
Übrigens hat das stachelige Corona-Bällchen nicht nur in medizinischer Hinsicht etliche Mutationen durchgemacht, sondern zumindest auch eine aus sprachlicher Sicht. Denn war anfänglich das Virus ein Neutrum als medizinischer Fachbegriff mit lateinischer neutraler Herkunft (übersetzt: Schleim, Saft, Gift), so verwandelte sich der Virus aufgrund seiner -us-Endung in ein männliches Ungetüm. Beide Formen sind aber laut Duden „erlaubt“.
Die Zeit nach Corona wurde schon als Zeitenwende auf der Straße herbeigeredet. Endlich dem klassischen Auto den Garaus machen. In den Städten nur noch Fahrradwege, Fußgängerzonen und als Rückgrat der Mobilität der ÖPNV. Alles super pünktlich und komfortabel, ja sogar auf dem Lande funktioniert es nun reibungsfrei. Und wenn überhaupt, beispielsweise für Sharing- Dienste, sind dann natürlich nur noch Elektroautos unterwegs.
Aber wie so häufig, war dieses Zukunftsbild durch Nebelschwaden (wahrscheinlich aus Autoabgasen!) nur schemenhaft zu erkennen, eher als ein Zerrbild. Je genauer man hinsah, umso widersprüchlicher wurde die ach so schöne Vision. Denn nimmt man allein den ÖPNV, macht sich lähmende Ernüchterung breit. Zu Hochzeiten von Corona wurden natürlich Bus und Bahn gemieden wie der Teufel das Weihwasser – aus Angst vor Infektionen und auch wegen der lästigen Maskenpflicht.
Der Zauber sollte sich aber doch irgendwann durch Impfen und Genesen wie morgendlicher Nebel durch Sonneneinstrahlung auflösen lassen. Doch da hat man die Rechnung ohne die Verkehrsunternehmen gemacht. Die hatten sich eigentlich zum Ziel gesetzt, die Fahrgastzahlen in den nächsten Jahren deutlich zu erhöhen, ja sogar von Verdoppelung war da die Rede, um die hochgesteckten Klimaziele bezüglich der Mobilität zu erreichen. In einer wohl unveröffentlichten Studie des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB) und des Instituts für angewandte Sozialwissenschaft Infas sieht man den ÖPNV allerdings gänzlich anders, man spricht gar von einer „strukturellen Krise“ des Gesamtsystems.
Jeder zweite ehemalige ÖPNV-Passagier saß Anfang 2021 lieber im Auto. Zu Beginn der Pandemie 2020 mit Lockdown tat dies nur jeder dritte. Verkehrsanalytiker Andreas Knie vom WZB geht daher gegenüber dem Spiegel sogar noch einen Schritt weiter und spricht vom ÖPNV als „Totalausfall“. Die coronösen Einflüsse spielen dabei nur am Rande eine Rolle. Die „mutierte“ Arbeitswelt mit verschiebbaren Arbeitszeiten und Homeoffice stellt ganz andere Anforderungen an die Angebote, jenseits der Konzentration auf die klassischen Rushhour. Angeführt werden daher besonders die nicht vorhandene Flexibilität und die schlechte Qualität als Gründe für die Abkehr von Bus und Bahn. So gehen dann auch die Abonnenten flöten, was noch weniger Geld für Verbesserungen bedeutet.
Zudem ist das Fahrrad zwar auf dem Vormarsch, aber als echten Gewinner der Pandemie sieht es die Studie nicht. Allerdings in Städten mit gut ausgebauter Rad-Infrastruktur ist schon ein deutlicher Zuwachs an Radlern zu verzeichnen, aber das ist bundesweit gesehen eher der Ausnahmefall. Hoffnung erwächst da aus einem neuen Rechtsgutachten, das zu dem Schluss kommt, dass die ach so heiß diskutierten Pop-up-Radwege deutlich einfacher „rechtssicher“ einzurichten sind, als viele Städte glauben. Die Argumentation geht dabei nicht über eine besondere Gefahrenlage, sondern über einen Nachweis, „dass die erstrebten Wirkungen nicht auch ohne diese Maßnahmen erreicht werden können“. Trotzdem kann man nach Bundesrecht einzelne Straßen nicht einfach vom Autoverkehr „befreien“.
So macht sich der Radverkehr auch auf der IAA Mobility in München breit und verdrängt die Autos zunehmend. Zudem scheint der Radverkehr den gleichen (Holz?)Weg einzuschlagen wie die vierrädrigen (SUV-)Kollegen: schwer und elektrisch. Wie beim Corona-Virus gibt es auch beim Fahrrad Mutationen und ständig steigende Infektionszahlen. Die Varianten heißen dann Pedelec, E-Bike oder Lastenrad. Nach einem geeigneten Impfstoff wird (von der Autoindustrie?) noch geforscht …
Nun geht diese ganze Entwicklung einher mit, sagen wir mal, vagen Vorstellungen von dem, was denn eigentlich das große Ziel für den Umgang mit dem Auto ist. Denn alles auf einmal kann man nicht haben. Redet man heute über elektrisch, so zielt das auf Klimaneutralität ab. Würde am Schluss bedeuten, wir haben so viele Autos wie zuvor, nur halt sauber(er). Damit wäre aber das Platzproblem in den Städten mitnichten gelöst. Und die schönen Staus gäbe es natürlich auch noch.
Vielleicht will man da ja auch durch die Hinter- AUTOR tür den motorisierten Individualverkehr komplett ausbooten. Es blieben dann Angebote mit Sharing-Autos, die emissionsfrei und super sauber sind, innen und außen. Und natürlich autonom abrufbar. Dann bräuchte man, um die Mobilitätsanforderungen weiter zu befriedigen, deutlich weniger Fahrzeuge. Wie viel weniger ist weitgehend unklar. Statt 48 Millionen Pkw heute dann nur noch 24 im Jahr 2050? Und wo steht (!) der erwähnte ÖPNV dann?
Die Überlegungen zur Zukunft des Autos sind ja nicht neu und erstaunlich stabil, wenn es um die Technik geht. Kaum jemand wird sich heute noch an die Geschichte von Simca erinnern („Société Industrielle de Mécanique et Carrosserie Automobile“), die allerdings schon 1978 mit dem Verkauf an Peugeot endete, wobei einige Fahrzeuge unter dem Namen Talbot eine Zeit lang weiter verkauft wurden.
In der Blütezeit war Simca auf einer Höhe mit Peugeot und Citroën in Frankreich. Als 1958 von einem Comicmagazin („Tintin“) nach Ideen für ein Zukunftsauto gefragt wurde, beantwortete Simca diese Frage mithilfe des jüngsten Mitarbeiters Robert Opron. Der kreierte zu diesem Zweck den Simca Fulgur (lat. Blitz). Das Fahrzeug stand in keiner Hinsicht heutigen Visionen nach.
Auf der Autobahn von einem Kontrollturm vollautomatisch gesteuert, angetrieben durch elektromagnetische Induktion und jenseits der Autobahn durch einen Mini-Reaktor mit Strontium 82 (Reichweite 5.000 Kilometer!). Bei hohen Geschwindigkeiten (150 km/h) wurden die Vorderräder eingefahren und Gyroskope (Kreiselsysteme) kamen zum Einsatz. Auch V-Leitwerke und geschwindigkeitsabhängige Scheinwerfer waren im Spiel. Opron wechselte später zu Citroën und erschuf so legendäre Autos wie den Citroën SM, den Renault Fuego oder den Alpine GTA. Der Fulgur blieb aber im Vergleich dazu unerreicht (und ungebaut!).
Das Auto wird aber auf jeden Fall bleiben, in welcher Form und Vision auch immer. Was aber auch bleiben wird, und das noch vehementer, ist der Lkw. Da ist vor allem der Visionsspielraum deutlich enger als beim Pkw. Fliegende vollelektrische autonome Lkw mit Flügeltüren wird es wohl so schnell nicht geben. Schaut man sich die Corona-Bilanzen für den Gütertransport an, so stellt man für Anfang 2021 gegenüber der Zeit vor der Pandemie ein deutliches Minus auf Schienenwegen und Wasserstraßen fest, dagegen neue Rekorde auf der Straße. Hier liegen die Werte jetzt schon ein Prozent über der Vorkrisenzeit. Selbst im Jahr 2020 wurden 85 Prozent aller Ladungstonnagen mit dem Lkw transportiert, in Zahlen sind das 3,77 Milliarden Tonnen.
So versucht(e) die Bundesregierung zumindest den Übergang vom Diesel zu alternativen Antriebsarten mit über einer Milliarde Euro zu pushen, pro Einzelfall bis zu 80 Prozent der Mehrkosten. Natürlich kam auch hier sofort Kritik, sogar aus den eigenen Regierungsreihen, denn ob schmutzige oder saubere Lkw im Stau stünden, mache doch schließlich keinen Unterschied. Also auch hier die Frage nach dem Endziel. Im Verkehrsministerium hat man anscheinend beim Umstieg auf die Schiene kapituliert und versucht nur ein wenig „abzufedern“.
Selbst die Bahnspedition DB Schenker treibt es weiter auf der/die Straße. Nach eigenen Tests ist man zu dem Schluss gekommen, dass der Schienentransport zu störanfällig und damit nicht konkurrenzfähig sei. Doch auch die Situation auf der Straße verschärft sich, denn durch ausländische Billiganbieter, vornehmlich aus Ost- und Mitteleuropa mit einem Anteil von mittlerweile 33,8 Prozent, werden die Straßen geradezu „überflutet“. Damit wird der Vorteil im Bereich Just-in-time-Lieferung durch Staus förmlich ausgebremst.
Um dem ganzen Treiben, insbesondere auf der Straße, Herr zu werden, hat Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer nun eine neue „Mobilitätsakademie“ eröffnet. Und wo? Natürlich in München, wo sein Parteikumpel Markus Söder nun auf 500 Millionen Euro aus dem Bundeshaushalt setzen kann. Scheuer verstieg sich bei der Eröffnungsrede sogar zu der Aussage: „Die Weltöffentlichkeit blickt auf Deutschland an diesem Tag.“ Dafür kann es allerdings verschiedene Gründe geben …
Ob dieser „Leuchtturm mit internationaler Strahlkraft“ tatsächlich mal die Scheinwerfer anmacht, bleibt wohl erst mal abzuwarten, denn eigentlich wird ja schon fast überall über irgendwelche mobilen Projektionen nachgedacht. Scheuer schloss die Rede mit einer neuerlichen Drohung, einem Queen-Titel: „Don’t stop me now“. Ministerpräsident Söder konterte unpersönlicher: „We will rock you!“ Na so schlimm wird es wohl nicht werden. Klar ist nur, dass dort wieder viel Steuergeld über den Schreibtisch von Scheuer nach Bayern auf eine ungewisse Reise geht.
Rocken will aber vor allem Scheuer Falschhalter und -parker. Denn die aus dem Verkehrsministerium kommunizierten neuen Bußgelder sind nicht von Pappe. Zum Schutze der Radfahrer und Fußgänger werden nun beim Parken auf Gehoder Radwegen, beim Halten oder Parken auf dem Schutzstreifen sowie beim Halten in zweiter Reihe bis zu 110 Euronen aufgerufen. Und die beliebten Flensburger Pünktchen gibt es jeweils kostenlos dazu.
Über Tempolimits, ob auf Autobahnen, Landstraßen oder in Städten, wird die neue Bundesregierung auf jeden Fall nachdenken. Es werden dann auch immer wieder Beispiele genannt für tolle Projekte in dieser Richtung. So zuletzt in Paris, wo flächendeckend Tempo 30 gilt. Ausgenommen sind nur einige Hauptachsen. Überhaupt scheint Paris so eine Art Innovationsschaltstelle zu sein. Dort versucht man nämlich „Quallen“ heimisch zu machen. Nicht die glitschigen Nesseltierchen sind damit gemeint, sondern Lärmradare („Méduse“) gegen laute Biker und Poser. Die vier Mikrofonarme lassen angeblich Ähnlichkeiten mit den Tierchen erkennen. Auch da vernebelten wahrscheinlich wieder Abgaswolken den scharfen Blick …
Das Tempolimit vorweggenommen hat offenbar die Autobahn GmbH des Bundes. Von „Stolperstart“ war in der FAZ die Rede. So richtig aufs Gaspedal hat da jedenfalls noch niemand getreten. Man halte sich vor Augen, dass bei einem Autobahnnetz von rund 13.000 Kilometern am Ende mindestens ein Mitarbeiter pro Kilometer dort arbeiten soll. So kann man sich die Größe eigentlich recht gut vorstellen. Vielleicht sollte man die Namen der jeweils Zuständigen am Rand einfach bekannt geben.
An Ideen für die Mobilität der Zukunft mangelt es nicht und so mancher meint, den Gral der Verkehrswelt gefunden zu haben. Aber der Schein trügt allzu oft. Und der Gral bleibt bis heute auch unentdeckt. Was auch immer kommt, die Straßen bleiben das Rückgrat unserer Mobilität. Ihre „Erfindung“ ist eigentlich wichtiger als die des Rades, das ohne die Straße nichts wert wäre. Aber auf den Straßen haben auch Revolutionen stattgefunden. Wollen wir das mal als gutes Omen sehen!
AUTOR
PROFESSOR DR. MICHAEL SCHRECKENBERG, geboren 1956 in Düsseldorf, studierte Theoretische Physik an der Universität zu Köln, an der er 1985 in Statistischer Physik promovierte. 1994 wechselte er zur Universität Duisburg-Essen, wo er 1997 die erste deutsche Professur für Physik von Transport und Verkehr erhielt. Seit mehr als 20 Jahren arbeitet er an der Modellierung, Simulation und Optimierung von Transportsystemen in großen Netzwerken, besonders im Straßenverkehr, und dem Einfluss von menschlichem Verhalten darauf.
Seine aktuellen Aktivitäten umfassen Onlineverkehrsprognosen für das Autobahnnetzwerk von Nordrhein-Westfalen, die Reaktion von Autofahrern auf Verkehrsinformationen und die