Männlein und Weiblein
Es gibt wohl keinen Bereich im privaten Leben in der Auseinandersetzung von Mann und Frau, der stärker von Emotionen beherrscht wird, wie den des Verkehrs, wohlgemerkt des Straßenverkehrs. An den Theken nicht nur unserer Republik wird trefflich über das Sujet diskutiert und lamentiert, meistens auf der Grundlage von lieb gewonnenen Vorurteilen, pseudowissenschaftlichen Studien oder einfach nur „gefühlten“ Wahrheiten.

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Eigentlich ist im Laufe der Zeit zu diesem Thema schon alles gesagt oder geschrieben worden. Trotzdem lohnt sich – sozusagen als Momentaufnahme – ein Blick auf den Stand der Dinge oder besser: der Fakten. Doch gerade dabei muss man sehr vorsichtig sein, um nicht selbst in den Strudel der vermeintlich gesicherten Erkenntnisse zu geraten. So hat sich gerade in der Vergangenheit häufig die Lage bei die Argumentation aufgrund neuerer Studien grundlegend geändert. Vielleicht haben sich aber auch „nur“ die Menschen selbst geändert …
Jedenfalls haben sich die Randbedingungen geändert, insbesondere was die Rolle der Frau in der Gesellschaft angeht. Mit größter Vorsicht muss man heutzutage allein schon die Formulierungen wählen, wenn man über Mann und Frau schreibt. Ein kleiner Fehler und unverzüglich steht die (!) Gleichstellungsbeauftragte mit einem herben Rüffel vor der Tür. Die „Neutralisierung“ in der Sprachwelt geht jetzt sogar so weit, dass in Baden- Württemberg (nach Hamburg und Rheinland- Pfalz) zwangsweise (also durch den Landtag) das männlich geprägte „Studentenwerk“ in „Studierendenwerk“ umbenannt werden muss. Die Kosten im teilweise sechsstelligen Bereich sollen gefälligst von den studentischen Werken selbst getragen werden. Zum Glück ist „das Auto“ schon immer ein Neutrum gewesen …
Bei der Beschäftigung mit dieser hochbrisanten Materie ist auch ein Blick in die Historie recht hilfreich, wenn nicht unabdingbar. So war es doch Bertha Benz, die 1888 die Tür für Fernfahrten mit dem Automobil ganz weit aufstieß. Zwar war das Gefährt nicht von ihr, sondern ihrem Mann Carl gebaut worden, doch zeigte sie damit schon früh, was die Frauen damals unternehmerisch und technisch draufhatten. Zehn Jahre später war die französische Herzogin Anne d’Uzès der (die?) erste Mensch mit einer (erfolgreich) abgelegten Führerscheinprüfung (in Deutschland gab es diese Prüfungen erst ab 1909). Dieselbe Herzogin war es dann auch, die das erste Strafmandat überhaupt bekam: Sie fuhr am Bois de Boulogne bei Paris 13 anstatt der erlaubten 12 km/h. Wie das allerdings gemessen wurde, bleibt (mir) weitgehend unklar.
Inwieweit die Verquickung des weiblichen Geschlechts mit der Motorfahrzeuggeschichte bis heute wirkt, sieht man an der Namensgebung einer bekannten deutschen Automobilmarke. Der österreichische Geschäftsmann Emil Jellinek bestellte schon vor 1900 Fahrzeuge bei der Daimler- Motoren-Gesellschaft. Und irgendwann auch mal einen Rennwagen, mit dem er 1899 an einem Rennen in Nizza teilnahm und mit der erstaunlichen Schnittgeschwindigkeit von fast 35 km/h siegte. Den Wagen hatte er zuvor namentlich seiner Tochter Mercédès gewidmet. 1902 wurde der Name dann gesetzlich geschützt und ab 1910 gab es dann den bekannten Stern.
Diese frühen Erfolgsgeschichten dürfen aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass das „schwache“ Geschlecht es insgesamt nicht einfach hatte, auf der Straße Fuß zu fassen. So war es in Deutschland (!) bis 1958 für Frauen mit Führerscheinambitionen vorgeschrieben, die Zustimmung des Ehemannes oder Vaters einzuholen. So lange ist das gar nicht her. Aber dies hat sich ja dann zum Guten gewendet, anders als in Saudi- Arabien, wo es seit 1990 ein komplettes Fahrverbot für Frauen gibt. Es gibt aber auch großen Widerstand dagegen und, wie es heißt, halten sich viele Frauen schlicht nicht daran.

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Ausgabe 5/2014

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Die geschlechts- und altersspezifische Aufschlüsselung der Fahrerlaubnisse spiegelt die deutsche Entwicklung beeindruckend wider. Selbst 2008 hatten bei den über 75-jährigen noch über 57 Prozent der Frauen keinen Führerschein, während dies bei den Männern nur bei 12 Prozent der Fall war (neuere Daten liegen nach dem DIW wohl nicht vor). Interessant ist, dass sich dieser Trend ganz offensichtlich umgekehrt hat, denn bei den 18 bis 19-/20 bis 23-jährigen hatten schon 2008 mehr Frauen (73,8/88,4 Prozent) als Männer (70,0/87,6 Prozent) eine Fahrerlaubnis. Die Ersterteilungen lagen im Jahr 2010 prozentual mit je etwas über einem Prozent (bezogen auf die Gesamtbevölkerung) praktisch gleichauf.
Das statistische Datenmaterial gibt aber noch einiges mehr an Informationen her. Und da interessiert vor allem die Unfallhäufigkeit und die Verkehrsdisziplin in Form von Punkten in Flensburg. Was Letzteres angeht, so kann man konstatieren, dass rund 3,5-mal so viele Männer in Flensburg gemeldet sind wie Frauen. Insgesamt sind bei den Verkehrstoten rund dreimal so viele männliche wie weibliche Verkehrsteilnehmer zu beklagen. Frauen verunglücken häufiger (65 Prozent) in Pkws als Männer (knapp 48 Prozent), allerdings sind Frauen dabei anderthalbmal so häufig Beifahrer.
Entscheidend aber ist die Frage der Unfallverursacher, und dabei zeigt sich ein interessantes Detail. Tragen bei den an Unfällen beteiligten Männern 57,5 Prozent die Schuld, sind es bei den Frauen 54,1 Prozent, also 3,4 Prozent weniger. Insbesondere sterben bei von Männern verursachten Unfällen im Schnitt doppelt so viele Menschen wie bei den von Frauen. Aber jetzt kommt’s: Bis 54 Jahre sind Männer häufiger Hauptverursacher als Frauen, ab 55 sind es dann die Frauen!
Da könnte man jetzt trefflich drüber philosophieren, ob es an dem höheren Alter der Frauen liegt, das sie erreichen, oder an der fehlenden Praxis aufgrund späten Führerscheinerwerbs. Sei’s drum, hier beginnen wir, jenseits der harten Fakten, endlich den Bereich der „gefühlten“ Wahrheiten zu betreten. Und dort begegnen einem die wunderbaren Dinge, auf die Sie hier bestimmt schon gewartet haben.
Schon in den ersten Folgen der legendären, ab 1966 ausgestrahlten „Mutter aller Verkehrserziehungssendungen“ für Erwachsene, „Der 7. Sinn“, mit der bis heute unverwechselbaren Stimme von Egon Hoegen, widmete man sich der Thematik sehr ausgiebig. Fast unglaublich, was man da damals zu sehen und vor allem durch die sonore Stimme von Herrn Hoegen zu hören bekam. Die gesendeten Sentenzen spotten jeder Beschreibung, daher hier nur der Hinweis auf zwei besonders schöne Beispiele bei YouTube („Der 7. Sinn - Frau am Steuer“ und „Der 7. Sinn - Achtung Frauen am Steuer“). Ohne viel zu suchen, findet man jede Menge weitere Filmchen. Ich selbst habe übrigens mit Herrn Hoegen, der am gleichen Tag (28.9.) und wie ich in Düsseldorf geboren ist, nur eben 28 Jahre früher (1928!), im Jahr 1999 eine Verkehrs-CD produziert zum Thema Stauentstehung und Verkehrsforschung (einige wenige Exemplare gibt es noch …). Das Thema Frau am Steuer spielte dabei allerdings keine Rolle.
Im 7. Sinn wurde eigentlich so jedes Klischee bedient, das man sich vorstellen konnte. Im Grunde ist alledem nichts hinzuzufügen. Doch die Geschichte geht ja immer weiter. Jenseits aller Klischees wird dann gerne nach charakteristischen biologischen und psychologischen Unterschieden zwischen Mann und Frau und deren Auswirkungen auf das Verhalten insbesondere auf der Straße geforscht. Über den simpelsten Ansatz mit Bezug auf die Differenzen beim reinen Gewicht des Gehirns (das männliche (knapp 1.400 Gramm) ist rund 100 Gramm schwerer als das weibliche) ist man mittlerweile weit hinausgekommen.
Denn genau ab hier beginnt die Diskussion, sich in Teilaspekten zu verlieren. Dabei kommt sofort das Gegenargument, das Gehirn der Frau sei relativ gesehen, also bezogen auf das Gesamtkörpergewicht, doch klar größer. Zudem, und das haben gerade Studien aus dem vergangenen Jahr gezeigt, ist das Gehirn der Frau wesentlich besser verdrahtet (gemeint ist hier die Verbindung beider Gehirnhälften miteinander). Bei Männern dagegen ist die Vernetzung innerhalb der beiden Gehirnteile besser.
Was das allerdings für Folgen hat, ist letztendlich wieder ein weites Feld für Vermutungen und Scheinargumente. Selbst Verhaltensforscher führen dann Ergebnisse an, nach denen sich Frauen Dinge besser merken können, aufmerksamer sind und sowieso ein besseres soziales Erkenntnisvermögen haben, während Männer besser räumlich denken und koordinieren können.
Damit kommen wir zu einer am meisten diskutierten Frage in diesem Umfeld, nämlich der des besseren Einparkens. Über viele Jahre hielt sich auf der Grundlage der besseren räumlichen Vorstellungskraft die Mär, Männer könnten tatsächlich besser einparken. Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich vor vielen Jahren mit RTL diese These auf dem Parkplatz unserer Uni zu verifizieren versuchte. Es war schwer, Probandinnen vor die laufende Kamera zu bekommen. Schließlich fanden wir eine, sie parkte auch ein, aber der Kameramann hatte kein Band eingelegt.
Als die Zweite dann bemerkte, worum es ging, rauschte sie entgegen der Einbahnstraße davon. Ja, man kann mit dem Thema sogar Bestseller landen. So geschehen mit dem Kultbuch „Warum Männer nicht zuhören und Frauen schlecht einparken“ von Alan & Barbara Pease. Dieses Werk aus dem Jahre 2010 ist dieses Jahr sogar als Film erschienen! Damals wollte eine Untersuchung der Uni Bochum dies auch bestätigt haben. Doch dann der Schock. Im Jahre 2012 streute eine englische Studie auf der Grundlage von Videoaufnahmen von 2.500 Einparkvorgängen erste Zweifel, wobei dort die Männer immer noch schneller, aber weit weniger akkurat vorgingen. Schließlich kam im Jahr 2014 der Knock-out für die männliche Domäne, denn Studenten von der Dualen Hochschule Baden-Württemberg in Mannheim fanden eindeutige Zeitvorteile der weiblichen Fahrer. Interessanterweise fanden sie auch heraus, dass die 55 bis 65-jährigen deutlich schneller als die jungen Fahrer waren.
So bleibt trotzdem noch die Vorstellung von Jäger (Mann) und Sammler (Frau), was schon in der Kolumne in Flottenmanagement 2/2012 erwähnt wurde. Neuroforscher haben tatsächlich herausgefunden, dass Männer sich mehr am gesamten Straßenlabyrinth orientieren, während Frauen eher einzelne Wegpunkte im Auge haben.
Dabei wird Männern häufig eine größere Aggressivität zugesprochen, brauchten sie diese doch auf der Jagd. Das gilt heute noch (man nimmt an, dass sich unser Erbmaterial seit 100.000 Jahren nicht sonderlich verändert hat!), aber Männer scheinen sich am Ende dann doch schneller einigen zu können, bei Frauen (wie von vielen selbst bestätigt) sieht das häufig anders aus, von „Stutenbissigkeit“ ist dann schon mal die Rede.
Das scheint eine vom Bonner Forschungsinstitut zur Zukunft der Arbeit (IZA) in Brisbane, Australien, durchgeführte Studie zu bestätigen. An einer Kreuzung wurde beobachtet, wer, obwohl vorfahrtberechtigt, anderen die Vorfahrt gewährt. Insgesamt taten das 40 Prozent. Ältere tun dies eher als Jüngere, Männer eher als Frauen. Dabei waren Männer den Frauen gegenüber besonders zuvorkommend, Frauen gaben gegenüber Männern die Vorfahrt auch gerne ab. Aber wehe, Frau traf auf Frau, da ging es deutlich unfreundlicher zu als bei Mann auf Mann. Am Rande sei bemerkt, dass sich die Autoklassen untereinander eher verbündeten und die jeweils anderen ausschlossen. Da wurde dann auch gerne der Vordermann als Vorbild genommen. Und ist ein Beifahrer an Bord, wird der Fahrer sowieso viel netter (60 Prozent Vorfahrtverzicht).
Überhaupt scheint, insbesondere bei der am meisten gefährdeten Gruppe der männlichen 18 bis 24-jährigen Autofahrer, eine Beifahrerin risikomindernd zu wirken. Bei der älteren Generation sind allerdings die Fronten dann eher verhärtet und die Vorwürfe überwiegen, was risikofördernd wirkt. Wie dem auch sei, es bleibt die Vision vom friedlichen Miteinander der Geschlechter im Auto und auf der Straße. Aber, wie Helmut Schmidt schon sagte: „Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen!“
Autor
Professor Dr. Michael Schreckenberg, geboren 1956 in Düsseldorf, studierte Theoretische Physik an der Universität zu Köln, an der er 1985 in Statistischer Physik promovierte. 1994 wechselte er zur Universität Duisburg-Essen, wo er 1997 die erste deutsche Professur für Physik von Transport und Verkehr erhielt. Seit mehr als 15 Jahren arbeitet er an der Modellierung, Simulation und Optimierung von Transportsystemen in großen Netzwerken, besonders im Straßenverkehr, und dem Einfluss von menschlichem Verhalten darauf.
Seine aktuellen Aktivitäten umfassen Onlineverkehrsprognosen für das Autobahnnetzwerk von Nordrhein-Westfalen, die Reaktion von Autofahrern auf Verkehrsinformationen und die Analyse von Menschenmengen bei Evakuierungen.

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