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In vielen Städten Deutschlands werden die gesetzlichen Grenzwerte für die Stickstoffdioxid-(NO2-) Immissionen überschritten – es drohen unter anderem (weitere) Dieselfahrverbote. Daher hatte der Bund dem EU-Kommissar Karmenu Vella Anfang 2018 ein Bündel von Maßnahmen zur Luftreinhaltung in Deutschland angekündigt. Diese werden jetzt in Form von Projekten in den oben genannten fünf Modellstädten („Lead Cities“) von Anfang 2019 bis Ende 2020 erprobt.

Was setzen die Modellstädte genau um beziehungsweise was ist in Planung? Für den Nahverkehr von Bonn und Reutlingen ist seit Anfang Januar ein Jahresticket für einmalig 365 Euro im Jahr verfügbar. Essen wiederum bietet Neukunden ein Ticket für 30 Monate für die Hälfte des bisherigen Preises an. In Mannheim wurden die Preise für den ÖPNV um bis zu einem Drittel gesenkt. In Herrenberg sind die Preise für zahlreiche ÖPNV-Tickets ebenfalls deutlich gesenkt worden, so ist beispielsweise ein Monatsticket für die Herrenberger Gemarkung 20 Euro günstiger und kostet jetzt 47,60 Euro. Zudem sind in allen fünf Städten weitere Maßnahmen zur Luftverbesserung geplant.

Das klingt im ersten Moment nach guten Ansätzen. Aber ist es auch wirklich sinnvoll? Schließlich gehen nun weitere zwei Jahre ins Land, in denen in einigen wenigen Städten herumexperimentiert wird. Die verschiedenen Konzepte dürften – im Erfolgsfall – auch nur schwer flächendeckend übertragbar sein, zu unterschiedlich sind die Voraussetzungen und das bereits vorhandene Angebot in den Städten hierzulande.

Exemplarisch schauen wir einmal näher auf die umgesetzten und anlaufenden Maßnahmen in Bonn. Veronika John, stellvertretende Pressesprecherin der Stadtwerke Bonn (SWB), zieht auf Anfrage von Flottenmanagement ein positives Zwischenfazit: „Der Absatz des neuen Angebots ist gut angelaufen. Es sind mehr als 3.500 Jahrestickets bis Ende Februar 2019 verkauft worden und es liegen noch mehrere Monate vor uns, das Ticket abzusetzen.“

Bonn stellt insgesamt 17.000 der 365-Euro-Tickets zur Verfügung – Abo-Bestandskunden (rückwirkend bis ein Jahr) können es jedoch nicht erwerben. Der Hintergrund ist klar: Die Stadt will neue Kunden dazu bewegen, den ÖPNV zu nutzen. Zudem ist das Fördergeld begrenzt, eine Vergünstigung für alle (Neu- sowie Bestandskunden) ist schlicht nicht möglich. Doch wirklich fair erscheint das nicht. Denn für ein vergleichbares Ticket im Abo zahlen Bestandskunden in Bonn 85,10 Euro im Monat, auf das Jahr gerechnet sind dies knapp über 1.000 Euro – das heißt über 650 Euro mehr als Neukunden. Hier scheint Ärger vorprogrammiert.

Immerhin: Sowohl Bestands- als auch Neukunden kommen in den Genuss des erweiterten ÖPNV-Angebots innerhalb Bonns. Erste Maßnahmen wie Taktverdichtungen auf den Straßenbahn- und Buslinien sind bereits umgesetzt, weitere werden in diesem Sommer folgen. Gegen Ende der Förderung sind dann auf den verstärkten Linien gezielte Fahrgastzählungen geplant. „Auf Basis dieser Ergebnisse wird zu entscheiden sein, ob die zusätzlichen Angebote auch ohne Förderung des Bundes erhalten bleiben sollen“, heißt es vonseiten der Stadt Bonn.

Ein weiterer wichtiger Baustein in Bonn ist die Verbesserung des „Betrieblichen Mobilitätsmanagements“. Es fahren rund 62.000 Menschen täglich aus dem Rhein-Sieg-Kreis zu ihrer Arbeitsstelle in die ehemalige Bundeshauptstadt, etwa 18.300 Bonner umgekehrt in das Kreisgebiet. Gerade in den Morgenstunden und am frühen Abend sind in der Region Staus und stockender Verkehr in Kilometerlänge keine Seltenheit. Auf Anfrage von Flottenmanagement zum Status quo dieses Projekts gab es Mitte März folgende Antwort von Marc Hoffmann, stellvertretender Pressesprecher der Bundesstadt Bonn: „Aufgrund längerer Abstimmung mit dem Fördergeber ist das Projekt Betriebliches Mobilitätsmanagement noch nicht offiziell gestartet. (…) Die Projektträger Stadt Bonn, Rhein-Sieg-Kreis und Zukunftsnetz Mobilität NRW sind optimistisch, dass es zeitnah nach dem offiziellen Start – voraussichtlich in den nächsten ein bis zwei Monaten – auch erste Erfolge bringen kann.“ In Planung sind hier unter anderem 36 Mobilstationen, wo Nutzer schnell von Bus und Bahn auf Leihfahrräder oder Mietautos wechseln können. Zudem sollen Radschnellrouten entstehen.

Somit soll Arbeitnehmern in der Region der Umstieg vom Pkw auf andere Verkehrsmittel weiter erleichtert werden. Auch die Unternehmen selbst sind aber gefordert. Lösungen wie das Mobilitätsbudget gibt es bereits. Dabei bekommt der Mitarbeiter statt eines Dienstwagens ein Budget für seine Mobilität gestellt. In der Regel steht ihm das Geld, das er von seinem Budget nicht verwendet, dann zu freien Verfügung. Schon eine länger zurückliegende Umfrage von Muconsult research zeigte auf, dass finanzielle Vorteile der wichtigste Grund für Mitarbeiter seien, um an einem Mobilitätsbudget teilzunehmen (62 Prozent der Befragten gaben dies an) und somit das Mobilitätsverhalten zu verändern.

Blick ins Ausland
Blickt man auf das europäische Ausland, stellt man schnell fest, dass einige Städte schon einen Schritt weiter als die deutschen Modellstädte sind. Perfekt ausgebaute Radwege gibt es beispielsweise in Kopenhagen. In der estnischen Hauptstadt Tallinn können alle gemeldeten Einwohner bereits seit sechs Jahren gratis mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren (lediglich eine Chipkarte muss einmalig für zwei Euro angeschafft werden). Touristen müssen hier nach wie vor zahlen. In Aubagne (Südfrankreich) sind seit 2009 öffentliche Busse für sämtliche Fahrgäste kostenfrei. Die Fahrgastzahlen sind seither um fast 80 Prozent angestiegen. Das Ganze wird hier im Wesentlichen über eine Arbeitgebersteuer (Versement Transport) finanziert. Luxemburg wird ab dem 1. März 2020 gar als erstes Land der Welt den gesamten ÖPNV kostenlos anbieten. Kosten fallen hier nur bei Buchung der ersten Klasse an. Der Gratis-Nahverkehr soll für eine Entspannung der Verkehrssituation – vor allem verursacht durch den Pendlerverkehr – in dem kleinen Land sorgen. Daneben gibt es in mehreren europäischen Ländern für Senioren die Möglichkeit, kostenfrei mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu fahren.

VORBILD WIEN
Als Vorbild in Sachen Nahverkehr gilt Österreichs Hauptstadt Wien. Seit 2012 kann hier die Jahreskarte für den öffentlichen Nahverkehr für 365 Euro erworben werden, das Angebot wird sehr gut angenommen. Nach der Einführung stieg die Zahl der Nutzer von 373.000 auf 780.000 (Stand Mitte 2018). Wien muss(te) allerdings gewaltig investieren, Busse und Bahnen wurden modernisiert, die Taktungen der Linien verkürzt, im Herbst 2018 begannen die Arbeiten für die neue Linie U5. Ganz ohne Preiserhöhungen sind diese Maßnahmen auch nicht zu stemmen. Die Preise für Einzelfahrscheine und Wochenkarten wurden kürzlich etwas angehoben. Das Jahresticket steht nach wie vor bei seinen 365 Euro.

Fazit
Bundesumweltministerin Svenja Schulze sagte im Vorfeld des Projekts: „Mein Ziel ist es, dass in allen Städten der EU-weit gültige Grenzwert für NOx eingehalten wird. 2017 gab es noch 65 Städte, wo das nicht gelungen ist. Aber nur, wenn wir für saubere Luft sorgen, können wir auch Fahrverbote vermeiden. Die Richtung des Weges stimmt, aber wir sind noch nicht am Ziel.“ Letztlich muss man die Ergebnisse der Testphase abwarten, um ein genaues Bild zeichnen zu können. Besonders die Idee des 365-Euro-Tickets findet derweil auch in anderen Städten, wie zum Beispiel Darmstadt, Leipzig und Ludwigsburg, Anklang und erscheint (zumindest vorerst) realistischer als ein Gratis-ÖPNV. Trotzdem bleibt fraglich, ob das wirkliche Kernproblem damit gelöst wird. Denn einige Beispiele (Hasselt*, Tallin, Wien) zeigen zwar, dass die Nutzerzahlen für den ÖPNV bei Vergünstigungen massiv ansteigen, die meisten neuen Fahrgäste aber zuvor nicht mit dem Auto, sondern mit dem Fahrrad oder zu Fuß unterwegs waren.

* Belgische Kleinstadt mit kostenlosem ÖPNV von 1997 bis 2013, eingestellt wegen zu hoher Kosten.