Der Verkehrspoli-Tick

In Zeiten besonders wichtiger Wahlen melden sich die zuständigen Politiker gerne medienwirksam zu Wort und verkünden bedeutende vermeintlich bereits erzielte Erfolge oder einfach nur hochtrabende Versprechungen. Angesichts der in diesem Jahr wohl folgenschwersten Entscheide in Nordrhein-Westfalen im Mai sowie im Bund Ende September ist mit deutlich überhöhten Präsenzwerten der Verkehrsthemen, leider häufig jenseits jeder Realitätsnähe, zu rechnen.

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Dabei ist der Politik natürlich nicht verborgen geblieben, dass sich die Verkehrsprobleme auf der Überholspur befinden. Nicht nur, dass NRW das Stauland Nummer eins in Deutschland ist (die A3 bei Köln ist allen bekannten Analysen zufolge stautechnisch nicht zu toppen), nein, den Bürgern ist der bedauernswerte Zustand von Straßen, Brücken und Schienen nach einer Umfrage des Meinungsforschungsinstitutes Infratest dimap wichtiger als Schuloder Bildungspolitik, ja sogar die Kriminalitätsbekämpfung fällt dagegen ab.

Leider aber klingen die politischen Ankündigungen mehr wie das bekannte „Rufen im Walde“, um die eigene Angst vor dem Stillstand zu vertreiben. Urs Meier, der ehemalige Schweizer Ausnahmeschiedsrichter und heutige ZDF-Meisterschaftskommentator, weist in seinen Vorträgen sehr eindringlich und nachvollziehbar darauf hin, dass nicht nur gepfiffen werden darf, sondern unmittelbar darauf eine Entscheidung und deren Befolgung kommen muss, sonst verliert der Schiri jedwede Autorität. Ein Pfiff im Walde hat noch keinem die Angst vor einem Stau genommen.

Um bei dem Bild mit dem Wald zu bleiben – man den Eindruck, dass die Entscheider anscheinend denselben vor lauter verkehrsthematischen Bäumen gar nicht mehr wahrnehmen. Zu viel hat sich im Laufe der Zeit allein schon oder gerade aufgrund der Sanierung angestaut. So sucht man eifrig nach vermeintlich positiv besetzten Mobilitätsprojekten und landet, gemäß der bekannten Redensart „Auf das Rad gekommen“, bei der angeblich größten Erfindung des Menschen. So muss im Ruhrgebiet ein „Radschnellweg (RS1)“ her, schlappe 185 Millionen Euro schwer, Finanzierung praktisch vollständig unklar.

Er soll zwischen Duisburg und Hamm den staugeplagten Verkehr hauptsächlich auf der A40 entlasten. Aber hier zeigt sich mal wieder, wie man sich bei Verkehrsprojekten ein „Rad“ stellen kann. Denn hatte man den Radweg letztes Jahr noch euphorisch als Landesstraße deklariert, so musste man schmerzlich lernen, dass damit eine mehrjährige Prozedur mit Planfeststellungsverfahren und Umweltverträglichkeitsprüfung einhergeht. Vor 2020 geht da in einem bestimmten Bereich in Essen gar nichts.

Der Grund für diese Verzögerung und die damit verbundenen Probleme sind hausgemacht, wurde doch Ende 2016 das Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz verschärft und traf mitten ins Herz der Rad-Initiativen und -Verbände. Das Gesetz folgte durchaus hehren Zielen, am Ende aber hieß das Motto: „Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus.“

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Ausgabe 3/2017

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Ähnliche Erfahrungen macht nun wahlnah das Prestigeprojekt zum „RRX“ (Rhein-Ruhr-Express), der auf der Kernstrecke Dortmund mit Köln verbinden soll. Die Hoffnung besteht, auf diesem Wege 30.000 Autofahrer von der Straße auf die Schiene zu locken. Auch hier ist wieder der Wunsch der Antrieb des Gedankens. Wer das alles sein soll, ist genauso unklar wie der Ausgang der Auseinandersetzungen mit Bürgerinitiativen, insbesondere im Raum Düsseldorf. Schallschutzwände, ehedem das sehnlichste Ziel von Anwohnern, haben aufgrund ihrer architektonischen Monumentalität mit sechs Metern Höhe über dem Gleis als Beruhigungsmittel ausgedient. Jetzt müssen Tunnel oder zumindest Einhausungen her, beides nicht aus der Portokasse zu finanzieren.

Mit kleineren Einzelaktionen wird jetzt zudem versucht, vermeintliche Fortschritte gewinnbringend zu vermarkten. Ein Beispiel dafür sind die sogenannten Lego-Brücken. Dabei werden die Bestandteile einer Brücke an einem Ort „gegossen“, um dann an den Einsatzort transportiert und dort verbaut zu werden. Dieser den Niederländern abgeschaute und durchaus sinnige „Bauplan“ ist keineswegs neu, werden doch Stadien seit Langem auf genau diese Art zusammengesetzt. Überhaupt sind die Niederländer bei Straßenbau und -sanierungsprojekten viel pfiffiger als unsereins, warum auch immer.

Das deutsche Lego-Pilotprojekt entsteht übrigens in Hagen als Brücke über die A46. Insgesamt werden 178 Einzelteile (68 große und 110 kleine) verbaut. Die Bauzeit verkürzt sich (angeblich) von 220 auf 100 Tage. Allerdings erhöht sich der Baupreis im Gegenzug um 50 Prozent. Die Untersuchung der Haltbarkeit dieser Konstruktionen befindet sich im „Experimentierstadium“, auch in den Niederlanden weiß man dazu noch nicht viel mehr.

Und für größere Brücken wie die A1-Rheinquerung bei Leverkusen ist diese Baumethode sowieso nicht geeignet. Wer aber jetzt schon mal eine echte „Lego-Brücke“ sehen möchte, sei an dieselbe über die Schwesterstraße in Wuppertal verwiesen. Diese Beton-Balkenbrücke im durch den Graffiti- und Streetart-Künstler Martin Heuwold gestalteten Lego-Design gehört seit Kurzem zu den drei schönsten Brücken Europas (und gewann 2012 schon den Deutschen Fassadenpreis).

Die wahren Themen der Verkehrspolitik sind aber ganz andere. Der Bundesverkehrswegeplan 2030, ehedem Top-Thema, ist ja mittlerweile eigentlich schon Historie (siehe Kolumne Flottenmanagement 1/2017). Die Freigabe der anonymisierten Lkw-Mautdaten für alle (!) ist vom Bundestag beschlossen worden. Der Teufel lauert allerdings auch hier im Detail. Denn für die praktische Umsetzung braucht es eine neue Planstelle im Bundesverkehrsministerium und die wird erst mit dem neuen Bundeshaushalt eingerichtet werden können. Also warten wir erst mal die Wahl im September ab ...

Die Pkw-Maut ist momentan nicht so virulent, entfernt sich aus dem Blickfeld. Kein gutes Wahlthema, selbst die CDU-Parteigenossen behalten sich Äußerungen dazu vor, oder anders ausgedrückt: schweigen schmunzelnd. Was auch immer das heißen mag. Überhaupt wird einem erst klar, was Genossen sind, wenn man bedenkt, dass „genossen“ die Vergangenheitsform von „genießen“ ist …

Nimmt man die blanken Zahlen des BVWP 2030, so ist man beeindruckt. Schaut man genauer hin, so ist man entsetzt. So nah liegen Extreme nicht häufig beieinander. Denn die 15 Milliarden, großzügig von Minister Dobrindt jährlich für die Jahre bis 2030 zugesagt, sind angesichts verschiedener Aspekte ein Witz. Einerseits basieren viele Berechnungen auf Daten früherer Jahre, in denen alles noch billiger war, und andererseits sind die angesetzten 15 Milliarden längst nicht mehr das wert, was man annehmen könnte. Die Preise für Baudienstleistungen sind aufgrund von Minderauslastungen der Unternehmen in den letzten Jahren so massiv gestiegen, dass der Realwert der Leistungen unter zehn Milliarden gefallen ist, was damit eine effektive Kürzung bedeutet. Als großer Erfolg verkauft wird der BVWP 2030 schon vor seiner „Wirksamkeit“ zur Farce. Selten ist so weit an der Realität vorbeigerechnet worden.

Die City-Maut ist ein ungeliebtes Thema im Bund, bringt sie diesem doch keine Einnahmen. Der automobile Gott behüte uns vor städtespezifischen Lösungen dergestalt, dass man sich in jeder Umgebung neuen Herausforderungen stellen muss. Die Diskussion um die blaue Plakette und die von Stuttgart beispielhaft vorangetriebene Vertreibung der Dieselfahrzeuge aus den Innenstädten wird zu einem Fanal der zukünftigen Auseinandersetzung mit den negativen Begleiterscheinungen der Mobilität.

Hier fehlt in der Tat eine klare Linie. Es wird alles in einen großen Topf geworfen und kräftig umgerührt: Elektromobilität, Brennstoffzellen, Erdgastankstellen, automatisierte und autonome was auch immer, datentechnische Vernetzung, und am Ende steht der „Fahrer“, wenn er denn noch darf, vor einem „Stauhaufen“, denn mehr geht einfach nicht in vielen Bereichen. Gerade die Flottenmanager mit Blick auf die nächsten automobilen Investitionen stehen dann häufig ratlos da und suchen krampfhaft nach den Leuchttürmen der Fortbewegung, in Küstennähe sowieso lebenswichtig.

Die energetische Grundfrage ist aber auch nicht einfach zu beantworten. Die Diskussion bei den Elektrofahrzeugen spitzt mehr auf die Lademöglichkeiten zu als die Reichweite. Letztere ist berechenbar und damit planbar, aber laden muss auch geplant werden. An diesem Punkt haben alle diesbezüglichen Projekte ihre Probleme. Lediglich klar strukturierte, zyklische Verkehre wie der der Deutschen Post DHL sind damit abwickelbar und die von StreetScooter auf die Straße gebrachten Fahrzeuge sind optimal auf das Anforderungsprofil abgestimmt.

Eine kurze Randbemerkung zu DHL sei erlaubt. Im Jahre 1969 (unruhige Zeiten nach den 68ern) wurde „DHL“ in San Francisco gegründet und 2002 von der Deutschen Post DHL Group übernommen. Der Name „DHL“ ist lediglich die Zusammenfassung der Anfangsbuchstaben der Firmengründer Adrian Dalsey, Larry Hillblom und Robert Lynn. Wer hätte das gedacht

Was bleibt also der Politik als Handlungsspielraum? Zentralisierung scheint hier das Gebot der Stunde. Die geplante bundesweite Infrastrukturgesellschaft für Autobahnen, und falls von einzelnen Bundesländern gewollt auch Bundesstraßen, könnte endlich ein Ende des „Pro Domo“- Denkens von Bundesverkehrsministern einläuten. Endlich gleiche Bedingungen für alle, damit auch kein Wahlthema mehr.

Bleibt eigentlich das wichtigste Thema überhaupt: Fahren im Alter. Menschen über sechzig sind nicht nur Wähler, sondern auch Fahrer. Ich gehöre mittlerweile auch zu der Ü-60-Generation. Man hat in der Tat im ÖV viele Vorteile, aber das Auto bleibt die erste Option. Carsharing hat seinen Platz in Metropolen, drumherum ist die Buchungsrate mau. Zogen die Menschen eine Zeit lang in die Städte, so flüchten sie aus denselben nun wieder aufgrund der hohen (Miet-)Preise.

Das Schöne an der ganzen verkehrspolitischen Diskussion ist, dass die zuständigen Minister eigentlich keine Beziehung zum Thema haben, allenfalls gedrängt oder gelockt worden sind, diesen undankbaren Job anzunehmen. Eine Analyse der „Resteverwertung“ von Landes- und Bundesverkehrsministern bringt ernüchternde „Postfakten“. Was können wir also von der Verkehrspolitik überhaupt erwarten

Ganz so schlimm ist es dann doch nicht. Es gibt schon die eine oder andere sinnvolle Entscheidung. Es geht ja eigentlich um die Betroffenen, und die sollten selbst mithelfen, das „System“ im Fluss zu halten. Das geht aber nicht, wenn man ständig medial unterwegs ist. Und es nutzt es auch wenig, wenn man danach fragt, ob die Politiker noch richtig ticken.

 

AUTOR

PROFESSOR DR. MICHAEL SCHRECKENBERG, geboren 1956 in Düsseldorf, studierte Theoretische Physik an der Universität zu Köln, an der er 1985 in Statistischer Physik promovierte. 1994 wechselte er zur Universität Duisburg-Essen, wo er 1997 die erste deutsche Professur für Physik von Transport und Verkehr erhielt. Seit mehr als 15 Jahren arbeitet er an der Modellierung, Simulation und Optimierung von Transportsystemen in großen Netzwerken, besonders im Straßenverkehr, und dem Einfluss von menschlichem Verhalten darauf.

Seine aktuellen Aktivitäten umfassen Onlineverkehrsprognosen für das Autobahnnetzwerk von Nordrhein- Westfalen, die Reaktion von Autofahrern auf Verkehrsinformationen und die Analyse von Menschenmengen bei Evakuierungen.

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