Immer und überall
Man kennt die Kritikpunkte gegenüber der Elektromobilität zu genüge: Die Reichweite ist zu gering, das Laden dauert viel zu lange und es gibt zu wenig Lademöglichkeiten. Doch vielleicht ist die Technik gar nicht einmal das größte Problem an der Elektromobilität, vielleicht muss einfach der Nutzer ein wenig umdenken und sich an neue Tank- beziehungsweise Ladevorgänge anpassen?!

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Seit das Automobil zum Transportmittel für die Massen geworden ist, hat sich der Mensch an ein gewisses Tankprozedere gewöhnt und seine Fahrweise beziehungsweise Streckenplanung an diese Technologie angepasst. Das heißt: Nähert sich die Tanknadel nach einigen Hundert Kilometern dem großem „E“, wird die nächste Tankstelle angefahren und der Tank innerhalb weniger Minuten wieder aufgefüllt. Preissensible Fahrer vergleichen vielleicht (sogar) vorher noch den aktuellen Preis und tanken dann, wenn es am günstigsten ist, doch im Großen und Ganzen war es das auch schon. Mit der gerade aufkommenden Elektromobilität steht diese alte Gewohnheit nun infrage, denn so weiter wie bisher wird es nicht gehen. Die Frage ist nur: Wie wird sich das Tankstellensystem verändern? Haben klassische Tankstellen vielleicht sogar ausgedient
Nicht unbedingt, meint Sebastian Lantelme, Angebotsmanager Ladeinfrastruktur Flotten bei der EnBW Energie Baden-Württemberg AG. „In den kommenden Jahren werden wir im bestehenden Tankstellensystem wenig bis keine echten Veränderungen erleben, sondern das bestehende System wird um Ladeinfrastruktur ergänzt werden“, lautet seine Prognose. Konsequenterweise investiert der Energiekonzern auch in Ladesäulen an Autobahnraststätten in Kooperation mit Tank & Rast. Blickt man jedoch weiter in die Zukunft, dann ändert sich auch für Lantelme einiges am derzeitigen Tankstellensystem. „Mit Blick auf den zu erwartenden Hochlauf an batterieelektrischen Fahrzeugen wird das klassische Tankstellensystem überholt werden, da Laden ungleich Tanken ist“, erklärt er weiter. „Der Fahrer wird künftig deutlich häufiger laden, als er heute tankt, er wird nicht einmal alle zwei Wochen seine vollständige Reichweite „aufladen“, wie man das heute gewohnt ist, sondern wird seine Reichweite beim Einkaufen, im Fitnessstudio oder am Arbeitsplatz erhöhen. Was dem heutigen Tankstellensystem dann noch am nächsten kommt, werden sogenannte Lade- Hubs sein. Dort wird man in kurzer Zeit große Mengen laden können.“ Ein vollständiges Aufladen der Batterie wird aber auch an einer Ultraschnellladesäule nicht in wenigen Minuten möglich sein. Aus technischen Gründen wird der Aufladeprozess von Lithium-Ionen-Akkus nach Erreichen von etwa 80 Prozent langsamer.
Bis zur umfassenden Veränderung des Tankstellensystems – sollte dies überhaupt stattfinden, schließlich könnten sich auch Wasserstofffahrzeuge durchsetzen – werden wohl verschiedene Systeme parallel existieren. Die Elektromobilisten können dann die Fahrzeuge zu Hause, auf der Arbeit, im Parkhaus oder eben an einer Tankstelle laden. Im Prinzip ist dies auch heute schon so möglich, nur eben nicht flächendeckend. Doch der Handlungsdruck, besonders auf die Politik, wächst. Auch die neue Bundesregierung hat die Zeichen der Zeit erkannt und bereits einige Projekte für den Ausbau der Ladeinfrastruktur vorgeschlagen. Im Koalitionsvertrag ist von mindestens 100.000 neuen Ladepunkten bis 2020 und der Förderung von privaten Ladesäulen die Rede. (Lesen Sie dazu mehr auf S. 85) Doch sind diese Beschlüsse weitreichend beziehungsweise präzise genug
Hier gehen die Meinungen der Unternehmen, die die Ladeinfrastruktur errichten sollen, etwas auseinander. So begrüßt Kai Weber, Senior Manager e-Mobility Solutions bei der Robert Bosch GmbH, grundsätzlich das politische Bekenntnis zur und die damit verbundenen Investitionen in die Elektromobilität: „Es wurden ja bereits sehr wichtige Schritte unternommen wie zum Beispiel die eichrechtliche Einordnung der Ladesäule im Energiewirtschaftsgesetz (EnWG), die Forderung der Interoperabilität und die Verbesserung des Zugangs über die Ladesäulenverordnung sowie die Förderprogramme für Ladeinfrastruktur.“
Es gibt aber auch etwas kritischere Stimmen, denen das politische Engagement in dieser Sache nicht weit genug geht. Beispielsweise ist Stefan von Dobschütz, Senior Vice President E-Mobility bei innogy SE, der Meinung, dass die Pläne zum Ausbau der privaten und öffentlichen Ladeinfrastruktur zwar ausdrücklich zu begrüßen sind, aber leider entscheidende Details fehlen würden, etwa ob und in welcher Form der avisierte Ausbau staatlich gefördert werden soll. Auch Sven Mehringer, Director of Fuel / Vehicle Services beim DKV Euro Service, sieht noch Verbesserungspotenzial: „Hier besteht noch großer Nachholbedarf. Es gibt in Deutschland laut Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) erst circa 11.000 öffentliche Ladepunkte. Damit gibt es immer noch mehr Tankstellen (circa 14.500) als Ladepunkte. Der Ausbau der Ladeinfrastruktur ist ein wichtiger Impuls, um Elektromobilität nutzbar zu machen.“

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In einem Punkt sind sich wohl alle einig: Die Ladeinfrastruktur in Deutschland befindet sich erst im Aufbau. Daher gibt es derzeit auch noch viele unterschiedliche Lösungsansätze, um die Elektroautos mit Strom zu versorgen. Vieles lässt sich bereits über Apps der unterschiedlichen Anbieter regeln, so zum Beispiel die Abrechnung, die Identifizierung und die Ladepunktsuche. Bei manchen Systemen kommt auch eine klassische Ladekarte zum Einsatz, um sich zu identifizieren und den Ladevorgang zu starten.
So setzt Volkswagen Financial Services bereits seit Anfang 2015 auf die Charge & Fuel Card (inklusive Charge&Fuel App) als kombinierte Tank- und Ladekarte. Laut Alexander Thill, Leiter Vertrieb Groß- und Direktkunden Deutschland bei Volkswagen Pkw, war das Ziel bei der Entwicklung der Karte ein bundesweit einheitliches Abrechnungssystem zu schaffen. „Mit der Charge&Fuel Card ist jetzt nur noch eine Karte beziehungsweise eine App zur Authentifizierung und Abrechnung aller Lade- und Tankstellenumsätze bei den Kooperationspartnern nötig.“
Neben den unterschiedlichen Ansätzen in Sachen Software gibt es auch diverse Ladesäulen und Wallboxen. Ein Konzept stellt sogar das Ladekabel in den Mittelpunkt. Ubitricity hat ein sogenanntes SmartCable, ein intelligentes Ladekabel, entwickelt. Die Vorteile sind laut Anbieter vielfältig: „Egal wo geladen wird, ob am Arbeitsplatz, beim Mitarbeiter zu Hause oder auch unterwegs, alle Ladevorgänge des Mitarbeiters können einfach auf einer Rechnung erfasst werden. Und die vom Mitarbeiter daheim geladene Energie wird entweder direkt durchgeleitet, sodass ihm keine Kosten für das Laden entstehen, oder sie wird automatisch monatlich erstattet. In jedem Fall jedoch ohne Aufwand für den Flottenmanager oder die Buchhaltung“, erklärt Peter Siegert, Head of Sales Germany bei Ubitricity, Gesellschaft für verteilte Energiesysteme mbH. In diesem Ladekabel ist ein mobiler, geeichter Stromzähler samt SIM-Karte integriert. Dies soll zwei Dinge ermöglichen: Erstens können Ladevorgänge auf die Kilowattstunde genau erfasst werden. Zweitens kann für das Kabel ein passender Stromvertrag abgeschlossen werden, wie es bislang nur für das ganze Haus möglich war. Einziger Haken: Dies gilt nur an den passenden Ladepunkten. Möchte man an Ladesäulen anderer Anbieter Strom tanken, geht dies zwar auch mit diesem Kabel, doch die Kosten richten sich dann nach dem Tarif des jeweiligen Anbieters.
Fazit
Der Individualverkehr wird sich in den nächsten Jahren schrittweise verändern und die Nutzer werden sich diesen Änderungen anpassen. Das Stromtanken wird einfach immer dann stattfinden, wenn das Fahrzeug steht – und das fast überall. Die Infrastruktur dazu befindet sich erst im Aufbau.

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