
Flottenmanagement: Herr Emmert, wie ist der aktuelle Stand der Elektromobilität in Deutschland im Allgemeinen und in den gewerblichen Fuhrparks im Besonderen aus Ihrer Sicht?
Markus Emmert: Eine spannende Frage. Zunächst einmal muss man festhalten, dass E-Mobilität mittlerweile angekommen ist. Elektromobilität ist nicht mehr wegzudenken, das ist eine der grundsätzlichen Schlüsseltechnologien. Was schwieriger wird, ist der Transformationsprozess in den unterschiedlichen Bereichen, also in Unternehmen oder Gewerbebetrieben, wie man hier strategisch ideal von der Verbrennertechnologie auf den elektrischen Antrieb umstellen kann. Das betrifft ja nicht nur die klassischen Dienstwagen, sondern auch die ganze Logistikkette, wo ich welche Art von Elektromobilität mit welchen Fahrzeugen einsetzen kann. Wichtig ist, dass die Bundesregierung und auch Europa erkannt haben, dass Elektromobilität ein zentrales Element ist, um die Klimaschutzziele überhaupt erreichen zu können. Insofern sind jetzt die Weichen gestellt, und jetzt geht es an die nächsten Herausforderungen.
Flottenmanagement: Elektromobilität ist ja das aktuelle Boom-Thema auch in deutschen Fuhrparks. Wie wird sich Ihrer Meinung nach der Wegfall beziehungsweise die Kürzung der staatlichen Förderungen ab nächstem Jahr auswirken? Was kommt nächstes Jahr auf den Flottenbetreiber zu, was sind langfristige Trends?
Markus Emmert: Ich sehe das unter zwei Gesichtspunkten: Ich finde es schade, dass Gewerbetreibende ab September 2023 keinen Umweltbonus mehr bekommen. Das täte dem Ganzen gut, vor allem beim Thema Zielerreichung von 15 Millionen rein elektrischen Pkw bis 2030. Ich glaube aber trotzdem, dass der Boom anhalten wird und noch stärker werden wird aufgrund des politischen Drucks auf die Unternehmen, die auch ihre individuellen Klimaschutzziele erreichen sollen. Denn auch die Unternehmen müssen ihren CO2-Fußabdruck sukzessive reduzieren, denn alles, was sie nicht tun, wird entsprechend direkt und indirekt sanktioniert. Und alles, was ich vermeiden kann, verhindert entsprechende Sanktionen und wird tendenziell günstiger. Apropos günstiger: Die rein elektrischen Fahrzeuge sind in der TCO-Betrachtung deutlich günstiger für die Unternehmen, allein das ist schon ein starkes Argument.
Bei den Plug-in-Hybriden sieht es so aus, dass ab 1. Januar 2023 diese unabhängig von ihrer elektrischen Reichweite nicht mehr zu den Elektrofahrzeugen zählen. Diese fallen also bei Umweltbonus und Versteuerung komplett raus aus den Vorteilen. Jetzt kann man sich darüber streiten, ob das gut oder schlecht ist. Klimapolitisch ist das auf jeden Fall gut, weil die Praxis ganz klar gezeigt hat, dass es im unternehmerischen Umfeld eher um das Dienstwagenprivileg des günstigeren Fahrens und nicht des umweltbewussteren Fahrens ging. Das heißt, die meisten Fahrzeuge wurden überhaupt nicht geladen und überwiegend mit dem Verbrenner gefahren. Und wenn man sich dann die Verbräuche anschaut, waren die oft noch höher als bei einem konventionellen Verbrenner. Es gab hier unterschiedliche Lösungsansätze, auch wir als Bundesverband waren für eine Lösung, die sich an den Realdaten orientiert, denn warum soll jemand bestraft werden, der 70 oder 80 Prozent oder mehr rein elektrisch fährt? Aber das war der Bundesregierung vom Monitoring her zu aufwendig und man hat stattdessen einfach einen Strich gezogen und gesagt: Plug-in-Hybride fallen raus.
Flottenmanagement: Auch viele Dienstwagenfahrer mit elektrischen Fahrzeugen tanken noch immer gerne „voll“ und regelmäßig „nach“. Warum ist das bei vollelektrischen Fahrzeugen eher suboptimal und wie geht es richtig, ohne Reichweitenangst zu haben?
Markus Emmert: Die Frage ist ziemlich komplex. Die Praxis ist eigentlich relativ einfach. Ich sehe das selber, ich fahre 60. bis 70.000 Kilometer rein elektrisch und fahre auch viele lange Distanzen. Planung ist ein Teil der ganzen Wahrheit. Aber entscheidend ist, dass ich, wenn ich ohnehin irgendwo stehe, dort dann auch lade und dass ich am Startpunkt mit einem vollgeladenen Akku starte, ob beim Arbeitgeber oder bei der Wallbox zu Hause. Was viele bislang gemacht haben, ist, im Voraus die Reichweite und Ladepunkte auszusuchen und die Strecke komplett zu planen. Damit machen die sich einen Riesenstress, dann ist die große Panik vorprogrammiert. Ich muss sagen, am Anfang habe ich mich auch so verhalten. In der Zwischenzeit gehe ich einfach nur noch auf Strecke. Nach zwei oder drei Stunden benötige ich ohnehin eine Biopause; entweder ich muss zur Toilette oder will etwas essen. Dann fahre ich raus und die Zeit, die ich dort benötige, verwende ich kurz zum Laden. Und da ist es wichtig, dass ich das richtige Fahrzeug habe, welches eben auch schnellladefähig ist und nicht nur 11 oder 22 kW Ladeleistung hat. Ich mache dann meine Biopause und warte nicht, bis ich vollgeladen habe, sondern wenn ich fertig bin, stöpsele ich ab und fahre weiter. Das sind ja meistens 5 bis 15 Minuten und in der Zeit habe ich locker wieder 100 bis 300 Kilometer nachgeladen, fahre weiter und dann mache ich irgendwann die nächste Biopause.
Exkurs: Die Ladeleistungsfähigkeit hängt stark vom SoC (State of Charge) des Akkus ab. Das heißt, wie voll bzw. leer ist mein Akku. Je niedriger der SoC, desto schneller kann nachgeladen werden. Hier gibt es eine sogenannte Ladekurve, die zeigt, dass mit Zunehmen des SoC die Ladeleistung abnimmt. Ideal sind Ladevorgänge an Fastchargern mit dem Beginn des Ladens mit einem SoC, der kleiner ist als circa 20 Prozent. Was bedeutet das in der Praxis? Zunächst einmal ist die Ladekurve nicht pauschal zu bewerten, denn die Abhängigkeiten sind vielzählig, wie SoC, Außentemperatur, Temperatur der Batterie, Leistungsfähigkeit der Ladestation und so weiter. Wenn ich beispielsweise an einem Ladepunkt mit einem SoC von 10 Prozent ankomme, kann ich zum Beispiel in 15 Minuten circa 250 Kilometer nachladen. Starte ich den gleichen Vorgang mit einem SoC von 70 Prozent werden in der gleichen Zeit nur circa 150 Kilometer nachgeladen. Somit rentiert sich eine Weiterfahrt unter Umständen, um dann mit einem geringeren SoC anzufangen zu laden. So kann man Zeit und Strecke gewinnen. Vorausgesetzt, es passt.
Flottenmanagement: Viele Fuhrparkleiter zweifeln noch an der Lebensdauer der eingesetzten Batterien und den prognostizierten Restwerten der batterieelektrischen Fahrzeuge. Wie schone ich meine Batterie, wie sehen Sie die Restwerte von BEV nach 100.000 Kilometern oder mehr im Vergleich zum Verbrenner?
Markus Emmert: Das sind wichtige Fragen. Die Bewertung einer Batterie hängt von unterschiedlichen Komponenten ab. Die Frage ist: Wie gehe ich schonend mit meiner Batterie um? Da gibt es ja auch unterschiedliche Empfehlungen wie „Lade nur bis 80 Prozent“. Aber die 80-Prozent-Hürde ist etwas, was nur mit Schnellladen zu tun hat. Schonender ist natürlich langsames Laden, aber wenn ich auf Strecke bin, kann ich nicht auf Schonung achten, denn dann bin ich zu lange unterwegs. Schnellladen und gerne auch immer wieder Zwischenladen ist kein Problem. Unterstützung gibt es hier vom BMS (Battery Management System), welches dafür sorgt, dass meine Batterie keinen Schaden nimmt. Es gibt eine Gesetzmäßigkeit, die ich aber auch nicht unbedingt in Stein meißeln möchte, nämlich ungefähr ein 1:4oder 1:5-Verhältnis. Das heißt: Wenn ich vieroder fünfmal schnell geladen habe, sollte ich mal wieder schauen, dass ich eine langsame Ladung (also AC mit 3,7, 11 oder 22 kW) dazwischen habe. Und das idealerweise bis 100 Prozent und darüber hinaus. Darüber hinaus klingt jetzt komisch, aber nach den 100 Prozent setzt bei den meisten Fahrzeugen ein sogenanntes Cell-Balancing ein, das heißt, die Zellen werden untereinander ausgeglichen und auf einen Level gebracht und sind dann wieder voll funktionsfähig. Denn die Problematik ist, und das hat oft etwas mit dem augenscheinlichen Kapazitätsverlust zu tun, dass die Leistungsfähigkeit und das Signal von der kompletten Batterie bestimmt werden. Das ist Chemie, denn nicht alle Zellen sind 100-prozentig gleich. Die haben alle eine kleine Differenz zwischen der stärksten und der schwächsten Zelle. Das, was ich aus der Batterie entnehmen kann, gibt die schwächste Zelle an.
Ergo: Wenn nur eine Zelle dabei wäre, die nur 50 Prozent vom Füllgrad hat, könnte ich auch nur 50 Prozent der Batterie abrufen. Das ist fatal, denn es sind ja auch viel stärkere Zellen dabei. Das Cell-Balancing schafft hier einen Ausgleich. Die „ersten“ 100 Prozent Vollladung zeigt mir nicht die schwächste Zelle an, sondern die stärkste. Wenn also die erste Zelle voll ist, zeigt das System eine Vollladung an. Und deshalb ist es so wichtig, zwischendurch immer mal wieder eine Normalladung zu machen mit AC-Strom und einem Cell-Balancing. Das dauert auch nicht allzu lange. Wenn ich nachts zu Hause an der Wallbox volllade, ist das Cell-Balancing am nächsten Morgen gleich mit erledigt.
Zum Thema Wertigkeit: Auch da haben sich viele am Anfang verschätzt und gedacht, die Batterien werden nicht allzu lange halten, und dann kamen die ersten Batteriegarantien, die im Augenblick ja bei etwa 70 Prozent der Leistungsfähigkeit (SoH – State of Health) und 160.000 Kilometern liegen. Am Anfang hat man noch gedacht, hoffentlich können wir die Garantiezusagen halten. In der Zwischenzeit hat sich aber gezeigt, dass die Batterien das locker leisten werden und ein Vielfaches mehr, insbesondere wenn man adäquat damit umgeht und keine externen Beschädigungen passieren. Das entspricht locker 500.000 bis 1 Million Kilometer und 12 bis 14 Jahre Haltedauer. Und auch dann ist noch lange nicht das Ende der Lebensdauer der Batterie erreicht: nur das Ende der Batterie als Traktionsbatterie vielleicht. Das heißt aber noch lange nicht, dass sie defekt ist. Eine Batterie kann dann noch beispielsweise im Energiesektor als Second Life eingesetzt werden, und erst nach circa 30 oder 40 Jahren ist sie komplett verbraucht und kann dann noch recycelt werden. Entscheidend ist ja: Wie verlässlich ist die Batterie und wie bewerte ich sie dann? Wenn das Fahrzeug beispielsweise 14 Jahre alt ist, hat die Batterie dann keinen Wert mehr für das Fahrzeug. Aber: Sie hat ja noch einen Wert für den Energiemarkt. Und diesen müsste man separat noch mal neu bewerten. Das hat man beim Verbrenner nicht: Das Fahrzeug ist dann einfach Schrott. Aber bei der Batterie sieht das komplett anders aus. Auch daher sind die Restwerte bei Batteriefahrzeugen höher als bei Verbrennern. Ich denke, die Bewertungslogik von batterieelektrischen Fahrzeugen muss komplett neu überdacht werden, weil ich das Fahrzeug nicht als komplettes bewerten kann und soll, sondern eigentlich müsste ich das Fahrzeug und die Batterie separat bewerten: für die Traktion einerseits und für eventuell andere Märkte andererseits. Um es mal plakativ darzustellen: Wenn ich heute ein Fahrzeug mit einer 80-kWh-Batterie für 60 bis 65.000 Euro kaufe, hat die Batterie allein – nach einer neuen Homologation – im Energiemarkt aktuell eine Wertigkeit von circa 120.000 Euro. Das heißt, die Batterie an sich ist in einem anderen Markt doppelt so viel wert wie im Automobilmarkt.
Flottenmanagement: Kann ich denn als Kunde meine alte Batterie irgendwo separat verkaufen, gibt es dafür schon Dienstleister oder Händler? Mit dem Geld dafür könnte ich mir – bei 60 Prozent Restleistungsfähigkeit – ja wieder eine brandneue Batterie kaufen.
Markus Emmert: Aktuell noch nicht, aber ich glaube, dass das die Zukunft sein wird. Nicht vielleicht als einzelner Kunde, aber da wird es sicher bald Anbieter geben. In die Richtung wird es sich entwickeln beziehungsweise wird es sich entwickeln müssen, allein schon wegen der EU-Vorschriften zum Recycling und zur Kreislaufwirtschaft. Dieser Markt des Batteriehandels wird sich in den nächsten zwei bis vier Jahren entwickeln.
Was bedeutet das? Ich kann nach fünf Jahren entweder mein Fahrzeug komplett verkaufen und bekomme dann natürlich nicht mehr den Neupreis, sondern einen üblichen Restwert. Aber wenn ich die alte Batterie im Zweitmarkt verkaufe und dort einen doppelten Erlös pro kWh bekäme und das Geld wieder in eine komplett neue Batterie mit neuer Technik und 100 Prozent Leistungsfähigkeit investieren würde, dann hätte ich ein fünf Jahre altes Auto mit komplett neuer Batterie und würde entsprechend mehr Restwert dafür bekommen. Diese Anbieter werden kommen. Auch deshalb wird dieser Zweitmarkt richtig gigantisch. Das Auto allein wird nicht mehr die Bewertungslogik haben wie bislang.
Flottenmanagement: Wieso sind denn Batterien für Automobile so viel günstiger pro Kilowattstunde als in anderen Märkten?
Markus Emmert: Das hat ein Stück weit was mit dem Einkauf von Ressourcen zu tun. Die Automobilwirtschaft hat sich in den Massenmarkt der Lithium-Ionen-Batterien massiv eingekauft, der Energiemarkt hat das nicht. Der Automobilmarkt hat durch seine Massenproduktion sehr günstige Konditionen für eine sehr hohe Qualität. Und die nächsten 20 bis 30 Jahre wird es keine Marktsättigung geben, weil wir für die Energiewende immense Batteriekapazitäten benötigen werden.
Flottenmanagement: Die Strompreise variieren von Anbieter zu Anbieter, von Region zu Region und dann auch noch je nach Ladegeschwindigkeit teils erheblich. Welche Strategie würden Sie Fuhrparkentscheidern empfehlen, welche Maßnahmen sie treffen sollen, damit die Mitarbeiter zu halbwegs kalkulierbaren und günstigen Konditionen laden können?
Markus Emmert: Zunächst mal muss man sich die unterschiedlichen Arten der Dienstwagennutzer anschauen. Die klassischen Pendler sind einfach, die kann ich am Firmenstandort und zu Hause laden lassen, idealerweise noch kombiniert mit Fotovoltaik. Das ist das einfachste Modell. Wenn die Mitarbeiter auf Strecke sind, muss natürlich zwischengeladen werden. Und da macht es durchaus Sinn sich die Rahmenverträge der Fahrzeughersteller anzuschauen, oder ich suche mir Roamingpartner mit standardisierten Tarifen für Normalladen und Schnellladen. Dann kann ich das relativ gut kalkulieren und es gibt dann auch keine großen Preisschwankungen mehr, sondern nur noch die zwischen Schnellladen und Normalladen. Perspektivisch wird im Juli nächsten Jahres noch eine Veränderung kommen mit dem Inkrafttreten eines Teils der neuen Ladesäulenverordnung. Dann wird Ad-hoc-Laden mit Kreditund Debitkarte an allen Säulen günstiger, weil die Nebenkosten einfach niedriger werden. Denn durch das ganze Roaming sind noch Zweit- und Drittanbieter mit involviert und durch die ganzen Handlingfees gehen die Kosten hoch. In dem Moment, in dem ich direkt abrechnen kann ohne Roaming, erwarte ich eine spürbare Absenkung der Ladekosten durch Direct Payment. Das ist für Fuhrparks vor allem auch bei Auslandsdienstreisen interessant, weil die Ladesäulenverordnung im Rahmen der neuen AFIR dann europaweit gilt und der Fahrer dann überall einfach mit Kredit- oder Debitkarte zahlen kann. Und Ladekarten im Ausland zu nutzen ist mitunter schwierig und bedarf einer Vorplanung.
Flottenmanagement: Welche Tipps haben Sie persönlich für die Fuhrparkentscheider in Deutschland in Bezug auf die Einführung der Elektromobilität?
Markus Emmert: Zunächst ist es wertvoll, die Mitarbeiter abzuholen, auch in ihren Bedenken abzuholen. Wenn ich Bedenkenträger im Unternehmen habe, kann ich keinen Rundumschlag machen. Klug ist es, die Mitarbeiter mitzunehmen und erst mal unterschiedliche Elektrofahrzeuge als Poolfahrzeuge anzuschaffen, damit die Erfahrbarkeit für die Mitarbeiter stattfindet und die Angst schwindet. Im nächsten Prozess geht es um die Optimierung: Also wie plane ich künftig meine Routen? Muss ich nach Ladepunkten planen oder fahre ich wie oben erwähnt ganz entspannt nach Biopausen? Das ist ein kleinteiliger Prozess, also ich würde nicht alles komplett sofort umstellen, sondern bei den Pendlern anfangen und für Streckenfahrten mit Poolfahrzeugen anfangen.