Notrufsystem wird Pflicht

Wenn Sie einen Neuwagen ihr Eigen nennen können, haben Sie vielleicht schon den meist roten Knopf mit der Aufschrift „SOS“ in der Nähe der Deckenbeleuchtung entdeckt. Drückt man diesen Knopf oder wird dieser im Falle eines Unfalls automatisch ausgelöst, wird eine vom Fahrzeughersteller beauftragte, private Notrufzentrale alarmiert, die den Anruf entgegennimmt und dann gegebenenfalls die zuständige Rettungsleitstelle informiert. Automodelle, deren EU-Typgenehmigung nach dem 31. März 2018 erfolgt ist, müssen zudem mit dem automatischen Notrufsystem emergency call (kurz: eCall) ausgerüstet sein, welches in Notfällen eine Telefonverbindung zur einheitlichen Rufnummer 112 der nächstgelegenen Rettungsleitstelle herstellt. Flottenmanagement informiert Sie, was sich durch die verpflichtende Einführung des eCall-Notrufsystems ändert.

Notrufsystem wird Pflicht

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Notrufsystem wird Pflicht

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Die Zahl der Verkehrstoten in der Europäischen Union lag 2017 laut Angaben der EU noch immer bei rund 25.300 und ist den Daten zufolge im Vergleich zum Vorjahr nur kaum zurückgegangen. Trotz des bereits seit mehreren Jahren verfolgten politischen Ziels, die Zahl der Toten aus 2010 (31.500 Verkehrstote) bis 2020 zu halbieren, ist bisher lediglich ein Rückgang 17 Prozent zu verzeichnen. Ein Hoffnungsschimmer könnte der 2014 verabschiedete Vorschlag zur verpflichtenden Einführung eines automatischen Notrufsystems für Pkw und leichte Nutzfahrzeuge ab Frühjahr 2018 sein – der sogenannte eCall. Im Falle eines Unfalls, das heißt, wenn über sogenannte Crash-Sensoren und die Steuerung der Airbags ein entsprechendes Signal an die zentrale Steuereinheit gegeben wird, wählt das System automatisch den europaweit geltenden Notruf 112 und übermittelt via Satellit den Standort inklusive der Fahrtrichtung (wichtig bei Unfällen auf der Autobahn) des Fahrzeugs. Sollten die Insassen während der hergestellten Sprachverbindung nicht antworten, kann die Leitstelle direkt einen Rettungseinsatz auslösen.

Damit könnten Rettungswagen, Feuerwehr und Polizei künftig unmittelbar nach einem Unfall reagieren: „eCall hat das Potenzial, viele Menschenleben zu retten, indem es die Reaktionszeit der Rettungsdienste verkürzt“, erklärte Erik Jonnaert, der Generalsekretär des Verbandes der europäischen Automobilhersteller (European Automobile Manufacturers Association – ACEA). „Mit eCall wird sich die Reaktionszeit der Rettungsdienste in ländlichen Gegenden um 50 Prozent und in städtischen Regionen um 40 Prozent verringern“, rechnet die Europaabgeordnete Olga Sehnalová vor. „Das führt zu einer Verringerung der Zahl der Todesopfer und der Rettung von bis zu 1.500 Menschenleben pro Jahr“, so Sehnalová weiter. Im Jahr 2013 schätzte die EU-Kommission die Zahl sogar auf 2.500. Doch sind solche Zahlen realistisch? Marco König, Vorsitzender des Berufsverbands Rettungsdienst (DBRD), hat mit Blick auf die Lage in Deutschland deutliche Zweifel: So dauert es laut König im bundesweiten Durchschnitt heute knapp zehn Minuten, bis nach einem Notruf ein Retter am Unfallort ist. Eine Halbierung dieser Zeit sei laut des Experten kaum realistisch. Dennoch sei jede Beschleunigung hilfreich, denn pro Minute würde bei einem lebensgefährlich Verletzten die Überlebenschance um zehn Prozent sinken.

Technische Aspekte
eCall benötigt eine Vielzahl von technischen Einrichtungen: So müssen neben einem Empfänger für GPS- und Galileo-Ortungsdaten auch eine Mobilfunkantenne, ein Steuergerät mit fest verbauter SIM-Karte, eine Verbindung zum Airbag-Steuergerät und eine Freisprechanlage im Fahrzeug verbaut sein. Nur so ist es möglich, wichtige Daten automatisch an die Rettungsleitstelle zu übermitteln. Laut des ADAC werden dabei folgende Daten übertragen:

• Zeitpunkt des Unfalls
• Auslöseart: manuell oder automatisch
• die 17-stellige Fahrzeugidentifizierungsnummer (FIN)
• Antriebsart (beispielsweise Benzin, Diesel, Gas, Elektro) und Fahrzeugklasse
• Fahrzeugposition
• die letzten zwei Fahrzeugpositionen (Längen- und Breitengradunterschiede in Bezug zur aktuellen Fahrzeugposition)
• Fahrtrichtung des Autos
• Anzahl der Insassen (sofern die Sicherheitsgurte angelegt wurden)

Da das eCall-System Bestandteil der Typzulassungsprüfung bei neuen Fahrzeugmodellen ist, wird es nicht möglich sein, das Notrufsystem zu deaktivieren. Das gilt im Übrigen auch für die Fahrzeughersteller, da diese verpflichtet sind, das von der EU vorgeschriebene eCall-System einzubauen, auch wenn sie einen eigenen Notrufdienst anbieten.

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Datenschutz
Da wie bereits erwähnt eine Reihe von Daten automatisch übermittelt wird, hatten Experten wie auch Regierungen im Vorfeld der Abstimmung innerhalb des Europäischen Parlaments Bedenken bezüglich des Datenschutzes geäußert. Daraufhin haben die Abgeordneten die Datenschutzklausel im Gesetzentwurf, der Ende April 2015 zur Abstimmung stand, verschärft, um zu gewährleisten, dass die Fahrzeuge nicht aufgrund der eCall-Technologie ständig verfolgbar sind, bevor ein Unfall passiert. Das bedeutet, dass die vom System bei einem Unfall abgesetzten Daten nur Informationen zum Fahrzeugtyp, zum Treibstoff, zum Unfallzeitpunkt, zur Fahrzeugposition und zur Anzahl der Insassen enthalten dürfen.

Zusätzlich ist nach den neuen Regeln die Weitergabe der von den Notdiensten und ihren Dienstleistungspartnern gesammelten Daten ohne die ausdrückliche vorherige Zustimmung der betroffenen Person nicht zulässig. Gleichzeitig müssen die Hersteller gewährleisten, dass die eCall-Technologie die vollständige und dauerhafte Löschung aller gesammelten Daten erlaubt.

Zuvor hatte gerade die konkrete technischorganisatorische Umsetzung für Diskussionsstoff gesorgt, da beispielsweise ein vorheriger Entwurf der Verordnung vorsah, dass es den Fahrzeugherstellern und unabhängigen Anbietern offenblieb, die dann installierte Technik für zusätzliche Notfalldienste und „Dienste mit Zusatznutzen“ zu verwenden. So warf man den EU-Gremien vor, dass es ihnen nicht nur um ein zusätzliches Instrument der Verkehrssicherheit gehe, sondern auch darum, in der Kfz-Informationstechnik zunächst für diesen Dienst einheitliche Standards einzuführen und zugleich eine technische Plattform für eine weitergehende Informatisierung des Autos zu schaffen.

Dennoch bleibe auch bei diesem Entwurf aus Datenschutzsicht zunächst wenig einzuwenden: Die bordeigene Mobilfunkeinheit soll nur dann Verbindung zum Netz aufnehmen, wenn tatsächlich ein Notfallruf abgesetzt werden muss, sodass ein dauerndes „Tracking“ mit der Bildung eines genauen Bewegungsbilds, wie es heute zum Beispiel mit eingeschaltetem Smartphone möglich ist, nicht stattfindet. Dem Fahrer wurde aber insofern keine Wahlfreiheit eingeräumt, das System selbstständig abzuschalten. Dies wurde damit gerechtfertigt, dass es beim eCall nicht nur um den Schutz des Fahrers, sondern auch von weiteren Verkehrsbeteiligten geht. Gleichzeitig lässt die EU-Verordnung es außerdem nicht zu, dass ein „echter“ eCall über ein drahtlos per Bluetooth verbundenes Mobiltelefon abgesetzt wird. Nicht zuletzt regelt die Verordnung auch, dass zwischen eCall-System und Connected-Systemen, die in einem Mobilfunknetz eingebucht sind, um auch andere Dienste zu erbringen, kein Datenaustausch erfolgen darf. Damit soll verhindert werden, dass die Fahrzeughersteller die Daten ohne Einwilligung des Nutzers erheben und speichern.

Fazit
Spätestens mit eCall beginnt technisch das Zusammenwachsen von Fahrzeug und Internet. Die verpflichtende Einführung des Notrufsystems über alle Pkw-Segmente und die leichten Nutzfahrzeuge dürfte die zunehmende Digitalisierung des Verkehrs weiter beschleunigen. Szenarien wie automatisierte Kolonnenfahrten oder das autonome Fahren basieren auf einem dauernden Austausch des Kfz mit stationären Leitstellen und Anbietern sowie mit anderen Fahrzeugen. Dabei lässt sich bei aller Datensparsamkeit dann auch nur schwer verhindern, dass eine Vielzahl hochsensibler Fahr- und Fahrzeugdaten zwischen vielen Beteiligten ausgetauscht wird. Durch das Inkrafttreten der EU-Datenschutzgrundverordnung (kurz: EU-DSGVO) seit dem 25. Mai und den ohnehin hohen Datenschutzanforderungen an das eCall- System kann man sich aber sicher sein, dass die gesammelten Daten nicht ohne Zustimmung des Nutzers weitergegeben werden.

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