Der künstliche Umbruch

Momentan leben wir in einer Gesellschaft, in der sich die mentalen Möglichkeiten mit einer Geschwindigkeit ändern, oder besser fortentwickeln, von der die Automobilindustrie nur träumen kann. Kein Zaudern, kein Abwägen und kein Warten auf staatliche Unterstützung – einfach machen heißt die Devise. Der Antrieb ist die Faszination am Neuen, in einem dem Buchdruck oder dem Internet mit Smartphone und Tablet vergleichbaren Maße.

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Doch nun liegen die Dinge etwas anders. Die Dynamik ist so groß, dass selbst bei Erscheinen dieser Kolumne Teile wahrscheinlich schon wieder überholt sind. Überholen ist hier überhaupt das Stichwort der Stunde, denn der erbitterte, billionenschwere Kampf um die Führungsposition bei der Entwicklung der Künstlichen Intelligenz (KI) ist in vollem Gange. Eine Erfolgsmeldung jagt die andere, und mit jeder weiteren geht die Möglichkeit, den Überblick zu behalten, Stück für Stück verloren.

Die Folgen reichen zutiefst bis ins private und vor allem berufliche Leben. Ganze Berufsstände blicken zitternd auf die Entwicklungen, ist es doch nur eine Frage der Zeit, bis der, natürlich von einer KI geschriebene, Abschiedsbrief in welchem Postkasten auch immer liegt.

Unerbittlich wird eingespart, was das Zeug, oder besser die KI, hält. Ganze Verwaltungen schrumpfen zu Rechenzentren, selbst Chefs spüren in ihrem Sessel das unangenehme Vibrieren eines Schleudersitzes. In mancher Szene geht schon die Mär von KI-Tropfen umher, die genauso zum K.O. führen (können) wie ihre Namenskollegen.

Der Phantasie sind bei den weiteren Anwendungen keine Grenzen gesetzt. Häufig übertrifft das reale Resultat die eigene Vorstellungskraft bei weitem. Aber auch viel Enttäuschung ist dabei; nicht alles macht halt Sinn. Auch hier zeigt sich wieder einmal, vergleichbar mit dem Bau der Atombombe oder der Genmanipulation, dass alles, was gedacht werden kann, auch angegangen wird, egal wie die Konsequenzen aussehen.

Unlängst kam die NASA in einer Studie zu dem Ergebnis, dass dies auf eine funktionale Fehlleistung der menschlichen Intelligenz zurückzuführen ist und am Ende unweigerlich zur Selbstzerstörung führt. Die Neugier ist größer als die Angst vor den Folgen. Dies ähnelt dem Spiel von Kindern: Erstmal alle Spielsachen auspacken und beim Spiel weiträumig verteilen, aber ans spätere Aufräumen wird kein Gedanke verschwendet. Das ist dann häufig mehr als nur ein Wermutstropfen. Den gibt es bestimmt auch schon alkoholfrei.

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Schon Friedrich Dürrenmatt warnte in seinem famosen und grotesken Theaterstück „Die Physiker“ von 1961 vor der Unabwendbarkeit von Entwicklungen. Heute würde er das Stück eher „Die Informatiker“ nennen. Die Hauptdarsteller wären dann nicht Isaac Newton und Albert Einstein, sondern vermutlich die Computer- und KI-Pioniere Alan Turing und John von Neumann. Die fiktive Figur des Protagonisten Wilhelm Möbius in dem Werk könnte bleiben oder einfach in Wilhelm Musk umbenannt werden.

Aber auch Edvard Munch würde sein Motiv „Der Schrei“ ein wenig anpassen, und die schreiende Person hätte zumindest ein Smartphone mit einer geöffneten Version von ChatGPT (mindestens Version 5!) in der Hand. Schreien würde der androgyne Protagonist von Munch auch angesichts der Ratlosigkeit über die richtige Wahl der Antriebstechnik. Was ist denn nun mit dem Verbrenner-Aus? Die Person bei Munch ist entsetzt (auch) angesichts des „glutroten“ Himmels, der auf Feuer hinweisen kann (Ausbruch des Vulkans Krakatau 1893 in Indonesien?). Oder ist es das Feuer des neuen Verbrenners von Carl Benz, vor dem sie sich fürchtet? Schließlich wurde der Benz Patent-Motorwagen schon 1886 angemeldet. Eine in der Tat kühne Spekulation ...

Vielleicht hilft bei dem ganzen Wirrwarr in der Verbrenner-Diskussion tatsächlich nur noch gezielte KI-Unterstützung, denn wir verlieren leicht den Überblick über die verschiedenen kontroversen Argumente. So könnte eine KI alles schön sauber analysieren und ordnen. Allerdings, und hier wird die Sache dann doch wieder unübersichtlich, gibt es sehr unterschiedliche KIs mit divergierenden Meinungen und eben nicht die eine.

Ganz bestimmt werden wir dann eine Art „Meta-KI“ bekommen (hat nichts mit Zuckerbergs Meta zu tun, dient nur der Verwirrung), die dann die KIs gegeneinander bewertet. Aber auch davon wird es mehrere geben. Das hatten wir schon mal (und haben es noch) mit den Vergleichsportalen, die auch besser oder schlechter daherkommen. Eine Meta-Suchmaschine sucht beispielsweise keine einzelnen Flüge mehr heraus, sondern leitet Anfragen einfach an andere Suchmaschinen weiter und bündelt nur deren Ergebnisse für Angebote.

Damit wird also die Diskussion wieder nur auf eine virtuelle, höhere Ebene verlagert, die dann noch weniger nachvollziehbar ist. Allerdings ist dabei die Datenbasis größer, und die daraus gewonnenen Schlüsse sind noch weniger einschätzbar. Gerade bei Managern spricht man ja häufig von Intuition oder Bauchgefühl bei Entscheidungen; auch diese sind dann schwer nachzuvollziehen. Angeblich sollen im Nachgang Unternehmensberatungen diese Bauchentscheidungen irgendwie rechtfertigen, insbesondere wenn harte Einschnitte damit verbunden sind. Mal schauen, wie sich der Bauch der KIs anfühlt und wen sie beauftragen ...

Aber gerade bei den simplen Tätigkeiten wie dem Schreiben von Briefen oder der Buchführung können Verantwortliche in jedem Fall von der KI profitieren. Für Flottenmanager ist dies eine große Chance, insbesondere bei der Auswertung von Statistiken und bei wiederkehrenden Verwaltungsaufgaben. So könnte selbst die Auswahl der richtig zugeschnittenen Fahrzeuge inklusive ihrer Konfiguration durch ein KI-erzeugtes Fahrerund Umfeldprofil durchgeführt werden. Die bekannten Stunden zur eigenen Auswahl würden somit entfallen. Das Ergebnis müsste nicht einmal gerechtfertigt werden, es kann ja einfach auf die KI verwiesen werden.

Der aus solchen Prozessen entstehende Konfliktstoff ist offensichtlich. Ob ein solcher Verweis eine ähnliche Wertigkeit hat wie der auf eine Anordnung der Geschäftsführung, bleibt abzuwarten. Aber selbst Letztere kommt dann wahrscheinlich am Ende auch wieder von einer unterstützenden KI. Hier ist einiges im Umbruch, und erhebliche Verschiebungen sind zu erwarten. Wem das am Ende hilft, wird uns wahrscheinlich auch wieder von einer Sprachmaschine erklärt.

Was aber macht den Erfolg der disruptiven Wandlung der Denkwelten aus? Besonders wichtig dabei ist die niedrige Einstiegsbarriere. Ohne zu wissen, was da eigentlich passiert, kann sich jeder der digitalen Helferlein bedienen. Auch noch so dumme Fragen werden von den Sprachmaschinen ernst genommen. Unhöflich werden sie, wenn überhaupt, erst nach penetranten Fragenbombardements. Zudem ist es bei den heute verfügbaren Versionen so sympathisch, dass Fehler unterlaufen (was ureigentlich menschlich ist). Und dafür entschuldigen sich die Bits und Bytes förmlich und kommen direkt auch noch mit einer Ausrede und einem neuen Vorschlag daher.

Der weitere Weg scheint klar. Rechenzentren werden Daten aufsaugen wie schwarze Löcher, nur geben sie diese dann auf Anfrage auch wieder heraus. Das Irritierende dabei ist, dass dort Daten strukturiert und sinnvoll zusammengesetzt werden, die Rechner aber rein gar nichts verstehen. Von außen sieht das zwar anders aus, aber eigentlich ist das nur Maskerade. Auch dieser Punkt ist in der Wissenschaft heftig umstritten, aber es werden ja auch fast täglich neue Erkenntnisse dazu präsentiert, Überraschungen inklusive. Eines jedoch ist unbestritten klar: Der Stromverbrauch der Rechenzentren, die dann auch noch mit Kryptowährungen zu kämpfen haben, wird enorm sein und einen erklecklichen Anteil der weltweiten Stromversorgung verschlingen.

Der normale Mensch steht dem nur als Zuschauer gegenüber und harrt der Dinge, die da kommen werden. Andere, wie der wahrscheinlich beste lebende Mathematiker Terence Tao von der University of California, Los Angeles, versuchen durch beharrliche Fragerei, ChatGPT an seine Grenzen und noch darüber hinaus zu bringen. So konnte er eine bis dahin unbewiesene mathematische Vermutung vom Mathe-Frage-Antwort-Dienst MathOverflow widerlegen. Das Problem war zwar kein ganz großes, aber immerhin nur mit einigem „Hirnschmalz“ zu bewältigen.

Er postete das auf dem sozialen Medium Mastodon, und eine ganze Community stürzte sich auf ein besseres (kleineres) Gegenbeispiel. Interessant dabei bleibt festzuhalten: Mit (deutlich) mehr Zeit hätte er das wahrscheinlich auch per Hand lösen können. Einige Antworten von ChatGPT waren falsch, und nur mit der geballten Power der Community konnte man dem Problem bis auf den Grund gehen. Das scheint so ein wenig die Maxime für zukünftige Auseinandersetzungen mit der Maschinenwelt zu sein: spezialisierte menschliche Communities ringen gemeinsam mit ihrer Hirn-Power gegen die Rechenkünste der KI-Datenboliden. Eine wahrlich apokalyptische Vorstellung.

Alan Turings Mitarbeiter Irving J. Good verstieg sich schon 1965 sogar zu der Aussage, dass KI die letzte Erfindung sei, die der Mensch noch selbst machen muss (oder kann?). Die Sache hat dann aber doch noch einen tückischen Haken: Der Mensch hat nur eine Chance, dies richtig zu machen. Macht er dabei einen Fehler, wird es wohl kaum möglich sein, diesen wieder zu korrigieren. Irgendwie erinnert das auch an Wahlen von Präsidenten, wobei man sich fragen muss, ob das nicht schon diese eine Chance war.

In dem gerade erschienenen und äußerst lesenswerten Buch „Sprachmaschinen – Eine Philosophie der künstlichen Intelligenz“ von Roberto Simanowski (Kulturwissenschaftler und Medienphilosoph) werden die verschiedenen Aspekte der KI auf dem heutigen Stand sehr tiefgehend analysiert. Auch dieses Buch wird wahrscheinlich in ein, spätestens zwei Jahren großenteils überholt sein. Was aber bleibt, ist die Befürchtung der Verdummung der Menschen durch die KI, ähnlich dem Verlernen des Kopfrechnens durch Taschenrechner. Da werden Neuauflagen wohl zu keinem anderen Ergebnis kommen können. Simanowski hat interessanterweise im Vorspiel seines Buches (288 Seiten) eine Zusammenfassung durch ChatGPT 4.0 auf 1,5 Seiten im Stile von Rolf Dieter Brinkmann erstellen lassen. Sein Kommentar dazu: „Wir sind längst verloren“.

Aber womit soll sich der dumme Mensch dann beschäftigen? Genau hier liegt die Chance der Automobilindustrie, dieses dann entstehende Vakuum zu füllen. Denn über Mobilität kann KI zwar fabulieren, aber auf der Autobahn fahrende Rechenzentren sind laut ChatGPT zwar vorstellbar, jedoch nur zum Transport (im Container oder auf Lkw-Anhängern für militärische Zwecke, Großveranstaltungen, Edge-Computing in entlegenen Gegenden oder für schnell verfügbare Cloud-Kapazitäten), aber nicht im Betrieb. Immerhin wurde diese Idee bei der Anfrage als „faszinierend“ bezeichnet. Mal sehen, was daraus noch wird.

Autofahren ist im Kern ein schwieriges Unterfangen, sowohl geistiger als auch körperlicher Art, sowohl für Menschen als auch für Maschinen. Autonome Fahrzeuge, natürlich mit KI, erobern langsam und fast unbemerkt den Straßenraum. Inwieweit die Menschen davon in welchen Situationen Gebrauch machen werden, bleibt abzuwarten. Allerdings ist das selbständige Fahren für ältere Menschen ein geradezu ideales Training für die verschiedenen dort anfallenden Anforderungen. Natürlich nur, sofern eine Fahrtauglichkeit (noch) gegeben ist. Die Diskussionen um Kontrollen im Alter sind ja in vollem Gange. Da kommt wahrscheinlich wieder so ein EU-Hammer, ähnlich dem Verbot, intakte Altkleider in den Müll zu stecken (die muss man dann vorher einfach nur verdrecken, einnässen oder ein wenig zerreißen).

Wenn man das so hört, auch mit dem Verbrenner-Aus und anderen kontroversen Diskussionen, wäre der präferierte Einsatzort für KI die EU-Kommission selbst, die bekanntlich für Gesetzesvorschläge zuständig ist, die dann vom Parlament und dem Rat beschlossen werden. Was von dort kommt, könnte locker auch ChatGPT-4o hervorgebracht haben. Der Unterschied ist nur, dass ChatGPT (alles möglich nach Anfrage) nur auf Fragen antwortet, die gestellt werden, die EU-Kommission aber Antworten auf Fragen liefert, die gar nicht gestellt worden sind!

 

AUTOR

PROFESSOR DR. MICHAEL SCHRECKENBERG, geboren 1956 in Düsseldorf, studierte Theoretische Physik an der Universität zu Köln, an der er 1985 in Statistischer Physik promovierte. 1994 wechselte er an die Universität Duisburg-Essen, wo er 1997 die erste deutsche Professur für Physik von Transport und Verkehr erhielt. Seit mehr als 20 Jahren arbeitet er an der Modellierung, Simulation und Optimierung von Transportsystemen in großen Netzwerken, besonders im Straßenverkehr, und dem Einfluss von menschlichem Verhalten darauf.

Seine aktuellen Aktivitäten umfassen Onlineverkehrsprognosen für das Autobahnnetzwerk von Nordrhein-Westfalen, die Reaktion von Autofahrern auf Verkehrsinformationen und die Analyse von Menschenmengen bei Evakuierungen.

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