Die Quadratur des Reifens
<p> Die Metapher ‚Quadratur des Kreises‘ beschreibt ein aus der Geometrie entlehntes unlösbares Problem und wird in vielen Sprachen verwendet. Einen Reifen zu entwickeln, der gleichermaßen gut im Winter wie auch im Sommer funktioniert, wäre ein Beispiel für eine solche unlösbare Aufgabe. Einige Hersteller stellen sich dieser Herausforderung dennoch.</p>

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„Die Eigenschaften der einzelnen Modelle unterscheiden sich teilweise sehr stark, es ist definitiv nicht jeder Reifen für jede Fahrsituation geeignet“, so lautet das Fazit des Technikexperten Friedrich Eppel des Österreichischen Automobil-, Motorrad- und Touringclubs (ÖAMTC) zu einem aktuell durchgeführten Test von Ganzjahresreifen. Der Experte rät daher dazu, das Anwendungsprofil genau zu prüfen, bevor man sich für einen Ganzjahresreifen entscheidet. „Denn nur, wenn man die Stärken und Schwächen seiner Reifen kennt, wird man sie richtig einsetzen und sicher mit ihnen unterwegs sein“, so Eppel weiter.
Ist die Entwicklung eines Reifens für jede Situation also tatsächlich ein unlösbares Problem? Bei der Konstruktion von Ganzjahresreifen sind gleich mehrere Zielkonflikte zu überwinden: Zum einen soll der Reifen gute Nasshaftung besitzen, zum anderen aber auch spritsparend und damit rollwiderstandsarm bewegt werden können. Hinzu kommt, dass bei kälteren Temperaturen andere Gummimischungen vorteilhafter sind als bei warmen. Der Reifen muss mit Matsch und Schnee genauso gut zurechtkommen wie mit großen Wassermengen und Trockenheit. Zwar gab es bereits vor rund 40 Jahren Allwetterreifen, so richtig durchsetzen konnten sie sich aber nie, wohl auch weil sie den geschilderten Ansprüchen nicht genügen konnten. Mittlerweile jedoch nimmt der Absatz von Ganzjahresreifen zu. Ganzjahresreifen haben mittlerweile einen Anteil von mehr als zehn Prozent am Reifenersatzmarkt.
Doch trotz erheblicher Fortschritte bei der Reifenentwicklung lassen sich die genannten Zielkonflikte nicht gänzlich auflösen. Daher findet Yorick Lowin, Geschäftsführer des Bundesverbandes Reifenhandel und Vulkaniseur- Handwerk e. V. (BRV), dass der Absatzanstieg bei den Ganzjahresreifen nicht der Beginn eines Siegeszugs ist: „Insgesamt lässt sich festhalten, dass der aktuelle Trend zu Ganzjahresreifen nicht zukunftsweisend ist. Weder in Sachen Sicherheit noch aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten sind sie aktuell den fabrikatgleichen Spezialisten überlegen. Die Visionen für die Zukunft setzen auf eine möglichst permanente Anpassung des Reifens an die äußeren Einflüsse.“ Die meisten Fabrikate sind demnach auch heute noch eher Sommerreifen und andere eher Winterpneus. Einen echten Alleskönner zu finden ist also schwer.
Selbst spezialisierte Sommer- oder Winterreifen gehen einen gewissen Kompromiss ein. Auch sie können nicht gleichzeitig beste Haftung und geringsten Rollwiderstand garantieren. Hinzu kommt, dass es im Sommer nicht immer warm und im Winter nicht immer kalt ist. Ideal für die Sicherheit wäre es daher, man würde wie in der Formel 1 einen permanenten Wechsel von Reifen je nach Wetterlage durchführen. Dass dies weder für Flotten noch für Privatleute eine Alternative sein kann, versteht sich von selbst. Die Hersteller forschen daher an Reifen, die sich kontinuierlich an die Wetter- und Straßensituation anpassen können.
Einsparungen?
Bei der Anschaffung eines Ganzjahresreifens steht jedoch weniger die Sicherheit als der Effizienzgedanke an erster Stelle. Durch den Wegfall des saisonalen Wechsels und der Reifeneinlagerung erhoffen sich viele deutliche Einsparungen. Diese Rechnung geht jedoch nicht in jedem Fall auf. So berichtet beispielsweise Hans-Jürgen Drechsler, Technikspezialist des BRV: „Nach unseren Erfahrungen – und bis dato unwidersprochen – haben Ganzjahresreifen im Vergleich zum kombinierten Einsatz von Sommerreifen im Sommer und Winterreifen im Winter eine geringere Laufleistung von bis zu 30 Prozent.“ Dadurch würden sich, so der Verband, die Einsparungen durch den höheren Verschleiß wieder aufheben.

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Dennoch gibt es verschiedene Zielgruppen für die vermeintlichen Alleskönner. Carsharing-Flotten beispielsweise setzen schon länger auf Ganzjahresreifen. Viele kurze Fahrten im städtischen Umfeld und der regelmäßige Modellwechsel in der Flotte machen die Mietflotten zu einem prädestinierten Abnehmerkreis. Zudem würde der Ausfall der Carsharing-Fahrzeuge durch den Werkstattbesuch für einen Reifenwechsel zu erheblichen Einbußen führen. Im Stadtverkehr kommt man überdies nur selten an die Leistungsgrenzen von Fahrwerk und Reifen heran, was den Einsatz der weniger spezialisierten Allwetterpneus problemlos werden lässt.
Selbst wenn die Einsparungen durch den Einsatz von Ganzjahresreifen geringer sein sollten, als man vielleicht erwarten würde, so bleiben aus Flottensicht immer noch schlankere Prozesse und ein geringerer Verwaltungsaufwand. Es gibt weniger Ausfallzeiten, die Fahrer müssen nicht zweimal jährlich an den Reifenwechsel erinnert werden und die Einlagerung entfällt auch.
Fazit
Eines steht fest: Ganzjahresreifen sind nicht für jedermann. Dennoch sind sie in einigen Einsatzbereichen durchaus die cleverere Wahl. Wichtig ist, dass der Fuhrparkleiter immer auch die Sicherheit seiner Flotte im Hinterkopf behält und Tests von Ganzjahresreifen sehr genau liest. Die zum Teil sehr unterschiedlichen Stärken der verschiedenen Modelle müssen eben auch zu den regionalen und äußeren Faktoren des Unternehmens passen.

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