PISA und „Anumerotismus“ im Straßenverkehr
<p>Kennen Sie die PISA-Studie? Nee, nicht die über den fortschreitenden Neigungswinkel des Schiefen Turms von Pisa und daraus resultierende Maßnahmen, damit dieser nicht umfällt. PISA steht für „Programme for International Student Assessment“, also „Programm zur internationalen Bewertung von Schülern“. Könnte man aber auch „Pennäler-Intelligenz Stürzt Ab“ nennen. Hat’s geklickt? Wir wissen: Die Ergebnisse zeigen leider doch gewisse Parallelen zum Bauwerk, da sich offenbar das Bildungsniveau in unserem Lande in Schieflage befindet.</p>

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Wenn wir schon beim Thema Bildung sind: Von Analphabetismus haben Sie sicher auch schon gehört? Na dann: Zahlen bitte! Laut UNESCO lag die Analphabetenquote im Jahr 2020 bei Personen über 15 Jahren weltweit bei 13 Prozent. Deutschland liegt dabei mit 6,2 Millionen Menschen oder 12,1 Prozent knapp darunter, wobei diese Zahl aus dem Jahr 2019 stammt und sich auf die erwerbstätige Bevölkerung, also alle im Alter zwischen 18 und 64 Jahren, bezieht. Nicht weniger schlimm: Bei weiteren 10,6 Millionen oder 20,5 Prozent der Erwachsenen tritt fehlerhaftes Schreiben selbst bei gebräuchlichen Wörtern auf. Dies ist – seien wir mal ehrlich – bei der Verhunzerei unserer Sprache eigentlich nicht verwunderlich. Wurden früher noch Briefe ordentlich verfasst und wurde dabei besonders auf Inhalt, Sprache, Stil und Umgangsformen geachtet, so werden dieser Tage Mails und Kurznachrichten teilweise bedenkenlos in die Gegend geballert und dabei wird mit missverständlichen Anglizismen (ein absolutes Muss, will man intelligent wirken!) um sich geworfen, sodass hier zumindest an der Richtigkeit dieser Statistik definitiv keinerlei Zweifel aufkommen.
Das Problem der Nicht-Erkennbarkeit von Zahlen gibt es auch. Allerdings wird bei der Verwendung des Begriffs „Dyskalkulie“ auf eine ausgeprägte Beeinträchtigung der Rechenfertigkeiten hingewiesen. Wie aber würde man die fehlende Fähigkeit, Zahlen zu lesen, nennen? In Anlehnung an den Analphabetismus würde ich das einfach Anumerotismus nennen. Sie meinen, das gibt es nicht? Hm. Das Wort gibt es zwar nicht, aber schon in der Kindheit konnten wir uns von diesem Phänomen in Fernsehsendungen wie „1, 2 oder 3“ überzeugen. Oder warum sind die Kinder immer so desorientiert zwischen den drei Feldern hinund hergesprungen? Wie oft sind Abzählreime in die Hose gegangen, weil falsch abgezählt wurde – und ich rede hier nicht von „Eins, zwei, drei – Freddy kommt vorbei ...“.
Heute begegnen wir Anumerotisten täglich beim Einkaufen. Auf die Frage „Benötigen Sie den Kassenzettel?“ kommt häufig die Antwort „Nein, danke“. Das erklärt ganz nebenbei, warum viele Verbraucher nicht wissen, wie viel Geld sie im Monat ausgeben. Wie soll man auch ein Haushaltsbuch führen, wenn man die Zahlen und deren Bedeutung nicht kennt? Das sind Probleme, die anerkannte Schuldnerberater wie Peter Zwegat bisweilen sicher zur Verzweiflung bringen, weil es hierfür auf die Schnelle keine Lösung zu geben scheint.
Schlimmer noch: Wir treffen auf Anumerotisten täglich im Straßenverkehr. Achten Sie mal darauf, wie oft Geschwindigkeitsbegrenzungen nicht eingehalten werden. Spezielle Bereiche, in denen diese Spezies Mensch auf sich aufmerksam macht: Tempo-30-Zonen, Baustellen auf Autobahnen (besonders hier), Stadtverkehr. Hier wird sehr oft zum Teil deutlich zu schnell gefahren. Auf Bundesstraßen dann das umgekehrte Bild. Offenbar haben viele Autofahrerinnen und Autofahrer echte Probleme, wenn der Hinweis über die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h fehlt. Oder sie können die Zahl an ihrem Tacho nicht ablesen, was selbst die kluge Einführung der digitalen Tachos nicht ändert. Die Folge: Viele fahren zu langsam. Und damit noch nicht genug. Fatal ist die offensichtliche Kombination von Analphabetismus und Anumerotismus im Straßenverkehr. Beachten Sie das Verhalten, wenn unter der Angabe der zulässigen Höchstgeschwindigkeit noch eine Zusatztafel angebracht ist. Gängiges Beispiel innerhalb von geschlossenen Ortschaften: 30 km/h mit dem Zusatz „zwischen 22:00 Uhr und 06:00 Uhr“. Achten Sie mal darauf, wie viele hier auch tagsüber mit circa 30 km/h entlangtuckern. Gegenteiliges Beispiel: die A5 von Karlsruhe in Richtung Heidelberg. Hier gibt es seit ein paar Monaten schon einen Abschnitt, der zwischen 06:00 Uhr und 22:00 Uhr noch 80 km/h zulässt, in der restlichen Zeit aber 120 km/h beziehungsweise 100 km/h. Das Ergebnis: Fahren Sie einfach mal in der Zeit, in der eben nur 80 km/h zugelassen sind, eben diese 80. Sie würden staunen, wie viele hier zu Fußgängern zwangsdegradiert würden, wenn die Polizei hier häufiger kontrollieren würde. Ernsthaft: Würde überall gerade in den kritischen Bereichen, wie eben in Baustellen auf Autobahnen, viel häufiger geblitzt, das Problem mit der Verkehrsdichte würde sich von allein lösen. Ein weiteres Phänomen: der Bereich vor fest installierten Blitzern. Immer wieder wird innerorts, wo man ja bekanntlich 50 km/h fahren kann, scharf und völlig unvermittelt abgebremst, nur um danach wieder zu beschleunigen. Krasser ist es in 30er-Zonen, in denen ebenfalls fest installierte Blitzer stehen. Hier fehlt eigentlich nur noch, dass die Fahrerin / der Fahrer aussteigt, den Wagen an der Radarfalle quasi vorbeischiebt, nur um dann wieder beherzt aufs Gas zu treten. Gleiches zeigt sich auf einigen Bundesstraßen im Bereich der blauen Mautsäulen: Auch hier wird oft gebremst, weil einige irrtümlich meinen, dass es sich hierbei ebenfalls um Radarfallen handelt. Tja, nervig und gefährlich für diejenigen, die sich hinter einem solchen Fahrzeug befinden und dann ebenfalls unvermittelt bremsen müssen.
Alles Beispiele, die am Ende das eigentliche Problem, das gleich von mehreren Statistiken belegt wird, aufzeigen: Die häufigste Unfallursache ist nicht angepasste Geschwindigkeit. Ich würde hier noch „mangelnde Konzentration wegen Ablenkung durch Daddelei“ hinzufügen. Unwissenheit? Nur bei denjenigen, die ihren Führerschein in der Müslipackung als Beilage gefunden haben. Ansonsten haben wir alle die Fahrschule besucht und eine Prüfung absolviert.

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Analphabetismus, Anumerotismus oder einfach nur Ignoranz? Was tun? Die Lernfähigkeit und Einsicht der Menschen sind sehr eng mit dem eigenen Geldbeutel verbunden. Unsere Strafen für zu schnelles Fahren, sofern man überhaupt von Strafen reden kann, sind im Vergleich zu anderen Ländern lächerlich. Achten Sie mal darauf: Sobald in der Öffentlichkeit die Überarbeitung des Bußgeldkataloges und damit verbundene Erhöhungen der Bußgelder für zu schnelles Fahren erwähnt werden, fällt gerne der Begriff „Abzocke“. Warum Abzocke? Wenn man sich an die vorgegebene Geschwindigkeitsbegrenzung hält, muss man auch nicht zahlen, wird also nicht „abgezockt“. Also rauf mit den Strafen, und zwar kräftig. Punkte allein bringen nichts (siehe telefonieren mit der Daddelbox). Und damit es auch sozial gerecht ist: Je nach Höhe der Überschreitung greift ein Bußgeld, welches sich prozentual nach dem Einkommen richtet. „Abzocke-Rufer“ sollten übrigens genauestens beobachtet werden. Hier liegt der Verdacht nahe, dass genau diese Gruppe vorsätzlich zu schnell fährt. Aus Sicherheitsgründen, und da sind wir uns komischerweise wieder alle einig, ist das eigentlich völlig inakzeptabel. Es kann nicht sein, dass die Automobilindustrie Milliarden in die Verbesserung der Fahrzeugsicherheit steckt, mit dem Ziel, Unfallzahlen zu senken, wenn der Mensch – mit Verlaub – zu dämlich ist, einfachste Regeln, die eben in erster Linie der Sicherheit (und zwar auch der eigenen!) dienen, einzuhalten. Genau diese Sorte sollte mit Menschen konfrontiert werden, die wegen dieser Missachtungen ein Familienmitglied verloren haben. Ich möchte nicht wissen, wie betroffene Eltern reagieren, wenn man so beiläufig erwähnt, dass man in der 30er-Zone an der Schule oder am Kindergarten mit 50 oder 60 entlanggefahren ist, weil das Tempolimit ja blödsinnig ist. Und wenn das tatsächlich noch genau an der Schule oder an dem Kindergarten war, wo sich ein tödlicher Unfall ereignet hat ...
Viele scheinen sich offenbar der Auswirkungen des zu schnellen Fahrens nicht bewusst zu sein. Hier wiederhole ich das kleine Beispiel aus dem Fahrsicherheitstraining mit drei Vollbremsungen bei jeweils 50 km/h, 55 km/h und 60 km/h. Drei unterschiedliche Bremswege, oder wie mein damaliger Fahrsicherheitstrainer absolut trefflich kommentierte: „Nichts passiert, verletzt, tot!“
Nebenbei sollte aber auch die Kostenperspektive nicht verdrängt werden. Fuhrparkleiterinnen und -leiter kennen die Themen nur zu gut: höherer Spritverbrauch, mehr Schäden und – an oberster Stelle – das Strafzettelmanagement. Hier mal ein Tipp: Prüfen Sie mal nach, wie viele Strafzettel für zu schnelles Fahren auf Ihrem Tisch landen, und berechnen Sie den Zeitaufwand für die Bearbeitung. Hier sollte man vor allem Wiederholungstäter auch betrieblich stärker zur Kasse bitten und eine Bearbeitungsgebühr verlangen.
Hört sich alles drastisch an, aber gerade in Zeiten einer zunehmenden Verkehrsdichte sollten alle über ausreichend Pflichtbewusstsein verfügen und einfach mal die Regeln einhalten. Schließlich haben wir das doch alle einmal in der Fahrschule gelernt. Ansonsten dürfte klar sein, dass die Einführung eines allgemeinen Tempolimits auf Autobahnen nichts bringen wird, wenn Anumerotisten weiterhin das Straßenbild (übrigens auch im Ausland) prägen.
AUTOR
Peter Insam ist seit rund 30 Jahren im Einkauf für Betriebsmittel und Investitionsgüter unterwegs, von denen er seit mehr als 25 Jahren die Geschicke verschiedener nationaler und internationaler Fuhrparks in Unternehmen aus verschiedenen Branchen gelenkt hat Darüber hinaus sammelte er zahlreiche Erfahrungen im Rahmen von Auslandsaufenthalten in Frankreich und Australien. Seit Ende 2014 ist Peter Insam zudem Mitglied des Redaktionsbeirates von Flottenmanagement und gibt regelmäßig in der Rubrik „Meine Meinung“ tiefe Einblicke in die Arbeit eines Fuhrparkverantwortlichen und das Leben eines Autoenthusiasten.

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