Links, zwo, drei, vier!
Angesichts des nun tatsächlich drohenden Brexit lohnt es sich durchaus darüber zu philosophieren, was sich da alles aus der Europäischen Union verabschiedet. Wirtschaftlich und kulturell wurde schon viel darüber gesagt und geschrieben, doch der wichtige Bereich des Verkehrs ist dabei weitgehend außen vor gelassen worden.

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Dabei ist doch gerade dort ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal zwischen der EU und den Brexiteuren auszumachen. Wie um Teufels (!) Willen konnte es passieren, dass sich die Fahrzeuge weltweit auf unterschiedlichen Seiten der Straße bewegen? Wer hat das überhaupt zugelassen und zu verantworten? Die Automobilhersteller fluchen über die doppelten Planungen und aufwendigen Produktionsabläufe, wollen sie beide Varianten des Verkehrs bedienen. Und die Autofahrer fluchen, sollten sie mal einen Besuch in der Anderswelt unternehmen.
Genau dieses habe ich bei einem zwölftägigen Urlaubsbesuch vergangenen Sommer mit einem Teil der Familie in Schottland gewagt und dabei 1.500 Meilen in einem gemieteten „Rechtslenker“ unfallfrei überstanden. Zu den Details der „Erfahrung“ gleich mehr.
Doch zuerst zum Grundsätzlichen von Links- und Rechtsverkehr. Es treten leider bei der Aufarbeitung der Geschichte nur nicht wirklich gesicherte „Erkenntnisse“ zutage. Darüber habe ich mich schon einmal mehr oder weniger ausführlich in meiner Kolumne in Flottenmanagement 3/2008 („Geschichten über die Geschichte“) ausgelassen. Neue wissenschaftliche Erkenntnisse zur Klärung des „Warum“ sind bis heute eigentlich nicht hinzugekommen. Eher noch weitere unbeantwortete Fragen: Wie wurde beispielsweise vor 2.000 Jahren im alten Rom gefahren? Auf historischen römischen Münzen („Denar“) wurden Reiter abgebildet, die mit den rechten Schultern aneinander vorbeiritten, was zumindest für Rom auf Linksverkehr schließen ließe. Denn in den eroberten Gebieten führten sie wohl eher Rechtsverkehr ein, damit die Entgegenkommenden die Legionäre auf der Seite mit dem Schild (linke Hand) passieren sollten. Da sie England aber wohl nicht ausgiebig und lang genug unterjocht haben, hat das dort wohl nicht geklappt. Dafür gibt es aber ehrlicherweise keine richtig belastbaren Quellen aus der Forschung.
Wenn man einmal bei den Mythen ist, so kann man sich auch fragen, warum die „Truppe“ ihren Marsch immer mit links beginnt. Es wird hier schnell der schwere Schild in der linken Hand angeführt, den das stärkere linke Bein tragen soll. Beim Reiten wurde auch mit links zuerst in den Steigbügel getreten, was beim Gehen in der Rangfolge von rechts und links übernommen worden sein soll. Sei es drum, aber wieso ist man dann schlecht drauf, wenn man mit dem linken Bein/Fuß zuerst aufgestanden ist? Und warum lässt man einen zum Zwecke der Ignoranz links liegen? Das würde doch Rechtsverkehr bedeuten …
Trotzdem hat sich die Geschichte natürlich weiterentwickelt. So hat am 7. September 2009 der kleine, erst seit 1962 unabhängige Inselstaat Samoa (um die 200.000 Einwohner auf einer Fläche doppelt so groß wie Gran Canaria), gelegen im Pazifik nordöstlich der Fidschi-Inseln, von rechts auf links umgestellt. Wütende Proteste der Bevölkerung waren vorausgegangen. Zwei Drittel der Samoaner waren mit einer Petition dagegen. Der Grund für die Umstellung: Der Präsident wollte den Kauf von billigeren „Linksverkehr“- Fahrzeugen aus Australien und Neuseeland ermöglichen, anstelle der teureren zuvor aus den USA eingeführten Rechtsfahrer. Auch die Touristen aus Australien und Neuseeland sollten sich sicherer fühlen. Dabei sollen viele Samoaner gar keinen Führerschein haben und zudem schlechte Fahrer sein. Dazu wurden zwei zusätzliche Feiertage zum „entspannten Üben“ verordnet und der Alkoholverkauf für mehrere Tage verboten. Es wurden dann von besonders Radikalen die neuen (gespiegelten) Verkehrsschilder ausgerissen und Pfeile auf den Fahrbahnen überpinselt. Ein mit mir seinerzeit häufig verwechselter Namensvetter und ehemaliger Honorarkonsul von Samoa, Werner Schreckenberg, fand darüber auch keine guten Worte („wird sich vielleicht erst in hundert Jahren bezahlt machen“). Vielleicht aber waren die Proteste nur wegen des Alkoholverkaufsverbotes so laut …

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Eine häufig gestellte Frage ist die nach dem Vergleich der Unfallhäufigkeiten. Und da zeigen sich in der Tat praktisch keine Unterschiede. Bemerkenswert ist aber, dass die jeweils in Bezug auf den herrschenden Verkehr falsch sitzenden Fahrer (heißt also links beziehungsweise rechts sitzen und fahren) in weniger schwere Unfälle verwickelt sind. Aufgrund der schlechten Sicht vor einem möglichen Überholvorgang stellt eine zurückhaltende, defensive Fahrweise jedoch keine Überraschung dar.
Faktisch wird in 59 von 221 Ländern weltweit links gefahren, der Rechtsverkehr überwiegt also deutlich. Daran wird sich wohl auch so schnell nicht mehr viel ändern. Fast alles, was mit dem britischen Empire mal etwas zu tun hatte, muss heute links fahren. Vergleichbar ist diese Weltenteilung eigentlich nur mit der Farbe für die Autobahnbeschilderung: mal blau, mal grün. Eine Verbindung zur Seite des Verkehrs gibt es nicht.
Es gibt auch eine aus heutiger Sicht recht klare, einfache und amüsante Festlegung in der „United Nations Convention on Road Traffic“ von 1949 (Genf), wo geschrieben steht: „Jeglicher Fahrzeugverkehr, der in dieselbe Richtung fährt, soll auf der gleichen Seite der Straße fahren. Diese Seite sollte im ganzen Land einheitlich sein.“ Für Kontinentaleuropa wurde nach der Konvention von Paris von 1927, die den Rechtsverkehr vorschreibt, 1967 nach lächerlichen 40 Jahren nach dem letzten bekehrten „Falschfahrer“ Schweden endlich Vollzug gemeldet.
Grau ist alle Theorie, aber wie stellt sich das mit dem Linksverkehr tatsächlich für jemanden vom Festland dar? Über die „Umgewöhnungszeiten“ gibt es (natürlich) viele Gerüchte. Der Präsident von Samoa versuchte seine Samoaner seinerzeit damit zu beschwichtigen, dass er nach einem Aufenthalt in Frankreich und der Überfahrt nach England nur zwei Minuten dafür gebraucht habe. Andere sind da realistischer und sprechen von zwei Stunden. Ich finde auch das recht optimistisch. Man lernt jedenfalls wieder, wie es ist, wenn man, ja so ist das genau gemeint, aufmerksam Auto fährt.
Hat man kein Automatikgetriebe gebucht, muss man sich erst mal mit dem feindselig links angebrachten Schaltknüppel auseinandersetzen und seine kleinen Scharmützel mit ihm austragen. Da ist beim Anfahren mal ganz AUTOR schnell der Rückwärtsgang eingelegt und es dämmert einem, was eigentlich den Unterschied zwischen Rechts- und Linkshändern ausmacht. Ja, es wird auch der mehrheitlich auftretende Rechtshänder immer wieder als Grund für den historisch gewachsenen Rechtsverkehr angeführt. Aber irgendwie kommen die Engländer doch auch damit klar.
Schaut man mal genauer hin, so erkennt man das ganze Ausmaß der linkshändigen Verschwörung: Queen Mom (†), Queen Elisabeth II., die Prinzen Charles und William, ja sogar David Cameron und Winston Churchill gehören dazu. Es kommt aber noch schlimmer: Barack Obama, Bill Clinton, Ronald Reagan, Fidel Castro und sogar Albert Einstein. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen, kann man alles einfach googeln (steht so schon offiziell im Duden!). Da fühlt man sich als Rechtshänder fast ausgeschlossen aus diesem elitären Zirkel. Dabei sollen weltweit ja nur zehn Prozent der Menschen Linkshänder sein, Gerüchten zufolge in England aber eben etwas mehr.
In Schottland sieht die Welt nicht viel anders aus, mal abgesehen davon, dass die Schotten mehrheitlich (über 62 Prozent) keinen Brexit, sondern den Scexit, also die Unabhängigkeit von England, wollen. Verkehrsmäßig tun sich da aber keine Gräben auf. Besonderes Merkmal: mehr Kreisverkehre als Ampeln! Und ich weiß jetzt auch warum: Die Kreisverkehre sind dort deutlich billiger als bei uns. Wieso? Ganz einfach: Wir müssen an all den schönen neuen (einspurigen, sonst kommt der/die Deutsche wegen fehlender „Vorbildung“ damit nicht klar) Kreisverkehren das Verkehrszeichen 205 „Vorfahrt gewähren“ aufstellen. Bei Linksverkehr kann man sich das sparen, denn auch dort gilt rechts vor links.
Doch die Kreisverkehre dort sind komplizierter, beim Einfahren muss man schon auf der richtigen Spur sein, die genau zu der Ausfahrt führt, wo man hin will. Die Richtigkeit erkennt man an der Straßennummer auf der Spur, doch die müsste man erst mal wissen, hat man doch nur das Ziel im Kopf.
Schottland ist im Übrigen Vorreiter bei der „Section Control“, bekannt aus Österreich bei Durchfahren der Tunnel. An Ein- und Ausfahrt wird das Kennzeichen gescannt und aufgrund der Zeitdifferenz die Schnittgeschwindigkeit berechnet. Damit kann dann jederzeit die Überschreitung des Tempolimits geahndet werden. Rein theoretisch kann man fahren, wie man will, nur vor der Ausfahrt muss man entsprechend langsamer werden. In Deutschland experimentieren auch Bundesländer wie Niedersachsen damit. Den Geschwindigkeitsschnitt zu senken ist nämlich ganz einfach. Die Deutsche Bahn zeigt uns das eindrucksvoll auf ihren Hochgeschwindigkeitsstrecken wie beispielsweise Köln–Frankfurt.
Die Schotten nennen das korrekterweise „Average Speed“, was aber fast flächendeckend auf den Motorways installiert ist. Es zeigt sich jedoch dort auch in eklatantem Maße, wie widersinnig Verkehr sein kann. Denn in den Städten wird ständig „Slow“ angemahnt, am Ende dann sogar eine Dankesbotschaft in Form von „Thank you for safely driving“ übermittelt. Auf der Straße zählt dann aber, wie beim Fußball auf dem Platz: Fußgänger haben auf der Straße nichts zu suchen! Der durchaus bemerkenswerte Single-Malt-Whisky-Konsum (der Export- Schlager Schottlands) mag dabei bestimmt auch eine Rolle spielen (Restalkohol?).
Man muss selber natürlich auch höllisch aufpassen. Alles ist (auch ohne Alkohol) falsch herum. Allen vorweg die Verkehrsschilder, da kommt der Stau nicht von links (Zeichen 124), sondern rechts. Und, der Klassiker, beim Überqueren der Fahrbahn muss man auch hellwach sein.
Die Irritationen entstehen aber auch an ganz unverdächtigen Stellen. Bei dem in Schottland sehr selten zu beobachtenden Phänomen des „Regens“ wird der Scheibenwischer plötzlich automatisch aktiviert. Die Schrecksekunde aber muss man sich gönnen, denn (bautechnisch bedingt) kommt auch dieser von links. Das Rückwärtseinparken nach links ist auch ein Erlebnis, zumindest bei den ersten paar Malen.
Das größte Problem aber habe ich mir für den Schluss aufgehoben. Und ich kann dieses bekannte Phänomen aus eigener Erfahrung voll bestätigen. Ich würde es mal mit „auf zu neuen Bordsteinen“ umschreiben. Der menschliche Verstand offenbart hier ein gefährliches Defizit. Man kann, rechts sitzend, den Abstand nach links nicht richtig einschätzen. Dramatische Szenen spielen sich dann ab, jeder Bordstein wird zur potenziellen Gefahr. Selbst bei großer Konzentration ist die „Linkslastigkeit“ kaum auszuschalten.
AUTOR
PROFESSOR DR. MICHAEL SCHRECKENBERG, geboren 1956 in Düsseldorf, studierte Theoretische Physik an der Universität zu Köln, an der er 1985 in Statistischer Physik promovierte. 1994 wechselte er zur Universität Duisburg-Essen, wo er 1997 die erste deutsche Professur für Physik von Transport und Verkehr erhielt. Seit mehr als 15 Jahren arbeitet er an der Modellierung, Simulation und Optimierung von Transportsystemen in großen Netzwerken, besonders im Straßenverkehr, und dem Einfluss von menschlichem Verhalten darauf.
Seine aktuellen Aktivitäten umfassen Onlineverkehrsprognosen für das Autobahnnetzwerk von Nordrhein- Westfalen, die Reaktion von Autofahrern auf Verkehrsinformationen und die Analyse von Menschenmengen bei Evakuierungen.

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