Die Intelligenz der Masse
Fahrzeuge einzeln betrachtet dienen der individuellen Mobilität. Doch als Einheit können sie wie ein aus der Tierwelt bekannter Schwarm wichtige Informationen austauschen und intelligent handeln. Das Modell der Schwarmintelligenz will sich die Forschung und Entwicklung auch bei automatisiert fahrenden Autos zunutze machen. Erste Tests sollen bald anlaufen.

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Den Grundgedanken der Schwarmintelligenz oder kollektiven Intelligenz hat schon Aristoteles in seiner Summierungstheorie verwendet. Diese besagt verkürzt, dass die Entscheidung einer größeren Gruppe besser sein kann als die weniger Einzelner oder Fachkundiger. Schwarmintelligenz in der Tierwelt, wie sie bei bestimmten Verhaltensweisen von Insekten, beispielsweise Bienen oder Ameisen, beschrieben wird, dient hingegen als Vorbild des Forschungsfelds der Künstlichen Intelligenz (KI), die seit 1989 im Bereich der Robotikforschung verwendet wird. Wie weit die Forschung schon gekommen ist, zeigt die Tatsache, dass Künstliche Schwarmintelligenz mit hundertprozentiger Sicherheit die „Times Person des Jahres 2017“, Wladimir Putin, vorhersagen konnte.
Bei der Weiterentwicklung von autonom fahrenden Fahrzeugen spielen das Datensammeln und der Datenaustausch eine wesentliche Rolle, also die Übermittlung von Informationen zwischen- Fahrzeugen, Car-to-Car (C2C), oder zwischen Fahrzeugen und ihrer Umgebung Car-to-X (C2X) – und umgekehrt. Seit etwa einem Jahr läuft das große Projekt von HERE und der beteiligten Unternehmen: Einige deutsche Premiumhersteller statten ausgewählte Modelle mit Mobilfunkkarten aus, die Daten von den Fahrzeugsensoren und -computern erfassen und anonymisiert an den Kartendienstleister senden. Aktuell kommen die Daten aus 400.000 Fahrzeugen, in einem Jahr sollen es eine Million sein, so Ralf Herrtwich, Head of the HERE Automotive Business Group, gegenüber dem Handelsblatt. Mithilfe dieser Daten, die aus dem Auto und in das Auto gesendet werden, soll das Kartenmaterial, das zur Navigation der selbstfahrenden Autos nötig ist, ständig aktualisiert werden. In Städten und entlang von Autobahnen sollen Datenwolken entstehen, die den Bordcomputer ständig mit hochpräzisen Informationen über die Umgebung des Fahrzeugs, beispielsweise zu neuen Verkehrsschildern, Baustellen oder zum aktuellen Wetterzustand, informieren, ergänzt Herrtwich. Nötig wird dazu auch ein verlässlicher, verzögerungsfreier Datenaustausch jenseits von LTE.
Bei Continental hat man den dynamischen eHorizon entwickelt, der die Umgebungsdaten anderer Fahrzeuge nutzt. Er bildet die Basis für weitere Anwendungen wie einen vernetzten Antriebsstrang oder das automatisierte Fahren. Die gewonnenen Daten werden cloudbasiert analysiert und können zu unterschiedlichsten Funktionalitäten gebündelt werden – als Programmierschnittstelle API bis hin zur integrierten Lösung wie dem statischen oder dynamischen eHorizon. Mehrere Anwendungsfälle veranschaulichten auf der letzten IAA Nutzfahrzeuge die Vorteile des Systems: Melden die Quellen beispielsweise einen Stau oder eine Baustelle, gibt der dynamische eHorizon die Information an die Steuergeräte weiter. Sie leiten daraufhin ein Ausrollen oder Herunterschalten ein. Die frühzeitige Information spart nicht nur Kraftstoff, sie kann auch folgenschwere Unfälle verhindern, indem sie vor Gefahren wie dem Stauende hinter einer Kurve warnt, bevor der Fahrer sie sieht. Für das automatisierte Fahren schafft die Technologie damit eine wichtige Basis. Vorausschauend und effizient fährt es sich mit dem dynamischen eHorizon auch im Stadtverkehr: Anhand von Daten zu den Ampelphasen kann das Fahrzeug die Fahrstrategie optimal steuern. Hierzu arbeitet Continental bereits intensiv mit Lkw-Herstellern, Forschungseinrichtungen und anderen Zulieferern zusammen.
Parallel zum reinen Datenaustausch soll das Auto zum Lernen befähigt werden. Der KI Autocomputer beispielsweise, den Bosch im Frühjahr 2017 vorgestellt hat, versetzt den Fahrzeugcomputer in die Lage, maschinelle Lernverfahren anzuwenden. Er soll automatisiert fahrende Autos auch durch komplexe und für das Auto neue Verkehrssituationen lenken. Dank Künstlicher Intelligenz soll ein Auto künftig interpretieren und Vorhersagen darüber treffen können, wie andere Verkehrsteilnehmer sich verhalten. Der KI Autocomputer von Bosch „weiß“, wie Fußgänger oder Fahrradfahrer aussehen. Neben dieser sogenannten Objekterkennung trägt Künstliche Intelligenz auch dazu bei, dass automatisiert fahrende Fahrzeuge verschiedene Situationen besser erfassen können. Blinkende Autos beispielsweise wechseln mit höherer Wahrscheinlichkeit die Spur als nicht blinkende. So kann ein selbstfahrendes Auto mit KI komplexe Verkehrssituationen wie das Abbiegen eines vorausfahrenden Fahrzeugs erkennen, beurteilen und für den eigenen Fahrweg berücksichtigen. Das beim Fahren erlernte Wissen speichert der Computer in Form von künstlichen neuronalen Netzen. Experten überprüfen das Wissen im Labor auf ihre Richtigkeit. Nach weiteren Tests auf der Straße lassen sich die künstlich erzeugten Wissensstrukturen per Update auf beliebig viele andere KI Autocomputer übertragen.
Die logische nächste Stufe besetzt das Kolonnenverhalten beziehungsweise die Schwarmintelligenz von Fahrzeugen innerhalb einer physischen Gruppe. Durch die Car-to-X-Kommunikation werden mobilfunkbasiert Informationen quasi in Echtzeit untereinander ausgetauscht, erklärt Thomas Kirstein, Markenstrategie Digital Business bei Audi. Diese Technik ermöglicht eine Schwarmintelligenz, also das Teilen und Nutzen komplexer Informationen in einer großen Gruppe. So agiert zwar jedes Fahrzeug für sich, stimmt sich aber mit der Gruppe ab. Das heißt, es werden Informationen ausgesandt, wenn man einem Konvoi beitritt oder wenn eine unvorhergesehene Situation eintritt. Diese Befähigung erhält der Schwarm durch einen Algorithmus, der zuverlässig funktionieren soll.

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Im Rahmen des europäischen Projekts Auto-Net2030 befassen sich Forscher der ETH Lausanne mit dem Miteinander von selbstfahrenden und nicht selbstfahrenden Autos im Straßenverkehr, um entscheidende Probleme in der Übergangsphase anzugehen, wie Bernd Rubel für mobilegeeks. de berichtet. Mithilfe eines Algorithmus können die selbstfahrenden Autos flexibel auf den sonstigen Verkehr reagieren. Erwünschter Nebeneffekt könnte sein, dass die selbstfahrenden Autos schneller die Teilnahme am gemischten Straßenverkehr lernen und gleichzeitig eine erzieherische Aufgabe für andere, nicht selbstfahrende Autos übernehmen.
In ersten Tests in Australien fand man schnell heraus, dass ein auf einen bestimmten Abstand und eine bestimmte Geschwindigkeit eingestellter Konvoi von fahrerlosen Lkw, der von einem Lkw mit Fahrer angeführt wurde, aufgrund einer bestimmten Länge recht unflexibel ist. Sobald die Fahrzeuge ohne Anführer unterwegs waren und nur mittels ausgetauschter Daten aus den Sensoren und GPS-Geräten navigierten, konnten sie flexibel entweder individuell oder gruppendynamisch agieren, das heißt sich auf mehrere Spuren verteilen, ausscheren, einfädeln oder die Gruppe verlassen.
Car-to-X-Kommunikation im Sinne einer Schwarmintelligenz kann nicht nur wesentlich zur Verbesserung der Verkehrssicherheit und zur Erhöhung des Fahrkomforts beitragen. Ebenfalls lassen sich so Verkehrsströme effizienter leiten als auch Leerfahrten vermeiden – ein entscheidender Aspekt in der Warenlogistik oder im Personentransport. Und letztlich auch ein wichtiger Beitrag für den Umweltschutz.

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