Die Delegation der Führerscheinkontrolle im Unternehmen
<p>Die Delegation der Führerscheinkontrolle im Unternehmen kann strafrechtlich zum „Bumerang“ für die Geschäftsleitung werden, wenn sie nicht richtig durchgeführt wird.</p>

PDF Download
Eine aktuelle Entscheidung des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 07. November 2022 zeigt, dass bei der unternehmensinternen Führerscheinkontrolle einige Besonderheiten zu beachten sind. Werden diese berücksichtigt, kann das im Ergebnis die Fuhrparkpraxis praktisch erleichtern.
Halterpflichten als Ausgangpunkt der Führerscheinkontrolle
Ein zentraler Bereich der Halterpflichten im Fuhrpark betrifft die Führerscheinkontrolle. Daher ist zunächst ein Blick auf die Halterpflichten im Fuhrpark angezeigt. Diese weisen unterschiedliche Anknüpfungspunkte auf. Neben dem verkehrssicheren Fahrzeugzustand im Fuhrpark (§ 7 StVG, § 31 Abs. 2 StVZO) und der vorschriftsmäßigen Nutzung der Fahrzeuge beispielsweise im Hinblick auf die Ladungssicherung knüpft ein weiterer Teil der Halterpflichten an die Kontrolle der Fahrzeugnutzer und Fahrer an. Das betrifft deren allgemeine Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen (zum Beispiel Fahren unter Alkoholoder Medikamenteneinfluss), die Einhaltung von Fahrpersonalvorschriften zu Lenk- und Ruhezeiten sowie die entsprechenden Aufzeichnungspflichten bei Berufskraftfahrern (Fahrerkarte, Fahrtenschreiber). Die Verletzung der Kontrollpflichten des Halters in Bezug auf den Führerschein der Firmenwagennutzer kann zu einer eigenständigen strafrechtlichen Haftung des Fuhrparkverantwortlichen nach § 21 StVG führen. Denn nach § 21 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 StVG macht sich strafbar, wer fahrlässig als Halter eines Kraftfahrzeugs anordnet oder zulässt, dass jemand das Fahrzeug führt, der die dazu erforderliche Fahrerlaubnis nicht hat. Die Pflicht zur Führerscheinkontrolle kann aber, wie jede andere Halterpflicht auch, separat übertragen werden.
Wer ist die halterverantwortliche Person im Unternehmen
Nach einer allgemeinen Definition ist Halter eines Fuhrparkfahrzeugs, wer ein Firmenfahrzeug auf eigene Rechnung gebraucht und wer tatsächlich, vornehmlich wirtschaftlich, über die Fahrzeugbenutzung als Gefahrenquelle so verfügen kann, sodass es dem Wesen der Veranlasserhaftung entspricht. Halter sind insoweit auch Unternehmen, wenn sie Firmenfahrzeuge auf eigene Rechnung in Gebrauch haben, den Nutzen der Verwendung erhalten und die Kosten der Fahrzeugnutzung tragen. Das ist im Firmenfuhrpark ganz regelmäßig der Fall.
Ist die Halterin eine juristische Person oder eine rechtsfähige Personengesellschaft, treffen die Halterpflichten nach § 14 Abs. 1 StGB grundsätzlich deren Vertreter. Das sind beispielsweise der Geschäftsführer bei einer GmbH, der Vorstand bei der Aktiengesellschaft und der oder die Geschäftsführer einer Personengesellschaft wie bei einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) oder einer offenen Handelsgesellschaft (OHG). Die unternehmensinterne Halterverantwortung liegt daher regelmäßig zuerst bei den vertretungsberechtigten Geschäftsführungsorganen des Unternehmens, das einen Fuhrpark mit gekauften oder geleasten Fahrzeugen betreibt beziehungsweise welches das Geschäftsfahrzeug angeschafft hat. Sie kann aber von der Geschäftsleitung auf andere Personen delegiert, das heißt übertragen werden.
Delegation der Führerscheinkontrolle heißt nicht „weg damit“
Die Führerscheinkontrolle im Fuhrpark gehört zu den delegierbaren Halterpflichten. Die Pflicht, sich vor der Überlassung des Fahrzeugs den Führerschein zeigen zu lassen, besteht jedenfalls in einem bestehenden Arbeitsverhältnis. Wie jeder Halter darf auch der Arbeitgeber die Halterpflichten delegieren (vgl. § 14 Abs. 2 StGB).In den allermeisten Fällen kann oder will die Geschäftsleitung als Arbeitgeber die Halterpflichten für den Firmenfuhrpark nicht persönlich wahrnehmen. Wenn eine solche höchstpersönliche Durchführung der Führerscheinkontrolle nicht infrage kommt, dann sollte die Übertragung der entsprechenden Halterpflicht im Wege einer Aufgabendelegation erfolgen. Die Delegation beziehungsweise Übertragung der Führerscheinkontrolle kann entweder innerhalb des eigenen Unternehmens oder außerhalb des eigenen Unternehmens durch Delegation an einen externen Fuhrparkdienstleister erfolgen. Wie dem auch sei: Die wesentlichen Anforderungen an die Umsetzung der Delegation sind hierbei prinzipiell die gleichen.

Aktuelles Magazin
Ausgabe 5/2023

Sonderausgabe Elektro
Das neue Jahresspecial Elektromobilität.
An die Sorgfaltspflicht des Halters sind zwar strenge Anforderungen zu stellen; sie dürfen aber auch nicht überspannt werden. Eine wirksame Delegation bewirkt, dass anstelle des Halters derjenige strafrechtlich verantwortlich ist, der von diesem zur Leitung mit entsprechender Personal- und Führungsverantwortung bestimmt wurde. Eine wirksame Delegation setzt allerdings die Geeignetheit der mit der Aufgabe betrauten Person voraus. Der Betriebsinhaber oder Geschäftsführer hat daher darauf zu achten und sich darüber zu vergewissern, dass er eine sorgfältige und zuverlässige Person mit der Aufgabe der Führerscheinkontrolle beauftragt. Andernfalls ist die Verantwortung nicht wirksam übertragen oder kommt im schlimmsten Fall wieder wie ein „Bumerang“ zurück. Besonders wichtig ist, dass den Beauftragten im Fall einer Delegation der Führerscheinkontrolle jedenfalls keine weitergehenden Pflichten treffen als den Halter selbst.
Was muss der „Delegierte“ bei der Führerscheinkontrolle beachten
Überlässt der Halter einem anderen ein Fahrzeug, hat er grundsätzlich vor der Fahrzeugüberlassung zu überprüfen, ob die Person, der das Fahrzeug überlassen wird, im Besitz der dazu erforderlichen Fahrerlaubnis ist. Das gilt entsprechend für die damit vom Halter beauftragte Person. Der Halter – mithin auch der Beauftragte – muss sich dazu in der Regel vom Fahrer den Originalführerschein vorlegen lassen, wenn er nicht sicher weiß, dass der andere eine Fahrerlaubnis besitzt. Er hat die Führerscheinklasse und eine etwaige Gültigkeitsdauer zu beachten. Mit einer ihm unverständlichen fremdsprachigen „Bescheinigung“ darf er sich nicht begnügen. Der Umstand, dass ein EU-Bürger ein Führerscheindokument eines EU-Mitgliedstaats vorlegt, begründet für den Halter (und damit zugleich für den Beauftragten) jedoch keine Pflicht, weitere Nachprüfungen bei der Fahrerlaubnisbehörde oder der Polizei zu veranlassen. Denn ein Führerschein aus einem Mitgliedstaat der EU oder einem Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) bleibt in der Regel auch nach Wohnsitznahme in der Bundesrepublik gültig (vgl. § 28 Abs. 1 FeV).
Aktuelle Entscheidung des BayObLG zur Führerscheinkontrolle
Das Bayerische Oberste Landesgericht (Bay ObLG) hatte sich in einer aktuellen Entscheidung (vom 07.11.2022, Az. 203 StRR 420/22) mit der Delegation der Halteraufgaben durch die Geschäftsleitung eines Bauunternehmens an einen Bauleiter zu befassen.
In der vom BayObLG entschiedenen Sache ging es um die strafrechtliche Haftung nach § 21 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 StVG. Das ist die Straftat eines Kraftfahrzeughalters, der fahrlässig zulässt, dass jemand das Fahrzeug führt, der die dazu erforderliche Fahrerlaubnis nicht besitzt. Im Kern ging es hier um die Frage, ob eine wirksame unternehmensinterne Delegation von Halterpflichten wie der Führerscheinkontrolle auch dann möglich ist, wenn vorher weder eine Vermittlung von Rechtskenntnissen des deutschen und internationalen Fahrerlaubnisrechts noch Hinweise auf Fälschungsmerkmale von Führerscheindokumenten erfolgt sind.
Der Sachverhalt entspricht dem Alltag in vielen Fuhrparks in deutschen Unternehmen:
Angeklagt war der Geschäftsführer eines in Deutschland ansässigen und bundesweit tätigen Bauunternehmens mit etwa 400 bis 600 Angestellten, der einen Bauleiter mit Fuhrparkaufgaben betraut hatte. Die jeweiligen Bauleiter waren von der Geschäftsleitung beauftragt, den jeweiligen Fuhrpark der Firma vor Ort selbstständig zu verwalten und eigenverantwortlich zu entscheiden, welchem Mitarbeiter ein Fahrzeug überlassen werden durfte. Die Bauleiter waren angewiesen, dazu eine Kontrolle des Führerscheins vorzunehmen.
Ein – gesondert strafrechtlich verfolgter – Mitarbeiter des Unternehmens zeigte dem Bauleiter ein rumänisches Identitätsdokument und einen europäischen Führerschein vor. Daraufhin erhielt er vom Bauleiter einen Firmen-Pkw ausgehändigt, den er am 17. Dezember 2021 führte. Eine anlässlich einer Kontrolle durchgeführte polizeiliche Führerscheinabfrage ergab, dass dem Fahrer in Europa gar keine Fahrerlaubnis ausgestellt worden war. Der von ihm beim Bauleiter vorgezeigte Führerschein wurde im Verfahren zwar nicht sichergestellt. Das Amtsgericht war aber in erster Instanz nach der durchgeführten Beweisaufnahme davon ausgegangen, dass es sich dabei um eine Fälschung handelte, die der Bauleiter schlicht nicht erkannt hatte.
Verurteilung des Geschäftsführers zu einer Geldstrafe
Das Amtsgericht Nürnberg (Urteil vom 19. 04.2022, Az. 55 Cs 706 Js 101516/22) hatte den Geschäftsführer des Bauunternehmens wegen des fahrlässigen Zulassens des Führens eines Kraftfahrzeugs ohne die dazu erforderliche Fahrerlaubnis zu einer Geldstrafe von 1.500 Euro (= 15 Tagessätze zu je 100 Euro) verurteilt. Die hiergegen eingelegte „Sprungrevision“ war im Ergebnis begründet. Die Haltereigenschaft des vom Angeklagten als Geschäftsführer geführten Bauunternehmens lag zwar vor. Jedoch war der Fahrlässigkeitsvorwurf bei der Delegation an den Bauleiter im Ergebnis nicht begründet. Das BayObLG hob das Urteil daher auf und sprach den Geschäftsführer frei.
Freispruch durch das BayObLG: „ohne Weiteres“, aber warum
Das Bayerische Oberste Landesgericht (BayObLG) hat hierzu entschieden, dass die unternehmensinterne Delegation der Halteraufgaben an eine Person mit Führungsaufgaben auch ohne die vorherige Vermittlung von rechtlichen Kenntnissen des deutschen und internationalen Fahrerlaubnisrechts und ohne Hinweise auf Fälschungsmerkmale von Führerscheindokumenten möglich ist. Dabei hat sich der Gehalt der erforderlichen Weisungen maßgeblich an der Person des Beauftragten und der Art des Fahrzeugs zu orientieren. Legt ein Beschäftigter seinem Vorgesetzten einen von einem EU-Mitgliedstaat ausgestellten Führerschein der entsprechenden Führerscheinklasse vor, darf dieser, sofern nicht besondere Umstände vorliegen, von einer ordnungsgemäß erteilten Fahrerlaubnis ausgehen.
Im Ergebnis war der Angeklagte „ohne Weiteres“ vom Vorwurf des fahrlässigen Zulassens des Führens eines Kraftfahrzeugs ohne die dazu erforderliche Fahrerlaubnis freizusprechen. Denn er hatte die ihm als Geschäftsführer originär obliegende Pflicht, sich mittels einer Sichtprüfung des Originalführerscheins darüber zu vergewissern, dass jeder Fahrzeugnutzer im Besitz einer zum Führen des Fahrzeugs erforderlichen gültigen Fahrerlaubnis ist, wirksam an den Bauleiter delegiert, und zwar noch vor der Fahrzeugüberlassung an den gesondert strafrechtlich verfolgten Mitarbeiter. Die Übertragung der Halterpflichten bewirkte, dass der angeklagte Geschäftsführer insoweit von seiner eigenen Kontrollpflicht befreit wurde.
Gegen die Zulässigkeit der Delegation der Halterpflichten von der Geschäftsführung an einen Bauleiter bestehen keine durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Bei der beauftragten Person handelte es sich um den vor Ort für die Baustelle und für den Fuhrpark Verantwortlichen. Als Vorgesetzter des gesondert strafrechtlich verfolgten Mitarbeiters war der Bauleiter zudem diesem gegenüber weisungsbefugt. Aufgrund dessen Führungsposition konnte der angeklagte Geschäftsführer somit grundsätzlich dem Bauleiter sowohl die Entscheidungskompetenz für die Überlassung der Fahrzeuge vor Ort als auch die Halterpflichten übertragen.
Für die Rechtswirksamkeit der Delegation bedurfte es hier nicht der vom Amtsgericht vermissten Dokumentation der Anweisung. Dass der angeklagte Geschäftsführer dem Bauleiter eine Kontrolle des Führerscheins auferlegt hatte, hat das Amtsgericht jedoch festgestellt. Die Delegation als solche bedarf keiner besonderen Form, insbesondere keiner Schriftform. Sie kann sowohl einzelfallbezogen als auch generell mündlich erfolgen. Eine Arbeitsplatzbeschreibung zu Dokumentationszwecken ist demnach keine zwingende Wirksamkeitsvoraussetzung für die verbindliche Übertragung der Halterpflichten.
Entgegen der Rechtsauffassung des Amtsgerichts war die Delegation der Halteraufgaben an den Bauleiter auch ohne die vorherige Vermittlung von rechtlichen Kenntnissen des deutschen und internationalen Fahrerlaubnisrechts und ohne Hinweise auf Fälschungsmerkmale von Führerscheindokumenten möglich. Welche Instruktionen geboten sind, ist eine Frage des Einzelfalls. Der Gehalt der erforderlichen Weisungen hat sich maßgeblich an der Person des Beauftragten und der Art des Fahrzeugs zu orientieren. Innerhalb eines Unternehmens erachtet der Senat die Übertragung der Führerscheinkontrolle auf eine in das Unternehmen eingegliederte und mit Führungsaufgaben betraute Person in Form einer Anweisung, vor einer Überlassung eines Firmen-Pkws an einen unterstellten Mitarbeiter eine Sichtprüfung des Originalführerscheins vorzunehmen, verbunden mit der Entscheidungskompetenz, bei Zweifeln das Fahrzeug nicht auszuhändigen, für eine wirksame Delegation der Halterpflichten als ausreichend.
Legt ein Beschäftigter seinem Vorgesetzten einen von einem EU-Mitgliedstaat ausgestellten Führerschein der entsprechenden Führerscheinklasse vor, darf dieser von einer ordnungsgemäß erteilten Fahrerlaubnis ausgehen. Dass diese gefälscht, ungültig oder die Fahrerlaubnis dem anderen inzwischen entzogen worden sein könnte, braucht er nur bei Vorliegen besonderer Anhaltspunkte in Rechnung zu stellen. Solange Letzteres nicht der Fall ist, muss der Halter nicht prüfen, ob die Fahrerlaubnis des anderen tatsächlich erteilt wurde.
Der Geschäftsführer war danach im vorliegenden Fall nicht gehalten, dem Bauleiter für den Fall der Vorlage eines EU-Führerscheins durch einen Firmenmitarbeiter noch weitere, über die Sichtprüfung hinausgehende Vorgaben, etwa auf eine generelle Prüfung auf Fälschungsmerkmale, zu machen. Eine anlasslose Abklärung durch eine Polizei- oder Führerscheinbehörde ist bei einem EU-Dokument ebenfalls nicht veranlasst. Das gilt mit Blick auf den Schutz der Freizügigkeit auch, wenn Staatsangehörigkeit, Wohnsitz und Ausstellerbehörde im EU-Inland auseinanderfallen. Den vom Amtsgericht im angefochtenen Urteil zugrunde gelegten Erfahrungssatz des Inhalts, dass in einem bestehenden Arbeitsverhältnis für den Fall der Vorlage eines in einem EU-Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins oder für den Fall der Abweichung von Staatsangehörigkeit und Ausstellungsland eine gesteigerte Prüfungspflicht des Arbeitgebers bestünde, auf die der Angeklagte den Bauleiter im Vorhinein hätte hinweisen müssen, gibt es danach nicht.
Kein Bumerang für die Geschäftsleitung
Ein Ausnahmefall, dass die Verantwortlichkeit des Halters auf den angeklagten Geschäftsführer zurückgefallen wäre, liegt hier nicht vor. Denn nach den Feststellungen des Amtsgerichts gibt es keine tragfähigen Anhaltspunkte dafür, dass dieser zum Zeitpunkt der Delegation an den Bauleiter oder anschließend von einer Unzuverlässigkeit des Bauleiters ausgehen musste. Vielmehr ist das Amtsgericht zu der Überzeugung gelangt, dass sich der Bauleiter den Führerschein des gesondert verfolgten Mitarbeiters vorlegen ließ und damit seiner – vom Halter übernommenen – Pflicht zur Sichtprüfung des Führerscheins vor der Überlassung des Fahrzeugs an den Fahrer auch nachgekommen war. Weitere Prüfungspflichten des Bauleiters, insbesondere auf den Ausschluss einer möglichen Fälschung des Dokuments, bestanden nach dem oben Gesagten gerade mit Blick auf den Vertrauenstatbestand eines bestehenden Beschäftigungsverhältnisses des Fahrers nicht. Anhaltspunkte dafür, dass der dem Bauleiter vorgezeigte – falsche – EU-Führerschein den gesondert verfolgten Mitarbeiter auch aus anderen Gründen als einer Fälschung nicht berechtigt hätte, den Firmen-Pkw zu führen, sind nicht ersichtlich.
Auch wenn der gesondert strafrechtlich verfolgte Mitarbeiter dem Bauleiter ein gefälschtes Dokument vorlegte, lässt dies die Wirksamkeit der Delegation der Halterpflichten auf den Bauleiter somit unberührt. Darauf, ob der Bauleiter im Einzelfall die Fälschung hätte erkennen können, kommt es für die Frage der insoweit im Vorhinein (ex ante) zu beurteilenden wirksamen Delegation der Halterpflichten nicht an.
Folgen für die Praxis der Führerscheinkontrolle
Die Entscheidung des BayObLG dürfte so manchen Geschäftsführer und Fuhrparkleiter im Hinblick auf die Anforderungen der Delegation der Pflicht zur Führerscheinkontrolle beruhigen. Sie biete neben wichtigen grundsätzlichen Erkenntnissen auch einige praxisrelevante Klarstellungen für die Fuhrparkpraxis:
1. Sowohl die Entscheidungskompetenz für die Überlassung der Fahrzeuge vor Ort als auch die Halterpflichten können grundsätzlich an Führungspersonen im Unternehmen übertragen werden.
Die jeweilige Führungsperson ist dann örtlich und sachlich für den Fuhrpark verantwortlich. Der Grund hierfür liegt unter anderem in der arbeitsrechtlichen Weisungsbefugnis des Vorgesetzten gegenüber seinen Mitarbeitern. Dies gilt grundsätzlich für Abteilungsfahrzeuge, über deren Verwendung der jeweils vorgesetzte Abteilungsleiter gegenüber seinen Mitarbeitern entscheidet. Insoweit ist davon auszugehen, dass schon aufgrund der Führungsposition im Unternehmen feststeht, dass eine geeignete und sorgfältig ausgewählte Person für die Übertragung der Halteraufgaben ausgewählt worden ist.
Bei dieser Betrachtung ist daher generell für den Fuhrpark zu fordern, dass zumindest der Fuhrparkleiter gegenüber den Fahrzeugnutzern in Bezug auf Fuhrparkfahrzeuge und Dienstwagen und deren Nutzung arbeitsrechtlich weisungsbefugt sein muss. Häufig ist er dies schon aufgrund der meist anders gestalteten Hierarchie im Unternehmen jedoch nicht. Meist werden Fuhrparks auch „nur“ als zentrale oder standortabhängige Serviceabteilung für die anderen Unternehmensteile angesehen. Eine fehlende Weisungsbefugnis des Fuhrparkleiters gegenüber Fahrzeugnutzern aus dem Fuhrpark kann aber dazu führen, dass die delegierte Aufgabe – wie die Führerscheinkontrolle – nicht mehr eigenständig wahrgenommen wird und schon aus diesem Grund auf den delegierenden Geschäftsführer zurückfallen kann.
Eine wirksame Delegation setzt zudem die Geeignetheit der mit der delegierten Aufgabe betrauten Person voraus. Der Betriebsinhaber beziehungsweise Geschäftsführer hat daher darauf zu achten und sich darüber zu vergewissern, dass er eine sorgfältige und zuverlässige Person mit der Aufgabe der Führerscheinkontrolle beauftragt.
2. Die schriftliche Dokumentation der Delegation ist nicht erforderlich für die Rechtswirksamkeit der Delegation an eine Führungsperson.
Die Delegation als solche bedarf keiner besonderen Form, insbesondere keiner Schriftform. Sie kann einzelfallbezogen und generell mündlich erfolgen. Eine Arbeitsplatzbeschreibung zu Dokumentationszwecken ist demnach keine zwingende Voraussetzung für die verbindliche Übertragung der Halterpflichten.
Allerdings ist es aus Beweisgründen durchaus empfehlenswert, entsprechende Anweisungen an das Fuhrparkmanagement zur Führerscheinkontrolle schriftlich zu formulieren und dies im Rahmen einer Arbeitsplatzbeschreibung für das Fuhrparkmanagement für die verbindliche Übertragung der Halterpflichten niederzulegen. Das gilt jedenfalls dann, wenn das Fuhrparkmanagement keine eigenen Führungsaufgaben oder expliziten Vorgesetztenfunktionen im Unternehmen gegenüber den Firmenfahrzeugnutzern wahrnimmt.
3. Die wirksame Delegation der Halteraufgaben setzt voraus, dass die Person, auf welche die Halterpflichten übertragen werden sollen, sorgfältig ausgewählt und durch stichprobenartige Kontrollen im Hinblick auf die gewissenhafte Ausführung der übertragenen Halterpflichten entsprechend überprüft wird.
Für die sorgfältige Auswahl des Delegierten ist es jedoch nicht erforderlich, dass die mit den Fuhrparkaufgaben betraute Person zuvor eine „Fuhrparkausbildung“ erhalten hat. Das Berufsbild des Fuhrparkmanagers ist in der Praxis gewachsen, jedoch (noch) nicht das Ergebnis eines anerkannten Berufsausbildungsgangs mit einer entsprechenden Abschlussprüfung. Vereinzelt werden entsprechende (Zusatz-)Qualifikationen für Fuhrparkmanager als (Zusatz-)Ausbildung mit Abschlussprüfung angeboten. Diese sind für die Wahrnehmung der späteren Fuhrparkaufgaben hilfreich und sinnvoll. Jedoch ist, wie das BayObLG zu Recht klargestellt hat, eine vorherige Vermittlung von Rechtskenntnissen des deutschen und internationalen Fahrerlaubnisrechts sowie eine Vermittlung von Hinweisen zu Fälschungsmerkmalen von Führerscheindokumenten keine Wirksamkeitsvoraussetzung für die Übertragung von Halterpflichten in Form der Führerscheinkontrolle. Die Führerscheinkontrolle im Unternehmen hat insoweit keinen „polizeilichen“ Charakter.
4. Eine Sichtprüfung des Originalführerscheins ist ausreichend.
Diese klarstellende Erleichterung für die Umsetzung der Führerscheinkontrolle gilt jedenfalls dann, wenn die Sichtprüfung mit der Entscheidungskompetenz verbunden ist, bei Zweifeln am Vorliegen der für das Fahrzeug benötigten Fahrerlaubnis das Fahrzeug entweder nicht auszuhändigen oder – bei einer insoweit „negativ“ verlaufenen Führerscheinkontrolle – das Fahrzeug wieder einzuziehen.
Wer die Führerscheinkontrolle durchführt, darf sich aber regelmäßig darauf verlassen, dass bei Vorliegen eines EU-Führerscheins mit der entsprechenden Fahrerlaubnisklasse eine ordnungsgemäß erteilte Fahrerlaubnis vorliegt. Weitergehende Nachforschungen muss der für die Führerscheinkontrolle Verantwortliche nur bei Vorliegen besonderer Anhaltspunkte in Bezug auf die Echtheit (Verdacht der Fälschung) der vorgelegten Fahrerlaubnis, deren Ungültigkeit oder deren (auch nur zeitweisen) Entziehung anstellen. Ohne derartige konkrete Verdachtsmomente darf sich der Verantwortliche für die Führerscheinkontrolle also auf die Dokumentenlage verlassen.
5. Diese Grundsätze können auch auf die elektronische Führerscheinkontrolle übertragen werden.
Wer Führerscheine elektronisch kontrolliert, darf sich darauf verlassen, dass das elektronisch vorgelegte Dokument echt ist und den Nachweis des Vorliegens einer gültigen Fahrerlaubnis für die jeweilige Fahrerlaubnisklasse darstellt, sofern die für das elektronisch unterstützte Kontrollprozedere erforderlichen Authentizitätsmerkmale (wie registrierte Prüfsiegel) für den Nachweis des Vorhandenseins eines echten Originalführerscheins vorliegen.
Rechtsanwalt Lutz D. Fischer, St. Augustin
Kontakt: kanzlei@fischer.legal
Internet: www.fischer.legal
AUTOR
RECHTSANWALT LUTZ D. FISCHER
ist Mitglied der ARGE Verkehrsrecht im Deutschen Anwaltverein. Ein besonderer Kompetenzbereich liegt im Bereich des Dienstwagen- und Verkehrsrechts. Als Autor hat er zahlreiche Publikationen zum Dienstwagenrecht veröffentlicht, unter anderem in der Fachzeitschrift „Flottenmanagement“ sowie im Ratgeber „Dienstwagenund Mobilitätsmanagement 2018–2020“ (Kapitel Datenschutz). Als Referent hält er bundesweit offene Seminare und Inhouse-Veranstaltungen zur Dienstwagenüberlassung mit thematischen Bezügen zu Arbeitsrecht, Entgeltabrechnung, Schadenregulierung und -management, Datenschutz sowie Elektromobilität.
RECHTSPRECHUNG
STRAFRECHT/BUSSGELD/ORDNUNGSWIDRIGKEITEN
Trunkenheitsfahrt mit 1,6 Promille auf dem Fahrrad
Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich ihr Inhaber als ungeeignet oder nicht befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen ist unter anderem, wer – ohne alkoholabhängig zu sein – Alkohol missbräuchlich konsumiert, indem er das Führen von Fahrzeugen und einen die Fahrsicherheit beeinträchtigenden Alkoholkonsum nicht hinreichend sicher trennt (Anlage 4 Nr. 8.1 zur FeV). Hat ein Fahrerlaubnisinhaber ein Fahrzeug im Straßenverkehr bei einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 Promille oder mehr oder einer Atemalkoholkonzentration von 0,8 mg/l oder mehr geführt, ordnet die Fahrerlaubnisbehörde an, dass ein medizinischpsychologisches Gutachten beizubringen ist (§ 46 Abs. 3 i. V. m. § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV). Dies gilt nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut nicht nur für eine Fahrt mit einem Kraftfahrzeug, sondern auch für eine Fahrt mit einem nicht motorisierten Fahrzeug, also auch bei einer erstmaligen Trunkenheitsfahrt mit einem Fahrrad.
Die Wiedererlangung der Fahreignung nach Beendigung des Missbrauchs setzt voraus, dass die erforderliche Änderung des Trinkverhaltens gefestigt ist (Anlage 4 Nr. 8.2 zur FeV). Bayerischer VGH, Beschluss vom 25.07.2023, Az. 11 CS 23.125
Keine Akteneinsicht für Fahrzeughalter als Zeuge im Bußgeldverfahren
Dem als Zeuge in einem Bußgeldverfahren befragten Fahrzeughalter steht regelmäßig auch über einen beauftragten Rechtsanwalt kein Anspruch auf Akteneinsicht in die Ermittlungsakte zu.
Dieser Anspruch ergibt sich insbesondere nicht aus § 49b OWiG i. V. m. § 475 Abs. 1, Abs. 2 StPO. Danach kann ein Rechtsanwalt unbeschadet des § 57 BDSG für Privatpersonen beziehungsweise sonstige Stellen Auskünfte aus Akten, die dem Gericht vorliegen oder diesem im Falle der Erhebung der öffentlichen Klage vorzulegen wären, erhalten, soweit er hierfür ein berechtigtes Interesse dargelegt. Derartige Auskünfte sind zu versagen, wenn der hiervon Betroffene ein schutzwürdiges Interesse an der Versagung hat. Die darüber hinausgehende Akteneinsicht kann unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 gewährt werden, wenn die Erteilung von Auskünften einen unverhältnismäßigen Aufwand erfordern oder nach Darlegung dessen, der Akteneinsicht begehrt, zur Wahrnehmung des berechtigten Interesses nicht ausreichen würde.
Diese Voraussetzungen liegen bereits deshalb nicht vor, weil die Antragstellerin keine Tatsachen vorgetragen hat, aus denen sich ein berechtigtes Interesse an der Erlangung der mit der Akteneinsicht verfolgten Informationen herleiten lässt. Soweit sie vortragen lässt, dass die Akteneinsicht dazu diene, gegebenenfalls den verantwortlichen Fahrzeugführer ermitteln und namhaft machen zu können, vermag sie damit nicht durchzudringen, da es dem Gericht völlig unverständlich erscheint, was die Antragstellerin beziehungsweise ihr Geschäftsführer bei einer Akteneinsicht mehr hätten an Erkenntnissen gewinnen können als durch die Wahrnehmung der bereits mit dem Zeugenvernehmungsbogen übersandten Tatfotos, auf denen insbesondere auch der verantwortliche Fahrzeugführer klar zu erkennen ist. AG Eilenburg, Beschluss vom 30.08.2023, Az. 8 OWi 510/23
VERWALTUNGSRECHT/FAHRERLAUBNIS
Anspruch auf Wiedererteilung einer Fahrerlaubnis nach Alkoholfahrt mit 1,34 ‰
Nach dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand kann von einer außergewöhnlichen Alkoholgewöhnung und der damit einhergehenden erhöhten Gefahr einer erneuten Trunkenheitsfahrt bereits dann ausgegangen werden, wenn der Betroffene bei der zurückliegenden Trunkenheitsfahrt eine Blutalkoholkonzentration von mindestens 1,1 ‰ aufwies, er aber trotz dieser hohen Blutalkoholkonzentration (nahezu) keine alkoholbedingten Ausfallerscheinungen zeigte. Zu alkoholbedingten Ausfallerscheinungen zählen insbesondere die Fahrweise, das heißt eine auffällige, regelwidrige, besonders sorglose und leichtsinnige Fahrweise, aber auch Gleichgewichtsund Sehstörungen, ein stolpernder oder schwankender Gang, Sprechstörungen sowie unbeherrschtes, apathisches oder aggressives Verhalten. Dies alles konnte beim Betroffenen nicht festgestellt werden. Bayerischer VGH, Beschluss vom 07.08.2023, Az. 11 CE 23.1060
Fahrerlaubnisentziehung: gelegentlicher Cannabiskonsum und Medizinalcannabis
Nach § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich der Inhaber der Fahrerlaubnis als zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet erwiesen hat. Gemäß Nr. 9.2.2 i. V. m. der Vorbemerkung Nr. 3 der Anlage 4 zur FeV ist ein Kraftfahrer, der gelegentlich Cannabis einnimmt, im Regelfall als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen anzusehen, wenn er nicht zwischen dem Konsum von Cannabis und dem Führen eines Kraftfahrzeugs trennen kann. Beim Fahrerlaubnisinhaber lag (zumindest) die gelegentliche Einnahme von Cannabis vor.
Nach dem toxikologischen Untersuchungsbericht vom 23.12.2022 wurde in der Blutprobe ein THC-Carbonsäure-(THC-COOH-)Wert oberhalb des Grenzwerts von 100 ng/ml, namentlich 133 ng/ml, sowie ein THC-Wert von 2,2 ng/ml im Blutserum nachgewiesen. Daraus ergibt sich, dass der Fahrerlaubnisinhaber am 05.12.2022 nach dem Cannabiskonsum ein Kraftfahrzeug geführt hat. Darin liegt ein Verstoß gegen das Trennungsgebot nach Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV, der Zweifel an der Fahreignung begründet und die Fahrerlaubnisbehörde gemäß § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV dazu ermächtigt, im Ermessenswege ein medizinisch-psychologisches Gutachten anzuordnen, welches aber nicht beigebracht wurde.
Außerdem hatte der Fahrerlaubnisinhaber nachweislich bereits am 06.05.2019 Cannabis konsumiert, wobei die gelegentlichen Konsumakte noch den notwendigen zeitlichen Zusammenhang aufweisen. Auch legt der Übergang von illegalem Cannabiskonsum zum ärztlich verordneten Cannabiskonsum seit dem 14.01.2023 nahe, dass der Fahrerlaubnisinhaber (gegebenenfalls wegen bestehender Schmerzen) Cannabis über längere Zeit konsumiert hat; er hat auch nicht substantiiert behauptet, sich vom Cannabiskonsum seit 2019 gelöst zu haben. VG Stade, Beschluss vom 18.08.2023, Az. 1 B 1249/23
Fahrerlaubnisentziehung eines Berufskraftfahrers:
Überschreitung der Punkteschwelle
Berufskraftfahrer haben gegenüber ihrem Arbeitgeber die ungeschriebene arbeitsvertragliche Nebenpflicht, jegliche Verkehrsverstöße zu unterlassen, die zur Entziehung der Fahrerlaubnis führen können. Wird die Fahrerlaubnis eines Berufskraftfahrers wegen eines Verkehrsverstoßes mit einem weiteren Punkt im Verkehrszentralregister geahndet und daraufhin wegen Überschreitung der Punkteschwelle die Fahrerlaubnis entzogen, war für den Arbeitslosen bei einfachster Betrachtung erkennbar, dass bei einem weiteren Verkehrsverstoß der Verlust der Fahrerlaubnis und infolgedessen auch des Arbeitsplatzes drohte, sodass von grober Fahrlässigkeit im Sinne des Sperrzeitrechts auszugehen ist. Die irrtümliche Annahme des Arbeitslosen, ein älterer Punkt sei inzwischen verfallen, sodass der neu hinzugetretene Punkt nicht zum Entzug der Fahrerlaubnis führen würde, ist insoweit irrelevant. Ein solcher Irrtum zeigt vielmehr, dass sich der Arbeitslose der Tragweite möglicher weiterer Verstöße durchaus bewusst war, er jedoch irrig davon ausging, sich noch weitere Verstöße erlauben zu können, bevor es zur Entziehung der Fahrerlaubnis kommt. Insofern war sein Verhalten nicht von der Einsicht geprägt, sein Verhalten im Straßenverkehr zu ändern, sondern belegt vielmehr das Unverständnis über den Sinn und Zweck des Punktesystems und seine grobe Fahrlässigkeit hinsichtlich der Folgen weiterer Sorgfaltsverstöße. Zudem hätte der Arbeitslose selbst, wenn seiner Argumentation insoweit zu folgen wäre, sich zuvor bei der Fahrerlaubnisbehörde über seinen aktuellen Punktestand erkundigen können. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 19.04.2023, Az. L 8 AL 1022/22
MPU-Anordnung bei gelegentlichem Cannabiskonsum
Ordnet die Fahrerlaubnisbehörde die Beibringung eines medizinischpsychologischen Gutachtens gegenüber einer Person an, die gelegentlich Cannabis konsumiert und gegen das Trennungsgebot verstoßen hat, darf die Begutachtungsstelle die Erstellung eines positiven Gutachtens nicht generell und ohne sachlichen, sich aus den konkreten Umständen des Einzelfalls ergebenden Grund von einem Abstinenznachweis abhängig machen. Weist der Betroffene in einem solchen Fall auf ein derartiges Verhalten der Begutachtungsstelle substantiiert hin, ist die Fahrerlaubnisbehörde regelmäßig gehalten, bei der Begutachtungsstelle auf eine der geltenden Rechtslage, insbesondere der Nummer 9.2.2 der Anlage 4 der FeV entsprechende Begutachtung und Beantwortung der von ihr gestellten Fragen hinzuwirken. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 14.06.2023, Az. 13 S 366/23
Fahrerlaubnisentziehung wegen Trunkenheitsfahrt mit E-Scooter
Eine Trunkenheitsfahrt mit einem E-Scooter begründet die Regelvermutung der Ungeeignetheit des Täters zum Führen eines Kfz. Durch seine gedankenlose Nutzung eines E-Scooters in erheblich alkoholisiertem Zustand hat der Angeklagte die Katalogtat der fahrlässigen Trunkenheit im Verkehr erfüllt und sich damit als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen. Die Argumentation, die Benutzung eines E-Scooters durch einen betrunkenen Fahrer gefährde andere Menschen nicht in gleichem Maße wie eine mittels Pkw oder Lkw begangene Trunkenheitsfahrt, verfängt nicht.
Das Gesetz bestimmt, dass die Entziehung der Fahrerlaubnis gemäß § 69 Abs. 1 Satz 1 StGB zwingend anzuordnen ist, wenn die Voraussetzungen hierfür gegeben sind. Ein Ermessen des Tatrichters besteht nicht. Von der Entziehung der Fahrerlaubnis kann nur in Ausnahmefällen abgesehen werden. OLG Frankfurt a. M., Urteil vom 08.05.2023, Az. 1 Ss 276/22
VERWALTUNGSRECHT:
STRASSEN- UND WEGERECHT
Sondernutzungserlaubnis: Free-Floating-System für E-Scooter im öffentlichen Straßenraum
Das gewerbliche Einbringen von E-Scootern in den öffentlichen Straßenraum („Free-Floating-System“) ist eine straßenrechtliche Sondernutzung. Eine Sondernutzungserlaubnis darf nur aus Gründen versagt oder mit Nebenbestimmungen erlassen werden, die einen sachlichen Bezug zur Straße aufweisen. Eine Begrenzung der im Straßenraum zuzulassenden E-Scooter sowie eine Begrenzung der Anzahl der Anbieter begegnet grundsätzlich keinen rechtlichen Bedenken. Bewerben sich mehrere Anbieter um eine begrenzte Anzahl an Sondernutzungserlaubnissen, haben diese lediglich einen Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Auswahlentscheidung durch die Behörde. VG Bremen, Beschlüsse vom 24.05.2023, Az. 5 V 829/23
VERWALTUNGSRECHT/FAHRTENBUCHAUFLAGE
Fahrtenbuchauflage: Zugang des Anhörungsschreibens
Behauptet der Adressat eines mit einfacher Post versandten Schriftstücks, dass ihm ein einzelnes Schreiben nicht zugegangen ist, kann nicht ohne Weiteres davon ausgegangen werden, dass es sich um eine Schutzbehauptung handelt, selbst wenn Verlustfälle in der fraglichen Zeit nicht vermehrt aufgetreten sind, der Briefkasten des Empfängers zugänglich war und dem Empfänger andere Schreiben zugegangen sind. Eine verspätete Anhörung des Fahrzeughalters zur Ermittlung des Fahrzeugführers eines Verkehrsverstoßes schließt eine Fahrtenbuchauflage nicht aus, wenn feststeht, dass die Verzögerung für die unterbliebene Ermittlung des Täters nicht ursächlich gewesen ist. Die Dauer einer Fahrtenbuchauflage von zwöl Monaten entspricht selbst bei lediglich mit einem Punkt bewerteten Erstverstößen regelmäßig dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. OVG des Landes SachsenAnhalt, Beschluss vom 29.06.2023, Az. 3 M 40/23
Fahrtenbuchauflage verstößt nicht gegen DSGVO
Die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) steht weder der Preisgabe der persönlichen Daten des Fahrzeugführers durch den Fahrzeughalter an die Polizei- oder Bußgeldbehörden noch dem Führen eines Fahrtenbuchs entgegen. Dabei bedarf es vorliegend keiner Entscheidung, ob die Verarbeitung personenbezogener Daten im Ordnungswidrigkeitenverfahren in den sachlichen Anwendungsbereich der DSGVO fällt oder sie hiervon gemäß Art. 2 Abs. 2 lit. b) DSGVO ausgenommen ist. Selbst wenn der Anwendungsbereich der DSGVO eröffnet sein sollte, wäre die Preisgabe der persönlichen Daten der Fahrzeugführer durch den Halter an die Polizei- oder Bußgeldbehörden gemäß Art. 6 Abs. 1 lit. f) DSGVO zur Wahrung der berechtigten Interessen der Behörden, eines Dritten im Sinne von Art. 4 Nr. 10 DSGVO, zulässig. Behörden haben ein berechtigtes Interesse daran, die ihnen im öffentlichen Interesse obliegenden Aufgaben zu erfüllen, zu denen die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten gehört. Gleiches gilt für das Führen eines Fahrzeugbuchs und die damit verbundene Datenerhebung durch den Fahrzeughalter. Ferner ist die Verarbeitung personenbezogener Daten durch die zuständigen Behörden gemäß Art. 6 Abs. 1 lit. e) DSGVO gerechtfertigt. OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 20.06.2023, Az. 7 B 10360/23
Verhältnismäßigkeit der Dauer einer Fahrtenbuchanordnung: 36 Monate
Die Verhältnismäßigkeit der Zeitspanne, für die ein Fahrtenbuch zu führen ist, ist unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls zu beurteilen. Sofern sich die Behörde zur Begründung der Dauer der Fahrtenbuchanordnung neben der Schwere der Verkehrsverstöße darauf stützt, dass es neben den hier vorgeworfenen Zuwiderhandlungen bereits in der Vergangenheit zu Verkehrsverstößen mit den Fahrzeugen der Halterin gekommen sei, bei denen aufgrund der fehlenden Bereitschaft der Halterin zur Mitwirkung der Fahrzeugführer nicht habe ermittelt werden können, kann vorliegend nicht geklärt werden, ob diese Argumentation in tatsächlicher Hinsicht trägt. Die fehlende Kooperation bei der Aufklärung mehrfacher Verkehrsverstöße ist den vorgelegten Akten nicht mit der erforderlichen Gewissheit zu entnehmen. Die Akte enthält insoweit lediglich vage, nicht näher erläuterte Ausführungen, auf die allein sich die erhebliche Dauer der Fahrtenbuchanordnung von 36 Monaten nicht stützen lässt. Diesbezüglich bedarf es weiterer Sachverhaltsaufklärung im Widerspruchsverfahren.
Die Interessenabwägung zwischen dem öffentlichen Vollziehungsinteresse an der angegriffenen Verfügung und dem Interesse der Halterin, bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache vorläufig vom Vollzug verschont zu bleiben, fällt zulasten der Halterin aus. Bei der Fahrtenbuchanordnung handelt es sich um eine Maßnahme zur Abwehr von Gefahren für die Sicherheit und Ordnung des Straßenverkehrs. Demgegenüber belastet die Erfüllung der Fahrtenbuchanordnung die Halterin nicht in nennenswertem Umfang. Hinzu kommt, dass die Anordnung eines Fahrtenbuchs dem Grunde nach gerechtfertigt ist. Es spricht einiges dafür, dass die Auferlegung eines Fahrtenbuchs für 24 Monate auf Grundlage des bereits feststehenden Sachverhaltes – wiederholter mit einem Punkt bewerteter unaufgeklärter Verkehrsverstoß – rechtlich nicht zu beanstanden sein dürfte. Da zu erwarten ist, dass vor Ablauf dieses Zeitraums das Widerspruchsverfahren unter Nachholung der genannten Sachverhaltsermittlungen beendet sein wird, besteht auch mit Blick auf das Gebot der Gewährung effektiven Rechtsschutzes kein Anlass, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen die Fahrtenbuchanordnung wiederherzustellen. OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 20.06.2023, Az. 7 B 10360/23

Aktuelles Magazin
Ausgabe 5/2023

Sonderausgabe Elektro
Das neue Jahresspecial Elektromobilität.
Der nächste „Flotte!
Der Branchentreff" 2026
0 Kommentare
Zeichenbegrenzung: 0/2000