Bußgeldbescheide aus dem EU-Ausland: DAS SOLLTEN SIE WISSEN

Bußgeldbescheide aus dem europäischen Ausland sind längst Realität im Fuhrpark – aber wie soll man damit umgehen? Die grenzüberschreitende Vollstreckung von Geldbußen aus der Europäischen Union (EU) ist bereits seit Oktober 2010 auch in Deutschland möglich. Das Fuhrparkmanagement kommt also nicht umhin, sich mit diesem Thema vertraut zu machen.

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Bußgeldbescheide aus dem EU-Ausland: DAS SOLLTEN SIE WISSEN

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Gegenseitige Anerkennung von Geldstrafen und Geldbußen in der EU
Der europäische Rahmenbeschluss über den Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung von Geldstrafen und Geldbußen wurde in Deutschland bereits umgesetzt. Durch das EuGeldG wurden Regeln zur grenzüberschreitenden Vollstreckung von Geldstrafen und Geldbußen in der Europäischen Union in das Gesetz über die Internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG) aufgenommen. Damit sind sowohl behördliche als auch gerichtliche Entscheidungen anderer EU-Mitgliedsstaaten über die Verhängung von Geldbußen und Geldstrafen einschließlich der Verfahrenskosten grundsätzlich anzuerkennen und in Deutschland vollstreckbar. Bis auf Italien und Griechenland haben alle übrigen der 28 EU-Mitgliedsstaaten den EU-Rahmenbeschluss zur Geldsanktionenvollstreckung in eigenes nationales Recht umgesetzt, insbesondere sämtliche an Deutschland direkt angrenzende EU-Nachbarländer. In der Praxis haben bislang vor allem Österreich und die Niederlande bei behördlichen Bußgeldern hiervon Gebrauch gemacht. Keine Geltung hat dies aber für Nicht-EU-Länder wie Liechtenstein, Norwegen oder die Schweiz.

Bußgeldbewehrter Verstoß mit Dienstwagen im Ausland – es gilt Landesrecht
Wer mit dem Dienstwagen geschäftlich oder privat im europäischen Ausland unterwegs ist, muss die dort geltenden Straßenverkehrsregeln beachten. Auch wenn innerhalb der EU bereits viele Regeln im Bereich des Straßenverkehrs harmonisiert worden sind, existiert bislang weder ein einheitlicher europäischer Bußgeldkatalog noch ein europäisches Ordnungswidrigkeitengesetz. Die materielle Beurteilung bußgeldbewehrter Verstöße richtet sich daher jeweils nach Landesrecht. Mit Umsetzung des EU-Rahmenbeschlusses sinkt jedoch die Chance des Betroffenen, sich innerhalb der EU einer Geldbuße zu entziehen.

Vollstreckungsverfahren für ausländische Geldsanktionen in Deutschland
Nach § 87 Abs. 2 IRG können von Gerichten oder von Verwaltungsbehörden anderer EU-Staaten rechtskräftig verhängte Geldsanktionen, also Geldstrafen und Geldbußen, die über der Bagatellgrenze von 70 Euro liegen, auch in Deutschland vollstreckt werden. Dabei umfasst die Geldsanktion nach § 83 Abs. 3 IRG neben der Verpflichtung zur Zahlung eines Geldbetrags wegen einer strafbaren Handlung oder einer Ordnungswidrigkeit (= Geldbußen und Geldstrafen) auch die auferlegten Verfahrenskosten. Die Bagatellgrenze kann beispielsweise überschritten werden, wenn neben einer ausländischen Geldbuße von 50 Euro auch die Verfahrenskosten in Höhe von 21 Euro auferlegt werden, sodass die Summe von Geldbuße und Verfahrenskosten mehr als 70 Euro beträgt.

Für die Prüfung und Durchführung der Vollstreckung ist nach den §§ 86 ff. IRG das Bundesamt für Justiz (BfJ) in Bonn die zentral zuständige Behörde. Aber noch längst nicht jedes Vollstreckungsersuchen aus dem EU-Ausland wird hierzulande auch durch das BfJ ausgeführt und vollstreckt, zumal dies auch für die ausländische Stelle mit einem nicht unerheblichen Aufwand verbunden ist. Grundvoraussetzung ist nämlich, dass das Original oder eine beglaubigte Abschrift der zu vollstreckenden Entscheidung vorgelegt wird – zusammen mit einer Übersetzung der wesentlichen Kernaussagen ins Deutsche, denn hierzulande ist die Amtssprache Deutsch. Bei behördlichen Entscheidungen gilt zudem die Einschränkung, dass sie vor einem auch für Strafsachen zuständigen Gericht angefochten werden können. Adressat der ausländischen Geldsanktion können sowohl natürliche Personen als auch juristische Personen wie etwa Betriebe sein – beispielsweise das als Halter in den Fahrzeugpapieren eingetragene Unternehmen.

Das BfJ muss die Vollstreckung nach den Vorgaben des § 87b IRG insbesondere dann ablehnen, wenn
• die verhängte Geldsanktion die Bagatellgrenze von 70 Euro nicht erreicht,

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Ausgabe 6/2015

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• die zugrunde liegende Entscheidung im schriftlichen Verfahren ohne Belehrung des Betroffenen über Anfechtungsmöglichkeiten und -fristen ergangen ist,

• bei in Abwesenheit des Betroffenen ergangenen gerichtlichen Entscheidungen (sogenannte Abwesenheitsurteile) keine Möglichkeit bestand, sich mündlich im Termin zur Sache zu äußern,

• der Betroffene wegen derselben Tat auch im Inland verfolgt wird und bereits eine verfahrensabschließende Entscheidung ergangen ist (Verbot der Doppelbestrafung),

• für die Entscheidung auch die deutsche Gerichtsbarkeit begründet ist und die Vollstreckung nach deutschem Recht verjährt ist,

• der Betroffene im ausländischen Verfahren keine Gelegenheit hatte, gegen die ausländische Entscheidung einzuwenden, dass er für die zugrunde liegende Handlung nicht verantwortlich ist und dies gegenüber der Bewilligungsbehörde – also beim BfJ – geltend macht.

Liegen die Voraussetzungen für eine Bewilligung der Vollstreckung in Deutschland vor, führt das BfJ vor einer Bewilligungsentscheidung die Anhörung des Betroffenen durch. Es besteht also noch die Möglichkeit, binnen zwei Wochen nach Zugang des Anhörungsschreibens Stellung zu nehmen. Wenn dann der Betroffene (oder sein Rechtsbeistand) im EU-Ausland vor Verhängung der Sanktion nicht die Möglichkeit erhalten hat, im ausländischen Verfahren zum Vorwurf mündlich oder schriftlich Stellung zu nehmen, führt diese Verletzung des rechtlichen Gehörs dazu, dass die Vollstreckung der Geldsanktion in Deutschland ausscheidet. Dies muss aber für das BfJ als Vollstreckungsbehörde erkennbar sein, weshalb die Verletzung des rechtlichen Gehörs im ausländischen Verfahren spätestens im Rahmen der Anhörung beim BfJ vorzutragen ist. Wenn sonst keine weiteren Einwände mehr bestehen, wird das BfJ alsdann die Bewilligungsentscheidung erlassen und die Vollstreckung durchführen.

Umgehungsversuche ausländischer Bußgeldstellen?
Mitunter versuchen ausländische Behörden, Geldsanktionen – meist unterhalb der Bagatellgrenze von 70 Euro – mittels Bußgeldbescheiden in der Landessprache direkt beim Betroffenen geltend zu machen und unter Berufung auf eine sonst drohende Vollstreckung „nach geltendem EU-Recht“ abzukassieren. Solche Versuche sind unzulässig, denn eine Vollstreckung durch die ausländische Stelle selbst ist – ohne Beteiligung des BfJ – gesetzlich gar nicht vorgesehen. Gleiches kann auch in Fällen vorkommen, in denen die zulässige Vollstreckung – aus welchem Grund auch immer – in Deutschland nicht durchgeführt wird.

Da in den meisten Fällen auch Sprachbarrieren (beispielsweise bei Bußgeldschreiben in ungarischer Sprache) bestehen dürften, ist es zwar eine pragmatische Lösung, derartige Schreiben zu ignorieren und Bußgelder nicht auszugleichen. In den meisten Fällen wird es ohnehin an der Möglichkeit fehlen, die Berechtigung des Bußgeldvorwurfs zu überprüfen. Dennoch ist die „Ablage P“ keine Lösung. Hier sollte beachtet werden, dass die nach dem jeweiligen Landesrecht erlassenen Sanktionen durch rechtskräftige Bußgeldbescheide und Gerichtsentscheidungen im EU-Ausland – am „Tatort“ – nach wie vor Bestand haben und dort weiterhin vollstreckbar sind. So kann es bereits bei der Wiedereinreise in das betreffende Land oder im Rahmen einer Verkehrskontrolle nach der Wiedereinreise zu Problemen durch Vollstreckungsmaßnahmen kommen. Zudem gelten je nach Land völlig unterschiedliche Verjährungsfristen (beispielsweise Spanien: drei Jahre, Italien: fünf Jahre), die von den – nicht anwendbaren – deutschen Verjährungsfristen abweichen können.

Keine Vollstreckung von Auslandsgeldbußen durch Inkassobüros Gelegentlich machen auch deutsche oder ausländische Inkassobüros
Bußgeldforderungen aus dem EU-Ausland unmittelbar in Deutschland geltend und drohen insoweit unter Bezugnahme auf EU-Regeln zur Geldsanktionenvollstreckung die Vollstreckung an. Hier ist zu beachten, dass das Vollstreckungsverfahren in Deutschland ein rein behördliches Verfahren ist. Für Inkassobüros sieht der EU-Rahmenbeschluss keine eigenen Vollstreckungsmöglichkeiten vor. Dennoch kommt es vor, dass Inkassobüros versuchen, ihren Zahlungsaufforderungen unter Hinweis auf (für sie gesetzlich nicht gegebene) Vollstreckungsmöglichkeiten nach EU-Recht Nachdruck zu verleihen.

Halterhaftung, Führerscheinmaßnahmen und Punkte in Flensburg
Auch in Fällen der reinen Kfz-Halterhaftung muss das BfA ein ausländisches Vollstreckungsersuchen zurückzuweisen. Denn bei der Halterhaftung erfolgt die Inanspruchnahme, ohne dass es auf ein eigenes Verschulden ankommt. Dies gilt erst recht für die Haftung als Kfz-Halter, bei der eine Sanktion verhängt wird, selbst wenn im Einzelfall gar nicht erwiesen ist, dass der Halter den Verkehrsverstoß auch selbst begangen hat. In derartigen Fällen sollte man im Rahmen der Anhörung durch das BfJ darauf hinweisen, dass wegen der Halterhaftung ein Verfahrenshindernis vorliegt.

Das BfJ ist auch nur für die Vollstreckung der Geldsanktionen zuständig. Andere Sanktionen wie Führerscheinmaßnahmen ausländischer Behörden gelten grundsätzlich nur im jeweiligen Tatortland. Im Übrigen besteht immer wieder die Besorgnis, dass es für Verkehrsverstöße im Ausland auch Punkte im Flensburger Fahreignungsregister gibt. Zurzeit besteht noch kein europäisches Verkehrszentralregister, aus dem Punkte für ausländische Verkehrsverstöße nach Deutschland übertragen werden könnten. Daher gibt es auch künftig nur für Verkehrsverstöße innerhalb Deutschlands Punkte in Flensburg.

Rechtsmittel gegen Vollstreckung aus dem EU-Ausland
Grundsätzlich richten sich Rechtsmittel gegen ausländische Geldsanktionen nach den Verfahrensregeln des jeweiligen Landes. Aber auch das IRG sieht gegen die Bewilligung der Vollstreckung durch das BfJ eigenständige Rechtsbehelfe vor: So können Betroffene gegen den Bewilligungsbescheid innerhalb einer Frist von zwei Wochen Einspruch einlegen. Weist das BfJ den Einspruch nicht ab, wird – wie im deutschen Bußgeldverfahren auch – das Verfahren an das für den Wohnsitz der betroffenen Person beziehungsweise bei Unternehmen an das für den Firmensitz zuständige Amtsgericht abgegeben.

Bei form- und fristgerechter Einlegung des Einspruchs überprüft das Amtsgericht die Bewilligungsentscheidung, allerdings nur hinsichtlich der Bewilligungsfähigkeit des ausländischen Vollstreckungsersuchens nach IRG. Hingegen wird nicht überprüft, ob die zu vollstreckende ausländische Sanktion nach dem jeweiligen Landesrecht zu Recht ergangen ist. Auch die Höhe der ausländischen Geldsanktion wird nicht überprüft, selbst wenn sie deutlich „teurer“ ausfällt als nach deutschem Recht. Ausnahmen mit Anpassung an das innerstaatliche Höchstmaß für Geldsanktionen gibt es allenfalls bei grenzüberschreitenden Sachverhalten (wie Umweltverstößen). Wird ein zulässiger Einspruch als unbegründet zurückgewiesen, besteht die Möglichkeit der Rechtsbeschwerde beim Oberlandesgericht. Diese wird allerdings nur zugelassen, wenn die Überprüfung zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geboten ist oder wenn die amtsgerichtliche Entscheidung wegen Versagung rechtlichen Gehörs aufzuheben wäre. Spätestens im Rechtsbeschwerdeverfahren ist anwaltliche Hilfe vonnöten.

Rechtsanwalt Lutz D. Fischer, St. Augustin
Kontakt: kanzlei@fischer.legal
Internet: www.fischer.legal

 

 

RECHTSPRECHUNG

EU-FAHRERLAUBNIS
Vorlagepflicht der EU-Fahrerlaubnis zur Eintragung eines Ungültigkeitsvermerks

Die Verpflichtung zur Vorlage des tschechischen Führerscheins zur Eintragung eines inländischen Ungültigkeitsvermerks ergibt sich aus § 3 Abs. 2 Satz 3 StVG, § 47 Abs. 2 Sätze 1 und 2 FeV.

Gemäß § 3 Abs. 2 Satz 2 StVG erlischt im Fall der Entziehung bei einer ausländischen Fahrerlaubnis das Recht zum Führen von Kraftfahrzeugen im Inland. Gemäß § 3 Abs. 2 Satz 3 StVG ist nach der Entziehung der Führerschein bei der Fahrerlaubnisbehörde abzuliefern oder ihr zur Eintragung der Entscheidung vorzulegen. Nach § 47 Abs. 2 Satz 1 FeV sind nach der Entziehung oder der Feststellung der fehlenden Fahrberechtigung (im Inland) oder bei Beschränkungen oder Auflagen ausländische oder im Ausland ausgestellte internationale Führerscheine unverzüglich der entscheidenden Behörde vorzulegen, auch dann, wenn die Entscheidung angefochten wurde, die zuständige Behörde jedoch die sofortige Vollziehung angeordnet hat. Nach einer Entziehung oder der Feststellung der fehlenden Fahrberechtigung wird gemäß § 47 Abs. 2 Satz 2 FeV auf dem Führerschein vermerkt, dass von der Fahrerlaubnis im Inland kein Gebrauch gemacht werden darf.

§ 47 Abs. 2 FeV gilt nach seinem nicht beschränkten Wortlaut auch für den Fall, dass – wie hier – die Fahrerlaubnisbehörde den feststellenden Verwaltungsakt über die fehlende Fahrberechtigung nicht gesondert erlassen hat. Vielmehr kann der feststellende Verwaltungsakt auch durch Anbringung eines Ungültigkeitsvermerks für das Inland auf dem ausländischen Führerschein erlassen werden. Der Betroffene ist nicht berechtigt, von seiner (tschechischen) EU-Fahrerlaubnis auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland Gebrauch zu machen. VG Würzburg, Urteil vom 01.07.2015, Az. W 6 K 14.1078

Fahren ohne Fahrerlaubnis bei Erwerb ausländischer Fahrerlaubnis innerhalb Sperrfrist
Eine im Ausland erworbene Fahrerlaubnis berechtigt nicht zum Führen eines Kraftfahrzeugs, wenn aufgrund einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung im Inland keine neue Fahrerlaubnis hätte erteilt werden dürfen. Nach dem Ausschlussgrund des § 28 Abs. 4 S. 1 Nr. 4 FeV gilt die grundsätzliche Berechtigung von Inhabern einer EU- oder EWR-Fahrerlaubnis nicht, wenn aufgrund einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung keine Fahrerlaubnis erteilt werden darf. Eine während der Sperrfrist erteilte Fahrerlaubnis muss auch nach Ablauf der Sperre nicht anerkannt werden. Die Strafbarkeit wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis setzt dabei voraus, dass die Entziehung der Fahrerlaubnis zum Tatzeitpunkt im Verkehrszentralregister (Fahrerlaubnisregister) eingetragen war. OLG Braunschweig, Beschluss vom 27.05.2015, Az. 1 Ss 24/15

EU-Fahrerlaubnis – Anerkennung spanischer Fahrerlaubnis nach Entziehung im Inland
Das Recht des Inhabers einer EU-Fahrerlaubnis der Klassen A und B, von dieser Erlaubnis im Inland Gebrauch zu machen, dem dieses Recht im Einklang mit Art. 11 Abs. 4 UA 2 der Richtlinie 2006/126/EG entzogen wurde, lebt nicht bereits dann wieder auf, wenn der Ausstellerstaat den Führerschein nach Maßgabe des Art. 7 Abs. 3 UA 1 der Richtlinie bei Ablauf der Gültigkeitsdauer „erneuert“ hat.

Allerdings ist in der Rechtsprechung – soweit ersichtlich – bislang nicht beziehungsweise nicht abschließend geklärt, ob die in Art. 2 Abs. 1 RL 2006/126/EG geregelte Pflicht zur Anerkennung der „von den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine“ eine unbedingte Pflicht zur Anerkennung auch dann auslösen kann, wenn eine im Inland entzogene Fahrerlaubnis nach Ablauf einer gegebenenfalls verhängten Sperrfrist in einem anderen Mitgliedsstaat zwar nicht neu ausgestellt, aber im Sinne des Art. 11 Abs. 1 RL 2006/126/ EG „umgetauscht“ oder – wie hier – im Sinne des Art. 7 Abs. 3 RL 2006/126/EG „erneuert“ wurde. Nach Auffassung der Kammer ist dies jedoch im Hinblick auf die „Erneuerung“ einer Fahrerlaubnis zu verneinen.

Dies gilt unabhängig davon, ob der Ausstellerstaat – wie hier wohl das Königreich Spanien – von der durch Art. 7 Abs. 3 UA 2 der Richtlinie RL 2006/126/EG eröffneten Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, die Erneuerung von Führerscheinen der entsprechenden Klassen von einer Prüfung der Mindestanforderungen an die körperliche und geistige Tauglichkeit gemäß Anhang III der Richtlinie abhängig zu machen. Denn auch in diesen Fällen findet keine vollständige Überprüfung der in Art. 7 Abs. 1 RL 2006/126/EG i.V.m. den Anhängen II und III der Richtlinie geregelten Mindestvoraussetzungen für die „Ausstellung“ eines Führerscheins statt, sodass eine Pflicht zur (Wieder-) Anerkennung ohne nationale Sachprüfung ohnehin nur in Fällen in Betracht käme, in denen die der „Erneuerung“ vorausgehende Entziehung der Fahrerlaubnis nicht auf Defiziten des Erlaubnisinhabers im Hinblick auf die von Art. 7 Abs. 1 i.V.m. Anhang II der Richtlinie geforderten Kenntnisse, Fähigkeiten und Verhaltensweisen beruhte. VG Karlsruhe, Urteil vom 16.07.2015, Az. 3 K 2337/14

Entziehung der deutschen Fahrerlaubnis bei Umtausch des Führerscheins
Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr, die im Fahreignungs-/Verkehrszentralregister auch nach der Wiedererteilung einer Fahrerlaubnis eingetragen bleiben, sind bei der Anordnung verkehrsrechtlicher Maßnahmen der Fahrerlaubnisbehörde grundsätzlich verwertbar.

Der Umtausch des deutschen Führerscheins gegen einen bulgarischen Führerschein steht der Entziehung der deutschen Fahrerlaubnis nicht entgegen.

Das BVerwG (Urteil vom 27.9.2012–3 C 34/11) hat zunächst offengelassen, ob eine deutsche Fahrerlaubnis nach deren Umtausch in die Fahrerlaubnis eines anderen EU-Staates weiter bestehen bleibt. Es hat aber darauf hingewiesen, dass der Verordnungsgeber diese Frage in § 30a FeV mittlerweile dahingehend geregelt hat, dass die Fahrerlaubnis unverändert bestehen bleibt, wenn ein aufgrund einer deutschen Fahrerlaubnis ausgestellter Führerschein gegen denjenigen eines Mitgliedsstaates der Europäischen Union oder eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum umgetauscht wird. So liegen die Dinge hier. Der Fahrerlaubnisinhaber hat ausweislich des von ihm vorgelegten bulgarischen Führerscheins den deutschen Führerschein vom 18.08.2008 lediglich umgetauscht, was die Spalte 12 des bulgarischen Führerscheins belegt. Dort sind die Nummer der 2008 erteilten deutschen Fahrerlaubnis mit dem Endkürzel „DEU“ sowie der Code „70“ eingetragen. Dies zeigt, dass gerade keine Neuerteilung, sondern lediglich ein Umtausch im Rechtssinne erfolgt ist. Im Falle des Umtauschs bleibt aber die deutsche Fahrerlaubnis unverändert bestehen und kann daher auch entzogen werden.

Zur Vermeidung von rechtlichen Missverständnissen weist die Kammer darauf hin, dass der Betroffene bei fortbestehender Vollziehbarkeit der Fahrerlaubnisentziehung weder von seiner deutschen Fahrerlaubnis noch von seinem bulgarischen Führerschein im Bereich der Bundesrepublik Deutschland Gebrauch machen darf. VG Neustadt (Weinstraße), Urteil vom 09.09.2015, Az. 1 K 165/15. NW

ARBEITSRECHT
„Bezahlte“ Raucherpausen während der Arbeitszeit keine betriebliche Übung
Hat der Arbeitgeber während sogenannter Raucherpausen, für die die Arbeitnehmer ihren Arbeitsplatz jederzeit verlassen durften, das Entgelt weitergezahlt, ohne die genaue Häufigkeit und Dauer der jeweiligen Pausen zu kennen, können die Arbeitnehmer nicht darauf vertrauen, dass der Arbeitgeber diese Praxis weiterführt. Ein Anspruch aus betrieblicher Übung entsteht nicht.

Bis zum Inkrafttreten der ‚Betriebsvereinbarung Rauchen’ wurden die Raucherpausen nicht erfasst. Die Mitarbeiter mussten sich bis dahin nicht im Zeiterfassungssystem ein- beziehungsweise ausstempeln. Den Mitarbeitern war daher bekannt, dass der Arbeitgeber keinen genauen Überblick über Häufigkeit und Dauer der von den einzelnen Mitarbeitern genommenen Raucherpausen hatte und daher Einwendungen gegen Dauer und Häufigkeit nur schwer erheben beziehungsweise bei einem Lohneinbehalt kaum würde nachweisen können. Hat der Arbeitgeber von einer betrieblichen Handhabung aber keine ausreichende Kenntnis und ist dies den Arbeitnehmern erkennbar, fehlt es schon an einem hinreichend bestimmten Angebot einer Leistung durch den Arbeitgeber. Der Mitarbeiter konnte daher gerade nicht davon ausgehen, der Arbeitgeber werde ihm seine Raucherpausen „wie bisher“ weiterhin unter Fortzahlung der Vergütung gestatten. Auch angesichts des Umfangs der Raucherpausen von 60 bis 80 Minuten täglich konnte kein Mitarbeiter darauf vertrauen, dass hierfür weiterhin Entgelt geleistet wird.

Die Bezahlung der Raucherpausen steht jedoch in keinem Zusammenhang mit der Arbeitsleistung. Im Gegenteil: Nach Auffassung des Mitarbeiters soll die Nichtarbeit bezahlt werden. Ohne sonstige gesetzliche, tarifliche oder vertragliche Rechtsgrundlage (etwa im Falle der Krankheit oder des Urlaubs) bedarf es aber ganz besonderer Anhaltspunkte, dass die Arbeitnehmer darauf vertrauen dürfen, vom Arbeitgeber ohne jede Gegenleistung bezahlt zu werden. Dies gilt erst recht, wenn – wie vorliegend – die Arbeitnehmer selbst über Häufigkeit und Dauer der Pausen bestimmen dürfen, soweit betriebliche Belange nicht entgegenstehen. Selbst die gesetzlich vorgeschriebenen Pausen sind ohne sonstige Rechtsgrundlage unbezahlte Pausen.

Solche besonderen Anhaltspunkte liegen nicht vor. Vielmehr hat der Arbeitgeber die Leistungen eingestellt, als er über das Zeiterfassungssystem vom Ausmaß der Raucherpausen sichere Kenntnis erhalten hat. LAG Nürnberg, Urteil vom 05.08.2015, Az. 2 Sa 132/15

Außerordentliche Kündigung bei Handgreiflichkeit auf Betriebsparkplatz
Eine Handgreiflichkeit eines Arbeitnehmers auf dem Betriebsparkplatz gegenüber einer Arbeitskollegin, die zugleich seine Lebensgefährtin ist, kann einen an sich geeigneten Grund zur außerordentlichen Kündigung gemäß § 626 Abs. 1 BGB darstellen. Im Rahmen der erforderlichen Interessenabwägung im Einzelfall unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ist zu prüfen, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers zumindest bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist zuzumuten war und sich damit der Ausspruch einer ordentlichen Kündigung als milderes Mittel erweist (hier bejaht). Hierbei kann zugunsten des Gekündigten zu berücksichtigen sein, dass die Auswirkungen der Tätlichkeit geringfügig waren. LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 14.07.2015, Az. 6 Sa 22/15

Darlegungslast bei Überstundenvergütung eines Kraftfahrers
Behauptet ein Kraftfahrer die Ableistung von Überstunden, indem er für jeden Tag eine vom Arbeitgeber zugewiesene Tour benennt und auch konkret vorträgt, wann jeweils die Tour begann und wann sie endete, wobei diese Zeiten unstreitig der Fahrerkarte entnommen sind, er zudem mit nachvollziehbaren Gründen darstellt, dass Pausen nicht möglich waren, so muss nun der Arbeitgeber im Rahmen der abgestuften Darlegungs- und Beweislast unter Auswertung der pflichtgemäß nach § 21a Abs. 7 Satz 1 ArbZG aufgezeichneten Daten hierauf substantiiert erwidern und konkret darlegen, an welchen Tagen der Arbeitnehmer aus welchen Gründen in geringerem Umfang als behauptet gearbeitet haben muss. In vorgenannter Konstellation ist es nicht ausreichend, wenn der Arbeitgeber pauschal behauptet, dass die vom Arbeitnehmer benannten Zeiten nicht stimmen könnten. Nicht ausreichend ist es ebenfalls, wenn der Arbeitgeber sodann ohne nachvollziehbare Begründung schlicht Zeiten ins Blaue benennt, die aus seiner Sicht anzuerkennen seien. Selbiges gilt, wenn die vom Arbeitgeber sodann behaupteten Zeiten das Ergebnis einer behaupteten und inhaltlich nicht offengelegten Durchschnittsbetrachtung seien und er meint, dass Zeiten über dem Durchschnitt nicht anzuerkennen seien. Eine Durchschnittsbetrachtung ist schon deshalb ungeeignet, weil sich ein Durchschnitt mathematisch dadurch ergibt, dass eine Vielzahl von durchgeführten Fahrten oder aber Arbeitnehmern zwangsläufig langsamer als der Durchschnitt sind. LAG Mecklenburg- Vorpommern, Urteil vom 12.03.2015, Az. 5 Sa 192/14

VERKEHRSZIVILRECHT
Verkehrssicherungspflicht bei Kollision eines Pkw mit herrenlosem Einkaufswagen
Ein Supermarktbetreiber muss dafür Vorsorge treffen, dass die Einkaufswagen nach Geschäftsschluss sicher abgestellt werden. Dies gilt zum einen im Hinblick auf Schutzmaßnahmen gegen die unbefugte Benutzung durch Dritte, zum anderen aber auch mit Blick auf die Verhinderung eines Wegrollens dieser Einkaufswagen im Sinne einer Verselbstständigung. Dies gilt vorliegend umso mehr, wenn der Gehsteig vor dem Ladengeschäft, an den der Abstellplatz für die Einkaufswagen angrenzt, zur Fahrbahn hin ein Gefälle aufweist.

Nach ständiger Rechtsprechung ist derjenige, der eine Gefahrenlage – gleich welcher Art – schafft, grundsätzlich verpflichtet, die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um eine Schädigung anderer möglichst zu verhindern. Es genügt, diejenigen Sicherheitsvorkehrungen zu treffen, die ein verständiger, umsichtiger, vorsichtiger und gewissenhafter Angehöriger der betroffenen Verkehrskreise für ausreichend halten darf, um andere Personen vor Schäden zu bewahren, und die ihm den Umständen nach zuzumuten sind. Die von dem Supermarktbetreiber ergriffenen Sicherungsmaßnahmen genügen diesen Anforderungen nicht. Die auf dem Abstellplatz in drei nebeneinander gelegenen Reihen befindlichen Einkaufswagen wurden nach Ladenschluss von einer Mitarbeiterin mittels einer durch die Einkaufswagen geführten Kette gesichert, die um einen am Kopfende des Abstellplatzes vorhandenen Metallpfosten geschlungen wurde. Eine Sicherung der Kette mittels eines Vorhängeschlosses unterblieb. Diese Art der Sicherung war unzureichend.

Um eine zweckwidrige Nutzung der Einkaufswagen möglichst auszuschließen, genügt es nicht, durch Vorlegen einer Kette den Anschein zu erwecken, die Entnahme eines Einkaufswagens sei nicht möglich. Dies insbesondere dann, wenn durch die Lage der Kette vor den Einkaufswagen im Bodenbereich der bezweckte Anschein einer Sicherung schnell widerlegt ist. Die Sicherung der Einkaufswagen durch eine abschließbare Kette ist geeignet, diese zweckwidrige Benutzung zu verhindern und erfordert keinen spürbaren wirtschaftlichen Aufwand. Daraus folgt, dass dem Supermarktbetreiber die Beachtung der gebotenen Sicherungsmaßnahmen auch subjektiv möglich und zumutbar war, sodass die Verkehrssicherungspflicht schuldhaft verletzt worden ist. OLG Hamm, Urteil vom 18.08.2015, Az. I-9 U 169/14, 9 U 169/14

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