Die Neuvermessung der Welt

Die japanische Regierung plant, für die Olympischen Spiele im eigenen Land im Jahr 2020 autonome Fahrzeuge auf die Straßen zu bringen. Dabei sollen hochaufgelöste 3-D-Straßenkarten helfen, die derzeit erstellt werden. Flottenmanagement hat das Ganze näher betrachtet.

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2020, Olympische Sommerspiele in Tokio und autonome Fahrzeuge, die die Zuschauer von Sportstätte A zur Sportstätte B bringen. So weit die Theorie. Die praktische Umsetzung läuft derweil an. Dafür erstellt das japanische Unternehmen Dynamic Map Planning eigene dreidimensionale Karten des Landes. Laut der japanischen Wirtschaftszeitung Nikkei Asia Review ist Dynamic Map Planning ein Joint Venture des Hardware-Herstellers Mitsubishi Electric, dem Landkartenverlag sowie neun Automobilherstellern. Zunächst sollen 300 Kilometer Autobahnen hochauflösend vermessen werden. In naher Zukunft sollen 20.000 Straßenkilometer digital erfasst werden.

Das Projekt ist Teil des Cross-ministerial Strategic Innovation Promotion Program (ein Forschungsund Technologieprogramm). Bei der Kartierung der Straßen erfassen moderne Fahrzeuge via GPS und Sensoren die Position und Neigung des Fahrzeugs sowie sämtliche äußere Merkmale wie Kurven, Einmündungen, Fahrbahnmarkierungen, Verkehrszeichen oder Ampeln. Daraus wird dann eine 3-D-Karte erstellt. Man kann also von einer kompletten Neuvermessung sprechen. „Kartensysteme werden im Auto eine immens wichtige Rolle spielen“, sagt Steffen Tacke, Experte für Navigationskarten bei Daimler, gegenüber der „Welt“. „Sie sind die Voraussetzung für automatisiertes Fahren.“

Stand heute
Schon heute zeigen digitale Straßenkarten nicht nur die nächste Ausfahrt an, sondern warten mit Informationen über die Streckenlänge, Steigungen, Kurven oder sogar Fahrbahnbeläge auf. Autohersteller nutzen dies bereits in einigen ihrer Modelle. So kann beispielsweise der neue Porsche Panamera mithilfe seines Assistenzsystems InnoDrive drei Kilometer weit vorausblicken und sich dementsprechend auf die Gegebenheiten einstellen. Mercedes-Benz hat seine neue E-Klasse mit einer „intelligenten“ Karte versehen. „Sensoren und Kameras können nicht um Ecken schauen“, sagt Steffen Tacke. Er fährt fort: „Die Karten schon, denn sie kennen den gesamten Streckenverlauf.“ In ein paar Jahren dienen die Navigationskarten mit ihren Informationen also nicht mehr dem Fahrer, sondern vielmehr dem Fahrzeug selbst.

Autohersteller machen Ernst
Einen entscheidenden Schritt zur Unabhängigkeit von den Branchenriesen Apple und Google gingen zuletzt Audi, BMW und Daimler. Mitte 2015 erwarben sie gemeinsam für bemerkenswerte 2,8 Milliarden Euro das zu Nokia gehörende Kartenunternehmen HERE mit seinem Dienst Open Location Platform. Und auch Renault-Nissan erwägt, dem Konsortium beizutreten. Nach Informationen des Handelsblatts sollen zudem unter anderem Microsoft und Amazon in Gesprächen mit dem Dienstleister sein. HERE wiederum überlegt derweil eine Partnerschaft mit Dynamic Map Planning einzugehen. Zur Einordnung: In Europa und Nordamerika arbeiten vier von fünf Fahrzeugen mit dem Kartenmaterial von HERE.

HERE-CEO Edzard Overbeek sagte im Vorfeld des Pariser Autosalons 2016: „Wir glauben, dass eine Kollaboration der Branche nötig ist, um elementare Probleme der Straßennutzer auf der ganzen Welt zu beseitigen. Heute erleben wir, dass die Technik- und Autobranche sich zusammentun, um Dienste zu erstellen, die das Fahrerlebnis für Milliarden verbessern werden.“

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Kartenprojekt
Einer dieser Dienste könnte die „HD Live Map“ von HERE sein, die Anfang dieses Jahres vorgestellt wurde. Sie aktualisiert sich selbstständig und erstellt ein dreidimensionales Abbild der Umgebung. „Es handelt sich um eine reine Maschinenkarte, die für das menschliche Auge nicht lesbar ist“, sagt Alex Mangan, Produktmanager bei HERE. „Sie bündelt mehr Informationen, als ein Fahrer jemals verarbeiten könnte.“

Dabei greift die HD Live Map auf eine Vielzahl von Quellen zu (HERE spricht von über 80.000) – von Straßenverkehrs- und Katasterämtern, Luftund Satellitenbildern über Sensoren am Auto bis hin zu den circa 200 Erfassungsfahrzeugen des Unternehmens selbst. Letztere scannen mittels eines Lidar-Lasergeräts die Umgebung und sammeln sämtliche Informationen, zu denen auch Einbahnstraßen, Sackgassen oder Abbiegeverbote zählen. Alle diese Informationen und Daten werden in einem Cloud-System gebündelt. Das Modell soll nach Angaben von HERE bald bis auf wenige Zentimeter genau sein, derzeit liegt die Genauigkeit bei wenigen Metern. Ziel sei es, Europa und die USA bereits bis 2018 komplett gescannt zu haben.

Doch wie funktioniert die Map auf technischer Ebene? Sie besteht an sich aus drei verschiedenen Datenschichten, die in Form eines Rasters bereitgestellt werden. Jede Kachel des Rasters bildet eine Fläche von circa zwei Quadratkilometern ab. Die Kacheln liegen im Zwischenspeicher und benötigen daher nur wenig Platz, außerdem lassen sie sich einzeln aktualisieren. Zwischen Cloud und Fahrzeug besteht ein steter Datenaustausch, sodass die wenige Kilobyte großen Datenpakete bei Aktualisierungen innerhalb von Sekunden hin- und hergeschickt werden können.

Ab Mitte 2017 ist geplant, dass die bisher beteiligten Autobauer über diese Plattform untereinander Daten über unter anderem verfügbare Parkplätze, Baustellen, gefährliche Straßen- oder Witterungsverhältnisse, Verkehrsschildinformationen sowie Geschwindigkeitsbegrenzungen in Echtzeit austauschen. Die Fahrzeuge sollen diese und weitere Informationen mittels einer frontalen Kamera erfassen und weitertransferieren. Die Informationen würden anonymisiert ausgewertet, hieß es. Zunächst wird der Dienst in Europa eingeführt, zeitnah folgt dann Nordamerika.

Die Daten zum Austausch kommen aus den Cloud-Services der einzelnen Hersteller und seien recht gut miteinander kompatibel, auch wenn es Unterschiede im Detail gebe, erklärte HERE. Für den Fahrer bestehe der Vorteil darin, dass er nichts melden oder unternehmen müsse, aber bei seinem Routing automatisch von der Vernetzung profitiere, verspricht das Unternehmen. Zum Start werden einige Hunderttausend Fahrzeuge der drei Autobauer am Datenaustausch teilnehmen, so HERE-Manager Christof Hellmis. „Damit wird der Service von Beginn an relevant sein.“ Experten gehen davon aus, dass bereits mit Daten von rund zehn Prozent der Fahrzeuge das Verkehrsgeschehen relativ gut abgebildet werden kann.

Weitere Entwicklungen
Neben HERE beschäftigen sich vor allem auch Google sowie Tom- Tom mit der Vermessung der Straßenlandschaft. So hat der niederländische Hersteller von Navigationssystemen zusammen mit dem Automobilzulieferer Bosch die deutschen Autobahnen bereits genau vermessen. Nicht ganz unbegründet erscheinen daher Reibungspunkte zwischen HERE und TomTom. Ein Sprecher von Audi wiegelt ab: „Der Kauf von Nokia HERE beeinflusst nicht die weitere Verwendung von Daten des Unternehmens TomTom. Im Volkswagen-Konzern kommen sowohl Daten von Nokia HERE als auch von TomTom zum Einsatz.“

Die Automobilhersteller selbst sind im Bereich Konnektivität und Kommunikation ebenfalls nicht untätig. So verkündete Volvo im Oktober dieses Jahres, dass seine Pkw bereits ab sofort miteinander kommunizieren und sich gegenseitig vor glatten Straßen oder Hindernissen warnen können. Zunächst ist der Service auf Schweden und Norwegen begrenzt. Dabei verwenden die Skandinavier für die Datenübermittlung, ebenfalls ein Cloudsystem. Somit ist keine direkte Verbindung zwischen den Fahrzeugen nötig. Und auch Daimler testet (in Zusammenarbeit mit Bosch), unabhängig von der Zusammenarbeit mit HERE, einen neuen Service. Dabei erkennen Fahrzeuge mittels Sensoren freie Parkplätze und übermitteln diese Information an andere Verkehrsteilnehmer (mehr dazu finden Sie auf Seite 86 f.).

Fazit
Ohne präzise 3-D-Straßenkarten wird das autonome Fahren technisch nicht funktionieren. Der Aufwand für die genaue Vermessung ist immens und wird noch einige Zeit andauern. Allein in den USA müssen beispielsweise insgesamt 6,6 Millionen Straßenkilometer kartiert werden. Neben exakten Karten ist die Vernetzung der Fahrzeuge untereinander (Car2Car) und mit der Infrastruktur (Car2X) essenziell. „Informationen zu Staus, Unfällen, Wanderbaustellen oder Tempolimits müssen dem hochautomatisiert fahrenden Fahrzeug aktuell und rechtzeitig zur Verfügung stehen. Nur dann kann es vorausschauend die beste Fahrstrategie wählen“, schreibt der Zulieferer Bosch. Das für die Olympischen Spiele 2020 ausgegebene Ziel, in Tokio autonom unterwegs zu sein, erscheint sehr ambitioniert. „Im städtischen Umfeld rechnen wir mit autonomen Autos erst im Jahr 2030. Die Städte müssen sich ändern“, erklärt BMW-Entwicklungsleiter Robert Huber. Wie viel Macht, Einfluss und Geld hinter den gewonnenen Daten und womöglich auch darauf abgestimmter Werbung stecken, lässt sich nur entfernt erahnen. Renommierte Beratungsunternehmen vermuten, dass das eigentliche Geschäft in ein paar Jahren nicht mehr mit den Autos selbst, sondern vielmehr mit den Daten aus dem Fahrzeug gemacht wird.

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