Reifen – quo vadis?

Ende des 19. Jahrhunderts war der luftgefüllte Reifen eine der bahnbrechendsten Erfindungen. So dient er noch bis heute (meist) treu den Automobilen und sämtlichen anderen Gefährten. Doch könnte dies bald überholt sein. Denn Forscher arbeiten an neuen Reifenarten, wie den sogenannten nicht pneumatischen oder als luftlos bezeichneten Reifen. Doch nicht nur daran wird derzeit getüftelt ...

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Die wichtigste Frage im Zusammenhang mit den luftlosen Reifen lautet: Wie kann so etwas funktionieren? Einige Reifenhersteller wie Hankook haben in den letzten Jahren bereits nicht pneumatische Reifen als Prototypen im Rahmen von Messen vorgestellt. Im Falle von Hankook besteht der „iFlex“ aus hochelastischem Polyurethan-Kunststoff und wird im Verbund mit der Felge gefertigt. Dabei sollen organisch miteinander verbundene Speichen das Gewicht tragen beziehungsweise den Druck so verteilen, dass der Reifen unter Belastung komprimiert wird und sich gleichzeitig nach oben ausdehnt, erklärt der koreanische Hersteller. Durch diese stoßdämpfende Funktion – bei herkömmlichem Gummi Aufgabe des Luftpolsters – verbraucht der iFlex durch den verringerten Rollwiderstand während des Abrollens sowie durch das geringere Gewicht weniger Energie und somit letztlich auch weniger Sprit. Daneben hat der Reifen die Vorteile, sich nicht zu verformen und nicht platzen oder platt werden zu können, Pannen stellen also eine Seltenheit dar.

Hankook Europa-Sprecher Felix Kinzer hat schon sehr konkret das Einsatzgebiet im Kopf: „Im ersten Schritt sehen wir das Konzept für ultraleichte zweisitzige Fahrzeuge mit einem Gewicht von circa 410 Kilogramm und einer Höchstgeschwindigkeit von 60 km/h.“ Man wolle iFlex aber so weiterentwickeln, dass er irgendwann an einem Pkw eingesetzt werden könne. Allerdings ist es noch nicht absehbar, wann die luftlosen Reifen ihre Serienreife erfahren. Doch die Werte stimmen optimistisch. Denn die vor einigen Jahren vorgestellten ersten Modelle vertrugen lediglich 6 km/h und rund 100 Kilogramm. Und bei Mountainbikes sind luftlose Reifen mittlerweile nicht mehr unüblich.

Weitere Konzepte
Neben den Plänen für luftlose Reifen gibt es in der Branche aber auch weitere Visionen. Der koreanische Hersteller Kumho Tyre versucht derweil einen Pneu zu entwickeln, der sich flexibel den Fahrbahnverhältnissen anpasst. Beim Prototyp „Maxplo“ gewährleisten dies dreidimensionale Längsrillen. Dabei gibt es bei dem Ganzjahresreifen drei Modi, die bei Regen, auf Schnee und bei hohem Tempo die bestmögliche Haftung garantieren sollen.

Eine weitere Möglichkeit stellt die aktive Veränderung der Profilauflage dar. Dies zeigen beispielsweise die von Hankook und Kumho vorgestellten Konzeptreifen „eMembrane-Design“ und „Spinus“. Im „Öko“-Modus wird dafür die Profilmitte angehoben, sodass nur eine geringe Aufstandsfläche mit einem entsprechend geringen Rollwiderstand Kontakt zum Asphalt behält. Dagegen wird die Kontaktfläche bei Vollbremsungen oder in Kurven erhöht.

Darüber hinaus hat Kumho mit dem „Road-beat“ einen Konzeptreifen entwickelt, bei dem kleinste Löcher in der Lauffläche Alpha-Wellen im Frequenzbereich von 8 bis 13 Hertz erzeugen. Dies soll sich entspannend auf den menschlichen Organismus auswirken. Außerdem dienen in der Lauffläche eingebaute LED-Leuchten einer besseren Sichtbarkeit des Autos. Praktisch: Der Reifen liefert durch die kinetische Energie die dafür benötigte Power selbst.

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Auch in andere Richtungen wird geforscht. So präsentierte Bridgestone Anfang dieses Jahres den „Driveguard“-Reifen. Er ist nach Angaben der Japaner der erste Runflat-Reifen, der für alle Fahrzeuge freigegeben ist und nicht nur für diejenigen, die auch in der Erstausrüstung mit solchen ausgestattet sind. Mit den Notlaufreifen ist eine eingeschränkte Weiterfahrt (80 Kilometer bei maximal 80 km/h gemäß Hersteller) bei einer Reifenpanne möglich, da sie über verstärkte und selbsttragende Seitenwände verfügen. Voraussetzung für den Driveguard ist ein Reifendruckkontrollsystem (RDKS). Bridgestone verspricht ein „vergleichbares Komfortniveau gegenüber Standardreifen“.

Zudem hält das autonome Fahren inzwischen auch in der Reifenbranche Einzug. Im März dieses Jahres stellte Goodyear auf dem Automobilsalon in Genf einen Reifen für die Mobilität der Zukunft vor. Das Konzept „Eagle360“ hat die Form einer Kugel und soll für selbstfahrende Fahrzeuge im 3-D-Druckverfahren hergestellt werden. Sensoren im Innern des Reifens erfassen die aktuellen Witterungsbedingungen und die Fahrbahnbeschaffenheit, die sie an das Fahrzeug sowie an andere Autos weiterleiten können.

Für die Verbindung von Reifen und Fahrzeug setzt das Unternehmen auf die Magnetschwebetechnik. Dabei ist der Reifen durch Magnetfelder vom Fahrzeug getrennt, Komfort und Geräuschentwicklung sollen sich so verbessern beziehungsweise reduzieren. Mehr zum Eagle360 finden Sie in unserem Interview mit David Anckaert, Direktor Entwicklung bei Goodyear in Deutschland, auf Seite 78.

Neue Rohstoffe
Die Hersteller achten zunehmend darauf, Reifen mit hohen Anteilen an nachwachsenden Rohstoffen herzustellen. Dabei werden neben künstlichen Rohstoffen wie Synthetik-Kautschuk, industriell erzeugtem Ruß und verschiedenen Zuschlagsstoffen vor allem Naturkautschuk und Rapsöl verwendet.

Das soll mehrere Vorteile bringen: Zum einen polieren die Unternehmen damit ihr grünes Image auf, zum anderen kann so eine Menge Geld gespart werden. Denn Autoreifen werden zurzeit überwiegend noch aus Erdöl gefertigt, das bekanntlich endlich ist und dementsprechend zunehmend teurer wird (auch wenn man aktuell noch einen Preisverfall erlebt).

Allerdings ist der Naturkautschuk aufgrund von langen Transportwegen gerade für europäische Hersteller ebenfalls relativ kostenintensiv. Hier wird momentan nach einer Alternative gesucht. Eine Lösung könnte dabei der russische Löwenzahn sein. Wissenschaftler fanden heraus, dass aus dem Milchsaft seiner Wurzel Naturkautschuk gewonnen werden kann. Derzeit arbeitet Continental an der Entwicklung solcher Reifen.

Neue Fahreigenschaften
Bis man den Goodyear Eagle360 auf den Straßen finden wird, dauert es wohl noch etwas. Die Manövrierfähigkeit von Autorädern könnte jedoch schon durch die Erfindung des kanadischen Tüftlers William Liddiard steigen. Denn er hat Pneus entwickelt, die auch seitlich fahren können. Liddiard nennt sie „omni-direktional“ und stellte sie im März dieses Jahres erstmals vor. Die Reifen sind wie ein Donut abgerundet und besitzen spezielle Felgen, die die seitliche Bewegung möglich machen, berichtet die „National Post“.

Gänzlich neu ist diese Idee nicht. Denn solche Räder sind bereits an Robotern, Gabelstaplern oder in der Fördertechnik im Einsatz. Dabei besteht die Lauffläche des Rades aus Rollen, die sich im rechten Winkel zur eigentlichen Drehachse des Rades bewegen.

Liddiard hält seine Räder für straßentauglich. Nach seinen Angaben funktionieren sie unabhängig vom jeweiligen Auto, das heißt, sie können an jeden Wagentyp wie ein regulärer Reifen angebracht werden. Gegenüber dem Magazin „Inverse“ sagt er, dass er einfach ein Bedürfnis der Leute, solche Räder zu erwerben, gesehen habe. „Und ich wusste, ich kann da etwas Einfaches bauen“, berichtet der Fernfahrer. Derzeit sucht er eine große Reifenfirma für eine Zusammenarbeit.

Ausblick
Bis zur Serienreife der oben erwähnten Prototypen und Konzeptreifen wird wohl noch einige Zeit vergehen. Manche Hersteller haben beispielsweise die Forschung an luftlosen Reifen inzwischen schon wieder aufgegeben. Vielmehr liegt der heutige Hauptfokus bei der Reifenentwicklung auf der Verwendung von nachhaltigen Rohstoffen und der Reduzierung des Gewichts. Hierbei machen die Ingenieure in letzter Zeit große Fortschritte. Bis jetzt sind diese entwickelten Pneus aber noch verhältnismäßig teuer. Die Idee von William Liddiard wird vermutlich am ehesten umgesetzt werden können, sollte die Nachfrage stimmen. Allgemein darf man auf die neuen Entwicklungen gespannt sein, könnten sie das Autofahren doch ein gutes Stück weit revolutionieren.

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