Terminierungstool, wenn es beispielsweise um Sachverständigentermine geht. Der Call-Center-Agent des Versicherers kann direkt im Telefonat einen Termin für eine Begutachtung generieren. Alle Bestandteile dieses Prozesses können auch weniger umfangreich, beispielsweise nur als App-Technologie für den Self-Service, angeboten werden – so wie es der Kunde braucht. Ein modulares Angebot ist hier gefragt. In den Fokus rücken die Art der Prozesssteuerung, die wir für die Versicherungen und Flotten mitdenken, mitentwickeln sowie elektronisch qualitätssicher und transparent einbinden. Zudem haben wir stets die Erhaltung der Kundenzufriedenheit im Blick.

Michael Bogateck: Aber auch für die Nutzer digitalisieren wir die Prozesse und entwickeln diese nah am Kunden in einem 80/20-Ansatz, um diese schnell an den Start zu bringen und so anwenderfreundlich wie möglich zu gestalten. Digitale Messung der Nutzung, selbstverständlich nach allen Regeln des Datenschutzes, zeigt, wo sie abbricht oder die Anwendung nicht richtig umgesetzt wird. Dann arbeiten wir am Warum und optimieren, wo nötig. Beispielsweise bei der Erstellung von Schadenfotos haben wir in der Anwendung Gitternetzlinien eingebaut, damit das Foto an der richtigen Stelle und aus der richtigen Perspektive gemacht wird (Output aus diversen Fokusgruppen mit Nutzern). So etwas bringt uns eine extrem hohe Akzeptanz mit steigenden Userzahlen. Ziel ist es, mit einer großen digitalisierten Prozessstrecke erst sehr spät unsere Experten einzusetzen zu müssen, was wiederum die Kosten für den Kunden niedrig hält. Wir gehen da sehr iterativ vor und können auch in immer kürzeren Intervallen Innovationen einpassen. Unsere Videobegutachtung wird als Software as a Service zur Verfügung gestellt und ist eigentlich für den Kfz-Bereich gedacht. Sachverständige nutzen sie mittlerweile auch für andere Begutachtungen von Sachschäden wie beispielsweise bei Brandlöchern in Wohnungsgegenständen. Denkbar ist diese auch für das Gesundheitswesen, wenn Pflegestufen eingeschätzt werden müssen. 

Flottenmanagement: Mit welchen Partnern arbeiten Sie zusammen, um für jedes Fachgebiet die richtigen Profis an der Hand zu haben und darüber Mehrwert für den Kunden schaffen zu können?

Michael Bogateck: Wir haben für jeden Bereich Spezialisten, die sich mit bestimmten Themenblöcken wie Elektrofahrzeuge, alternative Antriebe, Nutzfahrzeuge, Wohnmobile et cetera intensiv und zusätzlich zu der normalen Sachverständigenexpertise auseinandersetzen und als Ansprechpartner remote oder vor Ort für alle anderen Sachverständigen bereit stehen. Bei Brandgutachten beispielsweise mit Laborarbeiten kaufen wir die Expertise ein. Bei den Werkstattnetzen arbeiten wir mit denen zusammen, die unsere Kunden als Partner ausweisen. Wir kooperieren mit allen bekannten Restwertbörsen. Das ist im Übrigen ein schönes Beispiel für ein datengetriebenes Vorgehen. In welche Restwertbörse stellen wir welches Fahrzeug ein? In wie viele Börsen stellen wir ein? carexpert stellt rund 80.000 Fahrzeuge pro Jahr in Restwertbörsen ein. Über Jahre entsteht so ein großer Datenschatz, der über mathematische Modelle exakt analysiert werden kann. Der Handlungsbedarf für das Einstellen in die Restwertbörsen wird somit objektiv. Hierüber stellen wir sicher, dass wir für unsere Kunden immer den höchsten Restwert generieren, und halten dieses über ein laufendes Monitoring nach. Das KI-Know-how, das wir für unsere Geschäftsmodelle benötigen, erhalten wir über eine Unternehmensberatung, das notwendige Fachwissen steuern wir hinzu. Kalkulationsrelevante Daten beziehen wir über DAT oder Audatex. Für die Produkterstellung haben wir Kooperationspartner, mit denen wir schon seit Jahren erfolgreich zusammenarbeiten. 

Flottenmanagement: Wohin entwickelt sich der Markt des Schadenmanagements zukünftig mit steigender Automatisierung der Fahrzeuge und Digitalisierung der Prozesse?

Carsten Maiwald: Bei den Fahrzeugtechnologien geht es laufend um Innovationen, die auch beständig in den Ausund Weiterbildungen unserer Sachverständigen, unter anderem bei der Zertifizierung, thematisiert werden. Reparaturwege und -arten ändern sich permanent, auf die Weiterbildungen legen wir daher viel Wert. Ein nächster disruptiver Prozess, auf den wir uns einstellen, wird sein, dass die Sensorik des Fahrzeugs selbst in Echtzeit Daten zum Schaden liefert. Mit fortschreitendem Einbau von Assistenzsystemen und deren Vernetzung – wir befinden uns bereits in der dritten Stufe von fünf beim autonomen Fahren – wie in Stufe vier erwartet, wird deutlich weniger herkömmliches Geschäft für Sachverständige übrig bleiben, wenn das Fahrzeug selbst seinen momentanen Zustand meldet. Im Display wird dem Fahrer der nächste notwendige Prozessschritt angezeigt und das Schadenmanagement wird automatisiert gestartet. Wir bereiten uns darauf vor, denn unser zukünftiges Aufgabenfeld wird weiter sein, den Schaden zu interpretieren, also was wie repariert werden muss, und nachgelagert das Management des Reparaturprozesses zu übernehmen und zu steuern.