Ja, wo fahren sie denn hin, 2021?

<p>Das Jahr 2020 hat sich leise fast ohne Böller verabschiedet, ja hat sich, wahrscheinlich aufgrund des schlechten Gewissens, geradezu davongeschlichen. In Erinnerung bleiben hauptsächlich die fast schon zum festen Programmangebot gehörenden ARD extra Corona- Sendungen nach der abendlichen Tagesschau, der nach wie vor mit Abstand beliebtesten Nachrichtensendung im TV. Nur manchmal schafft ein anderes Thema, wenn auch nur mit einer Brennpunkt-Sendung, dazwischen zu grätschen wie beispielsweise der Sturm von Trump-Anhängern aufs Capitol in Washington.</p>

Ja, wo fahren sie denn hin, 2021?
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Dabei versucht sich der ehemalige US-Präsident doch nur ganz tief ins Langzeitgedächtnis der Welt zu brennen. Er hat es jedenfalls geschafft, aufgrund seiner dummdreisten Tweets aus Twitter rausgeflogen zu sein. Was ihn aber nicht an der ungeheuerlichen Ankündigung hinderte, sein eigenes Netzwerk aufziehen zu wollen (wie übrigens manch andere auch, scheint in Mode zu kommen!). Man wird ja sehen, wie sein Paralleluniversum expandiert und am Ende doch in einem schwarzen Loch verschwindet. Von da kommt glücklicherweise so schnell nichts zurück (vor allem keine Tweets!), ein bis heute weitgehend ungelöstes Problem der Physik, da etwas nicht gänzlich und für immer verschwinden kann. Für Trump aber wahrscheinlich nur ein Klacks.

Derweil sich der C-Virus zu neuen Attacken wappnet und dazu einfach mutiert, und das in gleich mehreren Varianten. Und diese sind gemeinerweise noch infektiöser, was wiederum seine „Überlebenschancen“ erhöht, einfach eine Art moderner Darwinismus. So schnell kann man gar nicht die Impfstoffe weiterentwickeln, wie das abläuft. Aber vielleicht helfen ja einige der schon existierenden gegen einige mutierte. Das Jahr 2021 wird zeigen, ob man den Virus überholen kann, vielleicht sogar rechts. 

Denn dort hat sich ja sowieso schon eine ganze Menge zusammengebraut. Der sonst so zurückhaltende bayerische Ministerpräsident Söder warnt nun ganz unverhohlen vor einem „zunehmend aggressiven und sogar gewalttätigen Corona- Mob“ auf der rechten Spur. Ja, da wird in dem Zusammenhang sogar die alte RAF wieder herausgekramt und zur „Corona-RAF“ geklont. Damit hätte man zumindest den Spagat nach links geschafft. Egal, auch Gedankengut ist viral und ansteckend. Eine Impfung dagegen haben wir jedoch (auch) noch nicht. Und hoffentlich braut sich 2021 eher etwas Trinkbares in den bayrischen Sudkesseln, dazu gibt es dann jedenfalls Weißwurst, allerdings mit scharfem Senf aus NRW.

Die schon angesprochenen Netze spielen eine immer größere Rolle. Und sie ähneln selbst wiederum Viren ohne autarke Existenzgrundlage, denn sie brauchen auch „Hosts“, also Wirte, die sie bespielen. Bleiben sie aus, ist das Ende ihrer Existenz besiegelt. Und sie kannibalisieren sich dazu auch noch schön gegenseitig. Der bekannte Zukunftsforscher Matthias Horx beschwört daher auch das Ende der Social Networks in der aktuellen Form. So sieht er in Facebook lediglich eine „zeitfressende Maschine“. Sicherheit und Sinnhaftigkeit spielen dabei eine immer wichtigere Rolle. „Von Facebook wird in fünf bis sechs Jahren kein Mensch mehr reden“, sagte er Mitte letzten Jahres. So was hatte er allerdings auch schon mal 2005 gesagt … 

Ungeachtet dessen sprießen neue Messenger-Angebote wie Ginlo, Signal, Skype, Telegram, Threema und Wire wie Schimmelpilze aus der feuchten Wand. Besonders der Kurznachrichtendienst „Telegram“ erfreut sich immer größerer Beliebtheit, allerdings besonders bei Querdenkern und Kriminellen. Da ist gerade bei den Aluhüten eine Menge verquere Fantasie unterwegs. Sie klagten sich für ihre Demos durch alle Instanzen und bekamen am Ende sogar oftmals recht oder sie überforderten die Polizei und meldeten durch Unterstützer auf vorgefertigten Formularen Tausende Versammlungen gleichzeitig an.

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Was da so genau stattfand, weiß man bis heute nicht genau. Neben friedlichen Ausflüglern waren da Hippies, Aussteiger, aber auch gewaltbereite „Was auch immer“ unterwegs und keiner wusste angeblich am Ende was vom anderen. Da auch immer Kinder in der vordersten Front mit dabei waren, konnte die Polizei keine Wasserwerfer einsetzen, sondern nur für ein wenig Regen sorgen. Selbst Maskenkontrollen wurden durch entsprechende Atteste, ausgestellt von szenenahen Ärzten, vereitelt. Die Polizei wirkte anfänglich fast so hilflos wie zu Anfang der RAF-Zeit, als die richtigen Antworten fehlten. Mittlerweile hat sich aber eine stabile Front von Polizeien und Staatsanwaltschaften gebildet, die sogar Steuerfahndungen und die Gesellschaft an sich einbezieht.

Aber es ist so, als wenn man in eine Wasserlache tritt, die dann einfach auseinanderspritzt. Die ganze Szene ist in kleinere Grüppchen zerfallen, verschwunden ist sie nicht. Es wurde auch mehrfach versucht, mit Spendenaufrufen oder überteuerten Bustouren zu Demos Kapital aus dem Treiben zu schlagen. Ja, Querdenkergruppen wurden sogar als Marke beim Patentamt angemeldet. Doch dies Gehabe wird den „Coviteuren“ nun zusehends schwerer gemacht, „Querdenken“ soll nun als Unternehmen mit den steuerlichen Konsequenzen eingestuft werden. Es ergaben sich auch skurrile Konstellationen, wie beispielsweise ein approbierter Inhaber einer Sinsheimer „Schwindelambulanz“ (!), der fleißig auf Telegram und YouTube unterwegs war und nun um seine ärztliche Zulassung bangen muss (wegen Maskenattesten). Da ist der Schwenk zur Lügenpresse nicht mehr weit. Hilft da auch nur noch ein eigenes Netzwerk

Doch das Ganze spielt sich eben nicht nur virtuell ab, sondern tatsächlich auch auf unseren Straßen. Man schaue nur ins Sauerland nach Winterberg oder in die Eifel oder den Schwarzwald. Zu Tausenden waren Schneefans unterwegs und versuchten, ihren coronabedingten Mobilitäts- AUTOR verlust durch stundenlanges Im-Stau-Stehen wettzumachen. Auch da sind wieder versteckt Querdenker am Werk (eine Verschwörungstheorie?), aber auch eine Spezies, die mittlerweile weit verbreitet tatsächlich viel Geld mit ihrem Tun verdient: die Influencer(innen). Haben sie (häufig weiblich) genügend „Follower“ ihrer täglichen „Lageberichte“ (so 500.000 bis 1 Million), werden sie für die Werbung interessant. Da fließen dann nicht nur Monopoly- Scheinchen, sondern Bares für eben nicht Rares. Die rufen dann auch mal auf, mit dem #Winterberg ein paar schöne Fotos zu posten. Schnell kamen da Zigtausende zusammen. Und natürlich der unvermeidliche Shitstorm.

Derweil unsere Straßen zusätzlich mit Hochsicherheitstransporten, befüllt mit Impfstoffen, belastet werden. Das ist alles auch nicht so einfach, zumal für besondere Transporte auf den Autobahnen seit dem 1. Januar ja die Autobahn GmbH des Bundes mit im Boot ist, was alles nicht einfacher macht. Diese Revolution der Autobahnverwaltung à la Scheuer kommt zu Jahresbeginn erst mal mit ihren erstaunlichen Kosten von 1,77 Milliarden für 2021 daher. In den zwei Folgejahren sind dann immer noch 1,38 Milliarden vorgesehen, aber auch das ist immer noch doppelt so viel wie geplant.

Aber was im Großen nicht klappt, funktioniert im Kleinen schon gar nicht. So ist der schon seit Ende April letzten Jahres ruhende Neubau der Leverkusener A1-Rheinbrücke kurz vor Weihnachten auf unbestimmte Zeit weiter lahmgelegt worden, da der erst Anfang Dezember vergebene Auftrag an ein Baukonsortium aufgrund einer Auseinandersetzung mit dem unterlegenen Mitbieter zurückgezogen wurde. Der Stillstand vom April war durch Kündigung des österreichischen Baukonzerns Porr AG aufgrund von irreparablen Mängeln an 22 Stahlbauteilen aus China erfolgt. Wie heißt es doch so schön in einem chinesischen Spruch von Konfuzius: „Der Weg ist kein Ziel“ oder so ähnlich.

Aber die Autobahngesellschaft ist nicht der einzige Frosch, den der Bundesverkehrsminister schlucken muss. Die Pkw-Maut-Blamage mit Vertragsunterschrift trotz fehlender Rechtssicherheit und Warnungen ist bei Forderungen von 540 Milliönchen wahrlich kein „Pappenstiel“. Ein Untersuchungsausschuss arbeitet sich daran weiter ab. Aber die Rücktrittsforderungen werden ebensolche bleiben, mehr nicht. Obwohl böse Zungen schon eine neue Sendung mit dem Titel „Pleiten, Pech und Scheuer“ herbeiwünschen. Droht da auch ein eigenes Netzwerk? Jedenfalls hat der Minister mit seinen Taten 2020 die Messlatte für 2021 fast unerreichbar hoch gelegt. Aber in den Medien gegen Virus C zu bestehen, erfordert eben auch einiges. 

Und da hat der Minister auch schon etwas vorbereitet. Fast gänzlich unbemerkt von der Öffentlichkeit wird nämlich in Brüssel um die Details einer neuen EU-Verordnung gestritten. Ab Mitte 2022 soll das neue ISA-System (für Intelligent Speed Adaption) in jedem neuen Automodell an den Start gehen (ab 2024 in jedem Neuwagen). Dahinter verbirgt sich ein intelligenter Geschwindigkeitsassistent, der Autofahrer nachdrücklich auf zu hohe Geschwindigkeiten aufmerksam machen soll. Dabei erkennt eine Kamera die Schilder mit dem roten Rand und der Zahl darin oder weiß sowieso (Stadt, Landstraße, zukünftig auch Autobahn?), was generell das Tempolimit ist. Viele Tausend Unfälle mit Toten und Verletzten als Folge könnte man auf dem Wege verhindern.

Der Streit entbrennt an der (gar nicht so) simplen Frage, wie denn die Aufmerksamkeit des Fahrers hergestellt werden soll und wie leicht man so ein System überstimmen oder sogar ganz abstellen kann. Der Europäische Verkehrssicherheitsrat (ETSC) würde gerne ein System einführen, das direkt den Motor drosselt, Abkürzung SCF (Speed Control Function). Doch Minister Scheuer und sein Haus, aber auch Frankreich und Italien wollen das gar nicht. Denn es gibt auch schwächere „Hinweise“ in Form von ansteigendem Widerstand des Gaspedals oder einfach ein Warnlämpchen oder ein Piepston.

Das Bundesverkehrsministerium forderte in einer Stellungnahme kurz vor Weihnachten (natürlich), dass ein Lämpchen als vollwertiger Assistent anzusehen sei, und bei allen anderen Systemen sei das Wort „soll“ durch „kann“ zu ersetzen. Am Ende streitet man dann eben auch über die Abschaltung. Reicht ein einfacher Knopfdruck während der Fahrt? Anfang April soll das Verfahren abgeschlossen sein. Und das weitere Ziel der EU: null Verkehrstote im Jahr 2050! Auf jeden Fall wird Scheuer dann kein Verkehrsminister mehr sein …

Vielleicht sollte man zusätzlich über ein Warnlämpchen bei zu Langsamen nachdenken (insbesondere bei der Bundesregierung!). Denn auch das ist gefährlich, wie mir die niederländische Verkehrspolizei mal nachdrücklich klargemacht hat. 

Die Messlatte auch hoch gehängt wurde lautlos bei der praktischen Fahrprüfung. Dort hat man ebenfalls den unfassbaren Schritt ins digitale Zeitalter gewagt und die Fahrlehrer zur Bedienung eines Tablets verpflichtet, um mehr Objektivität in die früher sonst eher von der Laune des Prüfers abhängigen Ergebnisse zu bringen. Als „Optimierte Praktische Fahrerlaubnisprüfung“ (OPFEP) wird nun das Abarbeiten von acht Fahraufgaben inklusive digitaler Auswertung bezeichnet. Die Prüfung selbst wird nun um 5 auf 50 Minuten verlängert plus fünfminütigem Feedbackgespräch über die Auswertung mit dem Prüfling. Das letzte Wort hat aber nach wie vor der Sachverständige aus Fleisch und Blut, nicht die Servierplatte aus Metall und Elektronen. Neben einer höheren Entlohnung (117 statt bisher 90 Euro) verspricht man sich dadurch weniger Unfälle durch Fahranfänger. Immerhin war im vergangenen Jahr laut Statistischem Bundesamt jeder fünfte Unfallverursacher zwischen 18 und 24 Jahre alt.

Das alles lässt Elon Musk wahrscheinlich vollkommen kalt, denn menschliche Fahrer gehören für ihn sowieso in die Mottenkiste. In so was Ähnliches sperrt er jetzt seine Teslas in seiner Lieblingsstadt Las Vegas, nämlich in ein unterirdisches Tunnelsystem. Dort sollen sie mit bis zu 250 km/h durch den „Las Vegas Convention Center Loop“ autonom, natürlich mit Passagieren, rasen, um insbesondere das Las Vegas Convention Center (Heimatort der bekannten „Consumer Electronics Show“ kurz CES) vom Dauerstau zu befreien. Momentan gibt es dort natürlich keine Messen. Langweilig wird das Ganze bestimmt nicht, obwohl seine zugehörige Firma „Boring Company“ heißt. Da ist tatsächlich viel Mus(i)k drin. Derweil seine weltgrößte Batteriezellenfabrik im brandenburgischen Grünheide (noch) mit der kleinen süßen Zauneidechse hadert (die keine Batterien benötigt!). 

Das neue Jahr bleibt also auf allen (Kommunikations-) Kanälen spannend. Es liegt an uns, was wir draus machen. Wenn man ein Motto sucht, so braucht man eigentlich nur leicht verändert ein bekanntes Möbelhaus zu zitieren: „Lebst Du noch oder fährst Du schon?“ Na denn, fahren wir einfach mal los in das Jahr 2021!

 

AUTOR

PROFESSOR DR. MICHAEL SCHRECKENBERG, geboren 1956 in Düsseldorf, studierte Theoretische Physik an der Universität zu Köln, an der er 1985 in Statistischer Physik promovierte. 1994 wechselte er zur Universität Duisburg-Essen, wo er 1997 die erste deutsche Professur für Physik von Transport und Verkehr erhielt. Seit mehr als 15 Jahren arbeitet er an der Modellierung, Simulation und Optimierung von Transportsystemen in großen Netzwerken, besonders im Straßenverkehr, und dem Einfluss von menschlichem Verhalten darauf. 

Seine aktuellen Aktivitäten umfassen Onlineverkehrsprognosen für das Autobahnnetzwerk von Nordrhein-Westfalen, die Reaktion von Autofahrern auf Verkehrsinformationen und die Analyse von Menschenmengen bei Evakuierungen.

 

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