Vorbildlich oder voreilig?

Mitte Mai hat die Diskussion um zu schmutzige Luft in vielen deutschen Städten und um daraus folgende mögliche Fahrverbote eine neue Dimension erreicht. So hat die EU-Kommission am 17. Mai 2018 vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) Klage gegen Deutschland wegen Missachtung von EU-Grenzwerten für Stickoxide eingereicht. Nur wenige Tage später, ab dem 31. Mai, setzte Hamburg das bundesweit erste Fahrverbot für ältere Dieselfahrzeuge um. Die Entwicklungen und deren Folgen hat Flottenmanagement für Sie zusammengefasst.

Vorbildlich oder voreilig?

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Vorbildlich oder voreilig?

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Bereits am 21. Mai 2008 einigte man sich in der Europäischen Union auf neue Vorschriften, um die Bürger vor Luftschadstoffen zu schützen (Luftqualitätsrichtlinie 2008/50/EG). Die thematische Strategie dahinter heißt Clean Air for Europe (CAFE) und ist eine von sieben Vorgehensweisen im Rahmen des sechsten Umweltaktionsprogramms. Doch welche Ziele strebt die EU mit CAFE an? Grundsätzlich soll bis 2020 die Luftverschmutzung so weit vermindert werden, dass von ihr keine inakzeptablen Auswirkungen für Mensch und Umwelt mehr ausgehen. Die Richtlinie 2008/50/EG bestätigte die bereits geltenden Grenzwerte für Stickstoffdioxid und Stickstoffoxide, Feinstaub (PM10), Schwefeldioxid, Benzol, Kohlenmonoxid und Blei; darüber hinaus legte sie zusätzliche Luftqualitätsstandards für die noch kleineren PM2,5-Feinstäube fest. Den Mitgliedstaaten wurde zugleich auch die Möglichkeit eingeräumt, die für die Einhaltung der Luftqualitätsgrenzwerte gesetzten Fristen per Mitteilung an die EU-Kommission zu verlängern. Diese eingeräumte Flexibilität geht jedoch mit strengen Maßnahmen zur Durchsetzung der Richtlinie einher: So müssen für eine Verlängerung bestimmte Bedingungen erfüllt sein, für die der Mitgliedstaat Belege vorlegt. Das heißt konkret, dass der Mitteilung der Fristverlängerung unter anderem umfangreiche Unterlagen beizufügen sind, warum die Grenzwerte trotz Maßnahmen der Luftreinhalte- und Aktionspläne nicht eingehalten werden konnten und wie und mit welchen zusätzlichen Maßnahmen der Mitgliedstaat die Grenzwerte bis zum neuen Stichtag einhalten will. Die Kommission hat nach Eingang der Mitteilung neun Monate Zeit zur Prüfung der Unterlagen.

Fristverlängerung Stickstoffdioxid Insbesondere in der Diskussion um Dieselfahrverbote wird Stickstoffdioxid (NO2) eine besondere Bedeutung zugesprochen. Innerhalb des seit 2010 geltenden Luftqualitäts- Jahresgrenzwertes wurde für NO2 ein Wert von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter festgelegt, den es nicht zu überschreiten gilt. In den stark verkehrsbelasteten Gebieten Deutschlands konnte dieser Wert nicht überall eingehalten werden, woraufhin insgesamt 57 Gebiete von der im Artikel 22 der Luftqualitätsrichtlinie (2008/50/EG) eingeräumten Möglichkeit Gebrauch gemacht haben, bei der Europäischen Kommission Fristverlängerungen für die Einhaltung der Grenzwerte in Bezug auf NO2 zu notifizieren. Bis Ende 2014 konnten diese Fristverlängerungen in Anspruch genommen werden. Grenzüberschreitungen über das Jahr 2014 hinaus wurden von der Kommission nicht akzeptiert.

Im Juni 2015 hatte die EU-Kommission daraufhin ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eingeleitet, weil in 28 Städten und Regionen die Stickstoffdioxid-Grenzwerte an vielen Messstellen der Hauptverkehrsstraßen im Jahresschnitt übertroffen wurden. Daneben gibt es weitere deutsche Städte, in denen die Grenzwerte ebenfalls überschritten wurden, die aber nicht in das Verfahren einbezogen werden, weil für diese Orte Fristverlängerungen beantragt und genehmigt wurden. Seitdem hatte die Bundesregierung in Brüssel über zahlreiche Schritte zur Luftreinhaltung berichtet, die bereits getan wurden oder demnächst bevorstehen – die Einhaltung der gesetzlichen Grenzwerte sei dadurch jedoch kurzfristig nicht mehr zu erreichen. In der Folge lud Umweltkommissar Karmenu Vella Deutschland und acht weitere EU-Länder im Januar 2018 zum Rapport. Die geplanten Gegenmaßnahmen würden laut Vella nicht reichen, um die EU-Standards in absehbarer Zeit einzuhalten. Trotzdem entschied sich der Umweltkommissar für eine weitere Frist für Nachbesserungen, woraufhin die Bundesregierung weitere Vorschläge diskutierte, darunter ein möglicher Modellversuch mit kostenlosem Nahverkehr. Ungefähr zum gleichen Zeitpunkt wurde in Deutschland eine Diskussion zu den Messverfahren entfacht: Laut EU „müssen die Probenahmestellen in verkehrsnahen Zonen mindestens 25 Meter vom Rand verkehrsreicher Kreuzungen und höchstens 10 Meter vom Fahrbahnrand entfernt sein“. An Schwerpunkten wie am Stuttgarter Neckartor oder an der Kreuzung Stachus in München liegen beispielsweise die Messstationen direkt an der Straße, wodurch nun eher eine maximale Stickstoffdioxid- Belastung gemessen wird. Trotz möglicher Falschmessungen markiert die Mitte Mai 2018 beim EuGH eingereichte Klage nun die nächste Eskalationsstufe.

Maßnahmen und mögliche Folgen
Die von der EU eingereichte Klage führte in Deutschland zu Diskussionen: „Die Klage der EU-Kommission bringt der Luftqualität in unseren Städten überhaupt nichts“, erklärte beispielsweise Georg Nüßlein, Stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Der CSU-Politiker verdeutlichte, dass Deutschland mit Hochdruck daran arbeite, mit einem „breiten Maßnahmenmix“ die Luft in den Städten sauberer zu machen. „Das geht aber nicht auf richterlichen Knopfdruck und mit Scheinlösungen wie Fahrverboten oder wie auch immer gefärbten Plaketten“, so Nüßlein weiter. Im Gegensatz dazu sieht der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e. V. (BUND) in einer weiteren Differenzierung der Umweltplakette einen Lösungsansatz: „Für eine schnelle Verbesserung der Luft muss endlich die blaue Plakette eingeführt werden“, sagte BUND-Vorsitzender Hubert Weiger.

Die blaue Plakette? Unser Rechtsexperte, Rechtsanwalt Lutz D. Fischer, hatte in der vergangenen Ausgabe (Flottenmanagement 2/2018, S. 81 ff.) bereits innerhalb des umfassenden Einblicks in die Auswirkungen des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig dazu informiert: „Die Straßenverkehrsordnung kennt ausschließlich das Umweltzonen-Zeichen mit den farbigen Plaketten für ein zonales Fahrverbot oder eben ein allgemeines Verbot für Kraftfahrzeuge. Hierfür sind bislang nur drei Plaketten für Fahrverbote in der Umweltzone vorgesehen, was weitere Verbote jedoch nicht grundsätzlich ausschließt. In diesem Kontext haben die höchsten Verwaltungsrichter zur praktischen Umsetzung darauf hingewiesen, dass die Beschilderung sowohl zonaler als auch streckenbezogener Verkehrsverbote für Dieselkraftfahrzeuge von der StVO durchaus ermöglicht werde“. Im Oktober 2006 wurde durch die 35. BImSchV die Einrichtung von Umweltzonen in Deutschland als Maßnahme zur Einhaltung der Grenzwerte für NO2 und Feinstaub ermöglicht. Gleichfalls regelt die Verordnung die Einordnung von Fahrzeugen (Personenkraftwagen, Lastkraftwagen) in vier Schadstoffgruppen sowie die Ausnahmen und die Form wie auch die Zuteilung von Plaketten entsprechend der Schadstoffgruppe. Eine blaue Plakette, wie auf der Umweltministerkonferenz im April 2016 diskutiert, sollten Dieselfahrzeuge nur dann erhalten, wenn sie die Abgasnorm Euro 6 erfüllen. Pkw mit Ottomotor ohne Direkteinspritzung ab Euro 3 und Pkw mit direkt einspritzendem Ottomotor ab Euro 6b würden ebenfalls die neue Kennzeichnung erhalten. Zuletzt wurde über die blaue Plakette auf der Verkehrsministerkonferenz im Oktober 2017 verhandelt, aber eine Entscheidung vorerst auf Eis gelegt.

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Im April 2018 veröffentlichte der Verband der Automobilindustrie (VDA) eine Analyse auf Basis der KBA-Zahlen (Stichtag 1. Januar 2018). Demnach erhöhte sich die Zahl der Pkw, die die moderne Euro-6-Norm erfüllen, innerhalb von nur zwölf Monaten um 52 Prozent auf 9,3 Millionen Fahrzeuge. Bernhard Mattes, VDAPräsident: „Damit ist heute bereits jedes fünfte Auto auf unseren Straßen ein Euro-6-Fahrzeug. Der Bestand von Euro-5-Pkw und älter hingegen geht stetig zurück.“ Über die Hälfte (58 Prozent) der 9,3 Millionen Euro-6-Pkw sind Benziner, 41 Prozent Diesel-Pkw. Die Zahl moderner Euro-6-Diesel-Pkw ist innerhalb eines Jahres um 42 Prozent von 2,7 auf 3,8 Millionen Fahrzeuge gestiegen, was mehr als jeder vierte Diesel im Bestand ist.

Pilotprojekt Hamburg?
Ende Mai 2018 wurden erstmals Dieselfahrverbote in Hamburg für Teile der Max-Brauer-Allee und der Stresemannstraße aktiviert. Der 600 Meter lange Abschnitt auf der Max-Brauer-Allee, die in unmittelbarer Nähe zum Hamburger Fischmarkt an der Elbe endet, ist seitdem für Lkw und Diesel-Pkw gesperrt, die nicht die Abgasnorm 6 oder Euro 6 erfüllen. 1,7 Kilometer auf der Stresemannstraße, ebenfalls im Bezirk Altona, sind nur für ältere Diesel-Lkw bis Euro 5 gesperrt. Damit wurde in der Hansestadt erstmals von der Möglichkeit von Dieselfahrverboten Gebrauch gemacht. Das Bundesverwaltungsgericht hatte in seinem schriftlichen Urteil, das Mitte Mai unter anderem der Deutschen Presse-Agentur vorgelegt wurde, die Möglichkeit, einzelne Straßen für ältere Diesel zu sperren, bestätigt – Fahrverbote für größere Innenstadtbereiche sind hingegen nicht so einfach und wenn nur „phasenweise“ möglich. „Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist stets zu beachten und verbietet es, derartig weitreichende Verkehrsverbote ohne Berücksichtigung der damit für die Betroffenen verbundenen wirtschaftlichen Folgen auszusprechen“, heißt es in der Begründung der Richter zu „zonalen Verboten“. Wie bereits in der mündlichen Urteilsbegründung Ende Februar mitgeteilt sei eine Sperrung ganzer Cityzonen für Euro-5-Fahrzeuge „nicht vor dem 1. September 2019“ in Betracht zu ziehen. Dieser Zeitpunkt liege vier Jahre nach Inkrafttreten der Abgasnorm 6 für alle Neuwagen zum 1. September 2015. Damit sei gewährleistet, dass dem Eigentümer eines Euro-5-Fahrzeugs eine „uneingeschränkte Mindestnutzungsdauer“ verbleibe, die über die ersten drei Jahre, die erfahrungsgemäß mit einem besonders hohen Wertverlust verbunden seien, hinausgehe. Zudem seien Ausnahmen etwa für Handwerker oder Anwohner zu prüfen.

Mit dem Fahrverbot in Hamburg wird sich nun erstmals in der Praxis beweisen müssen, welche Auswirkung ein Ausschluss von älteren Dieselfahrzeugen auf die Luftqualität in Städten hat. Gleichzeitig können aus diesem Fallbeispiel auch mögliche weitere Strategien entwickelt werden. Trotzdem wirft das Dieselfahrverbot in der Hansestadt erneut die Frage nach Kontrollmechanismen auf: Ohne die Einführung einer neuen Umweltplakette sind alte von neuen Dieselfahrzeugen kaum zu unterscheiden. Eine grüne Plakette erhalten beispielsweise Diesel- Pkw nach Euro 4, D4 beziehungsweise Euro 3 und D4 oder Euro 3 mit Partikelfilter sowie mit den neuen Abgasnormen Euro 5 und Euro 6. Neufahrzeuge mit Euro 4 wurden bereits 2006 eingeführt. Zeitgleich muss sich in Hamburg beweisen, ob sich die Strategie, Fahrzeuge einfach auf andere Strecken umzuleiten, bewähren wird, denn von einer Mehrbelastung der Ausweichrouten und einer Verlagerung des Problems ist auszugehen.

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