
„Fußgänger und Radfahrer werden täglich im Straßenverkehr von abbiegenden Lkw gefährdet. Häufig kommt es dabei zu schrecklichen Unfällen. Diese könnten durch Abbiegeassistenten vermieden werden. Doch die gesetzlichen Voraussetzungen sind international geregelt und können von Deutschland nicht im Alleingang geändert werden“, erklärt Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer. Die EU sieht nach derzeitigem Stand einen verpflichtenden Einbau von Abbiegeassistenten erst 2024 vor und dann auch nur für Neufahrzeuge. Das dauert dem Verkehrsministerium viel zu lange, denn die Zahl an Radfahrern in den Innenstädten nimmt täglich zu. Daher möchte das Ministerium um Andreas Scheuer nicht untätig bleiben und hat die „Aktion Abbiegeassistent“ gegründet, der sich mit Edeka/Netto Marken-Discount, Aldi Nord, Aldi Süd, Alba oder DB Schenker bereits namhafte Logistikflotten angeschlossen haben. Das Ziel der Aktion ist es, die nationalen Möglichkeiten auszuschöpfen, um die Einführung des Assistenten in den Flotten zu beschleunigen. Unternehmen, Logistiker, Hersteller, Prüforganisationen, Verbände sowie Autofahrer- und Radfahrerclubs und Vertreter der Polizei arbeiten gemeinsam mit dem Ministerium.
Es wurde auch schon einiges Konkretes auf den Weg gebracht, um den Abbiegevorgang von Lkw und Bussen übersichtlicher zu gestalten, sodass Radfahrer weniger Gefahr laufen, in einen Unfall verwickelt zu werden. So gibt es vom Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) Empfehlungen zu technischen Anforderungen an Abbiegeassistenzsysteme für die Aus- und Nachrüstung an Nutzfahrzeugen mit einer zulässigen Gesamtmasse von mehr als 3,5 Tonnen und Kraftomnibussen mit mehr als 9 Sitzplätzen. Diese helfen sowohl dem ausführenden Dienstleister als auch dem Unternehmen, das beschließt, seine Flotte mit diesen Assistenten nachzurüsten. Doch natürlich bleibt eine Nachrüstung freiwillig. Einen Anreiz, diesen Aufwand dennoch auf sich zu nehmen, soll ein Förderprogramm liefern. Ab dem 21. Januar 2019 konnten Anträge für eine Förderung beim Bundesamt für Güterverkehr (BAG) gestellt werden. Alle Abbiegeassistenzsysteme, die den genannten Empfehlungen des Verkehrsministeriums entsprechen, waren dabei förderfähig. Die Nachfrage nach der Förderung war enorm: Bereits nach vier Tagen waren die zur Verfügung stehenden Mittel durch die bisher eingegangenen Förderanträge gebunden – ein großer Erfolg für das Förderprogramm. Eine Fortführung wurde bereits in Aussicht gestellt (Stand: Februar 2019). Informationen dazu finden sich auf der Seite des BAG.
Auch schon vor Einführung des Förderprogramms konnte Claus Wollnik, Gründer und Geschäftsführer des Nachrüstspezialisten Wollnikom, gegenüber Flottenmanagement berichten, dass derzeit „die Nachrüstung von Totwinkelassistenten und Rückfahrkameras im Transportersegment“ besonders gefragt sei (FM 6/2018).
Das Thema Abbiegeassistent beschäftigt also derzeit viele Unternehmen. Doch wie funktioniert so ein Assistent eigentlich? Primär sind Abbiegeassistenten technische Lösungen, die Lkw- oder Busfahrer warnen sollen, wenn beim Abbiegen Fußgänger oder Radfahrer gefährdet würden. Ein Szenario, das durch die Zunahme des Radverkehrs, aber auch des Lieferverkehrs in den Städten immer häufiger auftritt. Gemäß den Anforderungen soll ein Abbiegesystem unter anderem Radfahrer von statischen Objekten unterscheiden können. Auf Nachrüstungen sind diese Anforderungen jedoch nicht vollständig anwendbar, da die Nachrüstsysteme nicht von Anfang an in der Fahrzeugelektronik berücksichtigt wurden und gegebenenfalls nicht komplett integriert werden können. Technisch gibt es wiederum mehrere Möglichkeiten. Zum einen gibt es sensorbasierte Systeme, die den Totwinkelbereich abdecken und mithilfe einer Kontrollleuchte im Führerhaus des Lkw den Fahrer warnen, wenn eine Person sich in diesem Bereich aufhält. Zum anderen gibt es kamerabasierte Systeme, welche die Gefahrenzonen auf einem Bildschirm darstellen können.
Beide Systeme haben Vor- und Nachteile. Kritisch wird bei beiden Systemen die Informationsflut betrachtet, der sich der Fahrer im Cockpit seines Lkw gegenübersieht. So wird bei sensorbasierenden Assistenten angeführt, dass das häufige Blinken gerade im Stadtverkehr dafür sorgt, dass die Warnung zur Normalität wird und in der Folge ignoriert werden könnte. Bei den kamerabasierenden Systemen kommt zu der Vielzahl an Spiegeln und Bildschirmen noch ein weiterer Bildschirm hinzu, den der Fahrer im Blick haben muss. Gerade beim Abbiegen kann so eine Überforderung des Fahrers eintreten. Mercedes-Benz Trucks bietet daher ab Werk sowohl einen sensorbasierten Abbiegeassistenten als auch ein Kamerasystem zum Überblicken des toten Winkels an.
Gerade kommunale Flotten sind hauptsächlich im städtischen Umfeld unterwegs und besonders von dem Konfliktfeld beim Rechtsabbiegen betroffen. Derzeit wird in vielen Kommunen die Nachrüstung dieser Assistenten diskutiert und Testphasen werden angestoßen. Da die Lkw im kommunalen Umfeld häufig sehr lange Laufzeiten haben, sind bei der Nachrüstung Einbau und Wartung ein großes Thema. Hier fehle es oft an Dienstleistern, bemängelten einige der Teilnehmer des Fachkreises „Kommunales Fuhrparkmanagement“ des Bundesverbands Fuhrparkmanagement.
Es gibt übrigens neben den zwei genannten Systemen noch eine dritte Möglichkeit das Rechtsabbiegen von Lkw in der Stadt sicherer zu machen. Der sogenannte Bike-Flash ist ein Abbiegeassistent, der nicht am Fahrzeug montiert wird, sondern an der jeweiligen Kreuzung beziehungsweise Gefahrenstelle (siehe Bild). In verschiedenen Höhen werden Leuchtbänder angebracht, die mit einem Infrarotradar verbunden sind. So bekommt das abbiegende Fahrzeug mit, wenn ein Radfahrer oder Skater sich der Kreuzung nähert. Das System hätte den Vorteil, dass alle Fahrer davon profitieren, also auch Pkw. Ein erstes Pilotprojekt wurde 2018 in Garbsen bei Hannover gestartet.
Fazit
Jeder Verkehrstote ist einer zu viel, da sind sich wohl alle Beteiligten einig. Der Weg, dieses Ziel zu erreichen, ist jedoch nicht einheitlich. Neben der Nachrüstung von Lkw oder Warnsystemen an Kreuzungen ist mittelfristig auch die Stadtverkehrsplanung gefragt, Gefahrenstellen zu entschärfen und Lösungen für den zunehmenden Radverkehr zu finden.