Äh 10?
Kaum ein Thema hat in der letzten Zeit die deutschen Autofahrer so auf die Zapfsäulen gehen lassen wie die „Einführung“ von E10. Die Reizthemen scheinen sich auf den niedrigen zweistelligen Zahlenraum zu konzentrieren, nimmt man parallel dazu Stuttgart 21 oder die Katastrophenbaustelle auf der A1 zwischen Bremen und Hamburg. Ähnlich wie bei Stuttgart 21 war bei E10 eigentlich schon länger bekannt, was kommen würde, doch beim Start waren alle furchtbar überrascht.

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Dabei hatte sich die Bundesregierung solche Mühe gegeben. In einem in der ersten Auflage im Oktober 2010 mit 8,5 Millionen Exemplaren veröffentlichten Flyer (übrigens unter anderem mit Unterstützung des ADAC!) versuchte man, den Autofahrer in die neue Ära des Biosprits mitzunehmen. Der Slogan lautete: „Mehr Bio im Benzin“. Fast fühlt man sich an die vor über fünfzig Jahren gestartete Werbekampagne eines bekannten Mineralölkonzerns erinnert, der mit dem „Tiger im Tank“ pure Kraft ausstrahlen wollte. Erst Ende der fünfziger Jahre konnte der Tiger gar freundlich gucken, immerhin. Mit ihm hatte man weniger Probleme als mit der Biopower heute. Tatsächlich befand sich damals neben dem Tiger eine weitere schwere Last im Tank, die ihm gar nicht gut bekommen konnte: Blei.
Anfang der zwanziger Jahre des vorigen Jahrhunderts hatte man in den USA begonnen, dem Benzin „Tetraethylblei“ anstelle von Öl hinzuzufügen. Damit wollte man die „Klopffestigkeit“ der Motoren erhöhen. Eine Unart des Benzin-Luft-Gemisches ist es, dazu zu neigen, zu früh zu zünden, was von außen als Klopfen wahrgenommen wird. Als Maß für die Klopffestigkeit von Vergaserkraftstoffen (Diesel haben keinen Vergaser!) wird die Oktanzahl angesehen, die durch die Bleizuführung erhöht wurde. Die Klopferei stand im Verdacht, dem Motor wegen hoher Belastung nach und nach Schaden zufügen. Spätestens da wird auch der heutige Autofahrer hellhörig, wie wir aus der jüngsten Debatte um E10 gelernt haben.
Die Abschaffung des Bleibenzins hat tatsächlich auch einige Ähnlichkeiten mit der heutigen Situation. Deutschland schaffte 1996 (zeitgleich mit den USA) ohne Abstimmung mit der EU einfach verbleites Benzin ab. EU-weit galt das Verbot erst ab dem Jahre 2000. Obwohl des verbleite Benzin nicht nur die Katalysatoren schädigte, sie teilweise ganz unwirksam werden ließ und die gesundheitsschädliche Wirkung auf der Hand lag, gab es jede Menge Kritik: Man befürchtete erhöhten Kraftstoffverbrauch, höhere Preise und eine Schädigung der Fahrzeuge. Klingt irgendwie bekannt, schaut man heute in die Presse.
Gegen das Klopfen, also zur Erhöhung der Oktanzahl, gibt es heute andere Mittel, beispielsweise MTBE (Methyl-tertiär-butylether) oder ETBE (Ethyl-tertiär-butylether). Die beiden so wohlklingenden Stöffchen sind allerdings nichts für das Grundwasser, weshalb die Beimischung in etlichen Bundesstaaten der USA verboten ist, insbesondere gilt dies für MTBE. In Deutschland sieht man das nicht so eng, da doppelwandige Erdtanks an den Tankstellen ausreichend Sicherheit bieten sollen. ETBE kann man insbesondere mit Bioethanol („Agro- Ethanol“) anreichern, welches aus Biomasse und biologisch unbedenklichen Abfällen hergestellt wird.
Je weiter man in dieses Geschäft hineinblickt, umso unklarer wird einem, was da eigentlich nun wirklich drin ist im Sprit. Hätte man Autofahrer bis zur E10-Aktion gefragt, was sie da eigentlich tanken, hätten wahrscheinlich nicht viele gewusst, dass schon E5 getankt wird. Dieses wird für die Motoren als ungefährlich eingestuft und lief daher weiterhin unter dem Begriff „Benzin“ (der übrigens nicht von dem Nachnahmen von Carl Benz abgeleitet wurde, wie häufig vermutet wird, sondern von Eilhard Mitscherlich als Bezeichnung für unser heutiges Benzol geprägt wurde). Dies regelt die Europäische Norm EN 228. Erst bei E10 verlässt man den sicheren Sektor, und dies spiegelt sich dann auch in der Namensgebung wieder.

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Übrigens hatte Nikolaus August Otto um 1860 eher an Spiritus („Kartoffelsprit“) als Antriebsmittel gedacht, und auch Henry Ford sah für sein legendäres Ford Modell T mit der bahnbrechenden Fließbandproduktion Ethanol als zukunftsweisenden Treibstoff (das erste Fließbandauto war in der Tat die „Tin Lizzy“). Er wollte einfach alles in den Tank stecken, was an Sträuchern und Bäumen wuchs. Allerdings machte dann Benzin aufgrund der einfachen Verfügbarkeit und des niedrigen Preises das Rennen.
Im Prinzip war die Namensgebung mit „E10“ ja gar nicht schlecht. In einer eWelt, die uns neben eCommerce und eWorking so schöne Dinge beschert hat wie „eCooking“ und „eGardening“ (von Mallorca aus ist im Haushalt in Deutschland fast alles machbar!) hätte man mit e10 einen guten Einstieg gehabt. Da hätte man vielleicht noch einen draufpacken können und wäre mit i10 an den Start gegangen… Damit hätte man zumindest schon einen ganze iGeneration einfangen können!
Doch diese Chance ist vertan. Jetzt lastet eine schwere Bürde auf dem ach so gut gemeinten Produkt. Eigentlich wollte man in Deutschland bis 2015 nur 8% des Energiegehalts der Kraftstoffe im Verkehr mit Biokraftstoffen abdecken. Wie das genau geschehen sollte, war im Oktober 2006 nicht näher spezifiziert worden. Die EU wollte bis 2020 insgesamt 10% des Energieverbrauchs im Verkehr aus erneuerbaren Quellen speisen. Da ist ja noch etwas Zeit.
Dass wir diesmal keineswegs Trendsetter sind, zeigt ein Blick auf die Weltkarte. Andere Länder gehen mit dem Thema wesentlich entspannter um. In den USA sind E10 und E85 mit 10% beziehungsweise 85% Ethanol üblich, in Brasilien E20-E25 (je nach Erntelage) beziehungsweise E100, meist als Bioethanol aus Zuckerrohr gewonnen. Auch in Europa gibt es Vorstöße wie in Frankreich, Finnland und Schweden mit E10 und E85. Die Schweiz plant dagegen in dieser Richtung nichts.
Der Schlüsselbegriff heißt „FFV“. Damit ist nicht ein neuer Fußballverein gemeint (Glückwunsch an dieser Stelle an Borussia Dortmund zum wohlverdienten Meistertitel, die in beispielhafter Weise gezeigt haben, wie man sich, neben Erfolg zu haben, auch noch gut vermarktet!), sondern das „Fexible Fuel Vehicle“. Im Jahre 2003 wurde von Volkswagen das erste Gefährt dieser Art auf dem brasilianischen Markt angeboten. Das Ganze ist zu einem einzigen Erfolgsmodell geworden: Mehr als 80 Prozent der Neuzulassungen arbeiten mit dieser Technik.
Bei den FFV kann das Fahrzeug selbst den Ethanol-Anteil (Kraftstoffsensor, neuerdings Lambda-Sonde) erfassen und den Verbrennungsvorgang entsprechend regeln, allerdings nur zwischen 0 und 85 Prozent (also E85). Bei reinem Ethanol (E100) muss beim Kaltstart dann doch noch etwas Benzin im Motor hinzukommen, deshalb haben diese Fahrzeuge dafür einen kleinen Benzin-Zusatztank. Über die Bordelektrik ist dabei wenig möglich, da zu viel elektrische Energie benötigt würde, die nicht zur Verfügung steht. Die Werkstoffe der Motoren müssen allerdings den veränderten Verbrennungseigenschaften angepasst werden, ein Thema, das bei uns hohe Wellen schlägt, da die Anpassung nicht überall gegeben ist.
Die Verwendung von E100 birgt natürlich auch noch andere Probleme, wenn man an alternative Verwendungsarten denkt. Ethanol, egal wo es herkommt, ist (zumindest bei entsprechender Verdünnung) ein beliebter Getränkezusatz mit euphorisierender Wirkung. So „vergällt“ man mögliche Versuche des Missbrauchs durch Hinzufügen von üblen Zusatzstoffen, was am Ende dann noch E95 übrig lässt. Die 5% Zugaben schmecken einfach nicht.
Weltweit sollen nach Angaben des ACE mittlerweile über 6 Millionen FF-Fahrzeuge unterwegs sein. Die Automobilhersteller in den USA wollen gar ab 2012 50% der Fahrzeuge mit dieser Technik anbieten. In Deutschland ist von dieser Euphorie wenig zu spüren. Man redet hier lieber von einem „Nischenprodukt“, das auf der großen Skala (bisher) keine Chance hat. Zudem gibt es auch noch Erdgasfahrzeuge (siehe Flottenmanagement 4/2009). Die Taxis in Rio de Janeiro durften früher nur mit Alkohol fahren, heute nur mit Erdgas (aufgrund von technischen und Versorgungsproblemen sowie auch Preissteigerungen).
Es gilt aber auch noch andere Aspekte zu berücksichtigen. Der Kraftstoffverbrauch wird da häufig angeführt. Laut Aussage der Automobilhersteller führt E10 lediglich zu 2% Mehrverbrauch. Bei E85 sind dies schon 35%, allerdings mit Leistungssteigerungen von bis zu 20% (wiederum Herstellerangaben). Der Kaufpreis der FF-Fahrzeuge liegt auch rund 1.000 Euro über dem Standardmodell. Da bleibt mal abzuwarten, wie der Praxistest sich am Ende darstellt.
Wie so ein Praxistest ausgehen kann, sah man ja gerade bei einer Untersuchung von Sixt und RWE in Bezug auf Elektrofahrzeuge. Die Einschätzung von Erich Sixt lautete in der Süddeutschen: „Eine absolute Katastrophe.“ Man wird sehen, wie die Entwicklung, insbesondere die der Akkus, dann vielleicht doch noch vorankommt. Gesunde Skepsis ist in jedem Falle angebracht.
Auch ethische Gesichtspunkte werden in diesem Zusammenhang angeführt. Ist es verantwortbar, Lebensmittel oder zumindest die Flächen dafür zu missbrauchen, um Kraftstoffe zu erzeugen? Brasilien sagt jedenfalls, dass keine großflächigen Rodungen des Tropenwaldes oder andere schwere Einschnitte in die Lebensmittelversorgung zu erwarten seien. Für Österreich gibt es eine Studie, die zu dem Ergebnis kommt, dass eine komplette Versorgung mit Biokraftstoffen für den Verkehr nur in Österreich die vierfache Anbaufläche vor Ort nötig wäre, allerdings ohne eine Versorgung mit Lebensmitteln oder Weideflächen. Das Konzept ist also für Österreich nicht unbedingt umsetzungsfähig…
Auch der Ausstoß an Schadstoffen scheint ja wohl nicht ganz geklärt. Das Wort „Bio“ lässt viele von grüner Energie träumen. Die Realität sieht aber wahrscheinlich ganz anders aus. Von „Neutralität beim Kohlendioxidausstoß“ kann angesichts der Aufwendungen beim Anbau und bei der Ernte letztendlich nicht die Rede sein. Eine genaue Analyse lässt jedoch auf sich warten.
Kommt man schließlich auf die deutschen Umstände zurück, so lernen wir, wie eine Einführung von E10 bei mündigen Autofahrern mit starker Lobby nicht stattfinden kann. Aber wie auch bei Stuttgart 21 findet der Lernprozess erst im Nachhinein statt. Was wirklich am Fahrzeug kaputt gehen kann, ist wahrscheinlich von zweitrangiger Bedeutung. Die Art und Weise der Diskussion irritiert. Genauso wie der wichtige Hinweis in der oben erwähnten Broschüre des „Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (!)“: „Verträgt Ihr Fahrzeug E10? Herstellerinformation einholen! Im Zweifel Super oder Super Plus tanken!“ Na denn mal Prost.
Professor Michael Schreckenberg, geboren 1956 in Düsseldorf, studierte Theoretische Physik an der Universität zu Köln, an der er 1985 in Statistischer Physik promovierte. 1994 wechselte er zur Universität Duisburg-Essen, wo er 1997 die erste deutsche Professur für Physik von Transport und Verkehr erhielt. Seit mehr als 15 Jahren arbeitet er an der Modellierung, Simulation und Optimierung von Transportsystemen in großen Netzwerken, besonders im Straßenverkehr, und dem Einfluss von menschlichem Verhalten darauf.
Seine aktuellen Aktivitäten umfassen Online-Verkehrsprognosen für das Autobahnnetzwerk von Nordrhein- Westfalen, die Reaktion von Autofahrern auf Verkehrsinformationen und die Analyse von Menschenmengen bei Evakuierungen.

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