Aus für die Diesellok?

<p> Im Automobilbereich wartet die Brennstoffzelle noch auf ihren endg&uuml;ltigen Durchbruch. Eines der Kernprobleme bleibt hier die Ladeinfrastruktur. Im Schienenverkehr k&ouml;nnte alles deutlich einfacher sein. Der weltweit erste Wasserstoff-Brennstoffzellenzug hat jetzt vom Eisenbahn-Bundesamt (EBA) die Zulassung f&uuml;r den Passagierverkehr im &ouml;ffentlichen Netz in Deutschland erhalten.</p>

Aus für die Diesellok?
Aus für die Diesellok?
Aus für die Diesellok?

1 /3

Aus für die Diesellok?
Aus für die Diesellok?
Aus für die Diesellok?

PDF Download

Ein Brennstoffzellenzug mag für viele jetzt nicht nach dem großen Durchbruch im Bahnverkehr klingen. Aber genau das könnte er sein. Denn er hat gegenüber den immer noch weitverbreiteten Dieselloks den Vorteil, dass er ohne fossile Brennstoffe auskommt. Und: Eine teure Oberleitung wie seine strombetriebenen elektrischen Pendants benötigt er ebenfalls nicht.

Daten und Fakten
Der Coradia iLint, so der Name des Brennstoffzellenzuges, wurde von der französischen Firma Alstom in Teams in Salzgitter, Alstoms Kompetenzzentrum für Regionalzüge, und in Tarbes (Frankreich), Alstoms Kompetenzzentrum für Antriebssysteme, entwickelt. Unterstützer des Projekts ist das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI). Die Entwicklung des Coradia iLint wurde im Rahmen des Nationalen Innovationsprogramms Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie (NIP) mit acht Millionen Euro von der Bundesregierung gefördert. So sagt Enak Ferlemann, Parlamentarischer Staatssekretär des BMVI: „(...) Mit der Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie lassen sich in Zukunft Elektrifizierungslücken technisch in den Griff kriegen. (...).“

Optisch ist der iLint kaum von konventionell angetriebenen Bahnen zu unterscheiden. Ein Markenzeichen gibt es dann aber doch: eine auffällige blaue Farbe und die weißen Buchstabenkombinationen H-H und H-O-H auf der Lackierung und den Sitzbezügen. Der Brennstoffzellenzug ist nach Angaben von Alstom weltweit der erste Personenzug, der mit einer Wasserstoff-Brennstoffzelle betrieben wird, die elektrische Energie für den Antrieb erzeugt. Der Zug emittiert lediglich Wasserdampf und Kondenswasser und fährt somit komplett emissionsfrei. Die zwei verbauten Brennstoffzellen befinden sich zusammen mit einem Wasserstofftank unter einer Verkleidung auf dem Dach. Sie stellen eine Leistung von jeweils 200 Kilowatt bereit, die für die Fahrt mit annähernd konstanter Geschwindigkeit, in der Fachsprache als Beharrungsfahrt bezeichnet, ausreichen. Für das Anfahren und die Bordsysteme des Zuges ist deutlich mehr Kraft vonnöten. Die Differenz wird mithilfe eines Lithium-Ionen-Akkus im Boden des Zuges überbrückt. Bremst der Zug, wird Energie rekuperiert und umgewandelt, sodass sie dann im Speicher des Akkus zur Verfügung steht. Die Höchstgeschwindigkeit des Coradia iLint liegt bei 140 km/h, voll betankt, und abhängig vom Streckenprofil beträgt seine Reichweite circa 1.000 Kilometer. Ein Dieselzug weist in den beiden Kategorien ähnliche Parameter auf.

Doch ein Brennstoffzellenzug ist auch nicht frei von Makeln. Die Gewinnung von Wasserstoff ist sehr aufwendig, zudem ist das Ganze auch nur wirklich emissionsfrei, wenn dabei Ökostrom verwendet wird. Möglichkeiten und Ansätze gibt es indes schon: In Brandenburg beispielsweise könnte der Treibstoff für die Brennstoffzellenzüge durch eine Erweiterung des Hybridkraftwerks von ENERTRAG bereitgestellt werden. Dabei handelt es sich um grünen Wasserstoff aus uckermärkischer Windenergie. Eine andere wenn auch weniger grüne Option hat der Rhein-Main-Verkehrsverbund (RMV) im Auge: Dort sollen die Brennstoffzellenzüge mit Wasserstoff aus dem Industriepark Höchst in Frankfurt betankt werden. Denn in der Chemieindustrie ist Wasserstoff eines der Nebenprodukte, die beispielsweise bei der Chlor-Alkali- Elektrolyse entstehen.

Unabhängig davon erklärt Prof. Knut Ringat, Geschäftsführer des RMV: „Der ÖPNV ist der Schlüssel, wenn wir die Klima-Ziele erreichen wollen. Um den Nahverkehr für diese Aufgabe fit zu machen, müssen wir aber noch stärker auf Brennstoffzellen- und Batterietechnik setzen.“ Der Einsatz von Brennstoffzellenzügen auf der Taunusstrecke sei deshalb ein weiterer wichtiger Schritt zu einem umweltfreundlichen und leisen Nahverkehr, der den Fahrgästen noch mehr Platz und Komfort bieten würde.

newspaper_img

Aktuelles Magazin

Ausgabe 5/2018

newspaper_img

Sonderausgabe Elektro

Das neue Jahresspecial Elektromobilität.

Beleuchtet alle Aspekte der batteriebetriebenen Mobilität im Unternehmen

Zulassung
Bereits im November 2017 hatten Alstom und die Landesnahverkehrsgesellschaft Niedersachsen mbH (LNVG) den ersten Auftrag über die Lieferung von 14 Brennstoffzellenzügen sowie deren Instandhaltung und Energieversorgung über einen Zeitraum von 30 Jahren unterschrieben. Die 14 Züge werden von Alstom für den Fahrzeugpool der LNVG produziert und sollen ab Dezember 2021 Reisende zwischen Cuxhaven, Bremerhaven, Bremervörde und Buxtehude befördern. Mit dem Erhalt der Zulassung durch das EBA gehen zwei Prototypen des Coradia iLint in den Pilotbetrieb im Elbe-Weser-Netz. Bei der ersten Fahrt Mitte September war auch Niedersachsens Wirtschaftsund Verkehrsminister Bernd Althusmann (CDU) mit dabei.

Eben jene erwähnte Zulassung gab es in diesem Sommer durch Gerald Hörster, Präsident des EBA. Er überreichte Alstom im Juli die Bescheinigung im Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur in Berlin. Zuvor war der Zug von DB Systemtechnik ausführlich getestet. Dazu zählten statische Prüfungen und gutachterliche Bewertungen der Traktionsbatterie und des Wasserstoff- Druckspeichersystems sowie Bremsversuche. Hans Peter Lang, Geschäftsführer der DB Systemtechnik: „Wir kennen die Fahrzeugfamilie Lint bereits von früheren Prüfungen. Der Coradia iLint ist für uns prüftechnisch trotzdem ein Novum, weil durch die neue Antriebsart das Gewichtsverhältnis und damit das Bremsverhalten verändert ist. Zugleich ist die Betankung mit Wasserstoff auch für uns etwas Besonderes“.

Politiker Enak Ferlemann erklärte nach der Zulassung: „Weltpremiere in Deutschland: Mit der Genehmigung durch das Eisenbahn-Bundesamt schicken wir den ersten Personenzug mit Brennstoffzellentechnologie aufs Gleis. Das ist ein starkes Zeichen für die Mobilität der Zukunft. Wasserstoff ist eine echte emissionsarme und effiziente Alternative zum Diesel. Insbesondere auf Nebenstrecken, an denen Oberleitungen unwirtschaftlich oder noch nicht vorhanden sind, können diese Züge sauber und umweltfreundlich unterwegs sein. Deshalb unterstützen und fördern wir die Technologie, um sie weiter in die Fläche zu bringen.“

Wolfram Schwab, Vice President R&D und Innovation von Alstom, hält die Zulassung für einen wichtigen Meilenstein für den Coradia iLint und einen entscheidenden Schritt hin zu einer sauberen und zukunftsweisenden Mobilität. Alstom sei unglaublich stolz auf den wasserstoffbetriebenen Regionalzug, der einen Meilenstein in der emissionsfreien Mobilität darstelle. Dr. Jörg Nikutta, Geschäftsführer von Alstom in Deutschland & Österreich, ergänzt: „Wir sind erfreut über das große Interesse an unserem Coradia iLint, der als weltweit erster brennstoffzellenbetriebener Regionalzug im Fahrgastverkehr schon dieses Jahr in Deutschland zum Einsatz kommt.“ Und weiter: „Alstom geht es um mehr als die technische Machbarkeit von Brennstoffzellen auf der Schiene. Schon heute haben wir ein komplett emissionsfreies Mobilitätskonzept im Portfolio – inklusive Infrastruktur für die Betankung mit Wasserstoff. Wir treten den Beweis an, dass unser Konzept wirtschaftlich und damit wettbewerbsfähig ist.“

Ausblick
In Deutschland sind rund 40 Prozent der Bahnstrecken (noch) nicht elektrifiziert. Für 1.000 Meter Oberleitung werden Kosten von rund einer Million Euro veranschlagt. Daher ist es unwahrscheinlich, dass das ganze Netz hierzulande elektrifiziert wird. Und das obwohl Dieselloks und Dieseltriebzüge nach Angaben des Umweltbundesamtes (UBA) jährlich rund 12.000 Tonnen Stickstoffoxid in die Luft ausstoßen. Dirk Flege, Geschäftsführer des Verbands Allianz pro Schiene, kritisiert das Verhalten der Politik in diesem Zusammenhang: „Die Politik sagt, jeder Kilometer Schiene muss sich rechnen – Elektrifizierung nur, wenn es sich lohnt.“ Stattdessen würden aber beispielsweise Oberleitungen für Elektrolastwagen für mehrere Millionen Euro gebaut werden.

Der Brennstoffzellenzug könnte die Lösung für das vermeintliche Dilemma sein und die Dieselloks nach und nach ersetzen. Der Markt jedenfalls bestätigt dies – für den iLint soll es schon diverse Interessenten und Anfragen geben. Zwar liegt der Anschaffungspreis im Vergleich höher und in die Wasserstoff-Tankinfrastruktur müsste erheblich investiert werden. Allerdings sei der iLint gemäß Alstom über die durchschnittliche Betriebsdauer eines Zuges von 25 bis 30 Jahren gegenüber dem konventionellen Lint und anderen Dieselzügen konkurrenzfähig. Grund sei, dass der Preis für Diesel stärker steige als der für Wasserstoff, so Alstom-Projektleiter Stefan Schrank gegenüber dem Onlineportal Golem.de. Durch die niedrigeren Betriebskosten werde der Brennstoffzellenzug nach etwa einem Drittel der Betriebsdauer die Gewinnschwelle erreichen, erklärt Schrank weiter. Und letztlich ist ja immer alles eine Frage des Geldes.

0 Kommentare

Zeichenbegrenzung: 0/2000

newspaper_img

Aktuelles Magazin

Ausgabe 5/2018

newspaper_img

Sonderausgabe Elektro

Das neue Jahresspecial Elektromobilität.

Beleuchtet alle Aspekte der batteriebetriebenen Mobilität im Unternehmen

countdown-bg

Der nächste „Flotte!
Der Branchentreff" 2026