Freiheit in Gefahr?
In Zeiten der Verrohung des politischen Diskurses, in denen in Demokratien wieder Mauern und Zäune errichtet werden, ist die Freiheit des Einzelnen ein gefährdetes Gut. Jedoch droht dem freiheitsliebenden deutschen Autofahrer auch von anderer Seite Gefahr ...

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Ist der Mensch ein freies, vernunftbegabtes Wesen und kann deswegen selbst entscheiden, ob er imstande ist, ein Auto zu lenken, oder nicht? Ist Autofahren ein menschliches Grundbedürfnis, dessen man nicht aufgrund seines Alters beraubt werden darf? Geht Sicherheit vor Freiheit? Eine Fahreignungsprüfung für Menschen ab einem gewissen Alter wirft genau diese Fragen auf. Statistiken belegen, dass drei von vier Unfällen, an denen Senioren über 75 Jahre beteiligt sind, auch von diesen verursacht wurden (siehe Grafik). Dies ist mehr als in der Hochrisikogruppe der jungen Fahrer, denen ja immerhin eine Probezeit auferlegt wird. Aber das Thema ist gerade in Deutschland nicht allein mit Statistiken abzuhandeln. Überspitzt gesagt, geht es um mehr – es geht um die Freiheit!
Pro
Die Diskussionen um altersbedingte Fahreignungsüberprüfungen in Deutschland sind schon etwas älter und werden immer mal wieder hervorgeholt, wenn jemand einen neuen Vorschlag zur Sache äußert. Diesmal stand das Thema „Senioren im Straßenverkehr“ auf der Agenda des 55. Deutschen Verkehrsgerichtstages in Goslar. Doch schon im Vorfeld äußerten sich verschiedene Verbände und Organisationen zu dem Thema. So fordert die Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht des Deutschen Anwaltvereins (DAV), dass in Deutschland verpflichtende Gesundheitstests für Autofahrer ab dem 75. Lebensjahr eingeführt werden sollten. Denn obwohl Senioren mit zunehmendem Alter immer weniger am Straßenverkehr teilnehmen, seien sie doch überproportional häufig Verursacher von Verkehrsunfällen.
In den meisten anderen EU-Ländern ist eine solche Überprüfung bereits gängige Praxis. So müssen Schweden, die älter als 70 Jahre sind, regelmäßig nachweisen, dass sie zum Führen eines Pkw in der Lage sind. In Spanien ist diese Prüfung sogar bereits ab einem Alter von 45 Jahren Vorschrift. Deutsche Urlauber im entsprechenden Alter, die in jenen Ländern mit dem Pkw unterwegs sind, fallen jedoch nicht unter diese Regelungen und dürfen auch ohne Gesundheitsüberprüfung ein Fahrzeug führen. Es könnte allerdings vorkommen, dass man beim Mieten eines Leihwagens ab einem gewissen Lebensalter einen höheren Preis bezahlen muss. In Deutschland gibt es vergleichbare Regelungen bislang nur für Berufskraftfahrer ab 50 Jahren. Diese müssen sich alle fünf Jahre einem umfangreichen Gesundheitscheck stellen, wenn sie die Fahrerlaubnis für Fahrzeuge über 3,5 Tonnen behalten möchten. Doch die meisten älteren Menschen sind mit einem Pkw unterwegs und eine Fahruntauglichkeit wird oft zu spät festgestellt. Meist erst, wenn es zu einem Schaden gekommen ist. Somit stellt das deutsche Verkehrsrecht im Vergleich zu den anderen EU-Mitgliedsstaaten wie so oft eine Ausnahme dar. Forderungen aus Brüssel, eine Eignungsprüfung für Pkw-Fahrer ab 50 Jahren in Deutschland einzuführen, sind bislang gescheitert.
Bereits Ende letzten Jahres reichte ein Bundestagsausschuss eine Petition an das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur zur Problematik der Unfallgefahr durch ältere Autofahrer ein. In der Petition wird gefordert, die Verlängerung der Fahrerlaubnis, welche seit 2013 nur noch 15 Jahre gültig sei, an bestimmte Bedingungen zu knüpfen. So wäre laut dem Ausschuss beispielsweise eine regelmäßige Teilnahme an Erste-Hilfe-Kursen oder die Vorlage einer augenärztlichen Bescheinigung denkbar. Letzteres könne nach Ansicht der Petenten auch mit einer Altersgrenze verbunden sein.
Am deutlichsten spricht sich jedoch die Versicherungsbranche für eine Fahreignungsüberprüfung von Senioren aus. Siegfried Brockmann, Leiter der Unfallforschung der Versicherer (UDV), schlägt in einem Interview vom 18. Januar auf der GDV-Webseite vor: „Die Alten (ab 75 Jahre) sollen bei einer begleiteten Fahrt von etwa einer Stunde ihre Fahrtauglichkeit testen. Anschließend besprechen sie die Ergebnisse vertraulich mit dem sachkundigen Begleiter, der Hinweise geben kann, etwa nicht mehr im Dunkeln zu fahren oder Innenstädte zu meiden.“ Dabei ginge es, laut Brockmann, um Hilfe zur Selbsthilfe und nicht darum, den Menschen den Führerschein wegzunehmen, wenn bei einer Prüffahrt Defizite auffällig werden. Nun könnte man gerade bei Versicherungen auf den Gedanken kommen, dass eine solche Überprüfung auch Auswirkungen auf den Versicherungsbeitrag haben wird. Mit anderen Worten: Ein schlechtes Ergebnis oder das Verweigern eines Tests könnte die Prämie steigen lassen.

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Contra
Über allen Argumenten für eine Einführung der altersbedingten Fahreignungsüberprüfung steht die Sorge um die Sicherheit im Straßenverkehr. Interessanterweise argumentieren einige Kritiker mit genau derselben Sorge. Insbesondere die Automobil-Clubs ADAC und ACE sprechen sich gegen eine verpflichtende Überprüfung der Fahrtauglichkeit aus. „Statt der Skandalisierung von Einzelfällen brauchen wir eine Diskussion, wie eine altersgerechte Mobilität in einer älter werdenden Gesellschaft aussehen kann“, sagt beispielsweise Matthias Knobloch, Abteilungsleiter Verkehrspolitik beim ACE. Demnach würde eine Auseinandersetzung mit dem Thema Mobilität von Senioren meist nur dann stattfinden, wenn ein älterer Autofahrer einen Unfall verursacht hat. „Die Forderung, älteren Menschen den Führerschein zu entziehen, ist aber beim näheren Hinsehen kein ernstzunehmender Lösungsansatz“, so Knobloch weiter. Die Sicherheit auf den Straßen würde eine Eignungsüberprüfung nicht erhöhen, argumentiert auch der ADAC. Dies würde nur zu einem größeren bürokratischen Mehraufwand führen.
Der Arbeitskreis zum Thema Senioren im Straßenverkehr des eingangs erwähnten Verkehrssicherheitstages in Goslar kam ebenfalls zu dem Ergebnis, dass es „keinerlei Grundlage“ für eine Einführung eines generellen Fahreignungstests für Pkw-Fahrer gibt. Vielmehr spricht sich der Arbeitskreis für „Instrumente“ einer besseren Selbsteinschätzung aus. Damit entspricht er dem Tenor der Automobilclubs. Auch Marc-Oliver Prinzing, Vorstandsvorsitzender des Bundesverbandes Fuhrparkmanagement, teilt die Meinung des Verkehrssicherheitsrates und äußerte sich bezüglich dessen Empfehlung gegenüber Flottenmanagement: „Das sehen wir genauso, zumal in gewerblichen Pkw-Fuhrparks bisher keine Probleme diesbezüglich beobachtet werden konnten. Zudem übersteigt das Alter von Dienstwagennutzern in den seltensten Fällen 67 Jahre. Sicherheitsrelevante Vorschriften sind gut, unnötige erhöhen auch unnötig den Verwaltungsaufwand und das Haftungsrisiko für Fuhrparkverantwortliche, sofern eine vorgeschriebene Untersuchung nicht gemacht wird. Und noch ein noch wichtiges Argument: Es verhindert unter Umständen den klaren Blick auf wichtigere und bereits heute schon vorgegebene Dinge.“
Doch heißt dies nun, dass alles beim Alten bleiben soll? Nein, denn auch wenn viele gegen eine verpflichtende Eignungsüberprüfung sind, so haben doch alle Kritiker auch einen Vorschlag zur Verbesserung der Sicherheit im Straßenverkehr gemacht. Die Auswirkungen einer alternden Gesellschaft auf den Straßenverkehr werden von allen erkannt, nur der Lösungsweg ist unterschiedlich. Zumeist lautet die Alternative zu einem möglichen Führerscheinentzug nach einer altersbedingten Überprüfung an die Selbsteinschätzung zu plädieren. Dies mag zwar der Freiheit des Einzelnen dienen, kann aber in der Praxis gefährlich sein.
Der demografische Wandel
Dass es bislang keine Eignungsprüfung für deutsche Pkw-Führerscheinbesitzer gibt, ist nicht allein das Ergebnis aus dem Wettstreit des besseren Arguments. Denn viele Gegenpositionen würden auch gegen die Durchführung einer altersbedingten Überprüfung der Fahrtauglichkeit bei Lkw-Fahrern sprechen. Auch hier ist beispielsweise ein Gesundheitstest nur eine Momentaufnahme und dennoch ist er seit einigen Jahren für deutsche Brummifahrer Pflicht. Die Ursache ist vielmehr darin zu suchen, dass die deutsche Gesellschaft immer älter wird und immer mehr Menschen von solchen Überprüfungen betroffen wären. Für Politiker wird das Thema somit zum heißen Eisen, wenn sie sich dafür stark machen, Altersgrenzen einzuführen. Schließlich wäre eine große Wählergruppe unmittelbar von einem solchen Gesetz betroffen. Mit dem vollautonomen Fahren wären diese Probleme im Übrigen erledigt.

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