Die Rückgabe des Dienstwagens – immer gegen Entschädigung?
<p>„Scheiden tut weh“ heißt es im Volksmund. Dies gilt auch für des Deutschen liebstes Kind, das Auto – und im Besonderen für den Dienstwagen. Für viele Mitarbeiter ist der Dienstwagen ein Statussymbol für die Position in der Unternehmenshierarchie. Als Motivationsfahrzeug bietet der Dienstwagen außerdem ein nicht zu unterschätzendes Potenzial zur Leistungssteigerung der Mitarbeiter. So ist es in der Praxis häufig anzutreffen, dass Mitarbeiter auf die Anschaffung eines Privatfahrzeugs verzichten, wenn ihnen ein Dienstwagen mit der Gestattung der Privatnutzung überlassen wird.</p>

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Umso härter trifft es den Dienstwagennutzer natürlich dann, wenn er plötzlich zum Fußgänger wird, weil ihm die Privatnutzung untersagt oder das Dienstfahrzeug sogar gänzlich entzogen wird. Ein Anspruch auf Entschädigung hierfür steht jedoch nicht immer als Ausgleich zur Verfügung. Sind die Widerrufsmöglichkeiten im Überlassungsvertrag nicht eindeutig geregelt, besteht hier ein nicht unerhebliches Streitpotenzial.
Die Vorteile der Privatnutzung
Die Vorteile der Möglichkeit zur privaten Nutzung eines dienstlich überlassenen Fahrzeugs liegen klar auf der Hand: Die Privatnutzung umfasst eben im Wesentlichen alle außerdienstlichen Fahrtanlässe sowie die Wegefahrten zur Arbeit an der ersten Tätigkeitsstätte und zurück. Steuerlich betrachtet stellt die Überlassung eines Dienstwagens zur privaten Nutzung einen Sachbezug und damit einen geldwerten Vorteil dar. Arbeitsrechtlich ist die Privatnutzung ein steuerund abgabenpflichtiger Teil des geschuldeten Arbeitsentgelts und damit ein Teil des Arbeitslohns. Die Gebrauchsüberlassung des Dienstwagens auch zur privaten Nutzung ist deswegen regelmäßig eine zusätzliche Gegenleistung für die geschuldete Arbeitsleistung. Nach einer in Fuhrparkkreisen gängigen Faustformel ist diese so lange geschuldet, wie der Arbeitgeber dem Dienstwagennutzer einen Arbeitslohn zahlen muss.
Die Kehrseite der Medaille: Widerruf der Privatnutzung und AGB-Kontrolle
Die Frage, wie sich der Widerruf der Privatnutzung als Gegenteil der Fahrzeugüberlassung auswirkt, war bereits Gegenstand von Gerichtsentscheidungen. Das Bundesarbeitsgericht hat die Folgen eines Widerrufs der privaten Nutzung eines Dienstwagens in seinem Urteil vom 21. März 2012 (Az. 5 AZR 651/10) wie folgt zusammengefasst: „Vertragliche Widerrufsvorbehalte in Muster-Nutzungsverträgen für Dienstwagen unterliegen der AGB-Kontrolle. Die Regelungen in einem solchen Dienstwagenvertrag sind nämlich rechtlich als allgemeine Geschäftsbedingungen im Sinne des § 305 Abs. 1 S. 1 BGB anzusehen. Der Widerrufsvorbehalt, wonach sich der Arbeitgeber vorbehalten hat, die Überlassung des Dienstwagens zu widerrufen, wenn und solange der Pkw für dienstliche Zwecke seitens des Arbeitnehmers nicht benötigt werde, was insbesondere dann der Fall sei, wenn der Arbeitnehmer nach Kündigung des Arbeitsverhältnisses von der Arbeitsleistung freigestellt werde, ist danach wirksam.“
Neben dieser Inhaltskontrolle der in den allgemeinen Geschäftsbedingungen enthaltenen Widerrufsklausel unterliegt im Einzelfall auch die Ausübungskontrolle der Kontrolle nach § 315 BGB. Denn die Widerrufserklärung stellt eine Leistungsbestimmung durch den Arbeitgeber nach § 315 Abs. 1 BGB dar. Der Widerruf muss im Einzelfall deshalb auch dem sogenannten billigen Ermessen entsprechen. In diesem Zusammenhang kommt es deshalb auch auf eine Gesamtbewertung der beiderseitigen Interessen an. Diese kann dazu führen, dass der Arbeitgeber einen Dienstwagen beispielsweise nur unter Einräumung einer Auslauffrist zurückfordern darf. Allerdings kann im Einzelfall auch das Interesse des Arbeitnehmers, den von ihm versteuerten geldwerten Vorteil auch real nutzen zu können, das abstrakte Interesse des Arbeitgebers am sofortigen Entzug des Dienstwagens überwiegen.
Schadenersatz bei Widerruf der Fahrzeugüberlassung
Kommt der Arbeitgeber seiner Vertragspflicht, dem Arbeitnehmer die Nutzung des Dienstwagens zu Privatzwecken weiter zu ermöglichen, nicht nach, wird die Leistung wegen Zeitablaufs unmöglich, sodass der Arbeitgeber nach § 275 Abs. 1 BGB von der Leistungspflicht befreit wird. Der Arbeitnehmer hat in diesem Fall nach § 280 Abs. 1 S. 1 i. V. m. § 283 S. 1 BGB Anspruch auf Ersatz des hierdurch verursachten Schadens.

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Ausgabe 3/2022

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Zur Berechnung des Schadens ist eine „Nutzungsausfall“-Entschädigung auf der Grundlage der steuerlichen Bewertung der privaten Nutzungsmöglichkeit mit monatlich einem Prozent des Listenpreises des Kraftfahrzeugs im Zeitpunkt der Erstzulassung anerkannt (BAG, Urteile vom 21.03.2012, Az. 5 AZR 651/10 sowie vom 19.12.2006, Az. 9 AZR 294/06. Ein Anspruch auf eine Entschädigung für den Widerruf der Privatnutzung des Dienstwagens besteht insoweit also lediglich in Höhe der steuerlichen Bewertung der privaten Nutzungsmöglichkeit. Deshalb besteht kein Schadenersatzanspruch in Höhe der Anschaffungskosten für ein Ersatzfahrzeug.
Überraschungen vermeiden — Widerruf regeln
Nutzungsverträge für Dienstwagen sollten grundsätzlich einen Widerrufsvorbehalt beinhalten. Ist nichts dazu geregelt, kommt es regelmäßig zu unerwünschten Nebenwirkungen. So hatte das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz in Koblenz über einen entsprechenden Fall zu entscheiden, bei dem im Rahmen der Vereinbarung über die Altersteilzeit schlicht vergessen wurde, die Dienstwagenvereinbarung für die Freistellungsphase in der Altersteilzeit anzupassen. Vereinbaren die Arbeitsvertragsparteien die Privatnutzung eines Dienstwagens, ohne einen Widerrufsvorbehalt oder eine andere Rücknahmemöglichkeit zu regeln, um den Vertrag an die Teilzeitsituation anzupassen, so gilt die Dienstwagenvereinbarung auch in der Freistellungsphase der Altersteilzeit (LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 12.03.2015, Az. 5 Sa 565/14).
Formularvertraglich abgefasste Klauseln zum Widerruf der privaten Nutzung des Dienstwagens in Arbeitsverträgen, Dienstwagenüberlassungsverträgen, Dienstwagenrichtlinien oder einer CarPolicy müssen ferner so abgefasst sein, dass die Gründe für einen Widerruf benannt werden. Dies ist bereits unter dem Gesichtspunkt der AGB-Kontrolle erforderlich, weil Widerrufsklauseln auch den Anforderungen an die Transparenz genügen müssen. Dies bedeutet, dass der Verwender eine Widerrufsklausel so formulieren muss, dass der Dienstwagennutzer bereits bei Vertragsabschluss absehen kann, in welchen Fällen und unter welchen Voraussetzungen er den Dienstwagen wieder abgeben muss. Ein entsprechender Grund dafür kann die Versetzung vom Außendienst in den Innendienst sein, wenn das Dienstfahrzeug beispielsweise für eine Vertriebstätigkeit im Außendienst benötigt wurde. Denkbar ist auch, dass für die neue Position des Fahrzeugnutzers gemäß Car-Policy kein Dienstwagen mehr vorgesehen ist oder ein fest definierter dienstlicher Nutzungsumfang nicht erreicht wird. Auch die Entziehung der Fahrerlaubnis ist schon zur Vermeidung einer eigenen strafrechtlichen Haftung des Arbeitgebers ein nachvollziehbarer Widerrufsgrund. Unzureichend ist mit Blick auf das AGB-rechtliche Transparenzgebot ein vertraglich festgelegter Widerruf aus „wirtschaftlichen Gründen“ ohne nähere Eingrenzung.
Finanzielle Entschädigung bei Widerruf — aber nicht immer
Grundsätzlich bestehen keine Bedenken gegen einen Widerruf der Dienstwagenüberlassung, wenn der Arbeitgeber dafür eine finanzielle Entschädigung in Höhe des steuerlichen Sachbezugs auf Grundlage der Ein-Prozent-Regelung zahlt. Klar ist deshalb, dass einerseits bei rechtswidrigem Entzug des Dienstwagens ein solcher Schadenersatzanspruch des Mitarbeiters besteht. Dies ist beispielsweise bei einer vom Arbeitsgericht nachträglich festgestellten rechtswidrigen Kündigung der Fall, aber auch dann, wenn der Widerruf der Fahrzeugüberlassung im Rahmen einer Freistellung von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung erfolgt und dafür keine Entschädigung gewährt wird. Wird dem Mitarbeiter ein Dienstwagen mit zulässiger Privatnutzung rechtswidrig vom Arbeitgeber entzogen, hat der Mitarbeiter einen Anspruch auf Schadenersatz in Höhe des zu versteuernden geldwerten Vorteils (BAG, Urteil vom 14.12.2010, Az. 9 AZR 631/09; LAG Stuttgart, Urteil vom 27.07. 2009, Az. 10 Sa 25/09 bestätigt).
Voraussetzungen einer Nutzungsentschädigung für Dienstwagen mit Privatnutzung
Eine Nutzungsentschädigung ist dennoch nicht in allen Fällen vom Arbeitgeber zu zahlen. Die Voraussetzungen für eine solche Entschädigung sind daher im Einzelfall differenziert zu betrachten. Dass dies nötig ist, zeigt ein aktuelles Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm (Westfalen) vom 25.02.2022 (Az. 1 Sa 1282/21). In dem Verfahren hatte ein Arbeitnehmer im Zusammenhang mit der Rückgabe seines Dienstwagens an den Arbeitgeber eine Nutzungsentschädigung in Höhe von 5.000 Euro (= 500 Euro für zehn Monate) vor dem Arbeitsgericht eingeklagt. Das Arbeitsgericht hatte die Klage abgewiesen; auch die hiergegen eingelegte Berufung blieb ohne Erfolg. Der Arbeitnehmer stützte diesen Anspruch selbst ausschließlich auf eine angenommene vertragliche Vereinbarung zwischen den Parteien. Diese lag jedoch – ersichtlich – nicht vor.
Die Begründung der Entscheidung offenbart einige in der Fuhrparkpraxis häufiger anzutreffende Fehlerquellen im Zusammenhang mit Fahrzeugrückgaben beziehungsweise der Regelung zum Widerruf der Fahrzeugüberlassung.
Fehler Nr. 1: Voraussetzungen der Widerrufsklausel nicht erfüllt
Der Arbeitnehmer konnte seinen Anspruch auf eine Nutzungsentschädigung insbesondere nicht auf den Widerrufsvorbehalt in der Dienstwagenvereinbarung stützen. Danach wurde dem Arbeitnehmer für die bisherige Privatnutzung eine Nutzungsentschädigung in Höhe der lohnsteuerrechtlichen Nutzungspauschale gewährt. Dies wiederum setzte jedoch voraus, dass der Arbeitgeber überhaupt von seinem in der Dienstwagenvereinbarung geregelten Widerrufsrecht Gebrauch gemacht hatte. Dies war aber nicht der Fall. So hatte auch der Arbeitnehmer im Klageverfahren nicht vorgetragen, der beklagte Arbeitgeber habe überhaupt einen solchen Widerruf im Sinne der Dienstwagenvereinbarung erklärt. Merke: Ohne Widerrufserklärung gibt es auch keine Vertragsfolgen einer Widerrufsklausel.
Fehler Nr. 2: Keine (rechtzeitige) Annahme des Angebots zur Fahrzeugrücknahme
Die weiteren Entscheidungsgründe offenbaren, dass die Tücken der Fahrzeugrückgabe auch bereits im allgemeinen Vertragsrecht liegen können. So hatte der Arbeitnehmer behauptet, die Geschäftsführerin des Arbeitgebers habe ihm angeboten, den Dienstwagen gegen Zahlung der monatlichen Nutzungsentschädigung zurückzugeben. Dies war nach Auffassung des Berufungsgerichts so zu verstehen, dass die Geschäftsführerin des Arbeitgebers ihm ein Angebot dahingehend unterbreitet habe, trotz des nicht erfolgten Widerrufs der Fahrzeugüberlassung eine Nutzungsentschädigung zu zahlen, sofern er das Fahrzeug zurückgebe. Das so vom Arbeitnehmer behauptete Angebot im Sinne des 145 BGB lautete, die Geschäftsführerin habe ihm angeboten, 500 Euro monatlich zu zahlen. Sodann habe der Arbeitnehmer gegenüber einem Mitarbeiter des Arbeitgebers (aus dem Fuhrpark) telefonisch mitgeteilt, er werde den Dienstwagen zu Ende Januar zurückgeben und die Ersatzzahlung ab Februar in Anspruch nehmen. Bei genauer Betrachtung hat der Arbeitnehmer also die Annahme des behaupteten arbeitgeberseitigen Angebots nicht unmittelbar während des Gesprächs mit der Geschäftsführung erklärt, sondern erst später telefonisch gegenüber einem anderen Mitarbeiter des Arbeitgebers.
Nach dem allgemeinen Vertragsrecht kann ein Angebot unter Anwesenden allerdings nur sofort angenommen werden. Das folgt aus § 147 Abs. 1 S. 1 BGB. Eine sofortige Annahme ist aber indes nicht erfolgt. Nach § 147 BGB erlischt ein Angebot, wenn es nicht nach den §§ 147 ff. BGB rechtzeitig angenommen wird. Mangels sofortiger Annahme des behaupteten Angebots der Geschäftsführerin war dieses Angebot infolgedessen nach § 146 BGB erloschen.
Eine daher vom Arbeitnehmer verspätet erklärte Annahme des behaupteten Angebots der Geschäftsführerin des Arbeitgebers gilt nach § 150 Abs. 1 BGB als neuer Antrag. Dem Sachvortrag in der Klage ließen sich jedoch keine weiteren Behauptungen entnehmen, dass der beklagte Arbeitgeber dieses neue Angebot auch angenommen hätte. So hatte der Dienstwagennutzer dem Fuhrparkmitarbeiter lediglich mitgeteilt, zu welchem Zeitpunkt er das Fahrzeug zurückgeben werde.
Fehler Nr. 3: Keine Vollmacht des Fuhrparkmitarbeiters für Vertragserklärungen
Ein besonderer Knackpunkt ist überdies, dass der Wagennutzer im Rahmen des Klageverfahrens nichts zu der Frage der rechtsgeschäftlichen Vertretungsmacht des Mitarbeiters im Sinne von § 164 Abs. 1 BGB vorgetragen hat. So hätte der Fuhrparkmitarbeiter überhaupt eine entsprechende Vollmacht benötigt, den Arbeitgeber in Vertragserklärungen im Zusammenhang mit der Fahrzeugrückgabe rechtswirksam zu vertreten. Dies wurde weder behauptet, noch lag eine solche Vollmacht vor.
Fehler Nr. 4: Schlüsselübergabe ist keine Annahmeerklärung
Auch die Behauptung des Arbeitnehmers, er habe die Schlüssel des Dienstfahrzeugs der Geschäftsführerin ausgehändigt, führt keineswegs dazu, dass mit der Entgegennahme der Schlüssel das arbeitnehmerseitige Angebot auf Abschluss einer Nutzungsentschädigungsvereinbarung angenommen worden sein könnte. Soweit in der behaupteten Annahme des Schlüssels durch die Geschäftsführerin unter Umständen eine „aus den Umständen“ konkludente Annahme eines möglichen Vertragsangebots zu sehen sei, wäre auch dieses Angebot verspätet angenommen worden. Denn auch dieses Angebot hätte sofort angenommen werden müssen. Dies gilt nämlich nach § 147 Abs. 1 S. 2 BGB auch für solche Angebote, die mittels Telefon von Person zu Person gemacht worden sind.
Das Landesarbeitsgericht sah es daher in der Berufung nicht als erwiesen an, dass sich auf Grundlage des unstreitigen Sachvortrags und der – als richtig unterstellten – Behauptungen des klagenden Arbeitnehmers schlüssig entnehmen lasse, dass zwischen den Parteien eine Vereinbarung über die Gewährung einer Nutzungsausfallentschädigung zustande gekommen ist. Da der Arbeitnehmer bereits den Grund des Anspruchs nicht schlüssig vorgetragen hat, musste sich das Berufungsgericht nicht mehr mit der Frage befas- sen, ob dies jedenfalls für die Höhe des Anspruchs gilt. Die Kammer konnte daher auch offenlassen, ob der Anspruch – zumindest teilweise – verfallen ist, weil er nicht innerhalb der sechsmonatigen Verfallfrist des Arbeitsvertrags geltend gemacht worden ist.
Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Hamm sollte Fuhrparkverantwortliche jedenfalls dazu veranlassen, das Rückgabeprozedere bei Dienstwagen auf mögliche Fehlerquellen zu überprüfen. Dazu gehört auch die Klärung der Frage, ob und in welchem Umfang Fuhrparkmitarbeiter überhaupt zur Abgabe von rechtsverbindlichen Erklärungen bevollmächtigt sind, die das Unternehmen des Arbeitgebers dann auch im Hinblick auf eine Nutzungsentschädigung für den Verlust des Dienstwagens binden. Es lohnt sich also in jedem Falle, näher hinzusehen.
Rechtsanwalt Lutz D. Fischer, St. Augustin
Kontakt: kanzlei@fischer.legal
Internet: www.fischer.legal
AUTOR
RECHTSANWALT LUTZ D. FISCHER ist Mitglied der ARGE Verkehrsrecht im Deutschen Anwaltverein. Ein besonderer Kompetenzbereich liegt im Bereich des Dienstwagen und Verkehrsrechts. Als Autor hat er zahlreiche Publikationen zum Dienstwagenrecht veröffentlicht, unter anderem in der Fachzeitschrift „Flottenmanagement“ sowie im Ratgeber „Dienstwagen und Mobilitätsmanagement 2018–2020“ (Kapitel Datenschutz). Als Referent hält er bundesweit offene Seminare und Inhouse-Veranstaltungen zur Dienstwagenüberlassung mit thematischen Bezügen zu Arbeitsrecht, Entgeltabrechnung, Schadenregulierung und -management, Datenschutz sowie Elektromobilität.
RECHTSPRECHUNG
VERSICHERUNGSRECHT
Unfall durch alkoholtypischen Fahrfehler: Verlust von Leistungsaussprüchen
Eine alkoholbedingte Bewusstseinsstörung, die zum Verlust von Leistungsaussprüchen aus einem Unfallversicherungsvertrag führt, liegt auch dann vor, wenn eine Blutalkoholkonzentration gesichert ist, die nur geringfügig unter dem Wert von 1,1 Promille liegt, und der Unfall auf einem alkoholtypischen Fahrfehler (hier: Abkommen von der Fahrbahn in einer übersichtlichen Rechtskurve bei trockener Fahrbahn) beruht. OLG Dresden, Beschluss vom 20.12.2021, Az. 4 U 2144/21
ARBEITSRECHT
Kein Mitbestimmungsrecht bei Dienstanweisungen zu Unfällen mit Dienstfahrzeugen
Nach § 75 Abs 3 Nr. 15 BPersVG a.F. sind Regelungen des Dienstherrn nicht mitbestimmungspflichtig, mit denen er die den Beschäftigten obliegenden Leistungspflichten konkretisiert oder kontrolliert, sowie rein diensttechnische Regelungen, die den Ablauf des Dienstbetriebs gestalten. Mitbestimmungsfrei sind solche Regelungen, bei denen die Diensterfüllung eindeutig im Vordergrund steht und Auswirkungen auf das Verhalten der Beschäftigten und die Ordnung in der Dienststelle nur zwangsläufige Folge dieser Zielsetzung sind. Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG geht weiter als das auf „Regelungen“ beschränkte Mitbestimmungsrecht des Personalrats. Mit einer Dienstanweisung für Verhalten für Angestellte der US-Streitkräfte bei Unfällen mit Dienstfahrzeugen werden vertragliche Nebenpflichten im Sinne von § 241 Abs. 2 BGB konkretisiert, mithin wird das Arbeitsverhalten dieser Mitarbeiter geregelt für den Sonderfall der Verwicklung in einen Verkehrsunfall, nicht aber das Ordnungsverhalten der Betroffenen.
Die streitgegenständliche Dienstanweisung gibt Regelungen vor, die das Personal einhalten muss, wenn ein Unfall mit einem Dienstfahrzeug passiert. Es handelt sich um Vorschriften zum Umgang mit der Situation nach einem Unfall. Insofern haben die streitgegenständlichen Vorgaben viel mit der Nutzung des Dienstfahrzeugs zu tun. Das legt es nahe, von einer diensttechnischen Regelung auszugehen, die von den Mitarbeitern in Erfüllung ihrer vertraglichen Nebenpflichten bei der Erbringung der geschuldeten Arbeitsleistung nach Maßgabe der konkreten Umstände des Einzelfalles (Unfallbeteiligung) zu beachten ist. Mit der streitgegenständlichen Dienstanweisung verlangt die Mittelbehörde lediglich insbesondere und schwerpunktmäßig den ordnungsgemäßen Umgang mit Dienstfahrzeugen. Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 01.02.2021, Az. 3 TaBV 11/20
Ruhegehaltskürzung wegen Tankkartenmissbrauch durch Polizeibeamten
Dem beklagten Polizeibeamten in Führungsposition ist die unbefugte Verwendung der dienstlichen Tankkarte am 8. April 2017 (kein Schaden eingetreten) und am 11. Mai 2016 (Schaden 38,24 Euro) vorzuwerfen. Trotz der hinsichtlich der letztgenannten Tat bestehenden Ungereimtheiten lässt sich der Vorwurf aus den zweifelsfrei feststehenden Umständen (Rückgabe des Fahrzeugs um 16:15 Uhr, Dienstende um 17:07 Uhr, Betankung um 17:16 Uhr, Übernahme des Dienstfahrzeugs durch einen anderen Beamten um 17:00 Uhr) eindeutig belegen.
Durch die vorgeworfenen Taten hat er ein innerdienstliches Dienstvergehen begangen, weil die Nutzung der dienstlichen Tankkarte nur Polizeibediensteten möglich war. Er hat die dienstliche Tankkarte mit Wissen und Wollen verwendet und damit vorsätzlich gehandelt.
Wegen dieser Dienstvergehen ist vorliegend die Kürzung des Ruhegehalts in Höhe von einem Zehntel für die Dauer von 27 Monaten geboten. Auf der Grundlage des Strafrahmens von Betrug und Untreue – nach §§263 Abs. 1, 266 Abs. 1 StGB bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe – ist bei der vorliegenden innerdienstlichen Tat der Orientierungsrahmen bis zur Entfernung aus dem Beamtenverhältnis eröffnet. Im Hinblick auf die nur zweimalige Tat, den geringen Schaden (unter 40 Euro), die sehr guten dienstlichen Leistungen, seine Belastung durch das Disziplinarverfahren, die lange Verfahrensdauer und das geringere Sanktionsbedürfnis nach seiner Ruhestandsversetzung erscheint es trotz seiner Vorgesetztenstellung ausreichend, auf das Dienstvergehen mit der im Tenor ausgesprochenen Disziplinarmaßnahme zu reagieren. VG München, Urteil vom 26.01.2022, Az. M 19L DK 21.1496
VERKEHRSZIVILRECHT
Beidseitige Fahrbahnverengung erfordert wechselseitige Rücksichtnahme
Bei einer beidseitigen Fahrbahnverengung (allgemeines Gefahrenzeichen 120 – „Verengte Fahrbahn“ – nach Anlage 1 zu § 40 Abs. 6 und 7 StVO) gilt allein das Gebot der wechselseitigen Rücksichtnahme (§ 1 StVO). Auch bei zwei gleichauf in die Engstelle fahrenden Fahrzeugen ergibt sich kein regelhafter Vortritt des rechts fahrenden Fahrzeugs.
Im Falle der Verengung von zuvor zwei auf nunmehr nur noch einen Fahrstreifen gibt es – anders als beim Zeichen 121 („Einseitig verengte Fahrbahn“) – nicht einen durchgehenden und einen endenden Fahrstreifen, sondern beide Fahrstreifen werden in einen Fahrstreifen überführt. Das Durchfahren der Engstelle ist daher für sich genommen nicht mit einem Fahrstreifenwechsel im Sinne des § 7 Abs. 5 StVO verbunden; auch greift das Reißverschlussverfahren des § 7 Abs. 4 StVO nicht unmittelbar. Die in der Verengung liegende und durch das Zeichen 120 signalisierte Gefahr führt jedoch zu einer erhöhten Sorgfaltsund Rücksichtnahmepflicht der auf beiden Fahrstreifen auf die Engstelle zufahrenden Verkehrsteilnehmer im Sinne des § 1, § 3 Abs. 1 StVO.
Nichts anderes gilt auch dann, wenn beide Fahrzeuge gleichauf und mit gleicher Geschwindigkeit an die Engstelle gelangen. Auch in diesem Fall gebührt dem rechts fahrenden Fahrzeug nicht regelhaft der Vortritt. Das Gefahrenzeichen 120 enthält eine derartige Vorrangregelung nicht.
Im Ergebnis hat daher keines der beiden Fahrzeuge den Vorrang und sind die Fahrzeugführer sind gehalten, sich unter gegenseitiger Rücksichtnahme (§ 1 StVO) darüber zu verständigen, wer als Erster in die Engstelle einfahren darf. Gelingt die Verständigung nicht, sind sie dazu verpflichtet, im Zweifel jeweils dem anderen den Vortritt zu lassen. BGH, Urteil vom 08.03.2022, Az. VI ZR 47/21
Halterhaftung für verkehrssicheren Fahrzeugzustand
Das Amtsgericht Landstuhl hat den Halter eines Lkw wegen fahrlässigen Zulassens der Inbetriebnahme eines nicht verkehrssicheren Lkw (Vorschrift über Bremsen wesentlich beeinträchtigt) zu einer Geldbuße von 270 Euro verurteilt. Das Gericht hat festgestellt, dass für die Fahrzeugkombination kurz zuvor beim TÜV die Hauptuntersuchung durchgeführt worden war, ohne dass Mängel festgestellt worden waren. Jedoch konnte auch festgestellt werden, dass eine regelmäßige Kontrolle des Fahrzeugs durch den Betroffenen oder andere Firmenangehörige oder eine Fremdfirma gerade nicht stattgefunden hat.
Eine stichprobenartige Kontrolle ist dem Fahrzeughalter auch dann zumutbar, wenn die Mitarbeiter des Betroffenen die Betriebsfahrzeuge häufig wegen des frühen Dienstantritts oder aus anderen Gründen mit nach Hause nehmen und ihre Fahrten nicht unbedingt vom Betriebssitz aus antreten. Der Halter/Betroffene muss dann die Ladungssicherheit gegebenenfalls stichprobenartig bei der Anfahrt zu einer Baustelle oder bei der Abfahrt oder am Abstellort des Fahrzeugs überprüfen. AG Landstuhl, Urteil vom 15.03.2022, Az. 2 OWi 4211 Js 1018/22
Desinfektionskosten des Sachverständigen bei Gutachtenerstellung sind Gemeinkosten
Der allgemeine Aufwand für die Beschaffung von Desinfektionsmaterial aus Anlass der Corona-Pandemie und der Zeitaufwand für die Desinfektion des Kundenfahrzeugs sind den durch das Grundhonorar des Schadengutachters abgegoltenen Gemeinkosten zuzuordnen; die Abrechnung einer „Desinfektionspauschale Covid-19“ als Nebenkosten kommt damit nicht in Betracht.
Der Zeitaufwand für die Desinfektion ist grundsätzlich bereits mit dem Grundhonorar abgegolten. Gleiches gilt aber auch für das Hygieneverbrauchsmaterial wie Masken, Handschuhe und Desinfektionsmittel. Denn die Pauschale betrifft auch insoweit ersichtlich nicht solche tatsächlichen Aufwendungen, die konkret anlässlich des Gutachtenauftrags des Sachverständigen angefallen sind, sondern die von dem konkreten Auftrag unabhängige generelle Beschaffung des Verbrauchsmaterials. Es ist zudem gerade keine konkrete Abrechnung des verbrauchten Materials erfolgt. Auch das Hygieneverbrauchsmaterial unterfällt daher den Gemeinkosten. Diese Kosten sind daher nicht gesondert neben dem Grundhonorar als Nebenkosten zu vergüten. LG Saarbrücken, Urteil vom 08.04.2022, Az. 13 S 103/21
Ersatzfähigkeit von Covid-Desinfektionskosten
Kosten für Covid-Desinfektionsmaßnahmen am verunfallten Fahrzeug sind als unfallbedingte Aufwendungen einzustufen. Covid-Desinfektionsmaßnahmen nach Entgegennahme des Fahrzeugs durch die Reparaturwerkstatt und vor Abholung durch den Geschädigten sind Bestandteil der Reparatur. Sie unterfallen dem Werkstattund Prognoserisiko und sind ersatzfähig. Ein verständiger, wirtschaftlich denkender Mensch darf die Aufwendungen für „Fahrzeug reinigen“ grundsätzlich für erforderlich halten. Hierfür spricht schon, dass es denklogisch bei den umfangreichen Reparaturmaßnahmen gemäß Sachverständigengutachten zu Verschmutzungen kommt, die vor Übergabe des Fahrzeugs an den Geschädigten zu beseitigen sind. Zudem erstreckt sich der Anspruch des Geschädigten auch auf die Desinfektionskosten gemäß Rechnungsposition „Corona-Schutzmaßnahme“ im Umfang von 3 AW in Höhe von 39,45 Euro netto / 45,76 Euro brutto. Die Kosten für Desinfektionsmaßnahmen sind in dieser Höhe vollumfänglich erstattungsfähig, da es sich um erforderliche Wiederherstellungskosten handelt. AG Ludwigsburg, Urteil vom 05.11.2021, Az. 6 C 611/21
Geschädigter trägt Beweislast bei „deckungsgleichem“ Vorschaden
Wird das Fahrzeug in einem vorgeschädigten Bereich erneut, deckungsgleich beschädigt und ist die Unfallursächlichkeit der geltend gemachten Schäden deshalb streitig, muss der Geschädigte darlegen und mit überwiegender Wahrscheinlichkeit i. S. v. § 287 ZPO nachweisen, dass der geltend gemachte Schaden nach Art und Umfang insgesamt oder ein abgrenzbarer Teil hiervon auf das streitgegenständliche Unfallereignis zurückzuführen ist. Der Geschädigte muss grundsätzlich darlegen und ggf. nachweisen, welche eingrenzbaren Vorschäden an dem Fahrzeug vorhanden waren und durch welche konkreten Reparaturmaßnahmen diese zeitlich vor dem streitgegenständlichen Unfall fachgerecht beseitigt worden sind. Bei der Bemessung der klägerischen Substantiierungslast zu Art und Ausmaß des Vorschadens und zu Umfang und Güte der Vorschadensreparatur dürfen die Anforderungen nicht überspannt werden; der Anspruch auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG darf nicht verletzt werden. Das Verschweigen von Vorschäden führt nicht zu einem Anspruchsausschluss nach § 242 BGB. Die Versagung nachweislich bestehender Ansprüche ist in dem gesetzlichen Regime des materiellen bürgerlichen Rechts quasi als Nebenstrafe nicht vorgesehen. OLG Hamm, Urteil vom 25.01.2022, Az. 9 U 46/21
Unwirksame Autovermieter-AGB bei Ausschluss der vereinbarten Haftungsreduzierung
Eine Regelung in AGB eines Autovermieters, die eine vertraglich vereinbarte Haftungsreduzierung zu Gunsten des Mieters und des berechtigten Fahrers für den Fall grober Fahrlässigkeit vollständig ausschließt, ist wegen Abweichung vom Leitbild des § 81 Abs. 2 VVG für die Vollkaskoversicherung unwirksam. An die Stelle der vertraglichen Regelung tritt gemäß § 306 Abs. 2 BGB die gesetzliche Regelung des § 81 Abs. 2 VVG, auch wenn (mittlerweile) eine große Vielzahl von Vollkaskoversicherungsverträgen den Verzicht auf den Einwand der groben Fahrlässigkeit im Sinne des § 81 Abs. 2 VVG vorsehen. Grobe Fahrlässigkeit im Sinne des § 81 Abs. 2 VVG kann nicht pauschal bei Nichtbeachtung der notwendigen Durchfahrtshöhe von Mietfahrzeugen durch den Mieter oder den berechtigten Fahrer verneint werden, sondern ist einzelfallbezogen – wie hier – zu bejahen oder zu verneinen. Bei der Quotenbildung nach § 81 Abs. 2 VVG kann es zwar zu einem 100 %-igen Ausschluss des Versicherungsschutzes oder umgekehrt zum vollständigen Fortbestand des Versicherungsschutzes kommen, beides kommt indes nur aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls in Betracht (hier verneint). Sowohl bei unmittelbarer wie auch – wie hier – lückenfüllender Anwendung des § 81 Abs. 2 VVG (als auch im Rahmendes§28Abs.2Satz2Hs.1VVG)istvonderzu entschädigenden Summe zunächst die Selbstbeteiligung in Abzug zu bringen und erst anschließend die Quotelung vorzunehmen. OLG Hamm, Urteil vom 21.12.2021, Az. 7 U 31/21
VERWALTUNGSRECHT/ FAHRTENBUCHAUFLAGE
Fahrtenbuchauflage:
Obliegenheiten bei Firmenfahrzeugen
Der Geschäftsführer der Fahrzeughalterin hat den Kreis der in Betracht kommenden Fahrer nicht eingegrenzt und deren Personalien nicht angegeben, obwohl ihm das unschwer möglich gewesen wäre. Der Fahrzeughalter bleibt auch bei fehlender subjektiver Fähigkeit zur Identifizierung der Radaraufnahme oder unzureichender Qualität eines Geschwindigkeitsmessfotos insoweit zur Mithilfe bei der Aufklärung verpflichtet, dass er zumindest den Personenkreis der möglichen Fahrzeugführer gegenüber der Straßenverkehrsbehörde einzuschränken hat. Den kaufmännischen Halter eines Firmenfahrzeugs trifft die Obliegenheit, Geschäftsfahrten insoweit längerfristig zu dokumentieren, dass solche Fahrten grundsätzlich ohne Rücksicht auf die Erinnerung einzelner Personen rekonstruierbar sind und der jeweilige Fahrzeugführer im Einzelfall festgestellt werden kann. Unterbleiben dahin gehende Angaben, trägt der betroffene Betrieb das Risiko, dass die fehlende Feststellbarkeit des Fahrers zu seinen Lasten geht und eine Fahrtenbuchauflage erlassen wird. Bayerischer VGH, Beschluss vom 25.04.2022, Az. 11 CS 22.549
Fahrtenbuchauflage: Zweitbescheid nach Rücknahme des ursprünglichen Bescheids
Die Behörde war durch die Rücknahme ihres zunächst erlassenen Bescheids nicht gehindert, den Fahrzeughalter in einem weiteren Bescheid nochmals zur Führung von Fahrtenbüchern für drei Fahrzeuge zu verpflichten. Der ursprüngliche Bescheid ist durch die Rücknahme nach Hinweis des Verwaltungsgerichts auf die nicht ausreichende Begründung des angeordneten Sofortvollzugs unwirksam geworden. Dies begründet allerdings kein schutzwürdiges Vertrauen des Halters darauf, dass die Behörde ihn nach Fehlerkorrektur nicht erneut zur Führung von Fahrtenbüchern verpflichtet. Ein „Anerkenntnis“ oder eine die Behörde bindende Zusicherung, eine Fahrtenbuchauflage zu unterlassen, kann im Rücknahmebescheid nicht gesehen werden. Insbesondere konnte der Halter dem Rücknahmebescheid kein Eingeständnis der Behörde entnehmen, dass die materiellrechtlichen Voraussetzungen für die Verpflichtung zur Führung von Fahrtenbüchern nicht vorliegen und sie deshalb von der Maßnahme absieht. Vielmehr wird in diesem Bescheid ausgeführt, die Rücknahme beruhe auf der unzureichenden Begründung im Zusammenhang mit der sofortigen Vollziehung. Der Erlass eines Zweitbescheids verstößt damit nicht gegen den Grundsatz von Treu und Glauben; insbesondere liegt keine Verwirkung oder „Verbrauch“ der Befugnis zum Erlass einer Fahrtenbuchauflage mit ausreichender Begründung vor. Bayerischer VGH, Beschluss vom 25.04.2022, Az. 11 CS 22.549
VERWALTUNGSRECHT/FAHRVERBOT UND FAHRERLAUBNIS
Keine Ausnahme vom Fahrverbot nach Halter
Nach § 25 StVG kann das Gericht nur eine bestimmte Art von Kraftfahrzeugen von einem Fahrverbot ausnehmen. Eine Differenzierung nach Halter, hier Fahrzeuge der Bundeswehr, ist deshalb unzulässig. Nach § 25 StVG kann das Gericht nur eine bestimmte Art von Kraftfahrzeugen von einem Fahrverbot ausnehmen. Der Begriff der Kraftfahrzeugart ist dabei nicht identisch mit der Fahrerlaubnisklasse. Zu einer „Fahrzeugart“ im Sinne der hier interessierenden Bestimmungen gehören zunächst alle Fahrzeuge, auf die die Fahrerlaubnis gemäß § 6 Abs. 1 S. 2 FeV beschränkt werden kann. Daraus folgt, dass eine Fahrerlaubnisklasse mehrere „Kraftfahrzeugarten“ umfassen kann. Verschiedene Kraftfahrzeugarten sind zum Beispiel auch Lkws und Pkws, und zwar auch dann, wenn es sich um Fahrzeuge handelt, für die eine Fahrerlaubnis der Klasse B ausreicht. Denkbar ist es auch, dass alle Fahrzeuge einer bestimmten Fahrerlaubnisklasse als Kraftfahrzeugart von der Sperre ausgenommen werden. Eine Unterscheidung ist auch möglich danach, ob die Fahrzeugart überhaupt einer Fahrerlaubnis bedarf. Eine weitere Differenzierung ist möglich nach dem Verwendungszweck, soweit dieser durch eine bestimmte Bauart bedingt ist. Es ist hingegen unzulässig, eine Ausnahme nach Fabrikat, Fahrzweck, Halter, Benutzungsort oder Benutzungsart eines Kraftfahrzeugs zu bestimmen oder ein bestimmtes Fahrzeug vom Fahrverbot auszunehmen. OLG Naumburg, Beschluss vom 28.12.2021, Az. 1 Ws 219/21
Absehen vom Regelfahrfahrverbot nur mit eingehender Begründung im Urteil
Will das Amtsgericht aufgrund einer angenommenen unbilligen Härte von der Verhängung des Regelfahrfahrverbots absehen, ist es gehalten, in den Urteilsgründen eine eingehende, auf Tatsachen gestützte Begründung niederzulegen, die es dem Senat ermöglicht, die Annahme einer unbilligen Härte rechtlich zu überprüfen. Bei der Beurteilung, ob für den Betroffenen eine solche unbillige Härte aufgrund eines konkret drohenden Verlustes des Arbeitsplatzes vorliegt, ist es dem Tatrichter zwar nicht schlechthin verwehrt, einer Behauptung des Betroffenen oder einer schriftlichen Bestätigung des Arbeitgebers, aus dem sich solche konkreten Anhaltspunkte ergeben können, zu glauben. Er hat jedoch die Angaben des Betroffenen oder des Arbeitgebers auf ihre Richtigkeit hin zu überprüfen und im Urteil darzulegen, aus welchen Gründen er diese für glaubhaft erachtet.
Ist für einen schweren Verkehrsverstoß ein mehrmonatiges Regelfahrverbot vorgesehen, so ist gegebenenfalls zu prüfen, ob zur Abwendung einer (tatsächlich feststellbaren) Existenzgefährdung die Reduzierung der Dauer des Fahrverbots ausreicht.OLG Hamm, Beschluss vom 03.03.2022, Az. 5 RBs 48/22
Entziehung der Fahrerlaubnis bei Epilepsie
Im Falle einer Epilepsie liegt die Fahreignung für Fahrzeuge der Gruppe 2 ausnahmsweise nur dann vor, wenn eine Anfallsfreiheit von fünf Jahren besteht und keine Antiepileptika mehr eingenommen werden müssen.
Maßgeblich ist vielmehr, dass der Fahrerlaubnisinhaber an einer Epilepsie leidet und Antiepileptika einnimmt. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend ausgeführt, dass unter anderem in den Fahrerlaubnisklassen C, C1, und C1E die Fahreignung bei Epilepsie ausnahmsweise dann besteht, wenn kein wesentliches Risiko von Anfallsrezidiven mehr besteht, zum Beispiel bei fünf Jahren Anfallsfreiheit ohne Therapie. Vorliegend ist das verkehrsmedizinische Gutachten zu dem Ergebnis gelangt, dass der Fahrerlaubnisinhaber an einer Epilepsie mit seltenen Krampfanfällen leidet. Der Gutachter führte aus, dass aufgrund der Stellungnahme des Neurologen nicht davon ausgegangen werden könne, dass ohne die Einnahme antikonvulsiver Medikation eine Anfallsfreiheit bestehe. Dies hat nach Ziffer 6.6 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung zur Folge, dass er zum Führen von Kraftfahrzeugen der Gruppe 2 ungeeignet ist. OVG Bremen, Beschluss vom 28.04.2022, Az. 1 LA 377/21
Fahrerlaubnisentziehung nach Fristversäumung zur Teilnahme an Aufbauseminar
§ 2a Abs. 3 StVG macht die Entziehung der Fahrerlaubnis nach Versäumung der Frist zur Teilnahme an einem Aufbauseminar nicht davon abhängig, dass dem Fahranfänger wegen der Fristversäumung ein Verschulden zur Last fällt. Die Entziehung kann allerdings unverhältnismäßig sein, wenn der Fahranfänger rechtzeitig eine Fristverlängerung beantragt, gleichzeitig substantiiert die Hinderungsgründe darlegt sowie erkennbar den Willen äußert, das Aufbauseminar bei nächster Gelegenheit zu absolvieren. Im Falle der nachträglichen Verlängerung der Frist gemäß § 89 Abs 7 S 2 LVwG (VwG SH) hat er zudem darzutun, weshalb er an einer vorherigen Mitteilung der Hinderungsgründe innerhalb der Frist gehindert war. Die vorstehenden Obliegenheiten entfallen nicht dadurch, dass die Schließung der Fahrschulen wegen des Lockdowns während der Corona-Pandemie für alle Beteiligten erkennbar war. OVG für das Land Schleswig-Holstein, Beschluss vom 31.03.2021, Az. 5 MB 39/20

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Ausgabe 3/2022

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