Darf’s ein bisschen mehr sein?

<p> Die Gier nach mehr, was auch immer damit gemeint ist, bestimmt eigentlich unser ganzes Leben. Niemals hat man genug, nur das reale Wachstum macht uns gl&uuml;cklich. Alles wird bilanziert und analysiert und aus dem daraus gewonnenen Zahlensalat wird schlie&szlig;lich eine Tendenz abgeleitet. Und wehe, sie zeigt nicht nach oben!</p>

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Aber Vorsicht, man sollte nicht alles über einen Kamm scheren. Es gibt auch Zahlen, die tunlichst nach unten gehen sollten. So zeigt die Statistik der Verkehrstoten für 2019 mit 3.059 Personen den niedrigsten Wert seit Einführung der Erhebung vor mehr als 60 Jahren. Gegenüber 2018 ist sogar ein Rückgang um 6,6 Prozent zu verzeichnen. Auch die Zahl der Verletzten ging um drei Prozent zurück.

Bei uns in Deutschland ist sehr schön der Einfluss verschiedener Maßnahmen auf die Anzahl der Verkehrstoten nachvollziehbar. Das müsste eigentlich auch gewichtet werden mit der Anzahl der überhaupt am Verkehr Teilnehmenden. Aber auch so lässt sich klar erkennen, dass Tempo 100 auf Landstraßen (1972), die Helmtrage- (1976) und die Gurtanlegepflicht (1984), jeweils aber erst mit Bußgeld bewehrt, sowie die Herabsenkung der Promillegrenze in zwei Stufen (erst auf 0,8 (1973), dann auf 0,5 (2001)) deutliche Reduktionen der Verkehrstotenzahlen nach sich zogen. Die heutige Diskussion um Tempo 130 auf Autobahnen führt ja auch dies als ein Argument an. DER SPIEGEL kommt dabei auf 140 Tote bei Unfällen auf Autobahnen weniger, was rund fünf Prozent, bezogen auf die Zahlen aus 2019, ausmachen würde.

International gesehen steht Deutschland damit überhaupt nicht schlecht da mit rund 3,7 Verkehrstoten auf 100.000 Einwohner. Dabei sollte man sich jedoch nicht nach unten orientieren, wo (World Health Organization (WHO), Daten aus 2016) Saint Lucia (ein Inselstaat im Bereich der Westindischen Inseln in der Karibik) mit der entsprechenden Zahl von 35,4 weltweit Spitzenreiter ist. Allerdings gibt es dort nur knapp 166.000 Einwohner.

Die meisten Verkehrstoten gibt es in Indien mit (von der WHO nach oben korrigierten) rund 299.000 jährlich, aufgrund der großen Bevölkerungszahl von etwas über 1,3 Milliarden sind das am Ende „nur“ 22,6 je 100.000 Einwohner. In China wird offiziell übrigens lediglich rund ein Fünftel der von der WHO geschätzten Opferzahl angegeben (Wert 18,2). Im Mittel über die ganze Welt haben wir es ebenfalls mit einem Wert von 18,2 zu tun. Wir sollten da mehr auf das glückliche San Marino (die vermutlich älteste Republik der Welt!) schauen mit null Verkehrstoten, allerdings auch mit nur knapp 34.000 Einwohnern …

Aktuell sind da noch andere Zahlen von großem Interesse, die man gerne senken würde, nämlich die Infizierten mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 (wohl zu unterscheiden von der darauf basierenden Coronavirus-Krankheit-2019 „COVID-19“). Hier sieht man sehr genau, wie vernetzt unsere Welt mittlerweile ist. Der Virus in China flog im wahrsten Sinne des Wortes herüber nach Europa. Wie schon bei den vorangegangenen Virus-Attacken (Vogelgrippe, SARS, …) reagieren die Menschen in vielen Fällen über (und über!).

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Das führt zu kuriosen Situationen. Das „Händeschütteln“ gehört der Vergangenheit an, zu hoch ist die Infektionsgefahr. Obwohl bei 10.000 Infizierten die Gefahr (Wahrscheinlichkeit), einem solchen zu begegnen, wenn diese alle „frei“ herumlaufen würden, nur etwas mehr als dreimal so hoch wäre wie auf unseren Straßen zu sterben!

Trotzdem bereiten sich viele schon auf eine längerfristige heimische Quarantäne vor, indem sie fast wahllos Lebensmittel und andere Haushaltswaren hamstern und horten. So waren hier gerade Nudeln, Dosengerichte, Salz und Toilettenpapier nicht mehr verfügbar. Vielleicht gibt es ja da einen Zusammenhang ...

Man erinnere sich auch an die Hysterie bezüglich des Grippemittels Tamiflu, das die Vogelgrippe nicht verhindern konnte, aber abschwächen sollte. Es müssen heute noch Unmengen von Kapseln in heimischen Schränken lagern, wurde das Mittel doch letztendlich gar nicht benötigt und schließlich wurde sogar festgestellt, dass es „weitgehend nutzlos“ ist. Wahrscheinlich ist heute auch das Haltbarkeitsdatum längst abgelaufen. Sei’s drum, dem Roche-Konzern brachte es Milliarden ein und die Menschen beruhigte es (wahrscheinlich).

Interessant wird zu beobachten sein, wie nachhaltig die Verhaltensänderungen sich halten werden. Nein, es werden nicht alle ständig auch weiterhin mit Atemmasken herumlaufen. Aber vielleicht bleibt das Händeschütteln für längere Zeit tabu, wie in Japan bleibt nur eine Verbeugung. Diese dann aber in mindestens einem Meter Abstand.

Üble Theorien machen zudem die Runde. Acht Knoblauchzehen auf sieben Tassen Wasser (wie passt das denn?) sollen gegen eine Infektion helfen. Die WHO winkt ab, keine Hinweise auf Schutzfunktion. Das stimmt am Ende doch nicht ganz. Denn mit acht Knoblauchzehen im Bauch ist ein AUTOR Abstand von einem Meter zu anderen auf jeden Fall gewährleistet!

Auch das Einreiben mit Sesamöl oder Alkohol sei ein wirksamer Schutz von außen. Ist er wiederum nicht, aber findige Fantasten meinten trotzdem, das Trinken von Alkohol würde von innen schützen. Eine Idee wohl im Karneval geboren, na denn mal Prost, da spürt man den Virus dann wahrscheinlich nicht so …

Zu denken gibt einem allerdings die Sterberate bei Infizierten. Diese liegt nach jetziger Erkenntnis mindestens zehnmal so hoch wie bei der echten Grippe namens Influenza. Halten sich weibliche wie männliche Infizierte ungefähr die Waage, so sterben davon rund 2,8 Prozent männlichen und nur 1,7 Prozent weiblichen Geschlechts. Und Frauen haben ja sowieso schon eine um rund fünf Jahre höhere Lebenserwartung …

Jedenfalls hat das Kontaktverbot, was bei Firmen bisweilen zum Verbot der Benutzung des öffentlichen Verkehrs führt, zweierlei Folgewirkungen. Auf einmal reden alle von „Home-Office“, früher ein Privileg, heute dann Pflicht. Häusliche Quarantäne nennt man das dann. Muss man allerdings „raus“, so ist das sicher abgeschirmte (eigene) Auto erste Wahl. Und dies sollte sich im Stauaufkommen niederschlagen und nachweisen lassen. Die Untersuchungen dazu laufen bereits. Denn damit vergrößert sich der volkswirtschaftliche Schaden nicht unerheblich.

Das mit der Lebenserwartung ist ja so eine Sache, würde man das unvermeidliche Ende gerne weit(er) in die Zukunft hinausschieben. Lag die durchschnittliche Lebensdauer um 1800 noch bei 30 bis 35 Jahren, so stieg sie bis 1900 auf rund 46 für Männer und 52 für Frauen. Und heute sind wir bei 80 (m) und 85 (w). Je länger man lebt, desto mehr Gefahren ist man ausgesetzt und umso mehr Krankheiten kann man bekommen. Der abstruse Grenzfall der unendlichen Lebenserwartung würde zwangsläufig in unendlicher häuslicher Quarantäne enden. Denn man hätte ja den Rest des endlosen Lebens draußen zu verlieren, durch was auch immer (Verkehrsunfall? Virus?).

Und wieder einmal scheint der neue Bond-Film den Nerv der Zeit zu treffen. Mit dem Titel „Keine Zeit zu Sterben“ ist man eigentlich mittendrin. Doch es scheint auch keine Zeit für die Premiere des Films zu geben, diese ist coronabedingt von April auf November verschoben worden.

Trotz allem ist wirtschaftlich natürlich alles weiter auf Wachstum getrimmt, auch wenn die Märkte ächzen und der chinesische Markt einbricht. Der ohnehin durcheinander gewirbelte Automarkt wird dadurch bestimmt nicht stabiler. Insbesondere der deutsche, der ja stark vom Absatz in China abhängt.

Nicht auf Wachstum scheint der Erdgasantrieb getrimmt zu sein. Sein Ende wird nun (schon) wieder prophezeit. Keine Unterstützung durch die Politik, obwohl die CO2-Bilanz besser ausfällt als bei den Elektros oder auch den Brennstoffzellern. War man auf dem Auge blind oder wollte man mit Absicht die Gasleitungen ins Leere laufen lassen? Sogar die Anzahl der Erdgas-Tankstellen ging im Jahr 2020 mit 853 zwar knapp, aber unter den Wert vom Vorjahr. Wachstum sieht eigentlich anders aus.

Gleichzeitig kursieren Gerüchte, die aus einer anderen Welt zu stammen scheinen. Da wird über das alte Gerücht philosophiert (wenn man das vom MIT bei Boston und Analysten von der Wall Street so sagen darf), Google (genauer der Mutterkonzern Alphabet) könnte Gefallen an einer Übernahme von Tesla finden. Die Zahlen lassen da nicht mehr nur ein wenig mehr erwarten, sondern unvorstellbar viel mehr.

Geht man bei Alphabet von einem momentanen Börsenwert von einer Billion (!) Dollar aus, so könnte Tesla nach Übernahme auf das Zehnfache des jetzigen Wertes, also rund 1,5 Billionen Dollar, anwachsen. Man erwartet dabei acht Millionen verkaufte Teslas pro Jahr. Für das Jahr 2030 wird dann ein Gewinn von 460 Milliarden Dollar prophezeit. Elon Musk hatte ja vor zwei Jahren sogar auf sein Gehalt bei Tesla verzichtet. Und einen Deal über Aktienpakete vereinbart, der erst ab einem Börsenwert von Tesla über 100 Milliarden Dollar über 30 Tage zum Tragen kommt. Und das ist geschehen, mit einem Gewinn für Musk von rund 500 Millionen Dollar oder mehr. Geht doch, man muss nur ein wenig Geduld haben.

Wachstum war schon immer, rein wissenschaftlich gesehen, von höchstem Interesse, aber auch höchst rätselhaft. Gerade in biologischen Systemen, aber auch der unbelebten Natur passieren wundersame Dinge, die einen staunen lassen. Darüber wusste schon 1917 D’Arcy Thompson in seinem legendären Werk „Über Wachstum und Form“ („On Growth and Form“) zu berichten. Ein auch heute noch lesenswertes Werk für naturwissenschaftlich Interessierte. Er war seinerzeit der Zeit weit voraus.

Auch heute ist ja die Steigerung der Geschwindigkeit, nicht gerade auf der Autobahn, an vielen Stellen ein erklärtes Ziel. Schaut man in die Natur, die ja über Millionen Jahre ihre „Performance“ optimiert hat, so gibt es nach einer aktuellen Veröffentlichung einen direkten Zusammenhang zwischen Gewicht und Geschwindigkeit eines Tieres. Dinosaurier waren eben nicht so schnell, obwohl riesengroß. Der Brachiosaurus brachte fast 80 Tonnen (!), aber mit rund 12 km/h war er ein ziemlicher Schlappi.

Da ist der Gepard mit etwas über 90 km/h ein wenig schneller (aber nur für zwei Sekunden!), und mit 60 Kilogramm ein wenig leichter. Menschen sind da mit unter 40 km/h in der Spitze nicht konkurrenzfähig. Aber sie werden ja immer schneller …

Immer mehr möchte auch unser Bundesverkehrsminister Scheuer von den Autofahrern. War das mit der Maut schon nix, so sollen jetzt die Gelder an anderen Stellen „eingefahren“ werden. Der Bundesrat hat sich dem Ansinnen von Scheuer gegenüber am 14. Februar in diesem Jahr wohlwollend gezeigt und auch der Forderung nach einem Tempolimit von 130 km/h von den Grünen die Rote Karte gezeigt.

Die beschlossenen Maßnahmen zielen einerseits auf die Sicherheit von Radfahrern, andererseits auf die Erhöhung von Bußgeldern. So werden jetzt auch Geräte bußgeldbewehrt, die nicht ausschließlich der „Anzeige oder Störung von Überwachungsmaßnahmen bestimmt sind“. Damit sind Radarwarner gemeint.

In einem Wirrwarr von Ersetzungen, Änderungen, Streichungen und Ergänzungen bekommt man den Eindruck, dass dort jemand nach deutscher Manier viel Zeit ins Klein-Klein investiert hat. Oder anders ausgedrückt: Keiner soll mehr wirklich nachvollziehen können, was nun Sache ist. Neue Schilder für Carsharing (wem auch immer das nützt), für Radschnellwege, aber eben auch nicht für Umweltspuren sind geplant.

Die „Mehrplanung“ bei zu zahlenden Geldern bei Verkehrswidrigkeiten ist teilweise sehr großzügig ausgelegt und ist wahrscheinlich so noch nicht im allgemeinen Bewusstsein angekommen. Beispiel: Wird ein Gehweg benutzt mit Behinderung, kostet das dann anstatt 15 Euro nun 70 Euro. Was mir allerdings fehlt, ist die Bepreisung der Benutzung einer Straße durch einen Fußgänger mit anschließendem Gehverbot. Das kommt dann im nächsten Beschluss!

 

AUTOR

PROFESSOR DR. MICHAEL SCHRECKENBERG, geboren 1956 in Düsseldorf, studierte Theoretische Physik an der Universität zu Köln, an der er 1985 in Statistischer Physik promovierte. 1994 wechselte er zur Universität Duisburg-Essen, wo er 1997 die erste deutsche Professur für Physik von Transport und Verkehr erhielt. Seit mehr als 15 Jahren arbeitet er an der Modellierung, Simulation und Optimierung von Transportsystemen in großen Netzwerken, besonders im Straßenverkehr, und dem Einfluss von menschlichem Verhalten darauf.

Seine aktuellen Aktivitäten umfassen Onlineverkehrsprognosen für das Autobahnnetzwerk von Nordrhein-Westfalen, die Reaktion von Autofahrern auf Verkehrsinformationen und die Analyse von Menschenmengen bei Evakuierungen.

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