Nächste Ausfahrt 2015

Das vergangene war ein Jahr zum Zungeschnalzen für jeden, der sich auch nur am Rande für Verkehr interessiert. Was sich da an Maßnahmen und Diskussionen „ereignete“, reicht anderswo für gleich mehrere Jahre. Der Verkehrsausschuss des Bundestages konnte gar nicht so schnell gucken, wie aus dem Verkehrsministerium die „Raketen“ gestartet wurden.

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Doch zuerst wurde das Lieblingsprojekt von Ex-Bundesverkehrsminister Ramsauer tatsächlich auf die Straße gebracht: die Reform der Flensburger Verkehrssünderdatei (siehe Kolumne Flottenmanagement 3/2014). Frei nach dem Motto „Alles neu macht der Mai“ wurde mal ganz einfach zum 1. Mai aus dem Verkehrszentralregister (VZR) das doch wesentlich positiver klingende „Fahreignungsregister“ (FAER). Lange hatte man daran herumgefeilt, ja sogar die Bürger beteiligt (oder zumindest so getan …). Die hätten wahrscheinlich am liebsten per Generalamnestie alle Konten auf null gesetzt, aber so weit kam es dann doch nicht.

Obwohl, es gab tatsächlich auch Profiteure, sah doch das neue Punktesystem nur noch Einträge für Vergehen vor, die die Verkehrssicherheit gefährden. Das Bußgeld dafür beträgt dann jedoch mindestens 60 Euro. Allerdings gibt es auch viele „Taten“, auf die das nicht zutrifft. Also beispielsweise das unerlaubte Einfahren in eine Umweltzone oder Verstöße gegen Kennzeichenregeln oder aber Beleidigungen.

Da wird man dann aber hellhörig, gab es schließlich früher dafür bei Verurteilung fünf Punkte. Doch man muss keine Angst haben, die Geldstrafen bleiben natürlich. Und die sind (nach Gerichtsurteilen) ordentlich: „Idiot“ (1.500 €), „Schlampe“ (1.900 €) und „Alte Sau“ (2.500 €) gehören in die obere Kategorie, getoppt (natürlich!) vom Stinkefinger mit 4.000 €. Wenn man sich dann schon mal was leisten will, sollte man sich zu den geradezu als „Schnäppchen“ daherkommenden „Dumme Kuh“ (300 €) oder „Du blödes Schwein“ (475 €) durchringen. Der Phantasie sind da keine Grenzen gesetzt. Was es für „Du Seehofer“ gibt, ist mir leider (noch) nicht bekannt.

Auch keine Punkte gibt es mehr für Verstöße gegen Fahrtenbuchauflagen, wenn also beispielsweise bei einem Verstoß der Fahrer nicht ermittelt werden konnte. Das liegt aber vielleicht auch daran, dass ein Fahrtenbuch nach offizieller Ansicht keine Strafe ist, sondern als Unterstützung, ja sogar als Hilfe für den Halter angesehen wird. Wer nun genau in jedem Einzelfall der Halter ist, kann in vielen Fällen auch schon gar nicht so einfach beantwortet werden.

Interessant ist zudem zu bemerken, dass das Nichtanlegen des Sicherheitsgurtes beim Fahrer als nicht verkehrsgefährdend (30 €) eingestuft wird. Nicht angeschnallt ist ein Unfall bei 30 km/h wie ein Sturz aus vier Meter Höhe, bei 50 km/h sogar wie aus 10 Meter Höhe. Das fängt niemand mit den Armen ab.

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Ausgabe 1/2015

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Schaut man sich die nun geführten 8,7 Millionen Verkehrssünderlein in Flensburg einmal genauer an, so stellt man verwundert fest, dass fast 1,9 Millionen gar keine Punkte haben. Wie geht denn das? Nach Auskunft des Kraftfahrt-Bundesamtes sind das unter anderem Personen, die die Fahrerlaubnis (beispielsweise aufgrund zu vieler Punkte) entzogen bekommen haben, damit die Punkte auf null sinken, aber für zehn Jahre im Register bleiben (falls doch mal ein neuer Führerschein her soll).

Nicht geklärt bleibt beim FAER das Zukunftsthema Ablenkung. Fast jeder dritte der 2,4 Millionen Crashs in Deutschland geht darauf zurück. Doch nicht nur für die Fahrer und Insassen entsteht dort ein Risiko, stärker noch für Fahrradfahrer und Fußgänger. Ist die Lage bei Radlern noch in der Weise klar, dass die Polizei aufgrund der StVO eingreifen kann, so gibt es bei Fußgängern eigentlich keine Handhabe bei Stöpseln im Ohr und stierem Blick aufs Smartphone. Lediglich Belehrungen sind da noch möglich.

Das ist umso tragischer, als gerade die Unfälle mit Straßenbahnen um fast 12 Prozent zugenommen haben. Diese sind heute viel leiser als früher und haben ein erheblich höheres Beschleunigungsvermögen. Da sind Unfälle mit unaufmerksamen Fußgängern, aber gerade auch mit Fahrzeugen beim Abbiegen vorprogrammiert. In den USA denkt man ja immer schon einen kleinen Schritt weiter. In Portland (Bundesstaat Oregon) werden „sprechende Busse“ getestet, die die klassischen Smartphone-Fetischisten einfach mal „akustisch“ von der Seite anraunzen. Man wird hier auch über Signale direkt aufs Smartphone (Vibrieren, Geräusche) nachdenken müssen. Eines der wichtigsten Themen, speziell auch für 2015.

Und will man noch weiter in die Zukunft schauen, dann geht man auf die „Consumer Electronics Show“ (CES) im Spielerparadies Las Vegas. Hier hat Daimler mächtig aufgetrumpft. War schon auf der IAA 2013 der S 500 Intelligent Drive zu bewundern, der allein die Bertha-Benz-Strecke von Mannheim nach Pforzheim zurücklegen konnte, und wurde 2014 auf der IAA für Nutzfahrzeuge mit dem Future Truck im Lkw-Sektor nachgelegt, so wurde nun auf der CES der F 015 als Zukunftsvision mit futuristischem Design als Meilenstein der Automobilgeschichte präsentiert. Neben den schon bekannten autonomen Fähigkeiten rückt auch hier der Aspekt der Kommunikation mit dem Fußgänger in den Vordergrund. Mit optischen Mitteln auf der Grundlage von „laufenden“ LEDs im Kühlergrill und im Heck wird das Erkennen von Objekten signalisiert. Nur müssen die Betroffenen auch wissen, was das ganze Geblinke eigentlich bedeuten soll. Hier bleiben noch viele Probleme zu lösen, bevor wir uns auf der Straße damit real auseinandersetzen werden. Und ob sich das am Ende rechnet, ist noch eine ganz andere Frage.

Doch alles wurde 2014 natürlich überstrahlt von der Mautdebatte. Eine Überraschung jagte die andere, und hatten sich die Gegner auf ein Ziel eingeschossen, verschwand es und kam in veränderter Form woanders plötzlich wieder hoch. Ein Rückzugsgefecht von Verkehrsminister Dobrindt mit immer neuen Finten. Die Strategie blieb aber immer die gleiche. Die Ausländer zahlen, die Deutschen nicht. Aber wofür? Da gab es dann ständig neue Varianten. Zuerst für alle Straßen, aber dann wären ja die grenznahen Regionen ausländerleer. So kam dann der Vorschlag, der alle erst mal ratlos auf der Strecke ließ. Ausländer zahlen nur auf Autobahnen, Deutsche dort und auf Bundesstraßen. Damit wären sie ja letztendlich schlechter gestellt.

Damit sollte ein Schlupfloch geschlossen werden, dass nämlich auch die zahlen müssen, die die Autobahnen sonst meiden würden und nur auf Bundesstraßen führen. Der Clou aber: Es wird auf den Bundesstraßen nicht kontrolliert. Wie das funktionieren soll, bleibt weiterhin ein streng gehütetes Geheimnis. Gar keine Kontrolle ist ein interessantes Konzept. Und bei der Kontrolle generell ist der Minister auch umgeschwenkt, denn nun soll die elektronische Vignette zum Einsatz kommen, nicht die aus Papier. Doch das funktioniert nur mit Kennzeichenerkennung, die dann zumindest auf den Autobahnen installiert werden müsste. Die Brücken dafür gibt es ja schon ...

Die nächsten Schritte sind dann doch klar. Man verzichtet auch auf die Kontrolle auf den Autobahnen. Und am Ende kostet die Maut dann auch keinen etwas. Eine Maut zum Nulltarif für alle. Damit wäre doch (fast) jedem gedient. Ein spannendes Thema für 2015.

Nicht kommen wird die „Staumaut“. Eine blauäugige Idee aus dem wissenschaftlichen Beirat von Minister Gabriels Haus. Im Stau stehen kostet was, über die sowieso verlorene Zeit hinaus. Wie will man die Maut eintreiben? Außer durch vollständige Kontrolle geht da wenig. Und eigentlich müssten doch die zahlen, die ohne Stau durchkommen, die haben den größten Vorteil in Bezug auf die Infrastruktur. Im Stau stehen will doch sowieso keiner. Und wenn das angestrebte Ziel, Staus zu verhindern, erreicht wird, gibt es auch keine Staumaut, also keine Einnahmen.

Wie man es dreht und wendet, es scheint alles nicht zu Ende gedacht zu sein. Bleibt noch die Lkw-Maut. Die wird 2015 ab 1. Juli auf weitere 1.100 km vierspuriger Autobahnen sowie ab Oktober auf Transporter ab 7,5 Tonnen ausgeweitet, auch um Mindereinnahmen durch Absenkung der bestehenden Maut aufzufangen. Aber da war doch noch was, läuft der Vertrag über die Lkw-Maut nicht 2015 aus? Na klar, und die Regierung hat auch nicht die mögliche Call-Option im letzten September gezogen, die eine Übernahme des ganzen Systems durch den Bund bedeutet hätte. Stattdessen wird so weitergemacht wie bisher, und zwar bis August 2018. Das birgt das Risiko, dass dann benachteiligte Konkurrenten klagen werden, denn dann muss aufgrund der Ausweitung auf alle Bundesstraßen ausgeschrieben werden. Und da war doch noch etwas, dieses Schiedsverfahren wegen verspäteter Einführung 2005 statt 2003, dabei geht es immerhin um mehr als sechs Milliarden Euro als Forderung an das Konsortium. Das Thema ist ein Dauerbrenner auch im Jahr 2015.

Der Minister hat aber schon neue Ideen. Das Zauberwort heißt „ÖPP“, die öffentlich-private Partnerschaft. Damit soll schnell und unbürokratisch der Sanierungsstau beseitigt werden. Leider stellt sich dann am Ende doch wieder heraus, dass dieses Finanzierungsmodell eigentlich noch mehr kostet als die direkt steuerfinanzierte Variante, jedenfalls in fünf von sechs durchgeführten Projekten. Ökonomisch eigentlich klar, da mehr Beteiligte verdienen wollen. Und eine Entwicklung über dreißig Jahre lässt sich schwer vorhersehen.

Egal wie die Finanzierung läuft (oder fährt!), wir werden uns auf weitere infrastrukturelle Einschränkungen einstellen müssen. Brücken werden gesperrt, Spuren verengt, Anschlussstellen gesperrt, ja vielleicht ganze Strecken stillgelegt. Insbesondere Lkw müssen größere Umfahrungen in Kauf nehmen. Da passt es doch gut, dass die Mauterhebung ausgeweitet wird …

Derweil sich die Menschen auch so ihre eigenen Gedanken machen. Benzin und Diesel werden ständig billiger. Wie kann das sein? Die Gesetze dieses Marktes versteht sowieso keiner mehr. Reaktion der Bevölkerung: dramatisch niedrige private Fahrzeugneukäufe. Nur noch jedes dritte Auto geht in private Hand. Der Rest geht in Flotten, Carsharing, et cetera. Auch welche Technik sich durchsetzt, bleibt unklar. Wie viele Elektroautos werden wir 2020 haben und ist das eine echte Alternative? Sind Hybrid oder Brennstoffzelle, ja oder Erdgas die (mittlere) Zukunft

Das Energieproblem wird definitiv 2015 nicht gelöst. Die Politik ringt um Anreize für alternative Energien. Aber das Wesen der Masse ist die Trägheit. Und die zu überwinden ist schwer. Vielleicht helfen ja viele neue Assistenzsysteme und Apps. Aber am Ende zählt der finanzielle Anreiz. Und der ist meistens nicht gegeben.

Wie geht es da wohl weiter? Vielleicht sollte man mal ganz andere Strategien verfolgen. Sozusagen „antizyklisch“ denken. Vielleicht mit „negativer“ Staumaut: Für die Stunden im Stau werde ich vom Staat entschädigt. Also hinein ins Stauvergnügen 2015!

 

AUTOR

PROFESSOR DR. MICHAEL SCHRECKENBERG, geboren 1956 in Düsseldorf, studierte Theoretische Physik an der Universität zu Köln, an der er 1985 in Statistischer Physik promovierte. 1994 wechselte er zur Universität Duisburg-Essen, wo er 1997 die erste deutsche Professur für Physik von Transport und Verkehr erhielt. Seit mehr als 15 Jahren arbeitet er an der Modellierung, Simulation und Optimierung von Transportsystemen in großen Netzwerken, besonders im Straßenverkehr, und dem Einfluss von menschlichem Verhalten darauf.

Seine aktuellen Aktivitäten umfassen Onlineverkehrsprognosen für das Autobahnnetzwerk von Nordrhein- Westfalen, die Reaktion von Autofahrern auf Verkehrsinformationen und die Analyse von Menschenmengen bei Evakuierungen.

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