Sachkundiger Blick

<p>In der Regel werden Gutachter (oder synonym verwendet: Sachverständige) als neutrale Instanz im Schadenfall oder bei der Rückgabe eines Flottenfahrzeugs damit beauftragt, den Restwert des Fahrzeugs zu ermitteln. Diese übernehmen damit eine wichtige Rolle im Aussteuerungs- und Schadenregulierungsprozess. Dennoch kann sich theoretisch jeder in Deutschland als Sachverständiger bezeichnen, ohne seinen Sachverstand nachweisen zu müssen. Für den Flottenleiter gilt daher: Augen auf bei der Dienstleisterwahl! Flottenmanagement hat in diesem Artikel wichtige Trends und Informationen aus dem Bereich Fahrzeuggutachten zusammengetragen und bietet einen Überblick über ausgewählte Sachverständigenorganisationen.</p>

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Zuerst einmal sollte die Frage geklärt werden, wann das Hinzuziehen eines Kfz-Gutachters sinnvoll ist. Dipl.-Ing. (FH) Rainer Schwer, Key-Account-Manager bei der DEKRA Automobil GmbH, erklärt: „Insbesondere im Schadenfall nach nicht selbst verursachten Unfällen ist es sinnvoll, einen Gutachter hinzuzuziehen, um eine neutrale Einschätzung der geltend zu machenden Ansprüche zu bekommen. Das gilt insbesondere dann, wenn auch eine Wertminderung zum Tragen kommt und entsprechend berücksichtigt werden muss. Grundsätzlich hat bei Haftpflichtschäden der Geschädigte das Recht, den Gutachter selbst zu wählen. Dabei ist allerdings auch zu beachten, dass bei reinen Bagatellschäden die Versicherung des Verursachers nicht verpflichtet ist, die Kosten für die Erstellung eines Gutachtens zu tragen.“ Dabei sind gleich mehrere Leistungen der Sachverständigenorganisationen im Hinblick auf gewerblich genutzte Fahrzeuge besonders relevant, wie Stefan Schmitz, Chefsachverständiger der Hüsges Gruppe, zu verstehen gibt: „Die Leistungen eines Sachverständigen für gewerblich genutzte Fahrzeuge umfassen die Erstellung von Schadengutachten, die Klärung von Haftpflichtansprüchen und die Bewertung von Kaskoschäden. Zudem sind Minderwertgutachten bei der Rückgabe und Zustandsberichte für die Vermarktung des Fahrzeugs von großer Bedeutung, um den Werterhalt und die rechtliche Absicherung sicherzustellen.“

Oftmals lässt sich die Relevanz von bestimmten Leistungen grob in zwei Zeiträume unterteilen: Leistungen während der Nutzungsdauer und Leistungen bei Rückgabe des Fahrzeugs. „Während bei den Leistungen während der Nutzungsdauer hauptsächlich Reparatur-/Schadenkalkulationen, Schadengutachten sowie ab und an eine Totalschadenabwicklung gefragt sind, wird zum Ende der Nutzungsdauer meist ein Minderwertbeziehungsweise Rücknahmegutachten verlangt. Bei der konkreten Produktwahl orientieren wir uns dabei zuallererst an den Vorgaben des Kunden und wählen immer das kostengünstigste Produkt für ihn aus. Da wir fast alle Leistungen auch digital anbieten, können wir effizient und preisoptimiert für unseren Auftraggeber arbeiten“, erläutert Michael Bogateck, Leiter Vertrieb bei der carexpert KFZ-Sachverständigen GmbH. Insbesondere bei einer Fahrzeugrückgabe, beispielsweise am Ende des Leasingzeitraums, sind bestimmte Kriterien eines Gutachtens von Bedeutung: „Für den Leasinggeber sind bei einer Fahrzeugrückgabe zum Ende des Leasingzeitraums besonders relevante Kriterien eindeutige Leasingrückgabekriterien, die die geschätzten Reparaturkosten und den Minderwert des Fahrzeugs beinhalten. Zusätzlich ist der Zeitwert des Fahrzeugs unter Berücksichtigung dieser Faktoren von großer Bedeutung, da er die finanziellen Auswirkungen der Rückgabe maßgeblich beeinflusst. Eine klare Definition der Schäden über den Leasingkatalog ist ebenfalls elementar, um mögliche Missverständnisse zu verhindern und eine reibungslose Abwicklung der Rückgabe sicherzustellen“, gibt Stefan Schmitz zu verstehen.

Für wen eines der genannten Szenarien bereits relevant war, der stand womöglich auch vor der Frage, welchen Kfz-Gutachter er zurate ziehen soll. Denn die Begrifflichkeit Gutachter/Sachverständiger ist an sich nicht geschützt. Das heißt, jeder kann sich so bezeichnen. Wie kann man also potenziellen schwarzen Schafen aus dem Weg gehen? Marius Klosa, Leiter Vertrieb und IT bei der GKK Gutachten GmbH, rät: „Hier sollte man das Pferd von hinten aufzäumen. Die Frage ist doch vielmehr, wie ein Geschädigter sicherstellen kann, einen qualifizierten Sachverständigen mit der Gutachtenerstellung zu beauftragen. Zielführend ist, sich als Geschädigter an eine große zertifizierte Sachverständigenorganisation, wie zum Beispiel die GKK Gutachten GmbH, zu wenden, die ihre Qualifikationen durch öffentliche Vereidigung, Zertifizierung und/oder durch eine eigene Ausbildungsakademie nachgewiesen haben.“ Dabei ist im Zeitalter der immer schneller fortschreitenden Technisierung und Digitalisierung der modernen Fahrzeuge neben einer fundierten Ausbildung der Sachverständigen vor allem auch eine strukturierte Weiterbildung von entscheidender Bedeutung, so Klosa weiter. So sind beispielsweise beim TÜV Rheinland die beruflichen Mindestanforderungen an einen Sachverständigen die Ausbildung zum Kraftfahrzeugmeister mit anschließender Weiterbildung zum geprüften Kfz-Sachverständigen für Schaden- und Wertgutachten, sagt Chris Wengler, Prokurist und Leiter des Geschäftsbereichs Schaden- und Wertgutachten sowie Managementmitglied der FSP Leitung und Service GmbH. Auch er gibt den Tipp, sich bei Gutachtern an Zertifizierungen oder öffentlichen Bestellungen durch die Handwerkskammer oder durch die Industrie- und Handelskammer zu orientieren.

Die Kostenfrage
Ist ein Gutachter eingeschaltet, kommt es auf den jeweiligen Fall an, wer die Kosten trägt. Im Haftpflichtschadenfall muss die gegnerische Versicherung die Kosten für den Gutachter übernehmen. Sollte ein Schaden unterhalb der Bagatellschadengrenze (Anmerkung der Redaktion: Als Richtwert gelten hier 750 Euro.) vorliegen, wählt der Sachverständige ein kostengünstigeres Produkt (Kurz-Gutachten oder Kostenvoranschlag). Auch diese Kosten sind durch den regulierenden Versicherer zu tragen. Im Kaskoschadenfall ist der Versicherer zunächst weisungsberechtigt. Dieser bestimmt den Gutachter und übernimmt seine Kosten. Jedoch beauftragen Flottenverantwortliche – in Abstimmung mit dem Versicherer – immer wieder eigene Sachverständige, wo die Kostenverteilung in entsprechenden Verträgen bereits geregelt ist.

Häufig werden neben einer Gutachtenerstellung auch weitere Dienstleistungen des entsprechenden Unternehmens von einem Fuhrpark in Anspruch genommen. Denn oftmals sind es eben große Organisationen (siehe auch tabellarische Übersicht), die über ein breites Leistungsportfolio verfügen. So ist die DAT beispielsweise in der Lage, „komplette Fuhrparks binnen kurzer Zeit für Bilanzen und andere Auswertungen zu bewerten. Diese Funktion nennt sich Fleet-Forecast und ist auch für Prognosen verwendbar. Ab dem Jahr 2024 steht ein markenübergreifender DAT-Konfigurator zur Verfügung, der zum Beispiel die Hinterlegung einer Car-Policy ermöglicht“, erläutert Dr. Martin Endlein, Leiter Unternehmenskommunikation der Deutschen Automobil Treuhand GmbH. „Darüber hinaus ist natürlich die regelmäßige Hauptuntersuchung an den Fahrzeugen eine wichtige Dienstleistung. Hinzu kommen UVV- beziehungsweise DGUV V70-Prüfungen, das Thema Schaden- und Riskmanagement sowie die elektronische Führerscheinkontrolle. Außerdem bieten wir verschiedene Beratungsdienstleistungen an. Und schließlich ist noch der Bereich Aus- und Weiterbildung zu nennen, etwa die Ausbildung zum DEKRA-zertifizierten Flottenmanager, Fahrertrainings, die allgemeine Fahrzeugunterweisung mithilfe von webbasierten Trainings und vieles mehr“, fügt Rainer Schwer hinzu.

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Herausforderung: zunehmende Digitalisierung der Fahrzeuge
Die fortschreitende Technisierung und Digitalisierung wurden oben bereits kurz angeschnitten. Sind sie eine Hilfe oder bedeuten sie eher zusätzliche Arbeit für einen Gutachter? Manfred Wölfle, Chief Digital Officer bei der Hüsges GmbH, spricht im Zuge der Digitalisierung von einem Zugewinn: „Die zunehmende Digitalisierung hat unser Geschäft grundlegend verändert und in vielerlei Hinsicht vereinfacht. Moderne Aufnahmetechnologien und der Einsatz künstlicher Intelligenz ermöglichen es uns, effizienter und präziser zu arbeiten. In enger Zusammenarbeit mit führenden Systemanbietern optimieren wir die Konfidenzlevels und setzen somit neue Maßstäbe in unserer Branche. Die Integration dieser Technologien hat unsere Arbeit insgesamt erleichtert und verbessert die Qualität und Genauigkeit unserer Dienstleistungen.“ Auch für David Henseleit, Geschäftsleitung der D&O Vertriebs GmbH (PKW GUTACHTER), ergeben sich durch die zunehmende Digitalisierung der Fahrzeuge neue Möglichkeiten, den Kundenanforderungen bestens nachzukommen: „Die Digitalisierung ist nicht aufzuhalten. Wir sind weit vorne und arbeiten zum Beispiel mit einer App für Handy sowie Tablet. Sofern der Auftraggeber es möchte, bekommt er von uns auch gerne ein individuelles Portal (White Label) zur Verfügung gestellt sowie einen kostenfreien DAT-Zugang zur VIN-Abfrage. Damit stellen wir ein Höchstmaß an Qualität sicher, da die einzelnen Schritte zur Bearbeitung vorgegeben sind.“ Somit ist die Digitalisierung vor allem hilfreich, um Standardprozesse zu vereinfachen und damit zu beschleunigen. „Dazu gehört auch die videogestützte Schadenfeststellung, die in bestimmten Anwendungsbereichen möglich und sinnvoll ist. Wir versuchen, sie bestmöglich zu nutzen, müssen aber feststellen, dass sie an ihre Grenzen stößt, wenn zum Beispiel Lackschichtprüfungen bei Farbnebeln erforderlich sind. Generell wird das Auslesen von Steuergeräten zur Überprüfung von Funktionstests sowie die Bestimmung der Batteriekapazität von Elektrofahrzeugen deutlich zunehmen“, erklärt Stefan Kurth, Leitung Marketing & Kommunikation bei der SSH Schaden-Schnell-Hilfe GmbH.

Nicht zuletzt eröffnet die Digitalisierung der Sachverständigenorganisation selbst neue Möglichkeiten, sich gegen branchenübergreifende Herausforderungen, wie den Personalmangel, zu wappnen: „In der heutigen Zeit wird insbesondere die Videotechnik angefragt. Mit unserer Videotechnik sind wir in der Lage, trotz Personalmangel im Markt schnelle Entscheidungshilfen für die Fahrzeugrückgabe, den Fahrzeugverkauf oder die Reparatur zu liefern“, gibt Marius Klosa an. Trotz der vielen positiven Aspekte der Digitalisierung wurde sie zunächst einmal als Herausforderung aufgefasst: „So ehrlich muss man sein: Es hat unsere Arbeit anfänglich erschwert, da die neue Technik am Fahrzeug nicht mehr ‚einfach‘ einsehbar ist. Unsere Sachverständigen müssen inzwischen eine Kombination aus klassischem Mechaniker/Ingenieur und ITler sein, um die technische und digitale Komplexität der heutigen Fahrzeuge zu verstehen und Probleme erkennen zu können. Mithilfe unserer Fachdisponenten arbeiten wir aber täglich daran, den Wissensstand unserer Mitarbeiter den ständigen Entwicklungen anzupassen und bei Rückfragen immer einen geschulten Ansprechpartner bieten zu können. Zusätzlich stellen wir unseren Sachverständigen digitale Auslesegeräte zur exakteren Analyse von Fehlern zur Verfügung“, erklärt Michael Bogateck.

Elektrifizierte Fahrzeuge
Teiloder rein elektrische Fahrzeuge werden in Fuhrparks immer beliebter, das zeigt nicht zuletzt auch die Zahl der echten gewerblichen Neuzulassungen für das erste Halbjahr 2023 (siehe dazu „Alle Zeichen auf Grün“, S. 34 ff., in der Flottenmanagement-Ausgabe 4/2023). Nachdem Umweltaspekte und Förderungen den elektrifizierten Fahrzeugen zum Durchbruch am Markt verholfen haben, warten Sachverständigenorganisationen nun mit einem breiten Portfolio an neuen Dienstleistungen auf, um diese Fahrzeuge und ihre doch andersartigen Komponenten bewerten zu können. „Der Akku stellt meist die wertvollste Einzelkomponente eines batterieelektrischen Fahrzeugs (BEV) dar. Daher spielt der Zustand des Akkus bei der Bewertung eines Autos eine wichtige Rolle. Wir bieten in unseren Systemen für unsere DAT Expert Partner daher die Berücksichtigung des ,Gesundheitszustands‘ des Akkus (SoH) für die Bewertung an. Außerdem besteht eine Kooperation zwischen den DAT Expert Partnern und dem Akkutestspezialisten AVILOO zur Nutzung seiner Testgeräte“, so Dr. Martin Endlein.

Weisen Elektrofahrzeuge starke Beschädigungen auf, beispielsweise aufgrund eines Unfalls, dürfen nur qualifizierte Personen an Antriebs- und Batteriekomponenten arbeiten: „Bei verunfallten Elektrofahrzeugen gelten bestimmte Vorgaben mit Blick auf Schulung und Qualifikation von Personen, die daran arbeiten. Das betrifft neben Werkstätten und Abschleppunternehmen auch Kfz-Sachverständige bei der Erstellung von Schadengutachten. Entsprechend stellt sich DEKRA durch die flächendeckende Weiterbildung der Beschäftigten im Bereich Schadengutachten auf, um das gesamte Dienstleistungsportfolio auch an Elektrofahrzeugen anbieten zu können“, erläutert Rainer Schwer. Auch Stefan Kurth von der SSH weist explizit auf die notwendige Expertise bei Arbeiten an elektrifizierten Fahrzeugen hin: „Neben der Notwendigkeit einer Schulung der Sachverständigen hinsichtlich der Eigensicherung bei der Begutachtung von Elektrofahrzeugen sind bei der Instandsetzung/Reparatur im HV-Bereich die Vorgaben der Hersteller zwingend einzuhalten. Gegebenenfalls ist auch Rücksprache mit dem Hersteller zu halten, zum Beispiel wenn leichte Deformationen oder Kratzer am Gehäuse der Hochvoltbatterie bei Besichtigungen festgestellt werden. Um den Wiederbeschaffungswert zu ermitteln, ist es bei einem Totalschaden unbedingt erforderlich, die Hochvoltbatterie auf ihren Zustand (SoH) überprüfen zu lassen.“

Fazit
Die Digitalisierung und Elektrifizierung haben ihren Preis, denn um ein Gutachten für einen modernen Pkw zu erstellen, bedarf es neben entsprechenden Technologien, um Fahrzeugspeicher auslesen zu können, auch gut geschultes Personal. Die Aus- und kontinuierliche Weiterbildung von Sachverständigen haben höchste Priorität, um auch in Zukunft derartige Dienstleistungen mit höchsten Qualitätsstandards erbringen zu können. Im gleichen Moment beschleunigt sich durch die Digitalisierung eine Vielzahl von Prozessen. Dadurch wird die Schadenregulierung effizienter und der Flottenleiter bekommt mehr Möglichkeiten der Steuerung. Jedoch verliert der Sachverständige dabei keineswegs an Bedeutung, wie sich oftmals in der Zusammenarbeit mit Flotten zeigt.

 

 

 

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