Viele, viele bunte Autos
Wer erinnert sich nicht gerne an bestimmte Werbespots aus den 80er- und 90er-Jahren, als alles (noch) viel besser war als heute. Hebt man die Stimme zum Ende des Titels dieser Kolumne etwas an und zieht das Wort „Autos“ in die Länge, so erscheinen vor dem virtuellen Auge sogleich die vielen bunten Schokolinsen („Smarties“), die unzählige Kindermünder geradezu „durchflogen“ haben.

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Mitverschlungen haben die Kids dabei auch die in den frühen Versionen der von Nestlé produzierten Süßigkeit enthaltenen künstlichen Farbstoffe, die seit 2006 durch natürliche ersetzt wurden. Den Künstlichen haftete der Ruf der Schädlichkeit an. Ironischerweise konnte man die Farbe Blau, erst 1988 als Sonderedition ins Programm genommen (hatte Heino da seine enzianblau blühenden Hände im Spiel?), nicht ersetzen. Erst 2008 gelang das blaue Wunder, dem Cyanobakterium Spirulina (Blaualgen!) sei Dank.
Solch wichtige und weittragende Entwicklungen gehen im allgemeinen Tagesgeschäft üblicherweise unter. Doch die Spots schaffen es ins so ersehnte Langzeitgedächtnis, wo sie sich für die Ewigkeit einnisten. Für Reisefüchse ist in diesem Genre unvergessen die Präsentation von Drei Wetter Taft von Schwarzkopf. Berlin – London – New York, Windstärke 5 – Regen – Sonne und Hitze, doch man findet kein ungehöriges Haar in der Frisurensuppe. Interessanterweise wurde damals schon gerade Berlin mit „frischer Brise“ in Verbindung gebracht ...
Dass die Zeiten sich geändert haben, zeigt sich an verschiedenen Faktoren. Die Reise nach New York fand mit einer Concorde statt, nach dem verheerenden Brand mit Absturz am 25. Juli 2000 fand 2003 der letzte Concorde-Flug überhaupt statt. Zudem wird es in Deutschland immer schwieriger, im Flugverkehr international Anschluss zu halten (und als Fluggast zu finden!). Aufgrund der stark steigenden Steuern und Gebühren werden 2025 mehr und mehr Flugverbindungen gestrichen. Damit sind potenzielle deutsche „Hubs“ nicht mehr konkurrenzfähig, die Airlines verlagern, wie Wirtschaftsunternehmen auch, ihre Standorte ins Ausland.
Für Männer war die Taft-Werbung sowieso schwer nachvollziehbar, sind deren Frisuren außer in Sonderfällen wie bei Donald Trump, Geert Wilders oder Boris Johnson relativ wetterbeständig, auch ohne Klebespray. Die Autowerbung hat aber ihrerseits Maßstäbe gesetzt, die ihresgleichen suchen. Noch immer schallt in meinem Ohr die Backpfeife ob der Panne mit einem Mercedes, immer wieder herrlich anzuschauen. Aber auch Toyota mit dem Slogan „Nichts ist unmöglich“, Audi mit der Skisprungschanzenhochfahrt („Vorsprung durch Technik“) oder BMWs „Freude am Fahren“ haben zeitlose Spuren hinterlassen. Das ganze Repertoire menschlicher Gefühle und Lebensinhalte wird dort abgebildet. Doch den Vogel schoss Volkswagen in den USA der 60er-Jahre ab mit der als Gegenentwurf zur damals einsetzenden automobilen Gigantomanie erdachten Käfer-Kampagne „Think small.“ Ehrlicher geht es wirklich nicht.
Doch die Spitze weltweit wird von anderen Produkten eingenommen. Sieht man es sportlich, so ist wohl Nike mit „Just do it!“ nicht nur eine Nasenspitze vorn. Ungesünder kam da vor vielen Jahren für Marlboro zuerst der Jetset-Vertreter daher mit „Wenn Sie mich fragen, ich rauche Marlboro!“, aber es hat ihn anscheinend keiner gefragt. Denn danach kam er wieder, aber nun hoch zu Ross vorbeigeritten („Der Geschmack von Freiheit und Abenteuer“). Mit Gefühl statt Geschmack ginge das heute glatt auch als Autowerbung durch!

Aktuelles Magazin
Ausgabe 6/2024

Sonderausgabe Elektro
Das neue Jahresspecial Elektromobilität.
Nun, die Zeiten sind vorbei, die klassische Fernsehwerbung ist verdrängt worden von den „neuen Medien“. Die junge Generation schaut eben kein „lineares Fernsehen“ mehr. Die Freiheit der Verfügbarkeit in Raum und Zeit ist essenziell geworden (stammt nicht von Einstein!). Mittlerweile verfolgen uns diese neuen Medien auf Schritt und Tritt (und selbst diese werden von ihnen gezählt!), üblicherweise mittels unserer Smartphones. Liebevoll wird hier vom „Smarty“ (siehe oben) oder einfach vom Handy gesprochen. Hierbei treffen wir auf einen der größten Widersprüche der deutschen Sprache, die sich selbst Worte mit „anglophilem“ Flair genehmigt, etwas platter als „Denglisch“ bezeichnet.
Das ist nämlich spätestens zu merken, wenn man in England über sein Handy spricht, denn handlich oder nützlich ist vieles (so die eigentliche Übersetzung), nicht nur das mobile (UK) oder cell (US) phone, wie man dort dazu zu sagen pflegt. Spricht man damit dann auf eine Mailbox, so handelt es sich tatsächlich um eine Voicemail Besonders makaber kommt aber die diagonal geschulterte Umhängetasche mit dem seit 1990 in Deutschland geläufigen Namen Bodybag daher, steht der Begriff jenseits des Ärmelkanals doch für einen Leichensack. Vielleicht sollte man da dann doch mal häufiger reinschauen ...
Diese Scheinanglizismen scheinen uns regelrecht ans Hirn gewachsen zu sein, egal was die Native Speaker dazu auch immer sagen oder denken. Aber es macht sie bestimmt nicht „foxdevilswild“, da kommt dann eher ein lol oder ein Smiley rüber. Selbst in der jüngsten Corona-Vergangenheit haben wir dieser Entwicklung deutlichen Vorschub geleistet, indem wir uns ins „Home Office“ zurückgezogen haben, während im Englischen von remote work oder working at home die Rede ist. Schlimmer noch, das „Home Office“ bezeichnet in Großbritannien das Innenministerium. Da wundert man sich hierzulande über die Explosion der Anzahl von Ministeriumsmitarbeitern ...
Bei so vielen „Homeofficern“ würde man auf jeden Fall von einem markanten Rückgang bei der Verkehrsleistung ausgehen. Oder einfach ausgedrückt: Es sollte weniger gefahren werden. Und dafür braucht es natürlich auch weniger Fahrzeuge. Die Realität belehrt einen aber doch immer wieder eines Besseren. Denn mit 49,1 Millionen Pkw zum Jahresanfang 2024 haben wir einen neuen Höchststand erreicht und einen weiteren Schritt in Richtung der magischen 50 gemacht. Noch 1990 standen wir bei etwas über 30 Millionen Pkw, als Folge der Wiedervereinigung im Jahre 1995 nahm die Anzahl um rund 10 Millionen auf über 40 Millionen zu. Wie niedlich nehmen sich dagegen die 4,5 Millionen Exemplare von 1960 aus!
Gegenüber 2023 (48,8 Mio.) und 2022 (48,5 Mio.) ist der Anstieg eher moderat, vor zehn Jahren (2014) lag der Wert noch bei 43,85 Millionen und damit fast fünf Millionen niedriger. Auch im ersten Halbjahr 2024 wurde mit 1,47 Millionen Neuzulassungen ein Anstieg um 5,4 Prozent gegenüber 2023 verzeichnet. Allerdings dreht sich im dritten Quartal die Tendenz komplett um. Dort gab es einen Rückgang um satte 13,1 Prozent, im Vergleich der Summe bis zum dritten Quartal ein Minus von einem Prozent! Übrigens waren Anfang 2024 nur 2,9 Prozent der Pkw reine Elektros, gegenüber 2,1 Prozent Anfang 2023.
Bei der Pkw-Dichte zeigt sich ein besonderer Effekt, denn mit 580 Autos auf 1.000 Einwohnende (genderneutral!) im Jahr 2024 liegt die Zahl um zwei höher als 2023 (578), allerdings lag der Rekordwert 2022 bei 1.000 Autos mit 583 Einwohnenden. Auch hier der Vergleich zu 2014, wo der Wert exakt 40 Punkte unter dem von 2022 lag (543). Der Höchststand im Jahr 2022 ist nur dadurch erklärbar, dass die Zahl der zugelassenen Autos im Laufe des Jahres 2022 nicht so stark zugenommen hat wie die Zahl der Einwohnenden.
Stellt man diese Daten den von Pkw gefahrenen Kilometern gegenüber, so zeigt sich, dass im Jahre 2023 mit insgesamt 591,1 Milliarden 0,5 Prozent weniger Strecke zurückgelegt wurde als 2022 (598,1 Mrd.). Im Schnitt legte ein Pkw im Jahr 2023 also 12.320 Kilometer zurück. Auch das durchschnittliche Alter von Fahrzeugen wächst weiter an, von 10,0 Jahren im Jahr 2023 auf 10,3 im Jahr 2024 (2022: 10,1 Jahre).
Diese schnöden Zahlen verraten aber nicht, was sich alles Schicksalhaftes dahinter verbirgt, insbesondere die Autos selbst betreffend. Sie müssen nun anscheinend länger „dienen“ und werden dafür aber wohl mehr gepflegt. So schnell gibt man heute eben die alte Möhre nicht her, ist doch vollkommen unklar, was kommt. Und vor allem, was nicht mehr geht (oder besser: nicht mehr fährt). Das ist ja auch ein inverser Prozess: Je weniger gefahren wird, desto länger bleiben die Fahrzeuge im System und müssen nicht ausgesondert werden. Mit kaum einer anderen Geldanlage als gut erhaltenen Oldtimern kann man mehr Gewinn erzielen. Man muss nur lange genug warten, zehn Jahre reichen da nicht (und das gilt auch nicht für jedes Modell!).
Abwrackprämien sind ja eigentlich im Kern was Tolles. Man schmeißt etwas, an dem man nicht mehr (so) sehr hängt, weg und bekommt dafür auch noch Geld. Nun muss man sich bei dem Geschäft, wie bei jedem anderen auch, natürlich fragen, wer ist der Gewinner und wer der Verlierer. Oder gibt es einen lachenden (lol!) Dritten? Bei solchen Betrachtungen geht es immer um Prognosen, die bekanntlich „schwierig sind, insbesondere wenn sie die Zukunft betreffen“ (nicht klar, ob ein Zitat von George Bernard Shaw, Winston Churchill oder Niels Bohr).
Jedenfalls wird dort so viel hin und her gerechnet, bis auch Experten sich der Argumente nicht mehr sicher und sich einig sind und daher der Vorschlag eher unter der Rubrik „Meinung“ einzuordnen ist. Selbst in der doch so exakten und logischen Disziplin der Mathematik ist man sich bei einem seit Jahren (!) vorliegenden Beweis eines der wichtigsten aktuellen ungelösten Probleme (abc-Vermutung) nicht einig, ob er richtig oder falsch ist. Wie soll das dann für Aussagen möglich sein, deren Voraussetzungen (anders als in der Mathematik) so vollkommen unscharf und unklar sind
Daher sollte man wahrscheinlich besser einen, ja klar, komplett alternativen Weg einschlagen. Wir reden so viel über materielle Dinge, die wir nicht haben möchten (oder dürfen). Aber in Zeiten der am Horizont aufgehenden künstlich intelligenten Sonne sollten wir tunlichst eine (echt intelligente) Abwrackprämie für, vorsichtig ausgedrückt, fehlgeleitete (in den USA nennt man das jetzt im Wahlkampf „weird“) Ideen und Vorschläge einzuführen. Auch geistiges „Gut“ kann Müll sein. Das darf aber nicht dazu führen, dass derjenige, der den meisten Müll produziert, die meisten Prämien abräumt.
Das Schöne an der Idee ist, dass dieser am Ende mit Bits und Bytes aufgetürmte Müllhaufen fast unendlich groß sein kann. Die Abwrackprämie für Verbrenner setzt Ähnliches für den dann anstehenden Müll, oder besser: die Reststoffe, voraus. Auch hier sollte man ob der mittlerweile überhäufenden Diskussionen über Fakten im Nachhinein über einen Vor-Fakten-Check nachdenken. Bei jedem Wissenschaftsantrag muss man vorher Belege für die Bedeutung des geplanten Projektes liefern, und nicht später im Fakten-Check.
Es ist traurig, wie wir uns in Deutschland mittlerweile an Themen abarbeiten, die eigentlich vor wenigen Jahren noch undenkbar waren. Klar, die Rahmenbedingungen mit Krieg, Corona und dem ganzen Hacker-Business sind härter geworden. Aber unser Joker ist doch immer im Kern der Erfindungsreichtum gewesen. Die Menschen warten ja geradezu darauf, mitgenommen zu werden in die neue digitale und mobile Welt. Ist das Zukunftsbild aber zu vage, bleibt man erst mal stehen und wartet ab. Und da stehen wir heute. Die Politik hat es so vorgemacht und macht es ja leider immer noch, Scholz und Merkel unterscheiden sich da kaum.
Bleibt für den Menschen auf der Straße eigentlich nur, sich um die wesentlichen Dinge Gedanken zu machen. Wie viele Kameras hat mein Auto, wie kommuniziert es mit mir und wie gut bin ich vernetzt? Und dann kommt noch die Frage nach der Farbe. Diese ist ein Statement, mehr als bei den Smarties. In der Tat ist Grau/Silber mit 31,6 Prozent „die“ Farbe (solche Smarties gibt es gar nicht!), danach kommt Schwarz mit 26,5 und Weiß mit 20,7 Prozent. Diese Werte sind relativ stabil bis auf Weiß, das 2006 noch bei 1,6 Prozent lag. Bunt wird es allerdings erst bei Blau mit 9,6 und Rot mit 5,1 Prozent. Ja, und 14 Prozent der „anderen“ soll die Farbe am Ende vollkommen egal sein!
Allerdings läuft man beim Weiterverkauf von Autos in Froschgrün, Sonnengelb oder Knallrot Gefahr, Einbußen beim Ertrag hinnehmen zu müssen. Dem sollte eine geplante Abwrackprämie auch entsprechend Rechnung tragen und farbabhängig gestaffelt sein. Aber es gibt auch schon Autos mit dynamisch veränderbaren Farben. Diese Dynamik der steten „Farbveränderung“ funktioniert in anderen Bereichen ja schon recht gut. Schaut man sich beispielsweise im politischen (Verkehrs-)Raum bei bunten Programmen und Vorhaben um!
AUTOR
PROFESSOR DR. MICHAEL SCHRECKENBERG, geboren 1956 in Düsseldorf, studierte Theoretische Physik an der Universität zu Köln, an der er 1985 in Statistischer Physik promovierte. 1994 wechselte er zur Universität Duisburg-Essen, wo er 1997 die erste deutsche Professur für Physik von Transport und Verkehr erhielt. Seit mehr als 20 Jahren arbeitet er an der Modellierung, Simulation und Optimierung von Transportsystemen in großen Netzwerken, besonders im Straßenverkehr, und dem Einfluss von menschlichem Verhalten darauf.
Seine aktuellen Aktivitäten umfassen Onlineverkehrsprognosen für das Autobahnnetzwerk von Nordrhein-Westfalen, die Reaktion von Autofahrern auf Verkehrsinformationen und die Analyse von Menschenmengen bei Evakuierungen.

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Der nächste „Flotte!
Der Branchentreff" 2026
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