Potzblitz!

Wie aus heiterem Himmel trifft er den unbedachten Autolenker und reißt ihn förmlich aus seinem dahinsäuselnden Fahrertraum. Der plötzliche hellrote Lichtschein bewirkt zumindest eine lange Schrecksekunde, die eine nicht ungefährliche Schockstarre hinterlässt und die man daher nicht so schnell vergisst. Dabei hat man fast den Eindruck, dass dies eine Mitteilung aus dem automobilen Jenseits ist.

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Und in der Tat, zu Zeiten, als man den Namen Gottes aus Ehrfurcht nicht in den Mund nehmen und schon gar nicht in Flüchen verwenden durfte, ersannen die Menschen Ersatzausdrücke, die so ähnlich klangen. Da wurde dann von Box, Botz oder eben Potz gesprochen und mit Potzblitz war einfach ein „Gottesblitz“ gemeint. Doch ganz so göttlich kommt die schnöde Geschwindigkeitskontrolle am Wegesrand dann doch nicht daher, obwohl so mancher Innenminister sich gerne als der auf den Blitz folgende Donner sehen, oder besser: hören, würde.

Die Geschichte dieser Blitzerei ist erstaunlicherweise länger, als man gemeinhin annimmt. Denn schon am 15. Februar 1959 erblickte mit dem VRG 2 (Verkehrsradargerät) der Firma Telefunken (Gott habe sie selig!) die erste Radarfalle in Deutschland das unsichtbare Licht der Welt, und zwar auf der Strecke zwischen Düsseldorf und Ratingen. Eine Geldmaschine sondergleichen war geboren, die ihren Siegeszug bis heute unentwegt fortgesetzt hat.

Sogenannte Superblitzer bescheren Städten und Kommunen häufig einen wahren Geldregen (oder besser: Geldsegen?). Ja, es müssen nicht selten neue Mitarbeiter zur Abarbeitung der Bußgeldbescheide eingestellt werden. Und in den jeweiligen Haushalten sind die Einnahmen für das nächste Jahr schon fest eingeplant. Es ist fast wie mit dem Rauchen. Würde dies keiner mehr machen, wäre das finanztechnisch (natürlich auf die Steuern bezogen) eine Katastrophe. Und würde keiner mehr zu schnell fahren (die Autonomen lassen grüßen!), würden viele jetzt schon klamme Haushalte noch ärmer dastehen.

Besonders beliebt sind die Blitzer an den Autobahnen. So hat beispielsweise die Stadt Hagen an der Lennetalbrücke (A 45) sechs Millionen Euro (anstatt einer einzigen eingeplanten Million!) eingenommen. Für Nordrhein-Westfalen wird mit insgesamt mehr als 300 Millionen Euro pro Jahr gerechnet. Die nach wie vor steigende Tendenz ist nicht zuletzt der Tatsache geschuldet, dass der NRW-Innenminister Ralf Jäger das Reglement zum Aufstellen von Blitzeranlagen deutlich gelockert hat. Es sind jetzt nicht mehr nur Unfallschwerpunkte im Fokus, sondern einfach einnahmeträchtige Standorte irgendwo.

Überhaupt ist das Blitzen als Sport in Mode gekommen. So verkauft Minister Jäger seine Raserjagd als „Blitz(er)marathon“, teilweise sogar über Landesund Bundesgrenzen hinweg. Die ursprünglich als Versuchsballon gestartete Aktion verkaufte sich so gut, dass daraus ein Exportschlager wurde. Doch irgendwann dämmerte es den Beteiligten, dass der enorme Personalaufwand bei einer in den Medien umfangreich angekündigten Aktion vielleicht doch besser anderweitig eingesetzt werden könnte. Die Euphorie ist daher ein wenig, oder besser: deutlich, verflogen.

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Das Geschäft boomt aber trotzdem kräftig weiter. Neben den Städten und Kommunen sind die Anbieter der Messtechnik automatisch die fast eigentlichen Nutznießer. Die früher gerne als „Starenkästen“ bezeichneten Anlagen (mit den charakteristischen kreisrunden Öffnungen, die nie ein Vogel „besucht“ hat) werden heutzutage zunehmend geleast. Ganz vorne in dem Geschäft präsentiert sich dabei Marktführer Jenoptik, ein Unternehmen, das in diesem Sektor weltweit tätig ist und gerade erst einen Großauftrag für Verkehrssicherheit in Australien eingefahren hat (hoffentlich nicht zu schnell!). Wie häufig im Verkehrssektor (Beispiel: ÖPP-Vertrag für den Betrieb der A 1 zwischen Hamburg und Bremen) unterliegen die Vereinbarungen höchster Sicherheitsstufe, im Klartext: Geheimhaltungsstufe. Jenoptik kassiert pro geblitztem Fahrzeug kräftig mit (so zwei bis zehn Euro), egal ob die Geschwindigkeit zu hoch war oder nicht. Das nennt sich dann griffig „TSP-Leasing“ (Traffic Service Provision).

Diese Undurchsichtigkeit im Geschäft mit der Geschwindigkeitserfassung ruft sogar den Protest der Gewerkschaft der Polizei auf den Plan. Das Gespenst der Abzocke taucht ganz unvermittelt auf, und das wird dann auch zunehmend Thema von Gerichten. Denn hoheitliche Aufgaben wie das Erheben von Bußgeldern dürfen von Privatfirmen natürlich nicht übernommen werden.

Die Technik hat auf beiden Seiten im Laufe der Jahre deutliche Fortschritte gemacht. Der Klassiker ist einfach ein ausgesendetes elektromagnetisches Wellensignal, das vom Fahrzeug reflektiert wird. Der Fahrer bemerkt davon eigentlich nichts, der Sender aber bekommt die Reflexion zur Auswertung. Und die Geschwindigkeit lässt sich dann anhand der „Stauchung“ der Wellen messen. Dieser physikalische „Dopplereffekt“ ist eindrucksvoll bei Autorennen im akustischen Bereich zu hören. Die Wellen dort sind durch die Verdichtungen der Luft gekennzeichnet. Nähert sich ein Fahrzeug, hört man einen fast gleichbleibenden hohen Ton, passiert das Fahrzeug aber den Beobachter, sinkt die Höhe des Tones deutlich ab, da die Welle gedehnt wird.

Diese Technik befindet sich aber auf dem Rückzug, zu viele mögliche Fehlerquellen durch falsche Aufstellung oder Reflexionen an beispielsweise Verkehrsschildern sind möglich. Modernere Geräte sind die senkrecht zur Fahrtrichtung aufgestellten „Einseitensensoren“. Diese messen über den zeitlichen Versatz des Durchfahrens des Sensorsignals an räumlich aufeinander folgenden Sensoraugen die Geschwindigkeit, unter paralleler Messung des Abstandes, was die Möglichkeit der gleichzeitigen Überwachung mehrerer Spuren erlaubt.

Sehr unbeliebt bei den Autofahrern ist auch die handliche Variante der Laserpistole. Diese Lidar-Technik („Light Detection and Ranging“) muss allerdings von speziell geschulten Polizeibeamten durchgeführt werden, sonst drohen auch hier folgenschwere Fehlmessungen. Die Perfektion dieser Erfassung findet in den sogenannten Lasersäulen statt. Diese verfolgen Fahrzeuge in einem Umkreis von 75 Metern über drei Spuren, um am Ende ein gutes (und vor allem verwertbares) Foto vom zu schnellen Fahrer zu machen. AUTOR Gemeiner sind darüber hinaus noch die „Provida“-Fahrzeuge der Polizei (steht für „Proof Video Data“), vertrieben durch die Firma Petards aus dem englischen Gateshead. Diese fahren einfach nur hinter einem her und können neben der Geschwindigkeit noch ganz andere böse Dinge erfassen, wie beispielsweise ständiges Linksfahren oder das Bedrängen des Vordermannes mit geringem Abstand.

Diese rein lokalen Kontrollen kann man bei entsprechender Information natürlich durch gezieltes Abbremsen außer Kraft setzen. Der Markt der „Radarwarner“ boomt förmlich, die Gerichte versuchen, dies einzudämmen. Dieser Kampf ist jedoch aussichtslos, die Gemeinde der Vernetzten ist den Kontrolleuren immer einen Schritt voraus. So bleibt es, wie gerade geschehen, bei Zufallsfunden, wenn bei Kontrollen der Radarwarner auf dem Smartphone-Display (leider noch auf dem Armaturenbrett) sichtbar ist.

In der Schweiz wird das warnende Gerät ersatzlos eingezogen und am Ende vielleicht auch noch vernichtet. Die Sitten sind diesbezüglich im Ausland, teilweise zumindest, eben ein wenig (oder deutlich?) rauer. Die Tipps zur Vermeidung von Zahlungen sind vielfältig. Die Erfahrungen zeigen, dass die Behörden in vielen Fällen einfach überfordert sind. Die Fotos beim Blitzen stimmen schon beim Geschlecht häufig nicht überein. Angeblich wird dann über Facebook oder in der Nachbarschaft mit Fotos recherchiert, das bleibt aber den Verschwörungstheoretikern vorbehalten. Die eigene Erfahrung zeigt jedoch, dass die vermeldeten lediglich 50 Prozent Erfolgsquote bei der Ahndung durchaus realistisch sind.

Aber die Aufrüstung findet weiter statt. Unsichtbare Blitzer, also ohne diesen roten Flash, verbreiten immer mehr Ungemach bei den Betroffenen. Wie leider bei uns üblich, kommt die Technik mit einem Anglizismus daher: „Robot Black Flash“. Eigentlich ist das ja schlecht, da ich in dem Moment der Überschreitung keinerlei Information darüber mitgeteilt bekomme. Wochen später weiß man dann ja auch nicht mehr so genau, wo man da wie schnell unterwegs war. Der Rheinufertunnel in Düsseldorf ist ein prominentes Beispiel für die Installation von geheimen Tempoblitzern. Wieder ist Jenoptik geheimnisvoll im Geschäft. Sensoren in der Fahrbahn übermitteln bei Überfahren die gemessene Geschwindigkeit und die Kamera ist gerne für ein Foto bereit.

Es geht aber noch deutlich unsichtbarer. Und da ist Österreich offenbar Vorreiter. Die „Section-Control“ der ASFINAG ist dort in Tunnelbereichen seit vielen Jahren etabliert und soll auch in Deutschland Fuß fassen. In Niedersachsen läuft gerade eine Testphase an, bei der dann nicht die momentane Geschwindigkeit, sondern der Schnitt über eine gewisse Strecke ermittelt und dann gegebenenfalls geahndet wird. „Kluge Raser“ fahren dann bis vor die zweite Kontrolle und legen einfach eine kurze „Langsamfahrphase“ ein. Es ist nicht anzunehmen, dass den Installateuren der Anlagen diese einfache Arithmetik präsent ist, zumal Navigationssysteme das ganz schnell auf dem Schirm haben. In Frankreich hatte man diese Vorgehensweise schon mal bei der Maut auf den Autobahnen geplant, heute allerdings verständlicherweise Historie.

Die Blitzer, wie auch immer geartet, sind gerne ein Thema von Gerichten. Dabei spielen die genauen Umstände nicht mal eine so große Rolle. An der A 3 bei Mettmann ist eine mobile „Messstation“ juristisch deutlich in Verruf geraten. Zu geringe Ausbildung der ausführenden Mitarbeiter und überhaupt die Komplexität des Geräts scheinen zu einem schwer zu überbrückbaren Hindernis zu werden. Die Betroffenen haben gute Aussicht, ungeschoren davonzukommen. Da wird einfach häufig schnell und unüberlegt gehandelt, eben auch angesichts der tollen Meldungen über enorme Einnahmen andernorts.

Die Situation verschärft sich durch die Meldungen über den schlechten Straßenzustand insbesondere der Brücken. Lkw dürfen nur noch eingeschränkt fahren, wenn überhaupt langsam und mit großem Abstand (50 Meter). Die „Piezo-Technik“ ermöglicht zudem eine Gewichtskontrolle, so funktionierte sogar mal der Plattenspieler! Auf der A 1 bei Leverkusen sollen die Lkw nun aussortiert werden. Das Ergebnis für den Verkehrsfluss steht aus …

Zu welch skurrilen Aktionen die Fotos auf der Straße angesichts zu hoher Geschwindigkeit führen können, zeigt eine kürzlich verbreitete Meldung in den Medien. Mit 193 km/h anstatt 100 sind vier männliche Touristen aus den Vereinigten Arabischen Emiraten in der sicheren Erwartung eines niemals geahndeten Vergehens fotografisch am Irschenberg abgelichtet worden. Das festgehaltene, absichtlich in den Blitzer gehaltene „Victory-Zeichen“ ließ ihre fast kindliche Unbedarftheit erahnen. Leider (aus ihrer Sicht) gaben sie den Mietwagen bei der schon eingeleiteten Anwesenheit der Polizei zurück und mit 1.263,50 Euro hat das Foto einen richtig schönen Wert erhalten. Ein Selfie wäre allemal billiger gewesen!

 

AUTOR

PROFESSOR DR. MICHAEL SCHRECKENBERG, geboren 1956 in Düsseldorf, studierte Theoretische Physik an der Universität zu Köln, an der er 1985 in Statistischer Physik promovierte. 1994 wechselte er zur Universität Duisburg-Essen, wo er 1997 die erste deutsche Professur für Physik von Transport und Verkehr erhielt. Seit mehr als 15 Jahren arbeitet er an der Modellierung, Simulation und Optimierung von Transportsystemen in großen Netzwerken, besonders im Straßenverkehr, und dem Einfluss von menschlichem Verhalten darauf.

Seine aktuellen Aktivitäten umfassen Onlineverkehrsprognosen für das Autobahnnetzwerk von Nordrhein- Westfalen, die Reaktion von Autofahrern auf Verkehrsinformationen und die Analyse von Menschenmengen bei Evakuierungen.

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