Das Rad neu erfinden

<p> Die Forschung ist st&auml;ndig auf der Suche nach dem Besseren. Das gilt auch f&uuml;r die Reifenindustrie. Im Blick hat die Forschung dabei die Nachhaltigkeit, aber auch neue Mobilit&auml;tsformen wie autonom und elektrisch fahrende Fortbewegungsmittel. Wir stellen einige Konzepte, Ideen und Prototypen vor.</p>

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Reifen haben auf einige Parameter des Fahrens Einfluss. Sie tragen zur Sicherheit bei, indem sie den Kontakt zur Fahrbahn herstellen. Sie beeinflussen aber auch den Kraftstoffverbrauch des Fahrzeugs und verursachen Emissionen durch Abrollgeräusche und durch Materialabrieb. Alles Eckpunkte, die stets optimiert werden wollen. Aber ob es tatsächlich gelingt – oder sein muss –, das Rad neu zu erfinden? Die Forschungs- und Entwicklungsabteilungen sämtlicher Reifenhersteller befassen sich stets mit gänzlich Neuem und der Verbesserung des aktuellen Produkts. Die derzeit interessanten Bereiche lassen sich eingrenzen in Forschung an nachhaltigen Rohstoffen zur Reifenherstellung und an Konzepten für autonom fahrende Fahr- und Flugzeuge. Daneben kommt der Datensammlung über Räder und Reifen sowie über die Energierückgewinnung mit deren Hilfe eine wichtige Rolle zu.

Nachhaltige Reifenmaterialien
Im Jahre 2006 haben sich die führenden Reifenhersteller zusammengeschlossen und mit dem Tire Industry Project (TIP) eine Initiative gegründet, die sich mit den gesundheitlichen und umweltbeeinträchtigenden Folgen der Reifenproduktion und -nutzung auseinandersetzt und auf Nachhaltigkeit, Umwelt- und Gesundheitsschutz hinarbeitet. In zwei Reports, der letzte veröffentlicht 2018, wurden die Errungenschaften in Bezug auf die Verringerung des CO2-Ausstoßes sowie des Wasserverbrauchs bei der Produktion dargelegt. Das Reifenindustrieprojekt hat in diesem Jahr die Global Platform for Sustainable Natural Rubber (GPSNR) ins Leben gerufen, deren Ziel es ist, die gesamte Wertschöpfungskette bei Naturkautschuk überprüfbar nachhaltig zu gestalten. Der GPSNR gehören auch Automobilproduzenten an.

Große Fortschritte gibt es hier: Bereits seit 2012 haben Experten von Continental Russischen Löwenzahn (Taraxacum) als alternative Rohstoffquelle zum Kautschukbaum im Visier. In Anklam wurde Ende 2018 ein Forschungsund Versuchslabor eröffnet, in dem der Anbau und die Verarbeitung von Taraxacum zu „Taraxagum“ erforscht werden sollen. Der Reifenhersteller plant, bei positiven Versuchsergebnissen den Rohstoff binnen zehn Jahren in der Serienproduktion einzusetzen, um einen wachsenden Teil seines Naturkautschukbedarfs aus der Löwenzahnpflanze zu gewinnen. Nikolai Setzer, Mitglied des Vorstands der Continental AG und Leiter der Division Reifen: „Wir sehen Russischen Löwenzahn als wichtige Alternative und Ergänzung zu konventionellem Naturkautschuk, um den global steigenden Bedarf auf umweltverträgliche und verlässliche Weise zu decken.“

Als jüngst prämierte Vision stellt Goodyear den Konzeptreifen „Oxygene“ vor: In seiner Seitenwand wächst echtes Moos. Es soll dabei helfen, die Luft in den Städten von morgen zu reinigen – so die Vision von Goodyear. Hierfür verfügt der „Oxygene“ über eine offene Laufflächenstruktur, die Wasser von der Straße aufnimmt und das Moos mit Feuchtigkeit versorgt. Durch Fotosynthese wird Sauerstoff erzeugt, was bei 2,5 Millionen Autos mit Moos-Reifen die Produktion von 3.000 Tonnen Sauerstoff und die Umwandlung von 4.000 Tonnen CO2 bedeuten würde. Bridgestone setzt auf „Enliten“: Die Leichtbau-Reifentechnologie soll den Materialverbrauch und Rollwiderstand verringern und zu weniger CO2-Ausstoß führen bei gleicher Verschleißfestigkeit wie ein Standardreifen der Erstausrüstung, so der Hersteller. Nachhaltigkeit spielt auch bei dem Konzeptreifen Breathre von Nexen Tire eine zentrale Rolle. Der Reifen wurde entwickelt, um einen Beitrag zur Reduzierung von Umweltproblemen wie der Feinstaubbelastung in Städten zu leisten. Mit einem Filter soll er die Umgebungsluft reinigen. Da die Leistung eines einzelnen Reifens natürlich nicht ausreicht um die Luft im gesamten sauberer zu machen, bauen die Konzepte Breathre und Oxygene darauf, dass die Technologie flächendeckend zum Einsatz kommt.

Luftlose Reifen
Die Idee der luftlosen Reifen ist nicht neu. Bereits 2005 wollte Michelin das Tweel binnen zehn Jahren zur Marktreife gebracht haben. Nun, weitere vier Jahre später verkündet Michelin, den Uptis (Unique Puncture-Proof Tire System) 2024 in Kooperation mit GM auf den Markt bringen zu wollen. Die Idee dahinter: Keine Ausfallzeiten durch kaputte Reifen, mehr Sicherheit und Nachhaltigkeit durch das Einsparen von Ersatzreifen. Der Reifen gehört in das VISIONS-Konzept des Unternehmens mit den Maßgaben „luftlos, verbunden, aus dem 3-D-Drucker und zu 100 Prozent nachhaltig“. Das Bridgestone Air Free Concept setzt auf eine Struktur von Speichen auf der Innenseite des Reifens. Was zuerst serienreif an Fahrrädern verbaut wird, soll baldmöglichst danach auch bei Autos zum Einsatz kommen. Der BON (Birth on Nature) ist Kumhos Antwort auf den luftlosen Reifen. Bei seiner Designentwicklung ließen sich die Ingenieure des koreanischen Reifenherstellers von Knochenstrukturen aus der Natur inspirieren. Durch sein natürliches Vorbild, die „Voronoi“-Architektur, die auch in Blattzellen und Wabenstrukturen vorkommt, erreicht der BON das erforderliche Maß an Stabilität und ist aufgrund des deutlich geringeren Materialbedarfs auch um ein Vielfaches leichter als herkömmliche Autoreifen. Nach Einschätzungen des koreanischen Reifenherstellers ist es gut möglich, dass luftlose Reifen die Sicherheit auf unseren Straßen im nächsten Jahrzehnt noch mal deutlich verbessern.

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Reifen für neue Mobilitätskonzepte
Neue Fortbewegungsmittel erfordern unter Umständen auch eine neue Art der Bereifung. Insbesondere autonom und/oder elektrisch fahrende Verkehrsmittel benötigen Reifen, die über die Kontaktfläche Daten erfassen, die für die Fahrt wichtig sind und auch im Sinne der Wartung die Reifen überwachen. 2017 hat Continental ContiSense und ContiAdapt vorgestellt: Gummibasierte Sensoren messen kontinuierlich Profiltiefe und Temperatur. ContiAdapt kombiniert im Rad integrierte Mikrokompressoren zur Änderung des Reifenfülldrucks mit einer in der Breite einstellbaren Felge. Dadurch verändert sich die Reifenaufstandsfläche, die bei unterschiedlichen Straßenbedingungen entscheidend für Sicherheit und Komfort ist. ContiSense und ContiAdapt werden in einem Konzeptreifen eingesetzt, der die Vorteile beider Technologien ausspielt. Er bietet ein Design mit drei unterschiedlich profilierten Bereichen für die Fahrt auf nassem, rutschigem und trockenem Untergrund. Je nach Fülldruck und Felgenmaulweite werden unterschiedliche Profilzonen aktiviert; der Konzeptreifen nimmt den jeweils nötigen „Fußabdruck“ an. Die Reifeneigenschaften passen sich so an die jeweilige Straßenbedingung oder die Ansprüche des Fahrers an. Im selben Jahr präsentierte Goodyear den Konzeptreifen Eagle 360 Urban, der mit künstlicher Intelligenz in der Lage ist, zu fühlen, Entscheidungen zu treffen, sich an die Fahrsituation anzupassen und zu interagieren.

Noch weiter in die Zukunft blickt der futuristische Goodyear AERO, der auf die Vision von autonomen, fliegenden Autos in der mobilen Welt von morgen einzahlt. Er will zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Zum einen funktioniert er wie ein ganz normaler Reifen für ein Auto, das auf der Straße fährt. Zum anderen kann er wie ein Rotor für Auftrieb nach oben sorgen und das Auto fliegen lassen. In Zusammenarbeit mit dem Londoner Royal College of Art hat Hankook den „Hexonic“ entwickelt, ein Reifenkonzept für autonome Shared-Mobility-Fahrzeuge. Im Fokus standen vollautonome, fahrerlose Fahrzeuge als Standard für zukünftige Städte. Hier soll der Komfort der Passagiere entscheidend für das Fahrerlebnis sein. Laut Hersteller unterstützt der „Hexonic“ dabei, höchsten Fahrkomfort zu bieten, indem er die Straße in Echtzeit mit sieben separaten Sensoren auf dem Reifenprofil scannt und analysiert. Der Reifen erfasst so Straßenbedingungen wie Griffigkeit, Temperatur und Belagzustand und passt die Reifenlaufflächen entsprechend an.

Das Datensammeln scheint schon heute für die Vielzahl von teilautonom fahrenden, vernetzten Fahrzeugen wesentlich zu sein. Bridgestone will nicht erst seit dem Kauf des niederländischen Telematikanbieters TomTom zum Partner für die Mobilität von morgen werden. In der „Digital-Garage“ im europäischen Hauptquartier in Rom entwickeln die Ingenieure Chips, die im Reifen verbaut jede Zustandsveränderung aufzeichnen und an eine App melden. Schon Realität ist Pirelli Connesso. Jeder in einen Pirelli- Reifen integrierte Sensor ermittelt kontinuierlich relevante Eigenschaften des Reifens wie die Temperatur, den Fülldruck und die statische Belastung. Zudem erfasst er die Zahl der zurückgelegten Kilometer und errechnet zuverlässig den Reifenabrieb. Die Daten sendet der Sensor an eine zentrale Steuereinheit sowie an die Pirelli Cloud. Dort werden die Informationen verarbeitet und daraufhin an die App auf dem Smartphone des Autofahrers übermittelt. Die App verbindet Reifenhersteller, Verbraucher und Reifenhandel. So warnt das System, sobald der Fülldruck eines oder mehrerer Reifen zu niedrig ist oder ein Pneu demnächst seine Verschleißgrenze erreicht. In beiden Fällen ermittelt die App auf Wunsch den nächstgelegenen Reifenhändler und vereinbart online einen Termin, um den Fülldruck erhöhen oder abgefahrene Reifen ersetzen zu lassen.

Wie schnell Zukunftsmusik real werden kann, zeigen diese Beispiele. Manchmal weiß man heutzutage nicht mehr, ob Visionen und Konzepte vorgestellt werden oder ob es sich schon um marktreife Produkte handelt. Wir leben in einer Zeit, in der die Technologie schnell voranschreitet und auch nachhaltige, sichere Lösungen schnell nötig werden. Und eins zeigt es auch: Manchmal lässt sich das Rad doch neu erfinden.

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