Gib mir ein Zeichen

In der letzten Kolumne habe ich mich mit der schönen Vision des friedlichen Miteinanders auf der Straße ohne Ampeln und Schilder, gerne auch als „Shared Space“ bezeichnet, befasst. So verlockend die Aussichten auch sind, die Realität spricht eine ganz andere (Zeichen-)Sprache. Mit einem umfangreichen Regelwerk wird versucht, die sich bewegen wollenden Autoflotten im Zaum zu halten. An oberster Stelle steht dabei natürlich die Sicherheit, aber so mancher andere Aspekt hat dort im Laufe der Zeit auch noch Eingang gefunden.

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Das erste Kraftfahrlehrbuch „Schule des Automobilfahrers“ wurde schon 1902 verlegt, bevor 1904 in Aschaffenburg die „erste deutsche Autolenkerschule“ zur Ausbildung „verständiger Autolenker“ eingerichtet wurde. Man halte sich vor Augen, dass bis dahin allenfalls der Autohändler eine technische Einweisung vornahm. Eine Führerscheinprüfung mit einem mündlichen und praktischen Teil durch die „Dampfkesselüberwachungs-Vereine“ wurde schließlich 1910 eingeführt. Aus diesen Dampfkessel-Vereinen wurde übrigens später der TÜV. Im gleichen Jahr wurde das erste deutsche Rahmen-Gesetz über den Kraftfahrverkehr verabschiedet.

Die so viel diskutierte Kraftfahrzeugsteuer existiert schon seit 1922, ebenso wie die erste „massive“ Tankstelle („Tankhaus“) in Hannover. Interessant ist, dass erst 1968 die Entkriminalisierung von Verkehrsverstößen stattfand, indem ein Ordnungswidrigkeitengesetz eingeführt wurde, mit der Folge der heute so gerne entgegen genommenen „Bußgeldbescheide“.

Das für Deutschland so richtungsweisende 68’er Jahr hatte noch einen anderen Höhepunkt: die Verabschiedung des Wiener Abkommens über die standardisierten Verkehrszeichen. Damit sollte dem Wildwuchs nationaler Einzelentwicklungen Einhalt geboten werden. Ein Zusatzabkommen aus dem Jahre 1993 war nötig, um eine zeitgemäße Anpassung zu gewährleisten. Der daraus entstandene Schilderwald erfreut sich trotzdem weltweiter Individualität, wie jeder Autofahrer aus Reisen in anderen Ländern zu berichten weiß.
Was den Linksverkehr angeht, so könnte man die einfache Regel anwenden, dass alle Verkehrszeichen einfach gespiegelt werden, also links und rechts zu vertauschen sind. Das macht tatsächlich auch meistens Sinn, manchmal eben gar nicht und es gibt auch nicht offensichtliche Abweichungen von der Regel. Die Grenzen dieser „Spiegelungsregel“ erkennt man am einfachsten an dem weltweit gültigen Prinzip „Rechts-vor-Links“, egal ob Rechts- oder Linksverkehr. Es gibt auch andere Auslegungen wie in den USA, wo der zuerst Ankommende das Vorfahrtsrecht genießt (falls keine andere Regelung greift).

Klarerweise kommen Gefahren, die bei uns von rechts zu befürchten sind, bei Linksverkehr von links, also Kühe, Pferde, Wild oder auch Fußgänger. Allerdings kommt bei uns das Wild auf Autobahnen (meistens) aus beiden Richtungen, um Autofahrer davor zu bewahren, nur die rechte Fahrbahnseite im Auge zu behalten.

Ein drohender Stau wird bei uns vom Fahrer aus nach links gesehen, wie in dem entsprechenden Verkehrszeichen, in England nach rechts (man schaut in dieser Weise an den stauenden Fahrzeugen vorbei). Andererseits ist klar, dass eine Links-/Rechtskurve eine Links-/Rechtskurve bleibt, egal auf welcher Straßenseite man fährt. Dies gilt in gleicher Weise für Steinschlag, der aus einer bestimmten Richtung kommt.

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Dagegen ist nicht ganz klar, wieso man die Verkehrszeichen für Steigung und Gefälle nicht gespiegelt hat, wahrscheinlich, weil wir von links nach rechts zu lesen gewohnt sind. Aber auch da kann man unterschiedlicher Ansicht sein.

Soweit ist das alles nur Theorie. Kann der Autofahrer überhaupt auf alle Verkehrszeichen in vernünftiger Art reagieren? Schließlich hat ja die Missachtung derselben häufig genug Folgen, teilweise schwerwiegend. Der Schilderwald, dem wir uns ausgesetzt sehen, insbesondere bei schlechter Beleuchtung und behindert durch Pflanzenwuchs, erfordert höchste Aufmerksamkeit. Und eigentlich, so steht geschrieben nach einem BGH Urteil von 1970, sind die Verkehrszeichen so anzubringen, dass sie schon „mit einem raschen und beiläufigen Blick“ zu erfassen sind, wobei der beiläufige Blick als das „nicht suchende Auge“ interpretiert wird. Ist doch irgendwie klar, oder? Der ganze Prozess soll dann so um die 1,2 Sekunden in Anspruch nehmen. Jeder kann das ja mal bei sich selbst testen. Abweichungen nach oben sind durchaus möglich!

Aber auch das bewusste Wahrnehmen der Verkehrszeichen veranlasst nicht unbedingt zur Befolgung derselben. Es gibt da einen bestimmten Qualitätsunterschied zwischen den „Blechschildern“, denen man wenig Intelligenz unterstellt, im Gegensatz zu den variablen Verkehrszeichen auf Schilderbrücken oder den neueren „dWiSta’s“ (dynamische Wegweiser mit integrierten Stauinformationen), die aktuell auf das Verkehrsgeschehen reagieren (oder besser: reagieren sollen!). Im Zuge der WM 2006 sind diese im Umfeld der relevanten Stadien aufwändig installiert worden. Leider hält sich der Informationsgehalt jedoch bis heute in überschaubaren Grenzen.

Am häufigsten ist natürlich die Geschwindigkeitsbeschränkung ein Thema. Sie hält ja den Autofahrer von der freien Entfaltung seiner Fähigkeiten ab. Untersuchungen haben ergeben, dass die variablen Beschränkungen nicht ganz ernst genommen werden. Entweder kann man nicht schneller fahren als angezeigt wird aufgrund von Stau, oder es ist Stau angezeigt, aber man kann zügig fahren. Beides fördert nicht das Vertrauen in diese Systeme.

Hin und wieder versucht ein Verkehrsminister, den Schilderwald ein wenig zu lichten und dies als bedeutende Verkehrspolitik zu verkaufen. Das eine oder andere Verkehrszeichen wird als überflüssig erkannt und auf den Index gesetzt. Heftige Diskussionen sind jeweils die Folge, im Ergebnis ändert sich dann eigentlich Nichts. Klar ist jedenfalls, dass das Gefühl, wir hätten zu viele Schilder an den Straßen („Verkehrsschildbürgerstreich“) keineswegs trügerisch ist. Viele Untersuchungen sind dazu angestellt worden und es werden Zahlen von 30% an Überfluss gehandelt. In NRW wurde sogar ein „Kopfgeld“ von immerhin 10 Euro pro gemeldetem und wirklich obsoletem Verkehrszeichen ausgesetzt, allerdings galt das Angebot nur für die Bediensteten des Landesbetriebs.

Mit den Schildern lässt sich auch ordentlich Geld verdienen. Das scheint ein Anbieter auf Mallorca auch geahnt zu haben. Ich erinnere mich an diverse Urlaube dort mit Überlandfahrten im Mietfahrzeug. Vor jedem noch so kleinen Anstieg mit direkt anschließendem geringen Gefälle stand das Verkehrszeichen 276: Überholverbot, in maximal 50 Meter Entfernung gefolgt von der Aufhebung desselben (Verkehrszeichen 280). Es muss hunderte Paare dieser Art auf Mallorca geben.

Die größten Veränderungen haben sich in Deutschland aber im Bereich der Kreisverkehre ergeben. Irgendwie hat dieser in Deutschland keine Tradition. Böse Zungen behaupten, das hätte etwas mit den lukrativen Verdienstmöglichkeiten durch Lichtsignalanlagen zu tun, die dann ja auch noch gewartet werden müssen…

Während beispielsweise in Frankreich und England der Kreisverkehr zum Alltagsbild gehört, hielt er bei uns eher durch die Hintertüre wieder Einzug, allerdings nur mit einer Spur. Man wollte die Autofahrer nicht überfordern. Tatsächlich ist eine Umrundung des Arc de Triomphe in Paris mit etwa acht Spuren (weiß man nicht so genau) schon eine Herausforderung auch für geübte „Kreiselfahrer“, mal ganz abgesehen von dem schon mal von mir thematisierten „Magic Roundabout“ in England bei Linksverkehr (ein Kreisverkehr mit fünf Unterkreisverkehren). Der Grund für das vermehrte Auftreten von Kreisverkehren bei uns ist der Sicherheitsaspekt: man muss beim Einfahren auf ca. 30 km/h abbremsen, bei Kreuzungen mit Ampeln kann man mit 70 km/h durchrauschen, mit entsprechenden Folgen bei Unfällen mit dem Querverkehr.

Allerdings hat das Konzept seine deutlichen Grenzen. Hat man eine dominante Vorzugsrichtung, hat man kaum eine Chance „dazwischen zu kommen“. Das hat etwas von „Dauerrot“. Häufig musste dann mit einer weiteren Spur nachgebessert werden.

Der erste Kreisverkehr weltweit wurde übrigens 1904 in New York (wo sonst!) am Columbus Circle (Central Park) eingerichtet. Schon damals war nicht ganz klar, wer denn nun eigentlich Vorfahrt hat: die Fahrzeuge im Kreisel oder die Einfahrenden. Diese Unsicherheit hat sich bis heute erhalten. Seit 2001 gibt es daher eine neue Regelung mit entsprechendem Verkehrszeichen: Vorfahrt gewähren (VZ 205) plus Kreisverkehr als runder blauer Kreisel (VZ 215). Der Kreisel hat dort Vorfahrt und erst beim Ausfahren muss man den Blinker („Fahrtrichtungsanzeiger“) betätigen, beim Einfahren ist dies sogar unzulässig. Bei Abständen von wenigen Metern zwischen den Ausfahrten ein schwieriges, teilweise kaum realisierbares Unterfangen. Man darf die abgeböschte Insel zum beschleunigten Durchfahren übrigens nicht mitbenutzen (Rechtsfahrgebot!) und schon gar nicht halten.

Allerdings gibt es jede Menge Kreisverkehre mit nur einem der beiden Verkehrszeichen 205 oder 215 oder keinem von beiden. Hier ist Fantasie gefragt, in jedem Falle aber Vorsicht. Leider sind selbst moderne Navigationssysteme der „Kreisverkehrhysterie“ nicht gewachsen. Überall sprießen sie wie Pilze aus dem Boden. Dies habe ich gerade noch bei meinem diesjährigen Urlaub an der Nordseeküste eindrucksvoll erfahren können.

Dass man Verkehrszeichen stets beachten sollte, zeigt ein aktuelles Gerichtsurteil zu einem Einspruch gegen die Entziehung einer Fahrerlaubnis. Dabei wurde einem Verkehrsteilnehmer der Führerschein bei 18 Punkten in Flensburg wegen Falschparkens entzogen. Den Punkten, so das Gericht, sei schließlich egal, woher sie kämen und ab 40 Euro gibt es halt einen Punkt.

Punkte kann man sich aber auch leicht durch einfache Gesten einhandeln. Sollten die Hände eigentlich zur Verständigung in unklaren Situationen eingesetzt werden (um fehlende oder unklare Verkehrszeichen zu ersetzen), werden sie aber auch zu, ich sage mal, Meinungsäußerungen missbraucht. Der bekannte „Effe“- Stinkefinger kostet dann schon mal 4.000 Euro, auch wenn man damit keine unklare Situation geklärt hat, ganz im Gegenteil!

 

Professor Michael Schreckenberg, geboren 1956 in Düsseldorf, studierte Theoretische Physik an der Universität zu Köln, an der er 1985 in Statistischer Physik promovierte. 1994 wechselte er zur Universität Duisburg-Essen, wo er 1997 die erste deutsche Professur für Physik von Transport und Verkehr erhielt. Seit mehr als 15 Jahren arbeitet er an der Modellierung, Simulation und Optimierung von Transportsystemen in großen Netzwerken, besonders im Straßenverkehr, und dem Einfluss von menschlichem Verhalten darauf.

Seine aktuellen Aktivitäten umfassen Online-Verkehrsprognosen für das Autobahnnetzwerk von Nordrhein- Westfalen, die Reaktion von Autofahrern auf Verkehrsinformationen und die Analyse von Menschenmengen bei Evakuierungen.

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