Schrott und Korn

Irgendwann kommt im Leben eines jeden Kraftfahrzeugs der Moment des endgültigen Abschieds. Nicht der Besitzerwechsel ist gemeint, auch er bedeutet normalerweise die Trennung für immer, nein, es ist der Weg auf die fahrzeugtechnische Schlachtbank, dorthin, von wo es kein Entkommen mehr gibt. Diese letzte Fahrt ins automobile Nirwana wird nicht selten begleitet von Abschiedsängsten und Tränenflüssen, auch wenn das Nachfolgemobil schon pferdestark mit den Hufen scharrt.

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Zu eng ist in vielen Fällen die Bindung über die Jahre geworden, technische Krankheiten wurden mit Sorge begleitet. Wie oft fiel der aufgeregte Blick auf die diagnostizierenden Worte des Automechanikers: Ist da noch was zu machen und wenn ja, was kostet es? Gerne wird dann auch in aussichtslose Projekte, oder besser Objekte, investiert, nur um den finalen Abtransport hinauszuzögern.

Eine andere Strategie der Fürsorge, die sämtliche Statistiken durcheinanderwirbelt, ist die „vorzeitige“ Abmeldung und das Einmotten in Garagen, wo Fahrzeuge gelegentlich auch einfach vergessen werden. Verstirbt der Eigentümer, weiß keiner mehr so genau, dass das Gefährt überhaupt (noch) existiert, und wenn ja, wo. Und dabei handelt es sich häufig um viele, viele Jahre, bis der Fall wieder auf den Tisch, sorry, die Straße kommt.

Ein besonders krasser Fall dieser Art ereignete sich im September letzten Jahres, als in Erichon in Westfrankreich ein vergessener sagenhafter Schatz von 59 wertvollsten intakten Oldtimern, darunter ein Ferrari 250 GT SWB California Spyder, einst im Besitz von Alain Delon, gehoben wurde. Seit mehr als 40 Jahren schlummerten dort Wirklichkeit gewordene Träume aus Metall, Skulpturen gleich, in einer Scheune teilweise unter Zeitschriften vor sich hin, ohne entdeckt zu werden. Der einstige Besitzer namens Roger Baillon, vor mehr als zehn Jahren verstorben, wollte ein Museum mit den Schätzen eröffnen. Doch sein Transportunternehmen lief schlecht und er musste einen Teil der bis in die siebziger Jahre erworbenen Objekte wieder verkaufen. Sein Sohn erbte alles und ließ es einfach stehen und liegen. Erst als auch er letztes Jahr verstarb, wollten die Erben mal genauer nachsehen, was da so herumsteht. Nun freuen sie sich über viele Millionen, die aus dem Schlaf erweckt wurden. Praktisch alle geschätzten Höchstpreise wurden bei der Auktion im letzten Februar in Paris überboten. Alain Delon wollte übrigens nicht, dass sein Name im Zusammenhang mit der Versteigerung des Ferrari genannt wird. Trotzdem kam dieser schließlich für 14,2 Millionen Euro aus der Scheune in die Freiheit, geschätzt war er auf maximal zwölf.

Ein anderer besonders skurriler Fall ereignete sich im September 2013 in Duisburg, wo ein Rentner sein Audi 80 Cabriolet während eines Urlaubs sicher in einer Tiefgarage unterstellen wollte. Als er zurückkam, war das Bauwerk als einsturzgefährdet bewertet und daher komplett gesperrt worden, keine Zugriffsmöglichkeit mehr auf das Cabrio. Nach mehr als einem Jahr Verzicht (!) bemühte der Rentner auf eigene Initiative einen Statiker und konnte während einer kurzzeitigen Begehung sein Fahrzeug „befreien“ …

Schaut man in die offiziellen Statistiken, so erfährt man, dass ein Auto bei uns im Schnitt nach 18 Jahren (laut Fachbetrieb von Entsorgung.de) das Zeitliche und Räumliche segnet, also intimere Bekanntschaft mit der Schrottpresse macht, um diese als kompakter Metallblock zu verlassen. Dabei zeigen sich teilweise erhebliche Unterschiede bei den Automarken. Noch erheblicher aber ist der Unterschied zu Lkw und Motorrädern (welche natürlich weit mehr gepflegt werden!). So kommen Lkw auf 25 Jahre, Motorräder auf stolze 29 Jahre, im Schnitt natürlich. Getoppt wird das alles allerdings von den Wohnwagen mit sage und schreibe 33 Jahren!

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Aber da ist ein nicht unerheblicher Haken bei der Sache. Denn das Alter der Fahrzeuge, die tatsächlich auf unseren Straßen fahren, zeigt eine ganz andere Statistik. So liegt die Lebenserwartung der Autos bei uns laut Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) bei knapp zwölf Jahren. Wie passt das zusammen? Die Antwort ist, oder scheint zumindest, ganz einfach: Nach zwölf Jahren scheiden die Fahrzeuge aus dem „aktiven“ Dienst aus, und somit aus der Statistik des KBA. Die stehen dann abgemeldet in Garagen, auf Schrottplätzen oder als Ersatzteillager irgendwo herum, bis die Schrottpresse sie erlöst.

Das würde bei Richtigkeit der Daten also bedeuten, dass ein Drittel der Auto-Lebenszeit im Verborgenen stattfindet. Dazu kommt noch eine weitere Zahl, nämlich dass das mittlere Alter der aktiven Automobile auf den Straßen knapp neun Jahre beträgt (bei Motorrädern sind dies übrigens knapp 16 Jahre). Und wieder weitergerechnet würde das bedeuten, dass im Mittel die noch verbleibende Verweilzeit der tatsächlich Fahrenden nur noch drei Jahre beträgt, sie also 75 Prozent ihres aktiven Autolebens schon hinter sich haben …

Mit den angebotenen Zahlen des KBA muss man also vorsichtig umgehen, auch bei einem Blick in die Geschichte. So scheinen die zwölf aktiven Jahre rückwärts bis 1995 Gültigkeit zu besitzen, davor schrumpft die Zahl allerdings drastisch zusammen. So verzeichnete man 1960 lediglich 7,9 Jahre bis zum automobilen Exitus. Allerdings, das sollte auch erwähnt werden, wurden die kostbaren Kraftwagen nach dem Zweiten Weltkrieg besonders pfleglich behandelt. So betrug ihre „Fahrzeit“ im Jahre 1950 im Schnitt ganze 14,6 Jahre!

Bei der Laufleistung im Autoleben werden die Informationen dann ein wenig diffus. Nach Herstellern und Modellen, nach Benziner oder Diesel und anderen Kategorien wird da unterschieden. Selbst Verschleißteile sollen heute ja 250.000 Kilometer halten. Meistens geht es dabei um den Gebrauchtwagenkauf und wie lange das Schätzchen denn noch halten wird. An dem Rad, oder besser Tacho, drehen aber ganz viele und daher verwässern sich letztendlich die Kilometerangaben deutlich. Als Mautprinzip (sie kommt ja jetzt erst mal wohl nicht) hatte ich mal das schiere Ablesen des Tachos einmal pro Jahr, wie bei Gas, Wasser, Strom, vorgeschlagen. Wäre fair und einfach und europaweit umsetzbar (auch in Griechenland!). Aber der Tacho ist nun mal bestechlich wie ein FIFA-Funktionär, er zeigt nur das an, was auch andere zu sehen bekommen sollen.

Der letzte Weg eines Autos führt dann häufig nicht direkt in die Presse, sondern vorher wird ausgeschlachtet. Das hat dann zuweilen etwas von Organspende nach dem Ableben, da hat man dann schon Mitleid, wenn man seinen über Jahre gepflegten Kumpan allein den ruppigen Schlachtergesellen überlässt. Pflegt man lange genug, wird, wie in Frankreich gesehen, auch aus eher unscheinbaren Modellen nach vielen Jahren ein Juwel. Schafft man also die magische 30-Jahre-Grenze, so bekommt man im Kennzeichen das begehrte „H“ (Historisches Fahrzeug), allerdings nur wenn der Oldtimer weitgehend im Originalzustand belassen worden ist.

Besondere historische Motorwagen werden heute fast wie Kunstobjekte be- und gehandelt, auch wenn sie nicht irgendwann einmal im Besitz von Alain Delon waren. Der Prozess um den Kunstberater Helge Achenbach in Düsseldorf wegen überteuerter Verkäufe an Berthold Albrecht (ALDI) zeigte dies deutlich, dort ging es um Objekte mit großer Wertsteigerung, also eben um Kunst und Autos.

Da zeigt sich dann, ob die Oldtimer von „echtem Schrot und Korn“ sind. Die Redewendung stammt übrigens aus der Münzkunde („Numismatik“), wobei „Schrot“ für das Gesamtgewicht einer edelmetallhaltigen Münze steht und „Korn“ für den Edelmetallgehalt. Bis zum Ersten Weltkrieg war in einer Münze das auch drin, was draufsteht. Erst später hat man die Edelmetalle zurückgefahren, da findet man bei unseren Münzen nicht mehr viel von drin …

Aber in den Altfahrzeugen ist auch eine Menge Wertiges drin: Stahl, Kupfer, Leicht- und Edelmetalle, Glas, Kunststoffe, Reifen. Aber eben auch Unwertiges wie Öle, Blei oder FCKW. Laut Umweltbundesamt stehen jedes Jahr rund eine halbe Million Personenkraftwagen und leichte Nutzfahrzeuge zur „Endverwertung“ an. Im Jahr der Abwrackprämie 2009 waren das sagenhafte 1,78 Millionen! Dagegen muss man die Zahl der Abmeldungen, aus welchem Grund auch immer, stellen. Das waren im Jahr 2014 immerhin 8,14 Millionen.

Irgendwie passt am Ende der ganze Zahlensalat nicht zusammen. Da kann sich jeder seinen eigenen Reim drauf machen. Irgendwelche „Dunkelziffern“ scheinen da eine Rolle zu spielen. Den Autos kann das letztendlich egal sein. Führen sie doch ihr eigenes Leben. Wie dies aussehen kann, ist sehr schön in dem „Roman eines Autos – Fahrtenbuch“ von Niklas Maak dargestellt. Die Kapitel sind nach den jeweiligen Kilometerständen benannt, bis nach 327.000 Kilometern der Mercedes 350 SL, Baujahr 1971, als Unfallwrack traurig endet, nach Marokko verschifft und dort ausgeweidet wird.

Wer sich also im September zur diesjährigen IAA auf den Weg nach Frankfurt macht, sollte sich jedenfalls der Tatsache bewusst sein, dass auch die Lebenszeit der dort ausgestellten Prunkstücke durchaus endlich ist. Vielleicht zwölf Jahre, mit Glück 18, oder als Oldtimer im Jahre 2045 mit über 30. Man streitet sich übrigens darüber, ab wann genau gezählt wird, also der Tag der Zulassung oder das Jahr. Im Grunde ist für ein Auto das Leben das Gleiche wie der Tod, nur eben früher …

Es gibt jetzt tatsächlich in Essen und Koblenz Friedhöfe, wo sich Herrchen/ Frauchen mit Hund urnenmäßig legal begraben lassen können. Man will damit der besonderen Beziehung zwischen Mensch und Tier Rechnung tragen. Das birgt auch ganz neue Möglichkeiten für die „Fahrzeugbestattung“ in sich. Natürlich muss das Auto auf die entsprechenden Maße durch die Presse gebracht werden, da sonst der Platzbedarf (man denke an SUV!) doch erheblich wäre. Aber die besondere Beziehung gibt es doch auch zum automobilen Freund. Nur ein Vorschlag.

In der jungen Generation sieht dann aber alles sowieso ganz anders aus. So viele Autos, wie sie am Rechner „geschrottet“ haben, werden niemals produziert werden können. Autos sind nur mehr Mittel zum Zweck, denn Kultobjekte, Kampfmaschinen sind gefragt. Sowieso übernehmen ja die Computer mehr und mehr auch im Verkehr die Herrschaft. So betitelte die „Welt am Sonntag“ vom 21.6. einen Artikel mit „Das Auto fährt uns davon“. Macht sich das Auto erst mal selbstständig, so werden andere Bereiche schnell folgen. Wir sehen heute schon die Allmacht der „Apps“. Alles und jedes wird überwacht, gemessen, analysiert.

Und wenn wir dann irgendwann wirklich beim autonomen Fahren angekommen sind, werden es die Autos halten, wie man von den Elefanten berichtet. Sie fahren einfach allein die letzte Tour zum Schrottplatz. Und auf WhatsApp gibt es ein letztes Selfie mit Abschiedsgruß!

 

AUTOR

PROFESSOR DR. MICHAEL SCHRECKENBERG, geboren 1956 in Düsseldorf, studierte Theoretische Physik an der Universität zu Köln, an der er 1985 in Statistischer Physik promovierte. 1994 wechselte er zur Universität Duisburg-Essen, wo er 1997 die erste deutsche Professur für Physik von Transport und Verkehr erhielt. Seit mehr als 15 Jahren arbeitet er an der Modellierung, Simulation und Optimierung von Transportsystemen in großen Netzwerken, besonders im Straßenverkehr, und dem Einfluss von menschlichem Verhalten darauf.

Seine aktuellen Aktivitäten umfassen Onlineverkehrsprognosen für das Autobahnnetzwerk von Nordrhein- Westfalen, die Reaktion von Autofahrern auf Verkehrsinformationen und die Analyse von Menschenmengen bei Evakuierungen.

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