Verkehrs-Daten-Verkehr
In unserer heutigen Zeit scheinen einfach nur, wo auch immer, gemessene, dann aber „veredelte“ und schließlich weit verbreitete Daten den „harten“ materiellen Ressourcen glatt den Rang abgelaufen (abgefahren?) zu haben. So macht häufig der Ausspruch „Daten – das Erdöl der Zukunft“ die Runde. Doch was nutzen all die Daten, wenn es nicht mehr vorwärts geht? Eine ganze Branche versucht sich aber dadurch neu oder überhaupt zu erfinden.

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Während einerseits fieberhaft nach neuen Quellen fossiler Energieträger gesucht wird (manchmal sogar mit Erfolg!), so sprudeln andererseits die digitalen Fontänen ohne Ende. Kaum einer kann dieser Bit-Überflutung noch Herr werden. Gespeichert wird viel, abgehört (wahrscheinlich) noch mehr, aber ausgewertet werden kann das alles nicht mehr wirklich.
Wie bei der Miniaturisierung in der Chip-Welt der Computertechnologie sind auch hier natürliche Grenzen gesetzt. Wenn Google, Amazon, Facebook und Co eindrucksvoll zeigen, was alles geht, so entsteht dann schnell der Eindruck überbordender Möglichkeiten. Beim Aufrufen irgendwelcher Nachrichtenseiten wird einem sofort das am Tage zuvor weggeklickte Angebot eines Golfschlägers (!) aufgezwängt, meistens verbunden mit der Bitte zur Freigabe von Cookie-Nutzungen. Cookie entspricht im Deutschen übrigens Keks oder Plätzchen. Guten Appetit!
Bei den Datenmengen hangelt man sich nach und nach in immer höhere Regionen hinauf. Da ist dann natürlich immer erst mal von „Bit“ und „Byte“ die Rede. So genau weiß man dann eigentlich auch nicht, was damit letztendlich gemeint ist. „Bit“ ist wie viele andere Begriffe („Informatik“) ein sogenanntes Kofferwort, bestehend aus zwei sich überlappenden Einheiten, in diesem Fall gebildet aus „binary“ und „digit“. Sinnigerweise heißt das dann auch „zweiwertige Ziffer“. Der Begriff „Byte“ mit Ypsilon, mit Unterscheidung zu „Bite“, bedeutet im Grunde nur acht Bit, gleich 128 Varianten (zwei hoch acht). Er stammt aus meinem Geburtsjahr 1956 und wurde von dem aus Detmold stammenden, späteren IBM-Ingenieur Werner Buchholz kreiert. Deutschland hatte mal die besten Kräfte auf dem Gebiet.
Schaut man in die Verkehrs-Daten-Mengen, so sind die sensibelsten Projekte bei Fehlern vorneweg zu nennen. Auf der Straße ist eine solche Fehlinformation auch heute noch gang und gäbe (übrigens eine Redewendung aus dem Münzwesen, sprich 13. Jahrhundert). Diese hat aber normalerweise keine dramatische Auswirkung, außer bei Geisterfahrern vielleicht. In anderen Bereichen sieht das ganz anders aus. Bei den Missionen im All sind verlässliche Daten unverzichtbar (gewesen). Und verschwand ein Apollo-Raumschiff hinter dem Mond, herrschte absolute Funkstille, ein aus heutiger Sicht fast unvorstellbarer Zustand.
Selbst die Apollo-Mond-Mission startete mit lächerlich wenigen Kilobyte (in keiner Weise vergleichbar mit aktuellen Smartphone-Kapazitäten). Der AGC (Apollo Guidance Computer) ist in die Wissenschaftsgeschichte eingegangen. Heute müsste man sich eigentlich schämen, mit wie wenig Datenpower die Astronauten den Risiken eines Mondfluges ausgesetzt wurden. Andererseits hat diese Einfachheit ganz einfach den Vorteil der geringeren Anfälligkeit gegen Störungen.

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Zumindest aber war alles „redundant“, also doppelt ausgelegt. Hätten wir heute auch gerne: Acht anstatt vier Reifen würden in vielen Situationen Entspannung und Sicherheit bringen. Und softwaretechnisch ist da bei der Automatisierung auch noch jede Menge an Reserven zu diskutieren. Und man muss im Internet schon nachforschen, was die Worte weiter oben auf der Datenleiter eigentlich sind und bedeuten. Auf meinem Schreibtisch lagert tatsächlich noch eine der Apollo-Mond-Mission fast baugleiche Festplatte der Firma Siemens, unfassbar, auf was man damals datentechnisch (mit Erfolg!) gebaut hat. Ein Geschenk der Stadt Duisburg übrigens, ehemals bei der Ampelsteuerung eingesetzt.
Was die Datenmengen selbst angeht, so ist von Megabyte eigentlich kaum noch die Rede, Gigabyte ist mittlerweile allgemeiner Sprachgebrauch, von Terabyte (wohlgemerkt: nicht „Terra“!) haben die meisten auch schon gehört. Eines aber ist jedenfalls konstant: der Faktor 1.000 zwischen aufeinander folgenden Einheiten. Doch wie geht das weiter? Wir werden neue Begriffe lernen müssen, denn nach „Tera“ kommt „Peta“, dann „Exa“ und „Zetta“, am Ende (wohl keiner von uns wird das jemals erleben) folgt „Yotta“. Bezogen auf die Ausgangseinheit Byte ist das ein Faktor mit 24 Nullen, wobei jede Null für etwas steht …
Egal, ob wir das wollen, die Daten werden erhoben und (an vielen Stellen!) angeschaut. Die Option, sich aus dem ganzen System einfach auszuklinken, gibt es nicht mehr. Zu viel ist schon unterwegs und bekannt. Die NSA-Affäre zeigt ja nur die Oberfläche eines von uns vollkommen unerforschten Planeten. Dieser ist wahrscheinlich platt wie eine Scheibe, ähnlich der Apollo-Festplatte auf meinem Schreibtisch.
Eine interessante Strategie zum eigenen Schutze wäre daher, wie bei gefräßigen Tieren, die Überfütterung. Das System verschluckt sich letztendlich an sich selbst. Die Devise lautet: Nehme so viele Daten auf, dass keiner sie mehr verarbeiten kann. Die Erzeugung oder „Produktion“ von Daten ist sowieso viel einfacher als ihre Verarbeitung. Der Engpass liegt am Ende beim sogenannten Data-Mining, wo versucht wird, aus den Daten Strukturen abzulesen. Das Ziel ist aber immer klar: Business! Aber eben nicht „as usual“.
Dabei ist der eigentliche Wert der Daten von entscheidender Bedeutung. Die Frage ist letztendlich aber: für wen? Man selbst als Datenlieferant steht mehr oder weniger am Ende einer langen Kette von Interessenten. Alle bedienen sich still und heimlich. Und was an diesem Ende bei einem zurückbleibt, ist eine Art Filtrat. Man denkt dann nicht viel darüber nach und vermutet eher den Zufall als Verursacher. Aber weit gefehlt, denn gezielter als jemals zuvor werden wir mit maßgeschneiderten Angeboten gelockt. Die Menge macht’s, irgendwann wird jeder schwach.
Der Gipfel sind dann dynamische Werbeflächen an der Straße, die das Profil des gerade Draufschauenden erkennen können und dementsprechend ein Angebot schalten. Aldous Huxley hatte in seinem Roman „Schöne neue Welt“ (Brave New World) im Jahre 1932 schon vieles vorweggenommen, was heute Realität zu werden scheint. Dieser „dystopische“ (im Gegensatz zu utopische) Roman mit eben düsterer Vorausschau gilt nicht umsonst als eines der wichtigsten literarischen Werke des 20. Jahrhunderts. Kurz vor seinem Tode, dreißig Jahre nach der Erstveröffentlichung, kam er übrigens zu dem Schluss, dass alles viel schneller vonstattengeht, als er seinerzeit prognostiziert hat. Wie wahr! Man mache sich aber auch klar, dass Huxley etwa drei Jahre (ab dem 17. Lebensjahr) fast blind war, bevor dann seine Schriftstellerkarriere richtig begann. Es ist schon interessant, was sich hinter solchen Schicksalen letztendlich verbirgt, kaum einer geht mit fliegenden Fahnen durchs Ziel. Und wenn sie denn durchs Ziel gehen, bekommen sie es häufig gar nicht mehr mit.
Dabei begann alles so verheißungsvoll mit dem Verkehrsfunk. Am 1. April 1971 (ein Schelm, wer dabei Böses denkt …) wurde vom Bayerischen Rundfunk auf Bayern 3 eine Servicewelle gestartet. Ab 1974 widmete sich der Deutschlandfunk dem Thema. Und das mit großem Erfolg. Auf den Autoradios stand dann immer die Kennung „ARI“, im Klartext „Autofahrer-Rundfunk- Information“. Der durchaus nervige „Verkehrspiepser“, auch „Hinz-Triller“ genannt, hatte fortan seine feste Stellung in der Fahrzeugbeschallung. Benannt nach Werner Hinz, über dreißig Jahre aus den Verkehrsmeldungen nicht wegzudenken. Er ist leider gerade im August im Alter von 87 Jahren verstorben.
Der Triller eröffnete und beendete die Meldungsdurchsage mit einem markanten hochfrequenten Ton, eine Institution der Verkehrsinformation. Überhaupt waren die Verkehrsmeldungen die Domäne der Radiosender. RDS (Radio Data System) ermöglichte die Übermittlung weiterer Daten generell. Mit dem „Traffic Message Channel“ (TMC) wurde versucht, kostenfreie Verkehrsinformationen zur Verfügung zu stellen. Das erste Auto, das RDS nutzen konnte, war übrigens der Volvo 760, die eckige Kiste, die eigentlich jeder noch kennt. Nun geht die neueste Entwicklung Richtung RDS2, nach 30 Jahren versucht man, wie auch an vielen anderen Stellen, alles neu zu erfinden.
Die Verkehrsdaten stellen mittlerweile einen erheblichen Wert dar. Dabei sind die Daten, wie schon gesagt, mittlerweile wertvoller als die Hardware, die man versucht hat, auf diesem Wege mit zu vermarkten. Das Hauptproblem der Softwaregiganten ist allerdings auch ihre größte Schwäche: die Qualität der Information, und sei es nur die reine Verortung der Infrastruktur. Diese stimmt häufig hinten und vorne nicht. Daher ist „HERE“ ins Geschäft gekommen, ein ursprünglich von Nokia für seine Smartphones entwickelter Navigationsdienst. Mittlerweile aber ist der Dienst für die autonomen Bestrebungen der Automobilhersteller Audi, BMW und Daimler so interessant geworden, dass sie ihn gekauft haben. So schlappe 2,8 Milliarden Euronen war ihnen der Deal wert. Seit 2017 sind allerdings zusätzlich asiatische Unternehmen mit Anteilen auch am Start. Qualitativ hochwertige Information hat einfach ihren Preis und findet Interessenten weltweit.
Die Vorstellung, dass die ganze Welt sowieso nur einem großen Softwaregewusel folgt, ist beileibe nicht neu. Tolle Filme, wie der Fernsehzweiteiler „Welt am Draht“, entstanden unter der Regie von Rainer Werner Fassbinder mit dem unvergesslichen Klaus Löwitsch in der Hauptrolle, haben Geschichte geschrieben. Und „The 13th Floor – Bist Du was Du denkst?“, produziert von dem für Katastrophenarrangements bekannten Roland Emmerich (beide nach Vorlage des legendären, aber wenig einschlägigen Romans „Simulacron-3“ von Daniel F. Galouye) sowie die „Matrix-Trilogie“ mit Keanu Reeves: Alle thematisieren die Abhängigkeit des Menschen von einem übergeordneten (Computer-) Programm.
Ist dies die Zukunft auch im Verkehr? Die Lkw-Mautdaten werden bald Allgemeingut sein, zugänglich für jedermann. Anonymisiert werden sie vom Verkehrsministerium zur Verfügung gestellt. Dies ist insbesondere wichtig für all die Ausweichverkehre aufgrund maroder Brücken. Damit lässt sich vor allem abschätzen, was morgen oder übermorgen marode sein wird.
Nordrhein-Westfalen hat seinen Widerstand gegen die Pkw-Maut aufgegeben. Damit werden am Ende Datenschätze verfügbar sein, die eigentlich unantastbar schienen. Wer aber sorgt für die Datensicherheit
Wir können dem ganzen Datenaustausch eigentlich nur als (unbeteiligter) Zuschauer beiwohnen. Wird mit eCall (automatischer Notruf 112 bei Auslösung eines Airbags) das Internet letztendlich Einzug ins Fahrzeug finden, so wird zusammen mit Vernetzung und Automatisierung die Situation für den Einzelnen so undurchschaubar, dass sie schon wieder einen gewissen Charme entwickelt.
Trennt man sich erst mal von dem Gedanken, da noch irgendwas wirklich verstehen und nachvollziehen zu wollen (und können!), so lebt es sich doch eigentlich ganz gut. Oder frei nach Wilhelm Busch: „Ist der Überblick erst ruiniert, lebt es sich ganz ungeniert“!
AUTOR
PROFESSOR DR. MICHAEL SCHRECKENBERG, geboren 1956 in Düsseldorf, studierte Theoretische Physik an der Universität zu Köln, an der er 1985 in Statistischer Physik promovierte. 1994 wechselte er zur Universität Duisburg-Essen, wo er 1997 die erste deutsche Professur für Physik von Transport und Verkehr erhielt. Seit mehr als 15 Jahren arbeitet er an der Modellierung, Simulation und Optimierung von Transportsystemen in großen Netzwerken, besonders im Straßenverkehr, und dem Einfluss von menschlichem Verhalten darauf.
Seine aktuellen Aktivitäten umfassen Onlineverkehrsprognosen für das Autobahnnetzwerk von Nordrhein- Westfalen, die Reaktion von Autofahrern auf Verkehrsinformationen und die Analyse von Menschenmengen bei Evakuierungen.

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