Wenn´s mal wieder teurer wird – wer trägt das Werkstattrisiko?

Bei der Regulierung von Unfallschäden kommt es nicht selten vor, dass sich der durch Kostenvoranschlag oder Sachverständigengutachten geschätzte Reparaturkostenaufwand im Zuge der Durchführung einer Reparatur verteuert. Dies mag daran liegen, dass sich erst nach der Demontage von Teilen herausstellt, wie groß der Unfallschaden tatsächlich ist. Oder schlicht daran, dass die Beschaffung von Ersatzteilen länger dauert oder wegen zwischenzeitlicher Kostensteigerungen oder längerer Anlieferungswege teurer geworden ist. Letztlich stellt sich dann die Frage, ob der Schädiger auch für den – ohne Schuld des Geschädigten – entstandenen höheren Herstellungsaufwand bei einer Kraftfahrzeugreparatur aufkommen muss. Die Rede ist vom Werkstattrisiko.

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Wenn´s mal wieder teurer wird – wer trägt das Werkstattrisiko?

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Der Bundesgerichtshof (BGH) hat hierzu in einer Grundsatzentscheidung aus dem Jahre 1974 (BGH-Urteil vom 29.10.1974, Az. VI ZR 42/73, BGHZ 63, 182-189) entschieden, dass der Schädiger bei der Instandsetzung eines beschädigten Kraftfahrzeugs als Herstellungsaufwand nach § 249 Satz 2 BGB grundsätzlich auch diejenigen Mehrkosten schuldet, die ohne eigene Schuld des Geschädigten die von ihm beauftragte Werkstatt infolge unwirtschaftlicher oder unsachgemäßer Maßnahmen verursacht hat. Dabei ist die Werkstatt nicht Erfüllungsgehilfe des Geschädigten.

Der BGH hat dazu in den Gründen seiner Grundsatzentscheidung weiter ausgeführt, „dass der Schadensersatz im Sinne von § 249 Satz 2 BGB ungeachtet der begrifflichen Trennung zwischen den erforderlichen und den vom Geschädigten tatsächlich aufgewendeten Herstellungskosten nicht verlangt, dass der geschuldete Betrag etwa nach dem typischen Durchschnittsaufwand normiert wird.“ Denn es besteht ja die Verpflichtung des Schädigers, den Geschädigten wirtschaftlich so weit wie möglich so zu stellen, als ob der Unfall nicht eingetreten wäre. Deshalb muss der Schadensersatz nach § 249 Satz 2 BGB so bemessen sein, dass der Geschädigte im Zusammenhang mit der Schadensregulierung – sofern er nur wirtschaftlich vernünftig verfährt – nicht reicher, aber auch nicht ärmer wird. Der danach „erforderliche“ Herstellungsaufwand wird nicht nur durch Art und Ausmaß des Schadens, die örtlichen und zeitlichen Gegebenheiten für seine Beseitigung, sondern auch von den Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten des Geschädigten mitbestimmt, so auch durch seine Abhängigkeit von Fachleuten, die er zur Instandsetzung des Unfallfahrzeugs heranziehen muss.

Diese nach § 249 Satz 2 BGB mitzuberücksichtigenden Umstände schlagen sich unter anderem in Umfang und Verlauf der Instandsetzungsarbeiten sowie in den Reparaturkosten nieder, die dem Geschädigten von der Werkstatt berechnet werden. Zwar sind diese Kosten begrifflich nur ein Anhalt zur Bestimmung des erforderlichen Reparaturaufwands, der sich nach dem richtet, was zur Instandsetzung des Unfallfahrzeugs von dem Geschädigten bei wirtschaftlich vernünftigem Vorgehen aufgewendet werden muss. Auch muss sich der Geschädigte bei der Auftragserteilung sowie bei den weiteren Vorkehrungen für eine ordnungsmäßige, zügige Durchführung der Reparatur von wirtschaftlich vertretbaren, das Interesse des Schädigers an einer Geringhaltung des Schadens mitberücksichtigenden Erwägungen leiten lassen. Es darf aber nicht außer Acht gelassen werden, dass seinen Erkenntnis- und Einwirkungsmöglichkeiten bei der Schadensregulierung regelmäßig Grenzen gesetzt sind, dies vor allem, sobald er den Reparaturauftrag erteilt und das Unfallfahrzeug in die Hände von Fachleuten übergeben hat. Auch diese Grenzen bestimmen das mit, was „erforderlich“ ist.

Es würde dem Sinn und Zweck des § 249 Satz 2 BGB widersprechen, wenn der Geschädigte im Verhältnis zu dem ersatzpflichtigen Schädiger mit Mehraufwendungen der Schadensbeseitigung belastet bliebe, deren Entstehung seinem Einfluss entzogen ist und die ihren Grund darin haben, dass die Schadensbeseitigung in einer fremden, vom Geschädigten, wohl auch nicht vom Schädiger kontrollierbaren Einflusssphäre stattfinden muss. Insoweit besteht kein Sachgrund, dem Schädiger, das „Werkstattrisiko“ abzunehmen, das er auch zu tragen hätte, wenn der Geschädigte ihm die Beseitigung des Schadens nach § 249 Satz 1 BGB überlassen würde. Insoweit besteht also kein Anlass, das Werkstattrisiko auf den Geschädigten überzuwälzen.

Ebenso wenig ist eine Belastung mit diesem Risiko deshalb angezeigt, weil der Geschädigte für das Verschulden von Hilfspersonen bei Erfüllung seiner Obliegenheiten zur Schadensminderung nach § 254 Abs. 2 Satz 2 iV mit § 278 BGB einstehen müsste. Denn bei der Bewertung des „erforderlichen“ Herstellungsaufwands ist es keine tragfähige Grundlage für eine Entlastung des Schädigers von dem Mehraufwand der Schadensbeseitigung, der auf ein der Einflusssphäre des Geschädigten entzogenes Verhalten der Reparaturwerkstatt zurückgeht. Hier wirkt sich aus, dass sich der Geschädigte der Werkstatt in erster Linie nicht in Erfüllung von Obliegenheiten zur Schadensminderung, sondern kraft seiner Befugnis zur Herstellung des beschädigten Fahrzeugs bedient und das Gesetz die Kosten hierfür dem Schädiger auferlegt. Eine andere Betrachtung würde das Recht des Geschädigten, die Schadensbeseitigung selbst statt vom Schädiger vornehmen zu lassen, was nicht zuletzt diesem, damit auch seinem Haftpflichtversicherer zugutekommt, dem Sinn des Gesetzes zuwider verkürzen.

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Weist der Geschädigte nach, dass er die Instandsetzungsarbeiten unter Beachtung der vorstehenden Grundsätze veranlasst hat, so können deshalb die „tatsächlichen“ Reparaturkosten regelmäßig auch dann für die Bemessung des „erforderlichen“ Herstellungsaufwands herangezogen werden, wenn diese Kosten ohne Schuld des Geschädigten etwa wegen überhöhter Ansätze von Material oder Arbeitszeit, wegen unsachgemäßer oder unwirtschaftlicher Arbeitsweise im Vergleich zu dem, was für eine solche Reparatur sonst üblich ist, unangemessen sind.

In solchen Fällen kann nach der BGH-Rechtsprechung also nicht grundsätzlich zunächst darauf verwiesen werden, dass der Geschädigte der übersetzten Forderung der Werkstatt seine Einwände entgegenzusetzen hätte, um die Forderung gegebenenfalls in gerichtlicher Auseinandersetzung auf die angemessene Höhe zurückzuführen. Auch bei wirtschaftlicher Betrachtung entspricht es der Interessenlage, dass der Schädiger dem Geschädigten die Mittel zur Verfügung stellt, die diesen in die Lage versetzen, das Unfallfahrzeug möglichst rasch wieder nutzen zu können, und selbst die Entscheidung über das Vorgehen gegen die Werkstatt trifft. Da der Schädiger nach den Grundsätzen des Vorteilsausgleichs die Abtretung der Ansprüche des Geschädigten gegen die Werkstatt verlangen kann, ist seine Rechtsstellung gegenüber der Werkstatt auch nicht schwächer als die des Geschädigten. Er wird sogar meist durch die Unterstützung seines Haftpflichtversicherers seine Interessen an einer Herabsetzung der Reparaturkosten nachdrücklicher als der Geschädigte verfolgen können.

Diese Grundsätze führen aber auch nach dem BGH nicht dazu, dass die Reparaturkostenrechnung der Werkstatt dem nach § 249 Satz 2 BGB für die Instandsetzung des Fahrzeugs geschuldeten Betrag ungeprüft gleichzusetzen wäre. Insoweit sind Reparaturen bei der Bemessung des erforderlichen Herstellungsaufwands auszuscheiden, die nur „bei Gelegenheit“ der Instandsetzungsarbeiten mit ausgeführt worden sind. Ferner dürfen die dargestellten Bemessungsgrundsätze nicht dazu führen, dass sich – letztlich zum Schaden der Allgemeinheit – mangelndes Interesse der Vertragsbeteiligten an einer marktgerechten Abwicklung der Instandsetzung im Kostenniveau niederschlägt. „An den vom Geschädigten zu führenden Nachweis, dass er wirtschaftlich vorgegangen ist, also bei der Beauftragung, aber auch bei der Überwachung der Reparaturwerkstatt den Interessen des Schädigers an Geringhaltung des Herstellungsaufwandes Rechnung getragen hat, dürfen deshalb nicht zu geringe Anforderungen gestellt werden.“

In Fortführung dieser BGH-Rechtsprechung hat insoweit das AG Haßfurt (Urteil vom 02.08.2012, Az. 2 C 165/13) entschieden, dass bei einer unvorhergesehenen Verzögerung der Beschaffung eines Ersatzfahrzeugs auch hohe Mietwagenkosten ersatzfähig sein können. Treten im Rahmen der Durchführung von Schadensbeseitigungsmaßnahmen – aus Ex-ante-Sicht des Geschädigten unvorhergesehene – Verzögerungen/ Mehraufwendungen auf, die in der Sphäre des „Unfallhelfers“ (hier: Autohändler) liegen und dem Einfluss und der Kontrolle des Geschädigten entzogen sind, gehen diese zulasten des Schädigers.

Denn es ist zuletzt unstreitige Rechtsprechung, dass der Unfallgegner auch das sogenannte „Werkstattrisiko“ zu tragen hat, also gegebenenfalls auch für Fehler der mit der Reparatur beauftragten Werkstätte aufkommen muss (AG München, Urteil vom 20.08.2013, Az. 343 C 1379/13).

Damit verbleibt es dabei, dass dem Geschädigten ein etwaiges Verschulden der Reparaturwerkstatt nicht zugerechnet werden kann. Die vom Geschädigten zur Mängelbeseitigung beauftragten Drittunternehmer sind regelmäßig nicht seine Erfüllungsgehilfen i.S.d. § 278 BGB im Verhältnis zum Schädiger. Daher hat der Geschädigte im Rahmen seines Anspruchs auf Erstattung des erforderlichen Geldbetrages nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB grundsätzlich nicht das sogenannte Werkstattrisiko zu tragen. Dieses muss vielmehr in der Sphäre des Schädigers verbleiben, denn es besteht kein Sachgrund, dem Schädiger das Werkstattrisiko abzunehmen, das er auch zu tragen hätte, wenn der Geschädigte ihm die Beseitigung des Schadens nach § 249 Abs. 1 BGB überlassen würde (vgl. auch LG Hamburg, Urteil vom 04.06.2013, Az. 302 O 92/11; AG Norderstedt, Urteil vom 14.09.2012, Az. 44 C 164/12).

Dennoch gilt, dass die Grundsatzentscheidung des BGH und die darauf aufbauende Instanzen- Rechtsprechung den Geschädigten nicht davon entbindet, die Notwendigkeit der unfallbedingten – also der durch den Unfall kausal verursachten – Reparaturarbeiten nachzuweisen.

Dies darf aber nicht im einzelnen Reparaturfall dazu führen, dass der Geschädigte auf Mehrkosten sitzen bleibt, wenn sich die Reparatur nicht nach den Vorgaben des Fahrzeugherstellers, nach einem Kostenvoranschlag der Werkstatt, nach einer Vorkalkulation des Sachverständigen in einem gerichtlichen oder außergerichtlichen Gutachten durchführen lässt. Gleiches gilt auch für den plötzlichen Ausfall von Arbeitskräften in der Werkstatt oder für Verzögerungen bei der Beschaffung von Ersatzteilen oder eine anderweitig verlängerte Dauer der Reparaturausführung.

Auch diese Positionen sind vom Schädiger und dessen Kraftfahrzeughaftpflichtversicherer gesamtschuldnerisch zu tragen. Ist der gegnerische Kraftfahrzeugpflichtversicherer der Ansicht, dass die angefallenen Mehrkosten nicht vollumfänglich berechtigt sind, kann er sich vom Unfallgeschädigten etwaige Regressansprüche des Geschädigten aus dem Werkstattvertrag abtreten lassen und seinerseits den die angeblich überteuerte Reparatur ausführenden Werkstattbetrieb in Regress nehmen. Voraussetzung ist hier allerdings auch, dass der Kraftfahrzeughaftpflichtversicherer der Reparaturwerkstatt ein Verschulden an der Entstehung erhöhter Kosten bzw. Mehrkosten bei der Fahrzeugreparatur nachweisen kann.

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