Der beste Freund des Menschen

So mancher liebgewonnene Gegenstand wird von seinem Besitzer vermenschlicht. In Deutschland sind besonders Fahrzeuge davon betroffen. Es ist beispielsweise gar nicht so selten, dass Pkw Kosenamen bekommen. Oft bauen Autobesitzer eine regelrechte Beziehung zu ihren Fahrzeugen auf. Wenn das Automobil jetzt auch noch automatisiert fahren kann und im Zuge dessen mit künstlicher Intelligenz gesegnet sein wird, hat der Hund als bester Freund des Menschen eigentlich ausgedient, oder etwa nicht?

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Mehr als ein Trendthema?
Das automatisierte Fahren ist derzeit eines der spannendsten Themen in der Automobilbranche, und dies nicht nur in technischer Hinsicht. Es ist die Erwartungshaltung gegenüber einer anstehenden neuen technischen Revolution, einer Veränderung der Mobilität, wie sie bislang nur in Science- Fiction-Filmen denkbar gewesen ist, die Gesellschaft und Politik weit über die Automobilindustrie hinaus für dieses Thema begeistert. Daher widmete sich das Forum für Sicherheit und Mobilität des Deutschen Verkehrssicherheitsrates (DVR) im Juni auch dem Thema automatisiertes Fahren und Ethik. Dieses Thema „trifft einen Nerv in der Gesellschaft“, wie Dr. Walter Eichendorf, Präsident des Deutschen Verkehrssicherheitsrates, in seiner Einleitungsrede zum Forum feststellt. Wie zur Bestätigung dieser Aussage nahmen erstmalig mehr als 220 Teilnehmer an dem 22. DVR-Forum in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften teil.

In den Podiumsdiskussionen und den Vorträgen wurden technische Lösungen an ethische Fragen geknüpft. Begriffe wie moralische Fahrzeuge oder Roboterethik klingen irgendwie falsch, weil sie scheinbar widersprüchlich sind. Dabei sind sie wichtige Begriffe im Diskurs um die Weiterentwicklung automatisierter Fahrzeuge. Anders als in der rein technischen Debatte geht es nicht um die Frage, welche Entscheidungen wir den Maschinen technisch überlassen können. Vielmehr geht es darum, welche Entscheidungen wir den Maschinen überlassen wollen. Im Kern behandelt das Thema Fahrzeugethik also das Verhältnis zwischen Mensch und Maschine. Daher ging es auch auf dem 22. DVR-Forum darum, einen moralischen Rahmen für das technisch Machbare zu finden. Diese Gedanken sind nicht ausschließlich im Zusammenhang mit dem automatisierten Fahren aufgekommen, sondern wurden bereits vielfach in Romanen und Science-Fiction-Filmen bearbeitet. Oft jedoch mit einem negativen Ausgang für die Menschheit, da sie sich vom Machbarkeitsgedanken getrieben den Folgen ihres Handelns nicht bewusst war (siehe zum Beispiel die Terminator-Reihe).

Was soll das automatisierte Fahrzeug können?
„Die große Herausforderung ist es, die Leistung, die ein durchschnittlicher Autofahrer während der Fahrt erbringt, auch einen Computer erbringen zu lassen“, erläutert Jürgen Bönninger, Geschäftsführer FSD-Zentrale Stelle nach StVG, gleich zu Anfang der Veranstaltung im Leibnitz-Saal der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Diese Äußerung wurde im Verlauf der Veranstaltung des Öfteren zitiert. Dies mag etwas verwundern, denn bislang wurde immer der Mensch als Fehlerquelle für Unfälle im Straßenverkehr identifiziert. Dass er nun als Messlatte für die Programmierung eines Computers herhalten soll, der selbstständig durch den Straßenverkehr lenkt, kann daher mit Recht Verwunderung auslösen. Gleichwohl ist an dieser Aussage etwas dran. Denn obwohl sich der Mensch in Sachen Geschwindigkeit, Präzision und Ausdauer im Kampf mit der Maschine geschlagen geben muss, so hat er ihr dennoch eines voraus: Intelligenz. Der Mensch kann durch abstraktes Denken Probleme lösen und zweckmäßig handeln. Zudem passt er viel schneller seine Strategien an. Dadurch ist das Unfallvermeidungspotenzial höher, als man vielleicht denken könnte. Das automatisierte Fahrzeug braucht demnach Künstliche Intelligenz (KI).

Dass diese bislang ihre Tücken hat, bewies nicht zuletzt der Technologieriese Microsoft. Anfang des Jahres starteten die Amerikaner einen automatisierten Twitteraccount mit dem Namen Tay. Dahinter steckt ein sogenanntes neuronales Netzwerk, das von den menschlichen Gesprächspartnern lernen sollte. Nach nur 24 Stunden musste Microsoft das Benutzerkonto deaktivieren. Denn Tay wurde zu einem Nazi, der den Drogenkonsum glorifiziert und frauenfeindliche Sprüche twitterte. Die Art und Weise der menschlichen Kommunikation in den sozialen Netzwerken hat den Computer schlicht überfordert. Die Programmierer müssen, wie sich an diesem Beispiel zeigt, den Maschinen ein Verständnis von richtig und falsch beibringen. Dies ist auch bei Fahrzeugen der Fall.

Nun sollte man meinen, dass die klaren Verkehrsregeln in Deutschland die Entscheidung für richtig und falsch erleichtern. Doch würde jeder Autofahrer immer zu 100 Prozent nach den Regeln fahren, würde vermutlich ein Verkehrschaos ausbrechen, da vieles im Straßenverkehr auf zwischenmenschlicher Kommunikation beruht. Zudem werden in der Fahrzeugethik häufig Grenzfälle diskutiert. Das ist der Punkt, an dem Maschinen über Menschenleben entscheiden müssen. Wenn das automatisierte Fahrzeug den Unfall also nicht mehr vermeiden, sondern nur noch die Schadenhöhe regulieren kann. Aus ethischer und rechtlicher Sicht ist dies ein hochspannendes Feld. Denn zunächst einmal haben alle Menschen das gleiche Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit. Dieses Recht ist nicht quantifizierbar, das heißt, alle Entscheidungen, die Menschenleben gegeneinander abwägen, sind gegen unsere Verfassung. Die Entwickler müssen aber in den Quellcode eine Entscheidung hineinschreiben. Denn die Entscheidungsgewalt über das Fahrzeug einfach wieder an den Fahrer abzugeben, ginge auf Grundlage der Reaktionszeit nicht.

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Die Teilnehmer des DVR-Forums diskutierten eine Reihe von Lösungsansätzen für dieses Dilemma. So kam man immer wieder zum Schluss, dass es am sinnvollsten erscheint, das Fahrzeug den Weg des geringsten Schadens einschlagen zu lassen. Doch auch diese Lösung ist nicht perfekt. Denn Autohersteller müssten die Fahrzeuge so programmieren, dass die Schadenhöhe möglichst niedrig bliebe, und dies unabhängig von Wohlergehen des Fahrers. Dabei ist Fahrzeugsicherheit primär auf den Insassenschutz ausgerichtet. Zudem würden bestimmte Verkehrsteilnehmer systematisch benachteiligt werden.

Dies wirft die Frage auf, wer die Fahrzeuge überhaupt programmieren sollte. Denn irgendjemand muss dies tun und festlegen, wie sich das Fahrzeug in bestimmten Situationen verhält. Prof. Dr. Volker Lüdemann von der Hochschule Osnabrück bezieht dazu in der Podiumsdiskussion klar Stellung: „Aus meiner Sicht kann das gar nicht die Aufgabe der Industrie bleiben. Es müssen nationale Entscheidungen getroffen werden. Die Gesellschaft sollte hier die Vorgaben für das selbstfahrende Auto geben.“

Dies wird umso deutlicher, wenn man bedenkt, dass sich die Branche auch durch neue internationale Geschäftsmodelle verändern wird. Es treten neue Unternehmen, wie Google und Apple, in diesem Markt auf und erhöhen den Innovationsdruck auf die klassischen Autohersteller. So gehört der Internetkonzern Google, gemessen an seinen Patentanmeldungen, zu den fünf größten Unternehmen im Bereich automatisiertes Fahren und liegt damit noch vor vielen namhaften Automobilherstellern. Der Entwicklungsprozess wird dadurch deutlich beschleunigt. Womöglich ist dieser Prozess sehr viel schneller, als sich die Gesetzgebung dazu positionieren kann. Es ist zu befürchten, dass Ähnliches geschieht wie bei der aufkommenden Internetkriminalität. Auch hier ist das Rechtssystem nicht auf Themen wie Providerhaftung ausreichend vorbereitet.

Es stehen Fragen zum automatisierten Fahren bislang ungelöst im Raum. Wer haftet zum Beispiel für einen Unfall, wenn es keinen Fahrer mehr gibt? Der Hersteller oder der Halter des Fahrzeugs? Wie kann ein Fahrzeug auf einen international einheitlichen moralischen Standard programmiert werden, ohne gegen nationales Recht zu verstoßen? Gibt es rechtliche Werkzeuge, um Hackerangriffe gegen Fahrzeuge zu verfolgen

Wie verändert sich die Mobilität?
Trotz aller Bedenken sollten die Entwicklungen des automatisierten Fahrzeugs grundsätzlich positiv angesehen werden. So äußerte sich Prof Dr. Eric Hilgendorf von der Universität Würzburg mit einem einfachen Grundsatz: „Technik soll dem Menschen dienen, nicht umgekehrt. Solange dieser Grundsatz gewahrt wird, ist technische Innovation positiv zu bewerten.“ Der Nutzen für den Menschen ist in der Tat enorm. Schon jetzt helfen automatisierte Assistenten bei der Unfallvermeidung. Der Sicherheitsgewinn dürfte in Zukunft weiter steigen. Die Zahl der schlimmen Unfälle wird deutlich sinken. Gerade Letzteres ist für Kirsten Lühmann, Abgeordnete der SPD, in der politischen Podiumsdiskussion am Ende des 22. DVR-Forums Argument genug, um die Forschung im Bereich des automatisierten Fahrens politisch zu unterstützen. 3.000 Verkehrstote pro Jahr seien deutlich zu viel.

Doch gibt es weitere gesellschaftliche Vorteile des automatisierten Fahrens neben der Reduzierung von Unfällen? Definitiv! Da wäre beispielsweise der Mobilitätsgewinn für behinderte und ältere Menschen. Gerade vor dem Hintergrund der zunehmenden Überalterung unserer Gesellschaft wäre dies ein starkes Argument. Darüber hinaus ergeben sich zum Beispiel im Waren- und Gütertransport mithilfe von automatisierten Lkw neue Perspektiven. So könnte sich der „Fahrer“ stärker um Verwaltungsaufgaben kümmern.

Einige Teilnehmer des DVR-Forums äußerten den Gedanken, dass sich die Mobilität als solche im Zuge der Automatisierung von Fahrzeugen verändern wird. Durch Unternehmen wie Apple, Google oder Microsoft und das zunehmend geringer werdende Interesse am Statussymbol Auto in der Gesellschaft könnten beispielsweise die unterschiedlichen Fahrzeugtypen unwichtiger werden. Wie würde sich beispielsweise ein automatisierter Porsche von einem automatisierten Kleinwagen unterscheiden? Zudem ist das Interesse am Fahrzeug geringer, wenn der Fahrer gar nicht selbst fährt. Das Autofahren könnte so zur reinen Dienstleistung werden, wie beispielsweise Prof. Dr. Lüdemann vermutet. Damit wäre allerdings der eingangs geschilderten Beziehung zwischen dem Menschen und seinem Fahrzeug widersprochen. Das Fahrzeug als reines Transportmittel kann sich gerade in Deutschland wohl noch niemand so recht vorstellen.

Die Diskussionsrunden auf dem 22. DVR-Forum zeigten, dass es derzeit mehr Fragen als Antworten zum Thema des automatisierten Fahrens gibt und bei jeder Antwort mindestens zwei neue Problemstellungen auftauchen. Doch egal wie sich das automatisierte Fahren entwickelt, den Fortschritt wird man nicht aufhalten können, nur beeinflussen sollte man ihn schon.

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