Schnell, schneller, ultraschnell
Wann schafft die Elektromobilität ihren Durchbruch? Das fragen sich Fans wie Kritiker dieser Technologie seit Jahren, ja fast seit Jahrzehnten. Wer eine Antwort auf diese Frage erhalten will, muss vor allem die Probleme und Hindernisse in den Blick nehmen. Neben der geringen Fahrzeugauswahl, der schwachen Akzeptanz in der Bevölkerung und der unzureichenden Akkutechnik ist es vor allem die schlechte Infrastruktur, die den besagten Durchbruch derzeit bremst.

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In einer Stellungnahme des Bundesrates aus dem September 2016 fordern die Bundesländer, dass ab 2030 nur noch emissionsfreie Neuwagen zugelassen werden sollen. Betrachtet man die physikalischen Möglichkeiten des Verbrennungsmotors, ist dies auch ein alternativloser Vorschlag, wenn man die Klimaziele einhalten will. Dennoch wurde die Forderung des Bundesrates von manchen Politikern und Medien als „realitätsfern“ bezeichnet. Dieser Einschätzung würden wohl auch die Verfasser der Shell-Pkw-Szenarien folgen. Seit 1958 wird im Auftrag des Mineralölkonzerns regelmäßig eine umfangreiche Studie zu Entwicklungsszenarien des Pkw-Marktes herausgegeben. Der aktuellen Version zur Folge wird der Neuzulassungsanteil der Elektrofahrzeuge 2040 bei gerade mal sechs (!) Prozent liegen, wenn die Entwicklungen den derzeitigen Trends folgen. Doch selbst in dem optimistischeren Alternativszenario der Shell-Studie werden rein elektrische Fahrzeuge nur einen Zulassungsanteil von 13 Prozent bis 2040 erreichen. Zu gänzlich anderen Zahlen kommt das Beratungsunternehmen AlixPartners. Laut deren kürzlich veröffentlichten Studie sollen im Jahr 2030 Fahrzeuge mit Elektroantrieb 65 Prozent der Neuzulassungen in Europa ausmachen. Ursachen für den Anstieg der Popularität des Elektromotors in der Bevölkerung sei demnach das Sinken des Preisniveaus der E-Autos auf das Level der Verbrennerkollegen.
Die Prognosen bezüglich der Dekarbonisierung des Straßenverkehrs gehen weit auseinander, zumindest wenn man diesen beiden Zukunftsvisionen folgt. Doch selbst die deutlich kritischere Shell-Studie geht von einem Anstieg der teil- und rein elektrischen Fahrzeuge aus. Mindestens fünf Millionen Pkw dürften so 2040 einen elektrischen oder hybriden Antriebsstrang besitzen, der an einer Steckdose betankt werden kann. Nach aktuellem Stand wäre die Infrastruktur in Deutschland selbst damit deutlich überlastet und eine bundesweite Mobilität nicht gewährleistet. Nimmt man die Zahlen der Studie von AlixPartners als Grundlage, gilt diese Prognose erst recht. Bis zum besagten Jahr 2030 errechnet die Studie eine globale Nachfrage von mehr als 300 Millionen Ladestationen in weltweit 488 Städten mit mehr als einer Million Einwohner. Dies bedeutet schon für eine Stadt wie Frankfurt einen Investitionsbedarf von 3,9 Milliarden Euro für den Aufbau der erforderlichen Infrastruktur. Mit der Forderung nach mehr Elektrofahrzeugen muss also immer auch die Forderung nach einer besseren Infrastruktur für E-Mobilität einhergehen.
Dies sieht auch Thomas Schlick, Senior Partner und Automotive Experte von Roland Berger, so: „Zusätzlich muss jetzt der Komfort beim Laden gesteigert und die Ladedauer verkürzt werden, dafür benötigen wir eine flächendeckende Schnelllade-Infrastruktur.“ Um diese zu aufzubauen, sind mittlerweile verschiedene Projekte ins Leben gerufen worden.
Dabei sind es nicht nur staatlich geförderte Projekte, vor allem die Autohersteller haben die Zeichen der Zeit erkannt und investieren in Infrastrukturprojekte. So beginnen in diesem Jahr Ford, Daimler, BMW und der Volkswagen-Konzern damit, 400 Schnellladestationen für Elektroautos entlang der großen Verkehrsachsen in Europa aufzubauen. In drei Jahren sollen es schon mehr als 1.000 Stationen sein. Für Elmar Kades, Automotive-Experte von AlixPartners, ist die Eigeninitiative der Autohersteller unerlässlich für den Wechsel zur E-Mobilität: „Bislang war das schlechte Netz neben dem höheren Preis eines der größten Hindernisse dafür, dass sich Autokäufer für Elektroautos entscheiden. Die öffentliche Hand hat allerdings zu wenig Mittel zur Verfügung, sodass eine Initiative, wie sie jetzt von den großen Autoherstellern ausgeht, sehr begrüßenswert ist. Mit vereinten Kräften geht es schneller voran und sie setzen zudem ein deutliches Zeichen: Die Verwendung des standardisierten Combined-Charging-Systems schließt keine anderen Hersteller aus und könnte diese sogar motivieren, sich der Initiative anzuschließen.“
Seit Oktober letzten Jahres läuft mit dem Projekt „Ultra-E“ eine ähnliche Initiative. Es wird von der „Connecting Europe Facility“ der Europäischen Union mit 6,5 Millionen Euro unterstützt und hat ein Gesamtinvestitionsvolumen von rund 13 Millionen Euro. Das selbstgesteckte Ziel der Projektpartner ist es, in Europa ein Netzwerk von 25 Ultra-Schnellladestationen mit CCS-Stecker und einer Ladeleistung von bis zu 350 kW entlang von transeuropäischen Transport-Netzwerk-Korridoren zu errichten. Diese transeuropäischen Netze (TEN-T) sind von der EU definierte Verkehrswege zur Verbesserung des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts. Bei „Ultra-E“ geht es also darum, über die Landesgrenzen hinweg eine Elektromobilität mit der schnellsten Ladetechnologie zu ermöglichen. Dies ist ein sinnvoller Ansatz, schließlich endet das Mobilitätsbedürfnis nicht an der Landesgrenze. Das Ultra-Schnellladenetzwerk soll die Niederlande, Belgien, Deutschland und Österreich e-mobil verbinden. Die Ladestationen sollen in einem Abstand von rund 150 Kilometern entlang der angesprochenen TEN-T-Netzwerk- Korridore errichtet werden, von Amsterdam und Brüssel über München nach Wien und Graz. Damit beträgt die Gesamtlänge der abgedeckten Strecke mehr als 1.100 Kilometer, was Reisen fast wie mit einem fossilbetriebenen Fahrzeug ermöglicht.

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Auch der Tankvorgang mit einer Ladeleistung von 350 kW kommt dem Luxus eines Benziners oder Diesels in Sachen Geschwindigkeit immer näher. Zum Vergleich: Derzeit bieten die meisten Ladesäulen (Ladestation Typ 2) in Deutschland 11 oder 22 kW an. CHAdeMO-Schnellladesäulen kommen auf 50 kW Leistung und die Tesla Supercharger sogar auf 135 kW. Damit dürften die CCS-Ultra-Schnellladesäulen des „Ultra-E“-Projekts die schnellsten Stromtankstellen in Europa sein. Mit der Ladeleistung von 350 kW wäre ein Aufladen von 300 Kilometern Reichweite innerhalb von 20 Minuten möglich. Das Ultra-Schnellladenetzwerk wird mit dem bereits existierenden 50-kW-Schnellladenetzwerk vollständig kompatibel sein und dieses somit ergänzen.
Klingt gut? Na ja, einen Schönheitsfehler gibt es dann doch. Ein Problem der Elektromobilität ist nach wie vor die Reichweite. Mit einer Reichweite von knapp 100 Kilometern schaffen nicht alle auf dem Markt erhältlichen Pkw-Modelle die Distanz zwischen den einzelnen Ultra-Schnellladestationen. Das „Ultra-E“-Projekt ist also vor allem in die Zukunft gerichtet und nimmt die Elektrofahrzeuge, die in den nächsten Jahren auf den Markt kommen, in den Fokus. So versteht dies auch Helmut Morsi, Berater der Europäischen Kommission DG Move, Koordinator für Innovation und Neue Technologien: „Die Erweiterung um Ultra-Schnellladung ist eine Voraussetzung für die erfolgreiche Markteinführung der neuesten Generation von batterieelektrischen Fahrzeugen mit leistungsstärkeren Batterien, die von der europäischen Fahrzeugindustrie angekündigt werden. Wir unterstützen diesen strategischen Schritt unserer innovativsten Unternehmen, nicht nur um einen umweltfreundlichen Verkehrssektor zu erreichen und den Klimawandel zu bekämpfen, sondern auch um im internationalen Wettbewerb zu bestehen und Produktionskapazitäten in Europa zu halten.“
In den Worten von Helmut Morsi klingt ein Teil der Antwort auf die eingangs gestellte Frage nach dem Durchbruch der Elektromobilität an: Es werden schon sehr bald mehr Elektroautos auf den Straßen sein, denn neben den üblichen Befürwortern aus dem Feld der Umweltschützer stellen sich auch immer mehr Unternehmen und Hersteller auf die Seite der Elektromobilität. Sie alle wollen vor allem die wirtschaftliche Chance nutzen und nicht an Boden gegenüber der Konkurrenz chinesischer oder amerikanischer Firmen wie Tesla verlieren. Ob diese Entwicklungen „ultraschnell“ vonstattengehen, hängt nicht zuletzt auch von der Infrastruktur in Europa ab.

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