Brückenplage
Nun sind sie plötzlich in aller Munde und auf den Titelseiten der Journale: die Brücken, insbesondere unserer Fernstraßen. Früher waren sie nur Randbemerkungen wert, allenfalls wenn sie neu errichtet wurden, oder sich auf ihnen schwere Verkehrsunfälle ereigneten. Häufig bemerkt man kaum, wenn man über sie fährt. Aber wenn sie gesperrt werden, ist der Aufschrei plötzlich groß.

PDF Download
Brücken sind genauso wie Tunnel eben keine normalen Straßenabschnitte. Nicht nur, dass sie viel mehr Kosten pro Kilometer bei Errichtung und Wartung erzeugen. Sie benötigen überhaupt auch viel mehr Pflege und Zuwendung. Und irgendwann sind sie reif fürs Altenteil, so nach vierzig, fünfzig Jahren. Und dann beginnt normalerweise der Stress für alle Beteiligten. Für die Straßenbetriebe einerseits und natürlich für die Autofahrer andererseits. Vor allem aber für die Lkw-Kolonnen, denn sie werden zuallererst vertrieben, da sie ja der größte Feind der Brücken sind, nutzt doch ein Lkw den befahrenen Untergrund so ab wie um die 60.000 Pkw, je nach Gewicht pro Achse. Und am Ende muss das alles ja schließlich auch noch finanziert werden.
Da Brücken häufig Stahlkonstruktionen sind, ist da bei der Errichtung oder zwischenzeitlicher Wartung mal geschweißt worden. Und diese Schweißnähte bekommen im Laufe der Zeit kleine Risse, oft mit dem bloßen Auge nicht zu erkennen. Ständige Vibrationen zeigen halt irgendwann Wirkung. Und dann muss gehandelt werden. Wenn überhaupt noch etwas geht und das Urteil nicht Abriss und Neubau heißt.
Das Problem bei Brücken ist, dass man nicht einfach an ihnen vorbeifahren kann. Dies konnte ich noch im letzten Sommer hautnah erleben, als auf der A5 Richtung Süden bei Rastatt zwar eine Baustelle gemeldet wurde, diese sich aber als waschechte Vollsperrung entpuppte. Hinterher stellt sich zudem heraus, dass die Vollsperrung zur Einrichtung einer Baustelle gedient hatte (und das an einem Samstag in der Ferienzeit!). Das Umfahren bedeutete dann eine dreistündige Durchquerung eines völlig zugestauten Tals. Lediglich großräumig hätte man über Frankreich etwas ausrichten können, so gab es jedoch kein Entrinnen mehr.
Brücken betreffen üblicherweise ja mindestens zwei Straßen (außer bei Trassenquerungen der Bahn). So kann man auch von einer Brücke betroffen sein, über die man gar nicht fährt. Die A2 bei Bielefeld wurde im September 2010 gesperrt, weil ein Laster mit Muldenkipper hinten drauf eine Fußgängerbrücke einfach einriss. Irgendwie (wahrscheinlich durch einen Bedienungsfehler des Fahrers) war die Mulde des Kippers kurz vor der Brücke nach oben gegangen und hatte den Brückeneinsturz versursacht. Wie durch ein Wunder wurde niemand verletzt.
Am schlimmsten aber kam es bei einem Unfall am 26. August 2004 auf der A4, und zwar auf der bis zu 60 Meter hohen Wiehltalbrücke. Dort wurde ein mit 32.000 Liter Kraftstoff beladener Tanklastzug von einem führerscheinlosen 26-jährigen BMW-Fahrer unter Drogeneinfluss derart abgedrängt, dass er aufgrund der nur für 13 Tonnen ausgelegten Fangseile die Leitplanke durchbrach und herunterstürzte. Unten aufgeschlagen entzündete sich das Fahrzeug, der Fahrer kam bei dem Unglück ums Leben. Der Unfallverursacher wurde später wegen fahrlässiger Tötung zu 22 Monaten Haft ohne Bewährung verurteilt.

Aktuelles Magazin
Ausgabe 2/2013

Sonderausgabe Elektro
Das neue Jahresspecial Elektromobilität.
Durch den Brand wurde die Brücke so stark beschädigt, dass sie gesperrt werden musste. Ihre Reparatur war äußerst fraglich, und ein Abriss wurde befürchtet. Schließlich tauschte man in einer sensationellen, weltweit einmaligen Aktion ein 160 Tonnen schweres Teilstück der Stahlkonstruktion, das aufgrund der immensen Hitze erheblich deformiert war, „einfach“ aus. Erst gegen Ende 2007 wurde die Brücke dann wieder vollständig für den Verkehr freigegeben. Nach Versicherungsangaben gilt dies mit einem Schaden von 30 Millionen Euro wohl als der teuerste Verkehrsunfall der deutschen Geschichte.
Apropos teuerster Verkehrsunfall aller Zeiten: Diesen Titel beanspruchen anscheinend verschiedene Crashs für sich. Schaut man im Internet nach, so begegnet einem direkt die kuriose Geschichte von Anfang Dezember 2011 auf dem Chugoku Expressway in Shimonoseki im Südwesten Japans. Dort fuhren 20 Autoen- Autor thusiasten in ihren Luxuskarossen auf regennasser Fahrbahn in einem Konvoi mit 160 km/h doppelt so schnell wie erlaubt war. Irgendwie kam der erste Wagen ins Trudeln und 14 „höherwertige“ Fahrzeuge krachten schrottreif ineinander: darunter acht der Marke Ferrari, ein Lamborghini und drei Mercedes. Ernsthaft zu Schaden kam bei dem Unfall keiner der Fahrer (außer finanziell vielleicht …). Die Schadenssumme insgesamt belief sich schließlich auf knapp drei Millionen Euro. Also letztendlich international jenseits von Japan nicht wirklich rekordverdächtig.
Es geht aber auch bedeutend einfacher. Dies zeigte im Juli 2012 eindrucksvoll ein gewisser Christopher Cox, ein Geschäftsmann aus den USA. Als sich auf der Rennstrecke der „Le Mans Classic“ mehrere Hundert Millionen Euro in Form von unwiederbringlichen Oldtimern tummelten, „schrottete“ Herr Cox (mit Frau im Wagen) seinen Ferrari 250 GTO. Eigentlich war das Ganze als Jubiläumsfeier zum fünfzigsten Geburtstag dieses zwischen 1962 und 1964 nur 39 Mal gebauten Dinosauriers gedacht. Der Wert dieses teuersten Autos der Welt wurde anhand einer kurz zuvor stattgefundenen Versteigerung auf mindestens 24 Millionen Euro geschätzt. Zu allem Überfluss brach sich bei dem Unfall seine Frau auch noch ein Bein …
Das „O“ bei der Typenbezeichnung deutet übrigens darauf hin, dass es sich bei dem Fahrzeug um die Rennversion eines Serienfahrzeugs handelt („omologato“, deutsch homologiert). Aber egal ob Straße oder Rennstrecke, ich würde mit so was nicht herumfahren wollen, denn schon kleinste Kratzer an der Außenhülle lassen die Herzen der Fetischisten zerbrechen.
Aber zurück zu den Brücken, für die Feuer überhaupt eine Gefahr darstellt. Frisch in Erinnerung ist ja noch der bis heute nicht aufgeklärte Fall eines Brandes von Rohren unter der A59 vor etwas mehr als einem Jahr, der aufgrund der erheblichen Rauchentwicklung zu einer Massenkarambolage von 21 Fahrzeugen mit einem Todesopfer und 13 zum Teil Schwerverletzten führte. Jugendliche stehen wohl nach wie vor im Verdacht, es gibt aber anscheinend nichts Belastbares. Die Brücke musste komplett abgerissen werden, und man baute innerhalb recht kurzer Zeit eine Behelfsbrücke.
Belastbar ist jedoch, dass hier wie in vielen anderen Fällen (die wir in Deutschland ja nun zur Genüge kennen) Zeitvorgaben, sagen wir mal vorsichtig, nur „mäßig“ eingehalten werden. Statt im zweiten Quartal dieses Jahres wird nun frühestens 2014 mit dem 5,5 Millionen Euro teuren Neubau begonnen, Fertigstellung irgendwann 2016. Zuerst wird noch eine Behelfsbrücke gebaut und dann wird auch gleichzeitig auf sechs Spuren erweitert. Begründung in vielen Fällen für Zeitverzug: europaweite Ausschreibung.
Schaut man mal genauer hin, kommt einem so manch gemeiner Gedanke. Beim letzten Blitzer- Marathon im Oktober vergangenen Jahres (für so etwas hat man in NRW ja regelrecht ein Faible) wurden in der Presse „Tausende Temposünder an der A57-Brücke“ gemeldet, der Sieger fuhr mit 180 km/h in der Tempo-60-Zone 120 km/h zu schnell (bringt übrigens bei Ersttätern 660 Euro Spende für den Brückenbau plus drei Monate Radfahren). Vielleicht schwingt ja da ein neidischer Blick zum Bielefelder Berg („Talbrücke Lämershagen“, ist die auch sanierungsbedürftig?) auf der A2 mit, wo die „erfolgreichste Blitzanlage Deutschlands“ steht. Sie spülte 2011 sage und schreibe 5,4 Millionen Euro in die leeren öffentlichen Kassen. Ja das würde doch schon reichen …
Allerdings sind das alles die bekannten Peanuts, schaut man sich das ganze Maß der natürlichen Zerstörung an. Ein Großteil der rund 38.800 Brücken im Bundesfernstraßennetz stammt aus den Sechziger- und Siebzigerjahren, was auf erhebliche Alterserscheinungen schließen lässt. So startete letzten Dezember die SPDFraktion eine Kleine Anfrage an die Bundesregierung (17/11729, die „17“ steht übrigens für die 17. Wahlperiode), welche dieser Brücken nun umgehend saniert werden müssten und wie groß der finanzielle Aufwand für die nächsten 15 Jahre sei.
Die Bundesregierung ließ sich nicht lumpen und antwortete binnen einer Woche mit Drucksache 17/11924 (da sind im Bundestag fast 200 Drucksachen innerhalb einer Woche entstanden, da soll noch mal einer etwas sagen …). Nach Durchsicht der Unterlagen ist man nicht wirklich schlauer, da es weniger um Fakten als mehr um Planungen geht. Und wie die aussehen können, sieht man ja bei Stuttgart 21, was nach jüngster Entscheidung des Aufsichtsrates ja lustig weiter gebaut wird. Fertigstellung soll Ende 2022 sein. Vielleicht sollte man das dann jetzt Stuttgart 22 nennen …
Am wichtigsten ist aber die Klassifizierung von Brücken nach dem „Marodheitsgrad“. Das muss man sich so vorstellen wie Noten in der Schule. Es gibt da auch sechs Stufen, von sehr gutem bis ungenügendem Bauwerkszustand. Die Bezeichnungen sind also dieselben bis auf „mangelhaft“, das klang dann wohl doch zu drastisch. So hat man einfach „nicht ausreichend“ daraus gemacht, das klingt doch wesentlich harmloser.
Die Alarmglocken läuten denn auch erst so richtig bei ungenügendem Bauwerkszustand, denn dann ist „umgehende Instandsetzung bzw. Erneuerung“ erforderlich, also kein Aufschub mehr möglich. Für diese Kategorie konnten sich bisher 221 Bauwerke qualifizieren, Tendenz steigend, da immer weiter untersucht wird. Ein hektisches Treiben bundesweit führte plötzlich zu Schreckensmeldungen aus allen Richtungen (oder besser von allen Strecken). So wurde vermeldet, auf der A45 („Sauerlandlinie“) müssten 79 (!) Brücken saniert werden.
Ja, man schreckte sogar nicht davor zurück, sensibelste Bereiche mit Maßnahmen zu belegen. Betroffen davon beispielsweise die Rheinquerung A1 bei Leverkusen oder die A3 am Leverkusener Kreuz. Dort ließ man sich was besonders Feines einfallen: Um die Brücke nicht über Gebühr zu belasten, sollten die Lkw immer mindestens 25 Meter Abstand halten, auch im Stau! Doch dann flog der ganze Schwindel auf: Für so eine Anordnung gibt es überhaupt keine Rechtsgrundlage, und das Nichteinhalten kann gar nicht geahndet werden, also ein Papiertiger.
Im Sommer nun kommen neue Experimente hinzu. Das aktuelle Geheimrezept heißt Vollsperrung, und keiner merkt es. So wird die Ruhrtalbrücke der A52 Richtung Essen vom 1. Juli bis 30. September voll gesperrt. Die Aktion letzten Sommer auf der A40 hat Lust auf mehr gemacht. Und man wollte keine Kollision mit der Sanierung der 1,8 Kilometer langen Berliner Brücke der A59 in Duisburg. Wenn der Name da mal nicht eine schlechtes Omen ist. Daher hat man wohl das ganze Projekt direkt auf 20 Jahre angelegt.
Mal sehen, was wir noch so alles erleben werden in den nächsten zehn Jahren, die von verschiedenen Seiten als besonders „hart“ prognostiziert werden. Wer immer auf dem Laufenden sein möchte, dem sei „brueckenweb.de“ empfohlen. Dort kann man sich jederzeit über den Gesundheitszustand von „Brückjen“ (alternativ: der geschundenen Patienten) informieren.
Autor
Professor Michael Schreckenberg, geboren 1956 in Düsseldorf, studierte Theoretische Physik an der Universität zu Köln, an der er 1985 in Statistischer Physik promovierte. 1994 wechselte er zur Universität Duisburg-Essen, wo er 1997 die erste deutsche Professur für Physik von Transport und Verkehr erhielt. Seit mehr als 15 Jahren arbeitet er an der Modellierung, Simulation und Optimierung von Transportsystemen in großen Netzwerken, besonders im Straßenverkehr, und dem Einfluss von menschlichem Verhalten darauf.
Seine aktuellen Aktivitäten umfassen Online- Verkehrsprognosen für das Autobahnnetzwerk von Nordrhein-Westfalen, die Reaktion von Autofahrern auf Verkehrsinformationen und die Analyse von Menschenmengen bei Evakuierungen.

Aktuelles Magazin
Ausgabe 2/2013

Sonderausgabe Elektro
Das neue Jahresspecial Elektromobilität.
Der nächste „Flotte!
Der Branchentreff" 2026
0 Kommentare
Zeichenbegrenzung: 0/2000