LiterAUTOur

In der nun einsetzenden (oder schon stattfindenden) Vorweihnachtszeit verdichten sich bei dem einen oder anderen Zeitgenossen die Gedanken um die unausweichlichen Weihnachtsgaben; ob für die Familie, Freunde, Kollegen (sind das auch Freunde?) oder andere geschenkwürdige (Un-)Bekannte. Da ist ein Buch immer eine willkommene Lösung. Damit kann man normalerweise nicht viel falsch machen. Attestiert man dem Beschenkten doch geistiges Niveau und muss sich um den Inhalt eigentlich nicht sonderlich kümmern (wer liest denn ein Buchgeschenk vorher in Bezug auf Tauglichkeit?).

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Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass da durchaus Vorsicht geboten ist. Schenkte doch meine Frau ihrer besten Freundin ein Buch mit nur vagen Angaben der Verkäuferin über den Inhalt (nicht bei … bestellt!), was schließlich zu einer halbjährigen Funkstille zwischen beiden führte. Die Freundin bezog die dort geschilderte desaströse private Situation auf ihre eigene (die auch problematisch war zu dem Zeitpunkt), und meinte dies sei mit Bedacht geschehen.

Geprägt durch meinen Vater würde ich mich heute als „Büchernarr“ bezeichnen, der mehr Bücher besitzt als er jemals lesen kann. Eine besondere Freude ist es hier deshalb für mich, gezielte Hinweise zu geben auf eine bislang weitgehend unbeachtet gebliebene Literaturgattung zum Thema „Autofahren und -fahrer“, die man unbedenklich „autoaffinen“ Mitmenschen kredenzen kann, auch wenn dort häufig kritische Untertöne zu vernehmen sind. Die meisten Bücher sind aktuell zu bekommen, einige eher in Antiquariaten.

Mir geht es hier nicht um (historische) Abhandlungen um das Automobil selbst (zu empfehlen trotzdem auf jeden Fall: Die Geschichte des Automobils von Richard von Frankenberg und Marco Matteucci (1973 und neuer mit Hans-Otto Neuber 1995)), die über eigentlich jede Automarke erschienen sind. Ebenso interessiert mich weniger die Geschichte der Verkehrswege, auf denen sich die Fahrzeuge bewegen, wobei doch die beiden Standardwerke Die Geschichte der Straße von Hans Hitzer (1971) sowie Die Straße von Maxwell G. Lay (1994) Erwähnung finden sollten (beide schwer zu bekommen!). Sie behandeln fundiert die weltweite Entstehung von Verkehrswegen, die sich viel interessanter und facettenreicher darstellt, als man gemeinhin glaubt.

Kommen wir also zum eigentlichen Thema, das natürlich nicht vollständig abgedeckt werden kann. Ich möchte daher alle Autoren nicht erwähnter Werke um Verzeihung bitten: es ist halt meine subjektive Sicht. Und hier sollte zuerst ein Buch von mir stehen, wenn es denn existieren würde! Lange geplant, aber wie so viele Projekte auf die lange Bank geschoben. Dem regelmäßigen Leser von Flottenmanagement kann ich daher nur die vorangegangenen Kolumnen als Überbrückung empfehlen, das Thema habe ich ja häufiger und ausgiebig behandelt.

Grundsätzlich kann man die Angebote in kritische und analysierende Literatur aufgliedern. Die kritische Sicht befasst sich hauptsächlich mit dem „zerstörerischen“ Dasein des Autos und seiner Fahrer. Der wohl prominenteste Vertreter dieser Richtung ist Hermann Knoflacher. Schon die Titel seiner neueren Werke Stehzeuge – Der Stau ist kein Verkehrsproblem (2001) und Virus Auto – Die Geschichte einer Zerstörung (2009) deuten auf die Tendenz der dargestellten Materie hin. Herr Knoflacher liebt es, die Ausführungen mit Handzeichnungen zu illustrieren und vertritt durchaus radikale Standpunkte. Wer sich also wirklich kritisch mit dem Thema „Stau“ auseinander setzen will, ist hier gut aufgehoben.

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Aktuelles Magazin

Ausgabe 6/2010

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In das gleiche Horn stößt das Buch Die Autokrise von Johann-Günther König (2009), der eher einen historischen Überblick gibt und die Frage zu beantworten versucht, wie es zu den aktuellen Zuständen kommen konnte. Ein durchaus lesenswertes Buch für denjenigen, der über den Tellerrand des täglichen Staus hinaus denkt. Toppen kann dies nur noch Klaus Gietinger mit Totalschaden – Das Autohasserbuch (2010). Für ihn ist das Auto schlicht „Sucht und Droge“, und die Welt wird von den zugehörigen „Drogenbaronen“ regiert.

Wenden wir uns jetzt den „eigentlichen“ Abhandlungen zu, die sich mehr mit der Seele des Autofahrers befassen. In der Bibliothek meines Vaters fand ich das nette Frühwerk Seele auf Rädern – Psychologie auf Rädern von Siro Spörli (1972), in dem die Straße als „Sardinenbüchse“ oder „Dschungel“ beschrieben wird. Eine wundervolle Abhandlung über die psychologischen Aspekte des Fahrens aus damaliger Sicht. Auch Der Automensch – Zur Psychologie eines Kulturphänomens von Peter Marsch und Peter Collett (1991) widmet sich dem Thema, allerdings mehr auf die Beziehung zum Auto selbst abgezielt: „Was verrät das Auto, das Sie fahren, über Sie?“

Besonders ans Herz gewachsen ist mir „Rasende Liebe – Warum wir aufs Auto so abfahren (und was wir dabei bedenken sollten) von Hardy Holte (2000). In lockerer Art beschreibt er die Fahrertypen und ihre Eigenarten. Die richtige Lektüre abends in einem Motel, eine längere Route noch im Anschlag. Sehr persönlich daher kommt „Wenn möglich, bitte wenden – Abenteuer eines Autofahrers“ von Lutz Schumacher (2009). Die Tücken der Navigationsgeräte sind natürlich ein zentrales Thema, aber eben aus persönlicher Sicht.

Wer sich wissenschaftlich tiefer in die Materie einlesen möchte (und zudem der englischen Fachsprache mächtig wähnt) dem sei The Psychology of Driving von Graham Hole (2007) empfohlen. Ein fundamentales Werk über alle Aspekte insbesondere über die Risikobereitschaft von Fahrern. Gerade in der dunklen Jahreszeit ist dies ein zentrales Thema.

Wer sich staumäßig allerdings zu neuen (philosophischen) Ufern („Höhenflügen“) bewegen möchte, dem sei die nur 80 Seiten starke Abhandlung Synergien im Stau – De Stagnatione („Postprofessionelles Risikomanagement beim Funktionsübergang von flüssigem Stau zum stockendem Verkehr“, von Georg Heider, Marianne Laßmannn und Klaus Peter Rotis, 1995) empfohlen. Die Lektüre erfordert allerdings den zusätzlichen Einsatz eines Fremdwörterlexikons und führt trotz der geringen Seitenzahl zu erheblichem Zeitaufwand. Themen wie „Duzen im Stau“ wird man danach mit ganz anderen Augen sehen.

Zu (fast) guter Letzt kommen meine beiden absoluten Favoriten, die dieses bestimmt nicht deshalb sind, weil beide Autoren sich mit mir in Verbindung gesetzt haben, was dann im Text auch Niederschlag gefunden hat. Titel und Untertitel der beiden Schmöker drücken eigentlich schon sehr gut aus, was man ansonsten umständlich beschreiben müsste. Zum ersten gibt es da Tom Levine mit Planet Auto – Dringende Randbemerkungen zu Auto-Erotikern, Mittelspurschleichern und RennRentnern (2007). Auf knapp vierhundert Seiten seziert Levine geradezu die intimsten Gefühle der automobilen Gesellschaft und hält ihr einen Spiegel vor. Nach der Lektüre fühlt sich eigentlich jeder ertappt und fährt mit anderen Augen durch die Welt. Der Klappentext verspricht ein diabolisches Vergnügen. Dem kann ich mich nur anschließen!

Endlich auch in Deutsch erschienen ist Auto – Warum wir fahren, wie wir fahren und was das über uns sagt von Tom Vanderbilt (2009, interessant: der englische Titel heißt Traffic, was im Englischen weit mehr als nur „Verkehr“ bedeutet). Dieses Buch stellt einen Meilenstein der Verkehrsliteratur dar. Über Jahre hat Vanderbilt recherchiert und zusammengetragen was dabei herausgekommen ist. Es geht um Spurwechsel, die persönliche Fehleinschätzung der eigenen Fähigkeiten (am Steuer), insbesondere der Wahrnehmung des Gehirns, um das wohl niemals endende Thema der Unterschiede zwischen Mann und Frau, um Sicherheit und weltweite Unterschiede im Verkehr. Auf fast fünfhundert Seiten werden hier Vorurteile gnadenlos enttarnt und ihnen neue wissenschaftliche Erkenntnisse entgegengesetzt. Die „Newsweek“ schrieb nicht umsonst: „Eine erhellende Reise durch die Mysterien des Verkehrs.“ Dieses Buch hat ein wenig den Beigeschmack der Endgültigkeit, denn jedes folgende muss sich daran messen lassen, und das wird schwer (auch für mich!).

Ich hoffe, der eine oder andere lässt sich auf eines der LiterAUTOur-Abenteuer ein, manchmal verschenkt man ein Buch ja gar nicht und liest es einfach selbst.

Es gibt jedoch auch Menschen, die das Automobil mehr „erleben“ als „erlesen“ möchten. Diesen sei das Meilenwerk in Böblingen empfohlen. Es ist das dritte und größte (und neueste) nach Berlin und Düsseldorf. Zu sehen sind dort Fahrzeuge aus allen Dekaden und von verschiedensten Herstellern. Das Highlight dort ist aber zweifelsohne das V8-Hotel, in dem man nicht nur übernachten kann, sondern dies auch noch in zehn „Themenzimmern“ zelebrieren kann. Ich hatte das Vergnügen, in dem Zimmer „Werkstatt“ zu übernachten. Das Bett in einem um das Dach gekürzten Fahrzeug fand ich eigentlich recht einladend. Als ich aber die Beine unter dem Bett herausstehen sah, erschrak ich für einen Augenblick. Es waren aber nur Beine (ohne Körper) und alles Andere war auch sehr detailgetreu zusammengestellt (vor dem Badezimmer stand: „Mannschaftsdusche“, an der Wand: „Keine Fahrradreparaturen“). Meine Zimmernachbarin hatte das Glück, in dem Themenzimmer „Waschstraße“ zu nächtigen. Sie berichtete am nächsten Morgen von einem Ganzkörperfön…

Wie man es von einem guten Hotel gewohnt ist, lag neben dem Bett eine Bibel. Aber, stilgerecht, nicht eine normale Bibel, sondern die „Auto-Bibel“ (von Harald Braun, Untertitel: „Man kann ein Auto nicht wie ein menschliches Wesen behandeln. Ein Auto braucht Liebe“, 2008). In vielen Essays geht es um die Nöte der Autofahrer, ohne zu sehr in die Tiefe zu gehen. Der Tenor des Buches kann nicht besser beschrieben werden als durch Äußerung von Sterling Moss: Das erste Auto im Leben vergisst man ebenso wenig wie die erste Frau“. (Klappentext von Harald Schmidt: „Für viele Männer ist Autofahren wie Sex: Die Frau sitzt teilnahmslos daneben und ruft immer: nicht so schnell, nicht so schnell“). Starke Worte und die richtige Lektüre vor dem Schlaf! Ob das allerdings angesichts der alltäglichen Stausituationen noch zeitgemäß ist, sei dahingestellt. Meine Frau neigt da eher zu der Aufforderung: „Nicht so langsam, nicht so langsam…“

Enden möchte ich mit jedoch einem Ausspruch von Goethe, gefunden in dem Buch De Stagnatione, und allen gewidmet, die zum Jahresende südliche Gefilde ansteuern:

Stau, den hab ich längst entbehret
In dem stets umhüllten Norden,
Aber in dem heißen Süden
Ist er mir genugsam worden.

Schöne Weihnachten und einen guten Rutsch ins neue Jahr!

 

Professor Michael Schreckenberg, geboren 1956 in Düsseldorf, studierte Theoretische Physik an der Universität zu Köln, an der er 1985 in Statistischer Physik promovierte. 1994 wechselte er zur Universität Duisburg-Essen, wo er 1997 die erste deutsche Professur für Physik von Transport und Verkehr erhielt. Seit mehr als 15 Jahren arbeitet er an der Modellierung, Simulation und Optimierung von Transportsystemen in großen Netzwerken, besonders im Straßenverkehr, und dem Einfluss von menschlichem Verhalten darauf.

Seine aktuellen Aktivitäten umfassen Online-Verkehrsprognosen für das Autobahnnetzwerk von Nordrhein- Westfalen, die Reaktion von Autofahrern auf Verkehrsinformationen und die Analyse von Menschenmengen bei Evakuierungen.

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