Da fehlt doch was ...
Auf den ersten Blick fällt es womöglich gar nicht auf. Beim zweiten Hinsehen wirkt es dann doch noch etwas befremdlich: das Auto ohne Außenspiegel. Doch bereits in wenigen Jahren könnten Kameras die Spiegel am und im Fahrzeug gänzlich ersetzt haben. So will beispielsweise Continental ab 2018 Modelle mit seinem Kamera-Monitor-System ausstatten. Flottenmanagement bringt Sie auf den aktuellen Stand ...

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Kameras unterstützen den Autofahrer schon seit einigen Jahren und halten immer stärker Einzug in die unterschiedlichsten Fahrzeugklassen. Besonders das Parken und Rangieren ist dadurch deutlich komfortabler geworden. So können Lackschäden, Kratzer und ähnliche Missgeschicke vermieden werden. Die Spiegel eines herkömmlichen Autos vollständig durch Kameras zu ersetzen, wäre allerdings ein Novum. Zwar steht diese Idee bereits länger im Raum, umgesetzt wurde sie jedoch nur bei Konzeptfahrzeugen. Bis jetzt. Denn der internationale Automobilzulieferer Continental hat erstmals in einem Versuchsträger ein Kamera-Monitor-System demonstriert, das die Außen- und Innenspiegel eines Pkw ersetzt. Dabei sind drei Kameras aus dem Produktportfolio von Continental verbaut, die technisch Surround-View-Kameras entsprechen, aber über einen anderen Öffnungswinkel verfügen. Anstelle der bisherigen Rückspiegel zeigen dem Fahrer dabei zwei Monitore mit organischen Leuchtdioden (OLED) in den jeweils gewohnten Blickrichtungen das Geschehen im rückwärtigen und seitlichen Fahrzeugumfeld.
Vorteile des Systems
„Bei diesem Kamera-Monitor-System existiert kein toter Winkel mehr. Außerdem lassen sich unerwünschte optische Phänomene wie Blendung und schwaches Licht in ihrer Wirkung kompensieren“, erklärt Alfred Eckert, Leiter Zukunftsentwicklung der Continental Division Chassis & Safety. „Durch den Wegfall der bisherigen Außenspiegel erzielen wir einen weiteren Vorteil, da sich der Luftwiderstand des Fahrzeugs verringert. Mit dem niedrigen cw-Wert (Luftwiderstandsbeiwert) sinkt der Kraftstoffverbrauch und die Strömungsgeräusche bei höheren Geschwindigkeiten gehen zurück.“ Auch nicht unbedeutend: In Baustellenabschnitten kann die verringerte Fahrzeugbreite dazu führen, dass der Fahrer die linke Spur ebenfalls benutzen darf.
Da die Verkehrssituation – anders als beim Spiegel – indirekt über eine Kamera dargestellt wird, spielen störende äußere Einflüsse wie beispielsweise eine Blendung durch eine tief stehende Sonne oder Fahrzeuge mit Fernlicht kaum noch eine Rolle. Um die Lichtverhältnisse stets optimal auf den Monitoren darstellen zu können, sind die Kameras mit einer High-Dynamic-Range-Funktion (HDR) ausgestattet, die etwa eine grelle Sonne auf eine weiße Fläche ohne Überstrahlung reduziert oder aber bei Dämmerung die Sicht verbessert. Die beschichteten Linsen der seitlichen Kameras sind unempfindlicher als herkömmliche Spiegel. Sie weisen eine geringere Fläche auf, die verschmutzt werden kann. Das verbessert die rückwärtige Sicht auch bei schlechtem Wetter. Für die Heckkamera befindet sich eine Reinigungsfunktion für die Optik in der Entwicklung.
Lückenfreie Sicht ohne Verrenkungen
Die Adaption der Seitenkameras an das Chassis wurde mit kleinen pyramidenförmigen Gehäusen im Fensterdreieck realisiert. Die dritte Kamera ist in den Spiegelfuß der GPS-Antenne auf dem Dach integriert. Aus den drei Kamerabildern setzt die Bildverarbeitung für jeden Monitor ein entsprechendes Bild zusammen. Zusätzlich zu den gewohnten Spiegeldarstellungen lassen sich für den Fahrer mit normalem Blick nicht erkennbare Bereiche erfassen. Dies vergrößert den Sichtbereich. Über verschiedene Bildmodi kann beispielsweise seitlich und rückwärtig am eigenen Fahrzeug vorbeigeschaut werden. Bei geeigneter Ausrichtung kann dieses „Stitching“ (Zusammenfügen der Bilder) sogar jede Lücke im Sichtfeld schließen, vor allem den unfallträchtigen toten Winkel konventioneller Spiegel.
Vielfältige künftige Nutzungsmöglichkeiten für digitale Spiegel
„Über den reinen Spiegelersatz hinaus lässt sich mit dem Kamera-Monitor- System zusätzlicher Nutzen für den Fahrer schaffen“, erläutert Marc Simon, Projektleiter Mirror Replacement in der Zukunftsentwicklung der Division Chassis & Safety. Im Gegensatz zum konventionellen Spiegel ermöglichen die digitalen Spiegel eine Verbesserung der Verkehrswahrnehmung durch eine spezielle Objekterkennung und -klassifikation als Basis für Fahrerassistenzfunktionen. Beispielsweise bei Dämmerung und hoher Geschwindigkeit werden auf dem Monitor kritische Fahrzeuge, Geschwindigkeiten und Entfernungen angezeigt, sodass der Fahrer vereinfacht Entscheidungen über Fahrmanöver treffen kann.

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Ab 2018 im Einsatz?
Mit den vorgestellten digitalen Spiegeln setzt Continental die Anforderungen der konventionellen Spiegelklassen I und III um, geht aber über diese primäre Basisfunktionalität hinaus. „Anstelle der mechanischen Spiegel setzen wir auf eine fahrerorientierte ganzheitliche Mensch-Maschine-Schnittstelle, die nicht nur bessere Sichtbedingungen schafft, sondern die Möglichkeit zu situativen Hinweisen auf den Monitoren eröffnet“, so Dr. Otmar Schreiner, Leiter Research & Development, Interior Electronics Solutions der Continental Division Interior. Erste Feldversuche und eine Continental-eigene Studie zeigen, dass digitale Spiegel gegenüber der konventionellen Variante bevorzugt werden. Wenn die Zulassung solcher Kamera-Monitor-Systeme wie geplant noch 2016 in der international vereinbarten technischen Vorschrift UNECE R46 (United Nations Economic Commission for Europe Regulation 46) formuliert wird, steht einem Einsatz im Fahrzeug ab 2018 nichts mehr im Weg.
Fazit
An die neue Optik der Fahrzeuge wird man sich gewöhnen (müssen), denn in den nächsten Jahren werden Kameras mit großer Wahrscheinlichkeit Spiegel in und an den Autos ersetzen. Neben Continental ist auch von Audi und Nissan bekannt, dass an Kamerasystemen als Spiegelersatz gearbeitet wird. Wesentliche Vorteile gegenüber den konventionellen Spiegeln liegen in der besseren Rundumsicht und der Blendfreiheit. Dies bedeutet ein Plus an Sicherheit. Hinzu kommen Vorteile des geringeren Luftwiderstands und damit sinkenden Spritverbrauchs. Doch bei aller Begeisterung für die neue Technik stellt sich auch die Frage nach der Zuverlässigkeit solcher Systeme. Denn wie reagiert man im Falle eines technischen Defekts? Ohne die Seiten- und Hecksicht ist ein sicheres Fahren deutlich eingeschränkt. Eine Reparatur kann aufgrund der komplexen verbauten Technik teuer werden. Hier gilt es für die Automobilindustrie, die Zuverlässigkeit, Betriebssicherheit und Wartungsfreundlichkeit solcher Systeme im Auge zu behalten.

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