Wie sicher ist sicher genug?

<p> Im Mai 2019 ging das Projekt PEGASUS zu Ende. Welche Erkenntnisse die dreieinhalbj&auml;hrige Kooperation von Forschung und Wirtschaft zur Entwicklung von Qualit&auml;tsstandards brachte, um das autonome Fahren abzusichern, fasst der Artikel zusammen.</p>

Wie sicher ist sicher genug?

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Auf die Autobahn auffahren, einen Knopf drücken, zurücklehnen und entspannen. So sieht der Wunsch vieler Autofahrer aus. Aber was gibt uns die Sicherheit, dass die Fahrfunktion auch die richtigen Entscheidungen trifft? Wie wird nachgewiesen, dass ein automatisiert fahrendes Fahrzeug sicher ist? Was wie der Name des geflügelten Pferdes aus der griechischen Mythologie klingt, soll hier für Regularien sorgen, indem einheitliche Qualitätsstandards und Methoden zur Absicherung hochautomatisierter Fahrzeuge entwickelt werden. Der Name des Projekts PEGASUS bedeutet Projekt zur Etablierung von generell akzeptierten Gütekriterien, Werkzeugen und Methoden sowie Szenarien und Situationen zur Freigabe hochautomatisierter Fahrfunktionen. „PEGASUS baut die Brücke vom Prototypen zum Produkt“, erläuterte Prof. Dr. Karsten Lemmer, DLR-Vorstand für Verkehr und Energie, bei der Halbzeitveranstaltung im November 2017. Er hat das Projekt gemeinsam mit Prof. Dr. Thomas Form, Leiter Fahrzeugtechnologie und Mobilitätserlebnis Volkswagen AG, koordiniert. Weiterhin betonte Lemmer: „Die Entwicklung hochautomatisierter Fahrzeuge ist schon weit fortgeschritten. Industrie und Forschung gehen mit PEGASUS jetzt einen Schritt weiter. Mit der Entwicklung von Standards und Werkzeugen zur Absicherung dieser Zukunftstechnologie ebnen wir den Weg zur Zulassung automatisierter Fahrzeuge auf den Straßen.“

Anfang 2016 startete das Projekt unter der Führung des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi) mit 17 Partnern: Automobilkonzerne sowie innovative, klein- und mittelständische Unternehmen der Automobil- und Zulieferindustrie, wissenschaftliche Einrichtungen wie das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) und die FZD der Technischen Universität Darmstadt sowie mit dem TÜV Süd eine technische Prüforganisation. Über die dreieinhalbjährige Laufzeit standen unter anderem mit der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt), der RWTH Aachen und der TU Braunschweig weitere verbundene Partner zur Seite. Die vier Teilprojekte des Projektes bezogen sich auf die Szenarienanalyse und Qualitätsmaße, die Umsetzungsprozesse, das Testen, das etwa zwei Drittel des Projektvolumens in Anspruch genommen hat, und last but not least, die Ergebnisreflexion und Einbettung. Für die Überprüfung des möglichst allgemeingültigen PEGASUS-Ansatzes für die Absicherung einer Fahrfunktion haben sich die Projektpartner 2016 für einen realistischen Anwendungsfall entschieden, den sogenannten Autobahn-Chauffeur. Er übernimmt auf Autobahnen oder Schnellstraßen die Fahrzeugführung in einem Geschwindigkeitsbereich von 0 bis 130 km/h und kann selbstständig Spurwechsel vornehmen, während sich der Fahrer einer anderen Tätigkeit widmen darf. Auf Basis dieses Szenarios ist eine durchgängige Gesamtmethode entstanden, die der Freigabe von automatisierten Fahrfunktionen zugrunde liegen soll. Damit das autonome Fahren von der breiten Masse akzeptiert und als sicher empfunden wird, muss sichergestellt sein, dass das technische System bei möglichst allen realistischen Fahrereignissen die Situation mindestens ebenso gut beherrscht wie ein menschlicher Fahrer. Aufbauend auf dem Autobahn-Chauffeur wurde ein erweitertes Szenario betrachtet, um so Ergebnisse und Verfahren für weitere Anwendungsfälle zu erhalten.

In einer Datenbank der Forschungsgesellschaft Kraftfahrtwesen mbH Aachen fka wurden Daten aus unterschiedlichen Quellen (Feldversuche, Unfalldatenbanken, Simulation et cetera) zunächst gesammelt, harmonisiert und anschließend mit einer einheitlichen Prozesskette weiterverarbeitet. Mithilfe der Daten sollen relevante Verkehrsszenarien für die Absicherung automatisierter Fahrfunktionen für Wirtschaft und Wissenschaft nutzbar gemacht werden. Daraus lassen sich Testspezifikationen für die Freigabe von hochautomatisierten Fahrfunktionen ableiten, basierend auf einer Clusteranalyse der in der Datenbank gespeicherten, konkreten Verkehrssituationen. Das brachte einen enormen Vorteil mit sich: „Um die Relevanz dieses Teilprojekts zu begreifen, ist es wichtig, die bisherige Rolle und den heutigen Stand von Testverfahren in der Automobilindustrie zu verstehen. Bisher werden Fahrerassistenzsysteme und aktive Sicherheitssysteme in Fahrzeugen nach mehreren Hunderttausend gefahrenen Kilometern im realen Straßenbetrieb und in mehreren 100 verschiedenen Verkehrsszenarien auf dem Testgelände geprüft. Zeigen sie dabei keine relevanten Fehlfunktionen, können sie zugelassen werden. Um ein vergleichbares Niveau für hochautomatisierte Fahrsysteme zu etablieren, würde man aber eher Milliarden gefahrene Testkilometer benötigen“, erläutert Dr. Helmut Schittenhelm, PEGASUS-Projektleiter „Testen“, Mercedes-Benz Cars Development.

Als Prüfgesellschaft bildet TÜV Süd vom Start weg eine wichtige Schnittstelle zwischen Forschung, Industrie und den regulatorischen sowie technischen Anforderungen bei der Homologation von Fahrzeugen mit hochautomatisierten Fahrfunktionen. Hauptaufgabe der zehn Fachleute des TÜV Süd war es demnach, unter anderem Testmethoden und -szenarien zu erarbeiten und zu validieren. Ein Schwerpunkt lag dabei in der Entwicklung von Prüfgeländetests. Dazu Peter Salzberger, Projektleiter PEGASUS bei TÜV Süd: „Für PEGASUS haben wir beispielsweise eine Reihe von Methoden und Werkzeugen entwickelt, um Fahrzeuge für die zukünftige Typzulassung mit Geschwindigkeiten bis zu 130 Stundenkilometern zu testen. Dabei stellen wir relevante Verkehrssituationen, zum Beispiel auf der Autobahn, mit sehr hoher Wiederholgenauigkeit auf dem Prüfgelände nach. Wir setzen eine von uns im Rahmen von PEGASUS entwickelte Technologie ein. Diese besteht aus automatisiert fahrenden Fahrzeugen, welche von einem mobilen Leitstand über Funk-, Ortungs- und Regeltechniken überwacht werden.“ Stichwort Prüfgelände: Die Experten von TÜV Süd haben zudem allgemeine Spezifikationen und Sicherheitsanforderungen an Prüfgelände für hochautomatisierte Fahrfunktionen definiert – inklusive Methoden zur Szenarienentwicklung.

Zum Abschluss der Projektlaufzeit im Mai 2019 demonstrierten die Partner in der Nähe von Wolfsburg auf dem Volkswagen-Prüfgelände Ehra- Lessien die entwickelte Werkzeugkette zur Absicherung der automatisierten Fahrfunktion. Dabei zeigten sie anschaulich die einzelnen notwendigen Schritte für die Absicherung und Zulassung automatisierter Fahrfunktionen mit digitalen Postern, Exponaten, (Fahr-)Simulatoren sowie im Außenbereich mit Fahrversuchen. Ebenfalls stand ein Symposium auf dem Programm, bei dem die Ergebnisse mit nationalen und internationalen Experten, Automobilherstellern, Behörden und Verbänden aus Europa, USA, Japan und China diskutiert und bewertet wurden.

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Im Laufe des dreieinhalbjährigen Projekts ist PEGASUS zur internationalen Marke geworden, die für die Etablierung von Prüfmethodik zur Absicherung hochautomatisierter Fahrzeugsysteme steht. Und für die Entwicklung von Prüfverfahren, um sicher „sicher“ zu sein, dass automatisierte Fahrsysteme zuverlässig überall auf der Welt eingesetzt werden können. Noch vor dem offiziellen Projektabschluss im Juli 2019 starteten bereits mehrere Folgeprojekte, alle ebenfalls bewilligt und gefördert durch das BMWi. Im Wesentlichen werden dabei die Erkenntnisse aus dem Themenkontext Autobahn übertragen auf die Entwicklung von sicheren Prüfverfahren für relevante Szenarien im Stadtverkehr. Unter anderem begann ab dem 1. Juli ein Projekt mit dem Titel „VVMethoden — Verifikations- und Validierungsmethoden automatisierter Fahrzeuge Level 4 und 5“. PEGASUS ist so zum Nukleus einer größer werdenden Familie von Forschungsprojekten im Bereich der Absicherung, Verifikation und Validierung von automatisierten Fahrfunktionen geworden. Die Projekte stärken die führende Rolle der deutschen Automobilindustrie zusammen mit der nationalen Forschungslandschaft und bauen sie weiter aus.

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