Die Bahn kommt ... oder doch nicht?
Wer kennt sie nicht, die sogenannte „AIDA“-Formel aus dem Marketing, welche die Kaufentscheidung in vier Stufen erklärt: Attention, Interest, Desire, Action. Demnach soll Werbung zunächst einmal Aufmerksamkeit erzeugen. Dabei gilt oftmals die Devise: Je dümmer, desto besser, was ein aus der Radiowerbung bekannter Müslihersteller eindrucksvoll immer wieder mit der penetranten Wiederholung des Namens unter Beweis stellt.

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Oftmals spiegeln Werbeslogans aber auch Sehnsüchte wider, und da landen wir dann schnell bei der Bahn. Es begann Ende der 80er-Jahre mit den „rosaroten“ Tarifangeboten und den damit verbundenen rosaroten Elefanten. Hier sollten neu gestaltete Tarife mehr Transparenz bringen, was am Ende jedoch nicht gelungen ist. Vielleicht hätte man dem Bahnreisenden vor dem Kauf der Fahrkarte die rosarote Brille, durch die er sich dann die vertrackten Tarife hätte ansehen können, gratis zur Verfügung stellen sollen. Oder um es wie Benjamin Blümchen auszudrücken: Törööö!
Wunschdenken hingegen sind die aktuellen Werbebotschaften wie „Die Bahn kommt.“ oder „Die Bahn macht mobil.“ Ja, die Bahn kommt irgendwann und mobil macht sie auch: Gleiswechsel, Streiks, Personalausfälle und technische Probleme verursachen mehr Mobilität zu Fuß, Zugausfälle veranlassen den Umstieg ... aufs Auto oder auf den Bus. Auch eine Form der Mobilmachung, die so aber nicht gemeint war. Oder doch? Seit Jahren lesen wir immer wieder von der Zielsetzung der Bahn, die Pünktlichkeitsquote zu steigern. Fakt ist jedoch, dass die Entwicklung eher entgegengesetzt verläuft. Trotz Veränderung der Berechnungsgrundlage übrigens. So gilt ein Zug noch als pünktlich, wenn er mit weniger als sechs Minuten am Ziel ankommt. Will man allerdings Entschädigungen für Verspätungen einfordern, gelten natürlich andere Werte. Zum Vergleich: In Japan gilt bereits eine Minute Verspätung als Unpünktlichkeit ...
Was bei der Deutschen Bahn wirklich zuverlässig und immer pünktlich ist, sind Fahrplanwechsel und – ganz zuverlässig – die Preiserhöhungen. Hier liegt die Pünktlichkeitsquote bei 100 Prozent. Stehende Ovationen, tosender Beifall. Die DB ist ein Inbegriff für Frust. Die Ursachen für die Verärgerung der Fahrgäste sind vielfältig. Neben der zweifelhaften Kommunikation am Bahnhof, sofern man hier von Kommunikation sprechen kann, sind es zahlreiche technische Mängel, die immer wieder für Ärger sorgen. Klimaanlagen funktionieren im Sommer nur dann reibungslos und flächendeckend, wenn der Sommer mal typisch deutsch ist (wie in diesem Jahr). Ansonsten funktionieren sie wie Thermoskannen: Im Winter halten sie kalt, im Sommer heiß (übrigens: Woher wissen Thermoskannen, wann sie Getränke kalt und wann warm halten sollen?). Züge fallen reihenweise wegen technischer Probleme aus, wobei man als vom Zugausfall betroffener Fahrgast hierzu keine näheren Angaben erhält. Allerdings sind die Jungs und Mädels bei der Bahn megakreativ, wenn es um Entschuldigungen für Verspätungen geht, was die Vielfalt der Durchsagen hierzu eindrucksvoll bestätigt: Signalanlagen streiken, Weichen funktionieren nicht richtig, es gibt Triebwerksprobleme (ich erwähnte bereits, dass es sich hierbei um keine obszöne Begrifflichkeit handelt, oder?) ... alles klare Indizien dafür, wie nachlässig die Technik gewartet wurde und wird. Der Grund: Na klar, Einsparungen. Dass man hier mittelfristig eher höhere Kosten verursacht, scheint den Controllern bei der Bahn nicht klar zu sein, weil man hier offenbar lediglich auf kurzfristige Erfolge aus ist. Leider funktioniert das irgendwann nicht mehr. Eigentlich sind wir als private Verbraucher beim Thema Wartung irgendwie schlauer. Fahren Sie einfach mal ein Auto ohne Ölwechsel, ohne jedwede Inspektion und tauschen Sie Teile nur dann, wenn wirklich nichts mehr geht. Bremsbeläge tauschen, wenn beim Bremsen die Funken sprühen. Reifen erst dann wechseln, wenn Sie sich das Reifenprofil denken müssen. Und? Wie lange geht das gut? Und wie steht es dabei mit der Sicherheit
Aber wir waren ja bei den Gründen für die Verspätungen: Vorausfahrende Züge bremsen den nachfolgenden Verkehr, nachfolgende (schnellere) Züge müssen vorbeigelassen werden, die erwähnt veraltete Technik und natürlich der Mensch: Personal erkrankt, zu wenig Personal, Fußgänger im Gleisbett, Personenschäden, Streiks. Und natürlich das Wetter. O. k., Letzteres ist in der Tat ein Problem und wird mit dem voranschreitenden Klimawandel eine immer größer werdende Herausforderung. Ach ja. Den Fahrgast nicht zu vergessen. Durch mangelnde Disziplin beim Ein- und Aussteigen verzögert sich natürlich die Abfahrt. Dumm nur, wenn zwischen Ankunft und Abfahrt rechnerisch lediglich zwei Minuten liegen. Da benötigt ein einziger Fahrgast mit Rollstuhl und entsprechendem Bedarf an einer Rampe schon mehr Zeit, vorausgesetzt, er hat vorher einen der wenigen funktionierenden Aufzüge (sofern überhaupt vorhanden) erwischt.
Die Bahn steht übrigens als gutes Beispiel für den Eindruck, dass sich Deutschland offensichtlich immer mehr demontiert. Waren wir weltweit der Inbegriff für Qualität, Verlässlichkeit, Pünktlichkeit, Ordnung, Fleiß und gute Schulbildung, so bemerken in der Zwischenzeit immer mehr Länder, dass da etwas bei uns nicht stimmt. Die Infrastruktur ist – gaaanz gelinde ausgedrückt – marode. Schlechte Straßen, unzählige sanierungs-/ erneuerungsbedürftige Brücken, noch immer große Löcher im Mobilfunknetz, langsames Datennetz ... um nur wenige Beispiele zu nennen. Wer muss da noch für den Safari-Urlaub in die Ferne schweifen, wenn das Abenteuer schon vor der Haustür beginnt

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Komisch: Die Steuereinnahmen haben ein Rekordniveau erreicht. Trotzdem sollen die Ausgaben für den Straßenbau nun um gut 20 Prozent gekürzt werden. Ganz nebenbei sei erwähnt, dass im laufenden Jahr die Lkw-Maut gleich zwei Mal erhöht wurde. Allerdings fließen die Gelder nicht dorthin, wofür sie ursprünglich angedacht waren und dringend benötigt werden. Hm.
Und wie sieht es beim Thema Technologie aus? Tja, spätestens seit dem Dieselskandal stellen sich viele die Frage, was aus dem Inbegriff der Qualität „made in Germany“ eigentlich geworden ist. Nun hatten wir dank der EM viele Besucherinnen und Besucher aus verschiedenen Ländern bei uns zu Gast, die sich von den paradiesischen Zuständen selbst ein Bild machen konnten. Schmutzige Städte, teilweise heruntergekommene Gebäude/Gegenden, die oben erwähnte Infrastruktur ... und eben die Bahn. Mit dieser wollten unsere Gäste zu den Spielstätten reisen. Dabei mussten sie erstmals erleben, dass wir unserem Image nicht mehr so ganz gerecht werden. Das Ergebnis lässt sich in der ausländischen Presse nachverfolgen. Besonders hart mit uns ins Gericht ging dabei die New York Times in einem Artikel des Autors Sebastian StaffordBloor, in welchem er die chaotischen Zustände vor den Stadien und das überforderte Transportsystem beschreibt. Zitat: „Es ist nicht das, was der Rest Europas erwartet hätte.“ Autsch! Ein britischer Fan erzählt, dass kein einziger Zug von den mehreren, die er mit einem befreundeten Rollstuhlfahrer nahm, pünktlich war. Schlimmer noch: Trotz Buchung der für den Rollstuhlfahrer wichtigen Rampen waren die Mitarbeiter der Bahn nicht daran interessiert zu helfen.
Als jemand, der all diese Probleme nur zu gut kennt, weil man die Bahn regelmäßig nutzt, zuckt man mit den Schultern, ist das doch alles nicht wirklich neu. Es führt uns allerdings auch deutlich vor Augen, wie leidensfähig wir geworden sind, und wie wir vor diesen unmöglichen Zuständen, in denen überdies schon seit vielen Jahren Milliarden Steuergelder versenkt wurden, regelrecht kapitulieren. Aber nicht nur Pendler haben ihr Päckchen zu tragen. Geschäftsreisende sind ebenso davon betroffen. Besonders riskant sind dabei die Rail + Fly-Tickets, mit denen man eigentlich ganz bequem zum Flughafen anreist. Dumm nur, wenn der Zug Verspätung hat oder – schlimmer – ganz ausfällt. Dann hat man zwar eine Ausrede für die Verspätung, („Man warte auf den nachfolgenden Zug.“) der Flieger hebt dann aber ohne den Rail + Fly-Passagier ab.
Bei allem stellt sich die Frage, wie man mit einem derart maroden System die erforderliche Mobilitätswende herbeiführen will? Wie will man Leute zum Umstieg vom Auto auf die Bahn bewegen, den Transport auf die Schiene bringen und damit einen wesentlichen Beitrag zum Klimaschutz leisten? Steigende Verspätungsquoten, höhere Ausfallzahlen, akuter Personalmangel und nicht zuletzt die kontinuierlich steigenden Preise werden das nicht bewirken. Wo wir beim Thema Preise sind: Noch heute erleben Fahrgäste, die ihr Ticket von Hamburg nach München kurz vor der Reise buchen, bei Betrachtung des aufgerufenen Ticketpreises nicht ihr rosarotes, sondern ihr blaues Wunder. Trotz aller Beteuerungen kann es auch heute durchaus möglich sein, dass ein Flug für die gleiche Strecke noch immer günstiger ist. Mehr Preistransparenz und vor allem weniger Variabilität bei der Tarifgestaltung wäre hilfreich. Es muss egal sein, ob ich mein Ticket für die Fahrt am 3. September, am 1. September oder am 22. Juni buche. Der Preis bleibt gleich. Die Praxis sieht da völlig anders aus. Meine in Hannover studierende Tochter kann ein Lied davon singen, wenn sie uns besuchen kommen möchte. Hier haben wir alles von 49 bis knapp 200 Euro für das Ticket gesehen.
Und wenn wir schon dabei sind: Finger weg vom Preis für das Deutschlandticket. Gerade mit Erfolg eingeführt, fängt man auch hier mit der Arbeit am systematischen Untergang an, indem permanent über die Notwendigkeit zur Erhöhung der Preise diskutiert (was dem letzten Stand nach wohl im Jahr 2025 dann auch der Fall sein wird). Statt also mit Hochdruck daran zu arbeiten, dass die Bahn endlich dauerhaft attraktiver wird, wird vermutlich das Gegenteil der Fall sein.
Die Bahn kommt ... törööö!
AUTOR
PETER INSAM ist seit rund 30 Jahren im Einkauf für Betriebsmittel und Investitionsgüter unterwegs, von denen er seit mehr als 25 Jahren die Geschicke verschiedener nationaler und internationaler Fuhrparks in Unternehmen aus verschiedenen Branchen gelenkt hat. Darüber hinaus sammelte er zahlreiche Erfahrungen im Rahmen von Auslandsaufenthalten in Frankreich und Australien. Seit Ende 2014 ist Peter Insam zudem Mitglied des Redaktionsbeirates von Flottenmanagement und gibt regelmäßig in der Rubrik „Meine Meinung“ tiefe Einblicke in die Arbeit eines Fuhrparkverantwortlichen und das Leben eines Autoenthusiasten.

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