„Autogation“

Es ist schon fast unmöglich, sich heute ein Leben ohne Handy („Mobilfunk“) vorzustellen. Man fragt sich ernsthaft, mit was man früher die Zeit „verplempert“ hat. Dabei sei von den dazugehörigen Rechnungen mal ganz abgesehen. Bei meinem letzten Flug von Düsseldorf nach Berlin musste ich mit Erschrecken wahrnehmen, dass nach Verlassen der Maschine und des Besteigens des Transferbusses alle, aber auch wirklich alle Passagiere mit ihren Handys beschäftigt waren. Ob Überprüfung entgangener Anrufe, checken von SMS oder der Anmeldung am Zielort, nichts geht mehr ohne das Handy.

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Ähnlich scheint es sich auf dem Gebiet der Navigationssysteme zu entwickeln. Waren wir bis vor wenigen Jahren noch, sagen wir mal, grob in der Lage, das Straßennetzwerk Deutschlands vor unserem geistigen Auge entstehen zu lassen, so scheint dies heutzutage mehr und mehr zu verschwimmen und sich in Handlungshinweisen von Navigationsgeräten zu verlieren.

Aber halt: Wieso eigentlich „Navigationsgeräte“? Da scheinen wir doch irgendwie auf einem sprachlichen Irrweg zu sein. Ein Blick in entsprechende Wörterbücher lehrt uns, dass „Navigation“ mit lateinisch „navis“ etwas zu tun hat, was eigentlich „Schiff“ bedeutet. So ist Navigation („navigare“) als „Kurs- und Standortbestimmung in der See- und Luftfahrt“ zu deuten, von Autos und Straßen war da nie die Rede. Die verniedlichende Koseform „Navi“ heißt demzufolge einfach nur „Schiff“. Mag jeder sich selbst seine Gedanken über diese Sprachkonstruktion machen. Die Kombinationslösung „Autonavigation“ ist nur halbherzig. Mein Vorschlag zur Güte wäre deshalb, das Schiff (navis) einfach durch das Auto zu ersetzen, was den Titel dieser Kolumne ergeben würde. Mal sehen, ob sich das durchsetzen lässt. Die Kurzform wäre dann allerdings schlicht „Auto“…

Navigationsgeräte (wie sie halt bisher noch heißen!) bestimmen in großen Teilen mittlerweile das Geschehen auf unseren Straßen. Begonnen hatte das Ganze mal mit digitalen Karten, die dem Fahrer das Suchen auf großflächigen Plänen und nach unbekannten Straßennamen ersparen sollte. Das war an sich schon sehr nützlich, doch jede Information muss sich an ihrer Qualität messen lassen. Und da mussten die meisten Systeme dann auch Federn lassen. Die Veränderungen in der Verkehrsinfrastruktur sind häufiger und größer als man gemeinhin annimmt. Und bei Update-Zyklen von einem halben Jahr sind da schon deutliche Abweichungen zu erwarten. Ganz abgesehen von Baustellen, die als zeitlich begrenzte Erscheinungen nicht als Änderung der Infrastruktur erkannt werden (wie ist es eigentlich mit Sperrungen der Alpenpässe im Winter?).

Der Markt der Navigationsgeräte ist heiß umkämpft und selbst die strategische Ausrichtung ist dort nicht klar. Unzählige Testberichte, beispielsweise von ADAC oder Stiftung Warentest, versuchen Licht in das Dunkel der Navigiererei zu bringen, allerdings ohne nachhaltigen Erfolg. Dabei steht nicht nur die Routenwahl selbst, sondern auch deren Auswirkung im Fokus der Betrachtungen. So ermittelte der ADAC schlimme Konsequenzen in 1.000 autobahnnahen Kommunen durch Navigationsgeräte, die um „gefühlte“ Staus herumleiten wollten. Leider aber gerade durch die kleinen Orte neben der Autobahn. So genau weiß das jedoch keiner; Navigationsgeräte sind jedenfalls sehr sensibel.

Bei genauerem Blick auf den derzeitigen Markt ist die Situation noch weit verfahrener. Fast philosophisch ist die Frage nach der Bauart zu sehen: fest im Fahrzeug installiert oder mobil in der Jackentasche. Fest installierte Systeme sind meist Teil eines ganzen „Medienzentrums“ in der Mittelkonsole. Sie haben den Vorteil, fahrzeugseitig auf mehr Informationen zurückgreifen zu können und verlieren sich im Tunnel nicht so schnell (durch Erfassung von Reifenstellung und -drehung wird die Bewegung nach Wegfall des Funksignals auf einer virtuellen Karte weitergeführt). Allerdings sind Updates nicht so einfach (wohl nur über CD) und auch recht teuer.

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Ein erbitterter Kampf findet derweil um die Plattform statt, auf der die Autogation stattfinden soll: Ist es ein eigenständiges Gerät, nur der Routenfindung gewidmet, oder ist es am Ende nur ein Softwarepaket, das neben vielen anderen Funktionen auf einem Smartphone seine Dienste anbietet. Die Qualität der Leistung scheint sich indes anzugeichen, wie aktuelle Testberichte zeigen.

Eine andere Frage wird in der Zukunft aber noch für Diskussionen sorgen. Sind die Karten „Onboard“ oder „Offboard“ gespeichert? Also auf dem Navi oder zentral irgendwo auf einem Rechner, wie von Google jetzt angeboten. Das letztere Prinzip hat den Vorteil, dass die Karten auf einfache Weise aktuell gehalten werden können, da es nur um eine Datei geht. Allerdings sind die Übertragungsmengen größer, da ja nun ganze Karten abgerufen werden und nicht mehr nur Verkehrsinformationen.

Die Frage für mich ist dabei, was ist eigentlich mein „Navi“? Ist es das Gerät an sich oder die Software darauf? Bisher schien es an das Gerät gekoppelt zu sein, doch wenn die Zukunft nur noch die Software meint, was ist es dann? Die Geräte werden immer flexibler, auch wenn für Smartphones die Halterungen im Fahrzeug wohl noch problematisch sind. Denn mit einem Handy in der Hand bekommt man schnell mal einen Punkt in Flensburg, egal ob man telefoniert oder navigiert (sorry: autogiert).

Zudem ist zu bemerken, dass Staus auch dadurch entstehen, dass Fahrer ihre Aufmerksamkeit mehr dem Navi schenken als dem Verkehr. Die Ablenkung durch Ablesen und Programmieren von Routenempfehlungen während der Fahrt ist wahrscheinlich stärker einzuschätzen als die durch das Telefonieren mit dem Handy. Der Gesetzgeber hat sich dazu noch nicht weitergehend geäußert. Der Wert der Routenempfehlungen hängt letztendlich entscheidend von den zugrunde liegenden Informationen, also den Verkehrsdaten ab. Sie entscheiden ja über die Wertigkeit der übermittelten Hinweise. Und da gibt es deutliche Unterschiede, die sich die Anbieter zunutze machen wollen. Wer erkennt einen Stau am schnellsten? Und wer kann auch Informationen jenseits der Autobahnen anbieten

Die Autobahnen sind bundesweit am besten mit eigenen Datenerfassungen ausgestattet. Die Länder haben dort in den letzten Jahren umfangreiche Messeinrichtungen installiert, die Verkehrsmengen und Geschwindigkeiten aufnehmen. So betreibt meine Arbeitsgruppe „Physik von Transport und Verkehr“ an der Universität Duisburg-Essen seit vielen Jahren die Seiten www.autobahn. nrw.de, die die offiziellen Verkehrsmeldungen des Landes NRW im Internet verbreiten. Darauf aufbauend und angereichert mit den Polizeimeldungen werden die TMC-Informationen („Traffic Message Channel“) erzeugt, die kostenfrei über die Radiokanäle zu empfangen sind.

Die Weiterentwicklung davon ist TMCpro, allerdings kostet dieser Dienst von Navteq Services GmbH Geld. Dahinter verbirgt sich die ddg Gesellschaft für Verkehrsdaten, ursprünglich ein Unternehmen von T-Systems. Man verfolgt hier die Strategie, aus den gekauften öffentlichen Autobahndaten plus eigenen Sensordaten an Autobahnbrücken sowie GPS-gestützten Fahrzeugdaten höherwertige Informationen zu erzeugen, für die Kunden dann bereit sind, Geld zu zahlen. Eine der großen ungeklärten Fragen der gesamten Branche ist am Ende, ob mit Verkehrsinformationen langfristig (!) Gewinn gemacht werden kann.

Der Markt wird immer wieder von Rückschlägen und Newcomern erschüttert. Hatte die ddg ihre zusätzlichen Sensoren über dem Grünstreifen zwischen den Fahrstreifen auf den Autobahnen (aus Sicherheitsgründen!) angebracht, so versuchte „Trafficmaster“ dies mit Installationen jeweils rechts neben den Fahrstreifen. In England ist Trafficmaster das Maß aller Dinge für Verkehrsinformationen, aber die Expansion auf das deutsche Festland misslang gründlich. Vielleicht lag es ja daran, dass die Sonnenkollektoren der Geräte zu häufig nach Norden ausgerichtet waren…

Momentan findet ein Angriff aus den USA auf den Verkehrsdatenmarkt statt. Das wenig bekannte Unternehmen INRIX, in den USA fest etabliert, versucht europäischen Boden zu erobern. In einer strategischen Allianz mit Navigon wird mit aller Kraft versucht, auf dem Markt Fuß zu fassen. Mit Belastungsstudien deutscher Ballungsräume hat INRIX versucht, Aufmerksamkeit zu erregen. Man wird sehen, ob sie erfolgreicher als Trafficmaster sind.

Marktführer ist zweifelsohne TomTom. Aufgrund der großen Marktdurchdringung und der guten Datenlage auch jenseits der Autobahnen ergeben sich ganz neue Möglichkeiten der Verkehrsinformation. Ziel ist eine individuelle Routenführung, auf die Bedürfnisse des Einzelnen abgestellt. An der Entwicklung dieser Systeme arbeiten wir mit.

Dabei kommen auch Ideen auf, Strategien aus dem Tierreich zu übernehmen. Tiere stellen häufig ihr Individuum zum Wohle der Allgemeinheit in den Hintergrund, wie zum Beispiel Ameisen. Die haben zwar kein richtiges Gehirn, sondern nur „Nervenknoten“, damit sind sie allerdings äußerst effizient und laufen den Staus einfach davon. Durch Fahrzeug-Fahrzeug-Kommunikation zwischen Navis ließe sich das kopieren; unsere ersten Tests in Simulationen zeigen deutliche Effekte und lassen hoffen.

Und was wird die Zukunft bringen? Zuerst einmal ist die Ortung mittels Satelliten auf der Erde keine einfache Angelegenheit. Das militärische NAVSTAR GPS System (Navigational Satellite Timing and Ranging – Global Positioning System) der Amerikaner ist seit Mai 2000 auch für zivile Zwecke ohne Signalverschlechterung nutzbar (Juli 1995 überhaupt in Betrieb gegangen). Damit können Ortungen unterhalb 10 Meter Genauigkeit vorgenommen, und mit Map Matching und Differential GPS deutlich bessere Lokalisierungen erzielt werden.

Für mich als Physiker ist es faszinierend zu sehen, dass die sehr abstrakte Relativitätstheorie (spezielle und vor allem allgemeine) von Albert Einstein hier Anwendung findet. Das Problem ist die hohe Geschwindigkeit der Satelliten (3,87 km/s). Würde man dies außer Acht lassen, wäre nach einem Tag die Abweichung schon 11,7 km (!).

Doch auch hier möchte Europa unabhängig von den USA werden. Das Großprojekt GALILEO soll mit 30 Satelliten (27 plus drei Reserve) für Europa bessere (und unabhängigere) Informationen liefern als GPS. Drei Satelliten sind schon oben für die Testphase. Über die milliardenschwere Finanzierung wird immer mal wieder gestritten, es scheint aber tatsächlich vorwärts zu gehen. Viel Aufwand eigentlich, nur um zu wissen wo man ist. Manchmal möchte man das besser auch gar nicht wissen.

 

Professor Michael Schreckenberg, geboren 1956 in Düsseldorf, studierte Theoretische Physik an der Universität zu Köln, an der er 1985 in Statistischer Physik promovierte. 1994 wechselte er zur Universität Duisburg-Essen, wo er 1997 die erste deutsche Professur für Physik von Transport und Verkehr erhielt. Seit mehr als 15 Jahren arbeitet er an der Modellierung, Simulation und Optimierung von Transportsystemen in großen Netzwerken, besonders im Straßenverkehr, und dem Einfluss von menschlichem Verhalten darauf.

Seine aktuellen Aktivitäten umfassen Online-Verkehrsprognosen für das Autobahnnetzwerk von Nordrhein- Westfalen, die Reaktion von Autofahrern auf Verkehrsinformationen und die Analyse von Menschenmengen bei Evakuierungen.

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